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AKTION/536: Urgent Action - Ägypten - 26 Tote bei Gefängnisunruhen


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-032/2011, AI-Index: MDE 12/018/2011, Datum: 17. Februar 2011 - jf

ÄGYPTEN:
26 Tote bei Gefängnisunruhen

Getötet:
Mindestens 25 Häftlinge des al-Qatta-al-Gaeed-Gefängnisses
1 Gefängniswärter des al-Qatta-al-Gaeed-Gefängnisses
In Gefahr:
Hunderte Insassen des al-Qatta-al-Gaeed-Gefängnisses


Nach dem Ausbruch von Revolten am 28. Januar befinden sich Hunderte von Gefängnisinsassen des nördlich von Kairo gelegenen al-Qatta-al-Gaeed-Gefängnisses in Gefahr. Berichten zufolge wurden mindestens 25 Häftlinge sowie ein Gefängniswärter getötet; die letzten beiden Todesfälle ereigneten sich vergangenes Wochenende. Gefangene und ihre Familien berichteten von den Schicksalen Dutzender weiterer Häftlinge, die bei den Aufständen verwundet wurden und keine fachgerechte medizinische Versorgung erfahren. Einige erhalten eine Grundversorgung durch Mitgefangene.

Die Aufstände begannen am 28. Januar, als Gefangene aus dem al-Qatta-al-Gaeed-Gefängnis von Berichten über Ausbrüche und Befreiungen von Häftlingen anderer ägyptischer Gefängnisse hörten und von ihren Gefängniswärter_innen ebenfalls die Freilassung forderten. Als diese der Aufforderung nicht nachkamen, kam es zu Aufständen. Berichten zufolgen sollen die Gefängniswärter_innen daraufhin Tränengas gegen Gefangene eingesetzt und massiv Gewalt angewendet haben, was auch die Anwendung von Waffengewalt mit scharfer Munition einschloss. Inoffiziellen Angaben zufolge wurden 81 Häftlinge verletzt und mindestens 25 getötet, darunter auch neun Insassen des C-Flügels ('anbar Geem). Angesichts der von den Gefängniswärter_innen angewendeten Waffengewalt fürchtet Amnesty International um die Sicherheit der Häftlinge und sorgt sich besonders wegen des Mangels an fachgerechter medizinischer Versorgung um die verwundeten Insassen.Weiterhin berichten Gefangene und ihre Familien davon, dass Gefängnisinsassen insbesondere in der Zeitspanne zwischen dem 28. Januar (der Tag, an dem die Unruhen begannen) und dem 7. Februar keine ausreichende Versorgung mit Nahrung, Wasser und anderen Dingen des täglichen Bedarfs erfuhren. Am 7. Februar warfen Berichten zufolge Soldaten Brot, Marmelade und Käse über die Gefängnismauer zu den Inhaftierten.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Gefängnisinternen Quellen zufolge umfasst das al-Qatta-al-Gaeed-Gefängnis vier Flügel, darunter auch den C-Flügel. In drei der vier Flügel sitzen Personen ein, die einer Straftat für schuldig befunden worden sind; im vierten Flügel befinden sich Häftlinge, die noch auf ihren Prozess warten.Bislang wurden noch keine erfolgreichen Fluchtversuche gemeldet, obwohl das Zivil- und Sicherheitspersonal unter Zuständigkeit des Innenministeriums die Gefängnisleitung innehatte, Berichten zufolge am 28. Januar sämtliche Posten mit Ausnahme der Wachtürme verlassen haben soll.

In dem C-Flügel ('anbar Geem) sollen sich Hunderte von Gefangenen aufhalten. Informationen von Amnesty International zufolge besteht die einzige medizinische Versorgung derzeit jedoch in der Versorgung durch einen inhaftierten Apotheker. Dieser soll Wunden mit Betadine - ein Antiseptikum, das Bakterien tötet - gesäubert und mit zerrissener Unterwäsche verbunden haben, da es keine Verbände gibt. Wie es hieß, kümmert sich der Mann um etwa 45 Häftlinge des C-Flügels, die von scharfer Munition bzw. Geschossen aus Schrotflinten verletzt wurden; ihm stehen dabei keinerlei Antibiotika zur Verfügung. In den anderen drei Flügeln des Gefängnisses verbleiben derweil Dutzende von Verwundeten ohne medizinische Versorgung. Von anderen Gefangenen wird berichtet, dass sie aufgrund ihrer Erkrankung an Diabetes dringend der Versorgung mit Insulin bedürfen. Die Gefängnisklinik verfüge über keinerlei Reserven mehr. Weitere Gefangene leiden an Leber- und Nierenbeschwerden und brauchen ebenfalls dringend medizinische Versorgung. Darüber hinaus hat Amnesty International von Gefangenen erfahren, dass Wächter_innen von den Wachtürmen aus auf Gefangene schossen, als diese sich noch innerhalb der Gefängnisflügel und -zellen sowie im Gefängnishof aufhielten. Zudem berichteten sie von Einschusslöchern in Innentüren und Zellenwänden.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE FAXE, E-MAILS UND LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Bitte stellen Sie umgehend die massive Gewalt gegen die Insassen des Gefängnisses ein. Setzen Sie auch keine Waffen gegen die Häftlinge ein. Stellen Sie außerdem sicher, dass verwundete Häftlinge unverzüglich angemessene medizinische Versorgung erhalten.

