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AKTION/727: Urgent Action - Iran - Todesurteile gegen fünf Menschen werden überprüft


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-186/2011-1, AI-Index: MDE 13/074/2011, Datum: 10. August 2011 - gs

Iran Todesurteile gegen fünf Menschen werden überprüft

Weitere Informationen zu UA-186/2011 (MDE 13/059/2011, 16. Juni 2011)


Frau HOURIEH SABAHI
Frau LEILA HAYATI
Frau ROGHIEH KHALAJI
und ZWEI MÄNNER, deren Namen Amnesty International nicht bekannt sind

Die Todesurteile gegen drei Frauen und zwei Männer wegen Drogenhandels sind nach derzeitigem Erkenntnisstand dem iranischen Amnestie- und Begnadigungsausschuss zur Überprüfung zugeleitet worden. Eine Entscheidung wird am letzten Tag des Fastenmonats Ramadan Ende August erwartet.

Hourieh Sabahi, Leila Hayati und Roghieh Khalaji sowie zwei Männer, deren Namen Amnesty International nicht bekannt sind, wurden am 30. Januar 2009 festgenommen. Die fünf Personen sollen niedrigrangige Mitglieder eines Drogenrings sein. Während der Verhöre hatten sie keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand. Ihr Verfahren fand vor der Abteilung 2 des Revolutionsgerichts von Hamedan statt und endete mit der Verhängung von Todesurteilen. Die Todesstrafe ist im Iran zwingend vorgeschrieben, wenn der Schuldspruch wegen des Schmuggels von bestimmten Drogen in zu hoher Menge erfolgte. Die zum Tode Verurteilten hatten keine Möglichkeit Rechtsmittel einzulegen, weil die Todesurteile lediglich von der Generalstaatsanwaltschaft bestätigt wurden, wie es das Anti-Drogengesetz vorsieht. Die Anträge der fünf Personen auf Umwandlung der gegen sie verhängten Todesurteile werden allem Anschein nach derzeit überprüft. Zuvor waren entsprechende Anträge zwei Mal abgelehnt worden.

Die drei Frauen sind Mütter minderjähriger Kinder, die gegenwärtig von Verwandten versorgt werden. Hourieh Sabahi hat vier Kinder, von denen eines eine Behinderung hat. Zwei der Kinder sind 13 bzw. 15 Jahre alt, wie alt die übrigen sind, ist Amnesty International nicht bekannt. Leila Hayati hat einen zehnjährigen Sohn, und Roghieh Khalaji ist Mutter eines 14-jährigen Sohnes und einer zwölfjährigen Tochter. Die Ehemänner der drei Frauen sollen drogenabhängig sein. Sie können ihre Familien nicht ernähren, weil sie entweder lebenslange Haftstrafen verbüßen oder obdachlos sind. Weil sie deshalb in Armut leben, haben die Frauen zur Sicherung des Unterhaltes der Familie offenbar keine andere Alternative gesehen, als mit Drogen zu handeln.

MenschenrechtsexpertInnen der UN haben wiederholt deutlich gemacht, dass Drogendelikte nicht "zu den schwersten Verbrechen" gehören, auf die sich das Völkerrecht bezüglich der Frage bezieht, bei welchen Straftaten die Todesstrafe noch angewendet werden darf, wenn ein Staat diese Strafe noch nicht abgeschafft hat.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Kaum ein Land der Welt weist eine so hohe Rate an drogenabhängigen Menschen auf wie der Iran. Esma'il Ahmadi-Moghaddam, Leiter der Polizeibehörden, nannte im Mai 2011 eine Zahl von mehr als zwei Millionen Menschen, die verbotene Drogen zu sich nehmen. In der weltweiten Hinrichtungsstatistik liegt Iran hinter der Volksrepublik China an zweiter Stelle. Im Jahr 2010 wurden im Iran nach Angaben der Behörden 253 Menschen exekutiert, von denen 170 wegen Drogendelikten zum Tod verurteilt worden waren. Weitere mehr als 200 im Zusammenhang mit Drogenstraftaten vorgenommene Hinrichtungen wurden von den Behörden nicht offiziell bestätigt oder insgeheim vollstreckt. Im laufenden Jahr haben die iranischen Behörden die Hinrichtung von 208 Menschen bekannt gegeben, von denen nach offiziellen Angaben und Erkenntnissen von Amnesty International mehr als 130 wegen Drogenvergehen zum Tod verurteilt worden waren. Inoffizielle Quellen sprechen von weiteren mehr als 115 Menschen, die vor allem in Mashhad, aber auch in anderen Landesteilen wegen Drogendelikten hingerichtet worden sind.

