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AKTION/578: Reaktionen und Erfolge, Februar/März 2011


amnesty journal 02/03/2011 - Das Magazin für die Menschenrechte

Reaktionen und Erfolge - Februar/März 2011

- Ausgewählte Ereignisse vom 11. November 2010 bis 10. Januar 2011
- Deutschland - Berlin kennzeichnet Polizeibeamte
- Uganda - Urteil gegen Homophobie
- Aserbaidschan - Blogger auf Bewährung frei
- Saudi-Arabien - Todesurteil wegen Hexerei abgelehnt
- Niederlande - Irakische Flüchtlinge dürfen bleiben
- Simbabwe - Keine Zwangsräumung in Harare
- Irak - Irakischer Polizist in Freiheit
- USA - Hinrichtung ausgesetzt


Ausgewählte Ereignisse vom 11. November 2010 bis 10. Januar 2011

MAROKKO
Mindestens neun Tote und elf Verletzte. Das ist das Resultat einer gewaltsamen Räumung des "Gadaym Izik" - eines Protestcamps in der Nähe der Stadt Laayoune in der Westsahara. Tausende Mitglieder der sahrauischen Bevölkerung wurden bei der Aktion von marokkanischen Sicherheitskräften vertrieben. Sie protestierten für einen gleichberechtigten Zugang zu Arbeitsplätzen und Wohnungen. Amnesty hat die Behörden aufgefordert, die Vorfälle zu untersuchen.

RUSSLAND
Der Schuldspruch war abzusehen, nicht aber das hohe Strafmaß. Der Geschäftsmann Michail Chodorkowski und sein Partner Platon Lebedew wurden im vergangenen Dezember von einem Moskauer Gericht zu insgesamt 14 Jahren Haft verurteilt. Damit muss Chodorkowski, dem Unterschlagung und Geldwäsche vorgeworfen werden, noch bis 2017 im Gefängnis bleiben. Amnesty kritisierte das Verfahren als politisch motiviert und forderte das Gericht auf, das Urteil fallenzulassen.

CHINA
Chinesische Behörden verstehen keine Satire. Das musste Cheng Jianping erfahren, als sie im Oktober vergangenen Jahres eine Nachricht über den Online-Dienst Twitter verbreitete. Laut den chinesischen Behörden habe Cheng dazu aufgerufen, den japanischen Pavillon bei der Expo 2010 in Shanghai zu attackieren. Dafür wurde sie zu einem Jahr Haft verurteilt. Sie muss die Strafe in einem Arbeitslager ableisten. Amnesty fordert die sofortige Freilassung der Online-Aktivistin.

KUBA
Sein Stuhl blieb leer. Guillermo Fariñas, Journalist und Preisträger des "Sacharow-Preises für geistige Freiheit" 2010, wurde von den kubanischen Behörden daran gehindert, an der Preisverleihung in Straßburg teilzunehmen. "Fariñas hat sich mit friedlichen Mitteln für die Pressefreiheit eingesetzt", sagte Kerne Howard, stellvertretende Direktorin des Americas-Programms von Amnesty. "Das Ausreiseverbot zeigt, dass Menschenrechte in Kuba immer noch eine untergeordnete Rolle spielen."

SIMBABWE
Im Dezember vergangenen Jahres hat ein Gericht in Harare die Anklage gegen Ellen Chademana fallengelassen. Ihr wurde der Besitz pornographischen Materials vorgeworfen. Chademana ist für die Organisation "Gays and Lesbians of Zimbabwe" tätig und setzt sich für die Rechte homosexueller Menschen ein. Amnesty fordert die simbabwischen Behörden auf, Menschenrechtsverteidiger nicht länger zu schikanieren, sondern deren Arbeit zu unterstützen.

INDONESIEN
Um an einer Berufsschule in der indonesischen Stadt Magetan studieren zu können, mussten Bewerberinnen einen Schwangerschaftstest durchführen lassen. "Solche Eignungstests sind erniedrigend und diskriminierend - vor allem, wenn sie nur von Frauen verlangt werden", sagte Isabelle Arradon, Indonesien-Expertin von Amnesty International. Ähnliche Versuche gab es vor kurzem auf der Insel Sumatra: Dort sollten Studentinnen auf ihre Jungfräulichkeit getestet werden.