- Ich fordere Sie außerdem dazu auf, unverzüglich eine umfassende und unabhängige Untersuchung der Gefängnisrevolten im al-Qatta-al-Gaeed-Gefängnis einzuleiten, in der herausgearbeitet wird, welche Gefängniswärter_innen die tödlichen Schüsse abgegeben haben. Veröffentlichen Sie außerdem die genaue Anzahl der getöteten und verletzten Häftlinge sowie ihre Identitäten und stellen Sie die Gefängniswärter_innen, die sich der massiven Gewaltanwendung, gesetzeswidrigen Tötungsdelikten oder anderer Misshandlung von Häftlingen schuldig gemacht haben, vor Gericht.

- Weiterhin appelliere ich an Sie, mit sofortiger Wirkung sicherzustellen, dass die Gefangenen eine menschlich angemessene Behandlung erfahren und ausnahmslos Zugang zu Lebensmitteln, Wasser und anderen Dingen des täglichen Bedarfs erhalten.

- Bitte gewähren Sie den Insassen regelmäßig Zugang zu ihren Familienangehörigen und Anwält_innen.


APPELLE AN

OBERBEFEHLSHABER DES MILITÄRS
Field Marshal Muhammad Tantawi
Ministry of Defence, 23 Al Khalifa Al Ma'moun
Street, Cairo, ÄGYPTEN
(korrekte Anrede: Dear Field Marshal)
Fax: (00 20) 22 291 6227
E-Mail: mod@idsc.gov.eg,
mmc@afmic.gov.eg, mod@afmic.gov.eg

GENERALSTAATSANWALT
Abd El-Megeed Mahmoud
Dar al-Qadha al-'Ali
Ramses Street, Cairo, ÄGYPTEN
(korrekte Anrede: Dear Prosecutor General)
Fax: (00 20) 22 577 4716

INNENMINISTER
H. E. Mahmoud Wagdy
Ministry of Interior
25 El Sheikh Rihan Street
Bab al-Louk, Cairo, ÄGYPTEN
(korrekte Anrede: Your Excellency)
Fax: (00 20) 22 796 0682
E-Mail: moi@idsc.gov.eg


KOPIEN AN

BOTSCHAFT DER ARABISCHEN REPUBLIK ÄGYPTEN
S.E. Herrn Ramzy Ezz Eldin Ramzy
Stauffenbergstraße 6 - 7, 10785 Berlin
Fax: 030-477 1049
E-Mail: embassy@egyptian-embassy.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort.
Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 18. März 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Urging the authorities to immediately cease excessive force, including lethal force, against inmates of the prison and to ensure that all those injured receive adequate medical treatment without further delay;

- Urging the authorities to order an immediate independent investigation into the disturbances at al-Qatta al-Gadeed prison to establish the circumstances in which prison guards used lethal force, to confirm and make public the number of prisoners killed and injured and their identities, and to ensure that any prison guards responsible for excessive force, unlawful killings or other abuses against prisoners are brought to justice;

- Calling on the authorities to take immediate steps to ensure that all inmates of al-Qatta al-Gadeed prison are treated humanely and have access to adequate food, water and other necessities without discrimination;

- Urging the authorities to allow all prisoners regular access to their families and lawyers.


Hintergrund:

Den Gefangenen zufolge soll ein Insasse namens Ahmed Magdi Mursi getötet worden sein, als er sich am 11. Februar zusammen mit anderen Häftlingen innerhalb seines Gefängnisflügels aufhielt. Ein weiterer Gefangener berichtete Amnesty International davon, wie er am 12. Februar von Gefängniswärter_innen verletzt worden sei, die Schüsse auf ihn und fünf weitere Häftlinge abgaben, als sie den Körper von Ahmed Magdi Mursi zu seiner Familie bringen wollten, die vor dem Gefängnistor warteten."Ein Sicherheitsbeauftragter sagte uns, dass wir den in Decken eingehüllten Körper nahe dem Tor ablegen sollten. Die Soldaten der Armee draußen vor dem Gefängnis sagten uns, wir sollten zurückgehen. Da aber der Sicherheitsbeauftragte einen höheren Rang hatte, gingen wir weiter auf das Tor zu, als plötzlich jemand das Feuer auf uns eröffnete. Wir ließen den Körper fallen und rannten um unser Leben. Ich wurde in die linke Schulter getroffen und verletzt; ein Gefangener aus einem anderen Flügel, der uns zu Hilfe gekommen war, wurde von zwei Schüssen in den Bauch getroffen und starb, zwei weitere wurden verletzt."

Am 9. Februar wurden den Familien der Insassen unter Auflagen wieder Besuche gestattet. Das Gefängnis darf allerdings jeweils nur von einem Angehörigen betreten werden. Nach dem Tod von zwei weiteren Häftlingen am vergangenen Wochenende wurden allerdings auch diese Besuche zwischenzeitlich ausgesetzt.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-032/2011, AI-Index: MDE 12/018/2011, Datum: 17. Februar 2011 - jf
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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Telefon: 030/42 02 48-306
Fax: 030/42 02 48 - 330
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Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Februar 2011