Im Oktober 2010 gab der Generalstaatsanwalt bekannt, es seien Maßnahmen ergriffen worden, um das juristische Vorgehen in Fällen von Drogenhandel zu beschleunigen. Eine der Maßnahmen bestehe darin, dass derartige Fälle ausnahmslos an seine Behörde verwiesen werden sollen. Im Dezember 2010 wurde mit einer Novelle zum Betäubungsmittelgesetz der Anwendungsbereich der Todesstrafe auf zusätzliche illegale Drogen ausgeweitet. Seitdem ist der Besitz von mehr als einer festgelegten Menge an Drogen zwingend mit der Todesstrafe zu ahnden. Der UN-Menschenrechtsausschuss sieht in der automatischen und zwingend vorgeschriebenen Verhängung von Todesurteilen einen Verstoß gegen Artikel 6 (1) des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR), zu dessen Vertragsstaaten der Iran zählt. Artikel 6(1) des Pakts garantiert das Recht auf Leben.

Die iranischen Behörden geben weder jährliche Hinrichtungsstatistiken heraus noch machen sie Angaben zu den in den Todestrakten einsitzenden Menschen, deren Zahl sich wahrscheinlich auf mehrere tausend beläuft. UN-Gremien haben ihre Mitgliedsstaaten wiederholt aufgerufen, Informationen über die Anwendung der Todesstrafe öffentlich bekannt zu machen. Der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen hat 1989 eine Resolution verabschiedet, die von allen UN-Mitgliedsstaaten verlangt, dass sie umfassende Daten über die Todesstrafe veröffentlichen, dazu zählen die verhängten und vollstreckten Todesurteile, die Zahl der TodestraktinsassInnen und die Zahl der Todesurteile, die aufgehoben, umgewandelt oder durch Begnadigung ausgesetzt worden sind.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE LUFTPOSTBRIEFE UND E-MAILS MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich freue mich sehr, dass die Todesurteile gegen Hourieh Sabahi, Leila Hayati und Roghieh Khalaji und zwei Männer an den Begnadigungsausschuss verwiesen worden sind. Bitte stellen Sie sicher, dass die Todesurteile umgewandelt werden.

- Ich hoffe zudem, dass die Schuldsprüche überprüft werden, da sie nach einem unfairen Gerichtsverfahren verhängt worden sind. Die Angeklagten hatten in dem Prozess weder Zugang zu einem Rechtsbeistand noch war ihnen die Möglichkeit eingeräumt worden, Rechtsmittel einzulegen.

- Ich möchte betonen, dass Amnesty International das Recht und die Pflicht eines Staates anerkennt, Personen, denen Straftaten im Zusammenhang mit der Produktion und dem Handel mit illegalen Drogen strafrechtlich zu verfolgen. Doch Drogendelikte gehören nicht zu den "schwersten Verbrechen", für die allein die Todesstrafe nach dem Völkerrecht verhängt werden darf. Die Todesstrafe darf zudem nie eine zwingend vorgeschriebene Strafe sein.