Deutschland: Berlin kennzeichnet Polizeibeamte

Die Polizeiarbeit in der Hauptstadt wird transparenter: Berliner Polizisten sind ab diesem Jahr verpflichtet, Schilder mit Namen oder Nummer zur Identifizierung zu tragen. Das hat die Einigungsstelle des öffentlichen Dienstes in Berlin entschieden. Die Kennzeichnungspflicht soll im Laufe des ersten Halbjahres umgesetzt werden und gilt für Streifen- und Bereitschaftspolizisten gleichermaßen.

"Wir begrüßen, dass Berlin als erstes Bundesland nun die individuelle Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte einführt. Damit wird die Transparenz in der Polizei gestärkt", sagte Monika Lüke, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland.

Amnesty hat sich im Rahmen der Kampagne "Mehr Verantwortung bei der Polizei" für die Kennzeichnungspflicht eingesetzt: Im vergangenen Jahr nahmen rund 11.500 Menschen an einer Online-Demonstration teil, fast 2.000 E-Mail-Petitionen wurden an Bundesinnenminister Thomas de Maizière geschickt.

Monika Lüke hat die Innenminister der anderen Bundesländer aufgerufen, ebenfalls die Kennzeichnungspflicht einzuführen und "schnell dem Vorbild von Berlin zu folgen". Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Thomas Hammarberg, betonte in einem Brief an de Maizière im vergangenen Dezember, dass die Bevölkerung der Polizei nur vertrauen kann, wenn "Polizeikräfte Transparenz auf ganzer Linie zeigen". In anderen Bundesländern gibt es bisher nur eine Kennzeichnung auf freiwilliger Basis.


Uganda: Urteil gegen Homophobie

Ugandische Menschenrechtsgruppen bezeichnen es als "Meilenstein" im Kampf gegen Homophobie. Vincent Musoke-Kibuuk, Richter des Obersten Gerichtshofs, hat der ugandischen Wochenzeitung "Rolling Stone" untersagt, die Identität von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender (LGBT) der Öffentlichkeit preiszugeben.

Die Wochenzeitung hatte im vergangenen Oktober eine Liste mit Fotos und Namen von homosexuellen Menschen veröffentlicht. Ein Artikel trug die Überschrift "Hängt sie". Mindestens vier Menschen, die in der Liste auftauchten, wurden nach der Veröffentlichung angegriffen. Eine Frau musste ihr Haus verlassen, nachdem es von Nachbarn mit Steinen beworfen wurde.

Bereits im April 2009 veröffentlichte die Zeitung "Red Pepper" einen Artikel mit dem Titel: "Top Homos in Uganda named". Darin aufgeführt waren die Namen von Homosexuellen, mit Informationen über Beruf und Aussehen. Im selben Jahr wurde im ugandischen Parlament ein Gesetzesentwurf eingebracht, der die Berichterstattung über Homosexualität unter Strafe stellt. Bisher wurde er noch nicht angenommen.

"Der Beschluss ist eine gute Nachricht für Uganda. Die Regierung hat lange genug über die Diskriminierung und Gewalt gegenüber Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender geschwiegen", sagte Kasha Jacqueline. Sie und zwei weitere Personen hatten sich entschieden, den "Rolling Stone" anzuklagen.


Aserbaidschan: Blogger auf Bewährung frei

Sichtlich erleichtert blicken die beiden Männer in die Kamera. Sie stehen vor einer schlichten weißen Wand, ihre Haare sind kurz geschnitten, im Hintergrund läuft Musik. Dann die gute Nachricht: "Wir sind wieder da! Die Kampagne für unsere Freilassung war etwas ganz Außergewöhnliches, wir können es immer noch nicht glauben, vielen Dank für jeden einzelnen, der uns unterstützt hat." So meldeten sich Adnan Hajizade und Emin Milli in einem YouTube-Video am 12. Dezember 2010 nach ihrer Inhaftierung zurück.