APPELLE AN

RELIGIONSFÜHRER
Ayatollah Sayed 'Ali Khamenei
The Office of the Supreme Leader
Islamic Republic Street - End of Shahid Keshvar Doust Street
Tehran, IRAN
(korrekte Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
E-Mail: info_leader@leader.ir
Twitter: @khamenei_ir (#Iran in die Nachricht einfügen. Eigenen Text mit max 140 Zeichen verfassen oder diesen verwenden: "Halt execution of 5 drug traffickers in Hamedan including 3 impoverished mothers")

OBERSTE JUSTIZAUTORITÄT
Ayatollah Sadegh Larijani
[C/o] Public Relations Office, Number 4, 2 Azizi Street
Vali Asr Ave., above Pasteur Street intersection
(korrekte Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
E-Mail: bia.judi@yahoo.com (Betreff: FAO Ayatollah Sadegh Larijani)


KOPIEN AN

LEITER DER JUSTIZBEHÖRDEN IN HAMEDAN
Head of Hamedan Judiciary
Sayed Nasratollah Etemad
Dadgostari Koll-e Hamedan
Bu Ali Ave.
Hamedan
IRAN
E-Mail: rayaneh_dad@yahoo.com

BOTSCHAFT DER ISLAMISCHEN REPUBLIK IRAN
S.E. Herrn Alireza Sheikh Attar
Podbielskiallee 65-67
14195 Berlin
Fax: 030-8435 3535
E-Mail: iran.botschaft@t-online.de oder info@iranbotschaft.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Persisch, Arabisch, Englisch, Französisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 30. August 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Welcome the news that the death sentences of the three women and two men have been referred to the Amnesty and Clemency Commission, and urge the Iranian authorities to ensure that their death sentences be commuted.

- Call for a review of their convictions after unfair trials as they had no access to a lawyer, or to an appeal.

- Point out that, while recognizing that the authorities have a duty to prosecute individuals for offences connected to the production and supply of illegal drugs, drug-trafficking related offences do not meet the threshold of "the most serious crimes" to which the death penalty must be restricted under international law and that execution should not be a mandatory sentence.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

In Artikel 6 (2) des IPBPR heißt es, dass "ein Todesurteil nur für schwerste Verbrechen verhängt" werden darf. UN-Menschenrechtsgremien wie der Menschenrechtsausschuss und der Sonderberichterstatter über summarische, außergerichtliche oder willkürliche Hinrichtungen sind zu der Auffassung gelangt, dass Drogenstraftaten nicht als "schwerste Verbrechen" zu bewerten sind: Auch der UN-Hochkommissar für Menschenrechte und der Leiter des UN-Büros gegen Drogen und Kriminalität haben schwere Bedenken gegen die Anwendung der Todesstrafe bei Drogendelikten geäußert.

Nach Paragraph 5(5) des Gesetzes über die Revolutionsgerichte und die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit sind für die Ahndung von Drogendelikten die Revolutionsgerichte zuständig, denen nur ein einziger Richter vorsitzt. In Paragraph 20 des genannten Gesetzes heißt es weiter, dass Kapitalverbrechen vor einem auf Provinzebene zuständigen Strafgericht verhandelt werden müssen, dem fünf Richter angehören. Die UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen hat die Auflösung der Revolutionsgerichte empfohlen.

Das iranische Betäubungsmittelgesetz sieht für 13 Delikte die Todesstrafe vor. In Paragraph 32 des Gesetzes heißt es, dass für solche Delikte verhängte Todesurteile entweder vom Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs oder vom Generalstaatsanwalt bestätigt werden müssen. Weitere Überprüfungen sind nicht vorgesehen, so dass das Recht der Verurteilten auf Rechtsmittel offenbar nicht gewahrt wird. Ein solches Vorgehen verstößt gegen Paragraph 19 des Rechtsmittelgesetzes, der ausdrücklich verlangt, dass bei Todesurteilen Rechtsmittel eingelegt werden können. Des Weiteren geht damit eine Verletzung von Artikel 14(5) des IPBPR einher, in dem das Recht einer jeden Person verbrieft ist, ein gegen sie verhängtes Urteil durch ein höheres Gericht nachprüfen zu lassen.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-186/2011-1, AI-Index: MDE 13/074/2011, Datum: 10. August 2011 - gs
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306
Fax: 030/42 02 48 - 330
E-Mail: presse@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. August 2011