Ein YouTube-Video war es auch, das sie im Juni 2009 in den Fokus der aserbaidschanischen Regierung rücken ließ. Darauf war zu sehen, wie Adnan Hajizade eine Pressekonferenz vor einer Gruppe Journalisten gibt - als Esel verkleidet. Die beiden Blogger sind für ihr zivilgesellschaftliches Engagement bekannt: Emin Milli gehört zu den Gründungsmitgliedern der Jugendorganisation "Alumni Network", Adnan Hajizade koordiniert die Jugendbewegung "OL!", die für Gewaltlosigkeit und Toleranz eintritt. Das Video war als direkte Kritik an der Regierung zu verstehen: Lokale Medien hatten über exorbitante Ausgaben im Staatshaushalt berichtet, angeblich um Esel zu importieren.

Die Behörden reagierten kurz nach der Veröffentlichung des Videos. Am 8. Juli 2009 wurden Hajizade und Milli in einem Restaurant in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku von Unbekannten angegriffen. Als sie bei der Polizei Anzeige erstatten wollten, wurden sie fünf Stunden lang auf dem Revier verhört und schließlich festgenommen. Am Ende saßen die Männer selbst auf der Anklagebank - wegen "Rowdytums". In einem unfairen Prozess im November 2009 wurde Hajizade zu zwei Jahren, Milli zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Es folgten weltweite Proteste von Amnesty International und anderen Organisationen, Politikern und privaten Unterstützern. Der UNO-Menschenrechtsausschuss kritisierte im August 2009, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung in Aserbaidschan zunehmend eingeschränkt werde. Auf der Rangliste der Pressefreiheit, die Reporter ohne Grenzen vor kurzem veröffentlichte, liegt Aserbaidschan auf Platz 152 - von insgesamt 178.

Regierungskritische Journalisten müssen Angriffe und staatliche Willkür befürchten. Das zeigt auch der Fall des Journalisten Eynulla Fatullayev. Obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Anklage gegen ihn wegen Störung der öffentlichen Ordnung im April 2010 aufgehoben hat, sitzt er weiterhin im Gefängnis. Amnesty betrachtet ihn als gewaltlosen politischen Gefangenen. Ein weiteres Beispiel ist der Jugendaktivist Bakhtiyar Hajiyev. Er wurde am 18. November 2010 von den Sicherheitskräften ohne Begründung eine Nacht lang festgehalten und eingeschüchtert. Er hatte sich zuvor über Manipulationen bei der Parlamentswahl in Aserbaidschan beschwert, aus der die Regierungspartei von Präsident Ilham Älijey siegreich hervorging. Die Opposition sprach nach der Wahl von Betrug und forderte eine Wiederholung.

Ob die gegen Adnan Hajizade und Emin Milli verhängten Bewährungsstrafen aufrechterhalten werden, ist noch offen. Die Anwälte der beiden haben sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gewandt. Sie hoffen, dass dieser die Urteile aufhebt.


EINSATZ MIT ERFOLG

Weltweit beteiligen sich Tausende Menschen mit Appellschreiben an den "Urgent Actions", den "Briefen gegen das Vergessen" und an Unterschriftenaktionen von Amnesty International. Dass dieser Einsatz drohende Menschenrechtsverletzungen verhindert und Menschen in Not hilft, zeigen diese Beispiele.


SAUDI-ARABIEN

Todesurteil wegen Hexerei abgelehnt

Als Moderator einer libanesischen Fernsehshow wagte Ali Hussain Sibat Zukunftsprognosen und gab Ratschläge in Lebensfragen. Dafür wurde der Libanese im November 2009 von einem Gericht in Saudi-Arabien wegen "Hexerei" zum Tode verurteilt. Der Oberste Gerichtshof in Riad hat das Urteil nun als unrechtmäßig abgelehnt und zur Überarbeitung an das Ursprungsgericht zurückgegeben. Die Begründung: Es gebe keine Beweise dafür, dass Ali Hussain Sibat andere Personen geschädigt habe. "Die Entscheidung ist ein Schritt in die richtige Richtung und führt hoffentlich dazu, dass sein Todesurteil aufgehoben wird", sagte Malcolm Smart, Direktor des Amnesty-Programms Naher Osten und Nordafrika. "Wir fordern dennoch seine unverzügliche Freilassung. Sein einziges Vergehen war, dass er seine Meinung frei geäußert hat."


NIEDERLANDE

Irakische Flüchtlinge dürfen bleiben

Die niederländischen Behörden haben eine geplante Abschiebung von irakischen Flüchtlingen vorerst ausgesetzt. Ursprünglich sollten die Flüchtlinge Anfang November per Flugzeug nach Bagdad gebracht werden. Die Behörden reagierten damit auf eine Anordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Oktober 2010. Dieser hatte gefordert, die Abschiebungen von Irakern einzustellen, bis der Gerichtshof ein diesbezügliches Urteil gefällt hat. Die Entscheidung wird für 2011 erwartet.

Amnesty International forderte die europäischen Staaten auf, keine Flüchtlinge in den Irak abzuschieben, vor allem nicht in besonders gefährliche Regionen. Dazu gehören die Provinzen Ninewa (Mosul), Kirkuk, Diyala, Salah al-Din und Bagdad sowie Teile der Provinz Al-An bar. Im Irak geraten noch immer jeden Monat Hunderte von Zivilpersonen zwischen die Fronten von bewaffneten Gruppen, Sicherheitskräften und Stammesangehörigen - oft mit tödlichen Folgen.


SIMBABWE

Keine Zwangsräumung in Harare

Knapp 20.000 Menschen einer Siedlung in der simbabwischen Hauptstadt Harare dürfen auf ihrem Gebiet wohnen bleiben. Das sicherte der Minister für staatliche Wohnungspolitik, Giles Mutsekwa, in einem Brief an den simbabwischen Botschafter in Deutschland zu: "Niemand wird aus seinem rechtmäßigen Siedlungsgebiet vertrieben. Es gibt und gab nie Pläne einer Zwangsräumung des Stadtteils Hatcliffe Extension." Im vergangenen Juni hatte das Ministerium für Stadt- und Landentwicklung die Mieter von Hatcliffe Extension aufgefordert, eine Gebühr von bis zu hundert Euro für eine Verlängerung der Mietverträge zu bezahlen. Viele Bewohner des Stadtteils können solche Beträge nicht bezahlen und mussten deshalb eine Zwangsräumung befürchten. Amnesty International hatte sich daraufhin mit einer Briefaktion für die Bewohner von Hatcliffe Extension eingesetzt.


IRAK

Irakischer Polizist in Freiheit

Er stand unter Verdacht, mit bewaffneten Milizen in Kontakt zu stehen. Ende 2010 durfte Qusay 'Abdel-Razaq Zabib das Gefängnis verlassen. "Seine Freilassung war längst überfällig", sagte Malcolm Smart, Direktor des Amnesty-Programms Naher Osten und Nordafrika. Qusay befand sich mehr als zwei Jahre ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in Haft - zunächst unter Aufsicht der US-Streitkräfte, dann wurde er irakischen Sicherheitskräften übergeben. Das Ende seiner Haftzeit verbrachte er in einem Gefängnis in der Nähe von Tikrit. Gegenüber Amnesty bestätigte er, dass er in dieser Zeit nicht gefoltert oder misshandelt wurde. Amnesty hatte im vergangenen Dezember eine Eilaktion für ihn gestartet. Qusay bedankte sich bei allen Unterstützern für ihren Einsatz. In Zukunft will er wieder als Polizeibeamter arbeiten.


USA

Hinrichtung ausgesetzt

Der Oberste Gerichtshof des US-Bundesstaats Tennessee hat die für Ende November 2010 geplante Hinrichtung von Stephen West aufgeschoben. West war schuldig gesprochen worden, im Jahr 1986 Wanda Romines und deren 15-jährige Tochter Sheila ermordet zu haben. Der Verurteilte sollte durch die Injektion eines tödlichen Giftes sterben. Eine Bezirksrichterin äußerte jedoch Zweifel, ob diese Hinrichtungsmethode verfassungsgemäß sei. Zur Begründung hieß es, die notwendige Dosis des Gifts sei nicht ermittelt worden. Dieses Versäumnis könne dazu führen, dass der Gefangene "bei vollem Bewusstsein den Erstickungstod stirbt". Der Aufschub gilt auch für drei weitere Gefangene in Tennessee, deren Hinrichtungen in den kommenden zwei Monaten hätten stattfinden sollen.


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Quelle:
amnesty journal, Februar/März 2011, S. 6-9
Herausgeber: amnesty international
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Telefon: 0228/98 37 30, E-Mail: info@amnesty.de
Redaktionanschrift: Amnesty International, Redaktion amnesty journal,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2011