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AKTION/894: Urgent Action - Israel / besetzte palästinensische Gebiete - Abgeordneter in Verwaltungshaft


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-023/2012, AI-Index: MDE 15/002/2012, Datum: 25. Januar 2012 - gs

Israel / besetzte palästinensische Gebiete
Abgeordneter in Verwaltungshaft


AZIZ DWEIK, Sprecher des palästinensischen Parlaments

Nach seiner Festnahme am 19. Januar 2012 wurde gegen Aziz Dweik, Sprecher des palästinensischen Parlaments, Verwaltungshaft angeordnet. Diese Form der Haft ermöglicht es den israelischen Behörden, Aziz Dweik für unbegrenzte Zeit ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in Gewahrsam zu halten.

Am 19. Januar 2012 nahmen israelische SoldatInnen an einem Kontrollpunkt des Militärs in der Nähe von Ramallah im Westjordanland den Sprecher des palästinensischen Parlaments Aziz Dweik fest. Anschließend brachten sie den Abgeordneten in das Haftzentrum Ofer, wo er fünf Tage ohne Anklageerhebung festgehalten wurde. Am 24. Januar 2012 wurde Aziz Dweik einem Richter vorgeführt, der gegen den Parlamentarier eine sechsmonatige Verwaltungshaftanordnung ausstellte. Die Anordnung war von einem Militärbefehlshaber unterschrieben. Sie kann beliebig oft erneuert werden. Neben Aziz Dweik befinden sich derzeit noch 20 weitere palästinensische Parlamentsabgeordnete in israelischer Verwaltungshaft.

Im Juni 2006, kurz nach seiner Wahl zum Parlamentsabgeordneten der Hamas, war Aziz Dweik schon einmal festgenommen worden. Seinerzeit hatte ihn ein Gericht der "Mitgliedschaft in einer nicht zugelassenen Organisation" schuldig gesprochen und zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt. Im Jahr 2009 war Aziz Dweik wieder frei gekommen. In Verwaltungshaft genommene Personen können zunächst für bis zu sechs Monate ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in staatlichem Gewahrsam gehalten werden. Nach Ablauf dieser Frist ist es möglich, beliebig oft neue Haftanordnungen auszustellen. Gegen Verwaltungshäftlinge ergeht weder Anklage noch werden sie vor Gericht gestellt. Vielmehr bleiben sie auf der Grundlage "geheimer Beweise" inhaftiert, die nach Angaben der israelischen Militärbehörden aus Sicherheitsgründen nicht offengelegt werden können. Diese "geheimen Beweise", die den Militärbehörden als Entscheidungsgrundlage für die Anordnung von Verwaltungshaft dienen, sind weder den Gefangenen noch ihrem Rechtsbeistand zugänglich, sodass Betroffene den Grund ihrer Festnahme nicht anfechten können.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Aziz Dweik ist Mitglied der islamischen Hamas, einer palästinensischen Partei, die in ihren Statuten Israel nicht anerkennt. Im Parlament vertritt er die Fraktion Veränderung und Reform, die der Hamas nahe steht, und bei den Wahlen im Jahr 2006 die Mehrheit der Abgeordnetenmandate für sich verbuchen konnte. BeobachterInnen des damaligen Urnengangs hatten den Wahlen die Einhaltung internationaler Standards bescheinigt.

Aziz Dweik ist im Zuge einer Verhaftungswelle festgenommen worden, die sich gegen Hamas-Abgeordnete richtet und mit der die israelischen Behörden offenbar die Absicht verfolgen, die Versöhnungsgespräche zwischen Hamas und Fatah zu torpedieren. In der zurückliegenden Woche wurden neben Aziz Dweik noch vier weitere Mitglieder des palästinensischen Parlaments von den israelischen Behörden festgenommen.

Derzeit befinden sich 27 Abgeordnete des palästinensischen Parlaments in israelischer Haft, 21 von ihnen in Verwaltungshaft, darunter auch Aziz Dweik. Nach Angaben der israelischen Strafvollzugsbehörden lag die Zahl der in Verwaltungshaft befindlichen PalästinenserInnen im Dezember 2011 bei 283, seitdem könnte die Zahl noch angestiegen sein. Die in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten praktizierte Verwaltungshaft verstößt nach Einschätzung von Amnesty International gegen das weltweit verbriefte Recht auf ein faires Gerichtsverfahren. Internationale Standards für einen fairen Prozess müssen selbst in Zeiten des Ausnahmezustands auch in Verfahren gegen wegen Gewalttaten angeklagter politischer Gefangener beachtet werden. Nach Artikel 14 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR), zu dessen Vertragsstaaten Israel zählt, haben inhaftierte Menschen einen verbrieften Anspruch unter anderem auf folgende Rechte: das Recht auf sofortige und umfassende Bekanntgabe der Haftgründe; das Recht, bis zum Beweis des Gegenteils als unschuldig zu gelten; das Recht, Fragen an die BelastungszeugInnen zu stellen oder stellen zu lassen; das Recht auf öffentliche Verhandlung. All diese Rechte werden von den israelischen Behörden durchgängig verletzt. Um die Gründe für ihre Inhaftierung zu erfahren, steht Verwaltungshäftlingen vielfach nur die Möglichkeit offen, eine Berufungsverhandlung zu beantragen. Bis eine solche Verhandlung anberaumt wird, können Wochen, wenn nicht sogar Monate verstreichen. Die Beweislage gegen Verwaltungshäftlinge wird in nicht-öffentlicher Sitzung geprüft und weder den Gefangenen selbst noch ihren VerteidigerInnen zur Kenntnis gebracht. Somit haben sie keine Möglichkeit, die Beweise anzufechten.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE E-MAILS, FAXE UND LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich bitte um die unverzügliche Freilassung von Aziz Dweik und der übrigen in Verwaltungshaft befindlichen palästinensischen Abgeordneten, sofern sie nicht umgehend einer erkennbar strafbaren Handlung angeklagt und unter Wahrung internationaler Standards in einem fairen Prozess vor Gericht gestellt werden.

- Ich fordere Sie höflich dazu auf, von dem Gebrauch der Verwaltungshaft abzusehen, da sie gegen das in Artikel 14 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte verbriefte Recht auf ein faires Gerichtsverfahren verstößt.


APPELLE AN

MILITÄRRICHTER
Major-General Avihai Mandelblit
6 David Elazar Street
Hakirya, Tel Aviv, ISRAEL
(korrekte Anrede: Dear Judge Advocate General /Sehr geehrter Herr Generalmajor)
Fax: (00 972) 3 569 4526
E-Mail: avimn@idf.gov.il

KOMMANDEUR DES ZENTRALKOMMANDOS DER STREITKRÄFTE - WESTJORDANLAND
Major-General Avi Mizrahi
GOC Central Command
Military Post 01149, Battalion 877
Israel Defence Forces, ISRAEL
(korrekte Anrede: Dear Major-General Avi Mizrahi/ Sehr geehrter Herr Generalmajor)
Fax: (00 972) 2 530-5741 oder -5724

STELLVERTRETENDER MINISTERPRÄSIDENT UND VERTEIDIGUNGSMIINISTER
Ehud Barak
Ministry of Defence
37 Kaplan Street, Hakirya
Tel Aviv 61909
ISRAEL
(korrekte Anrede: Dear Minister/ Sehr geehrter Herr Minister)
Fax: (00 972) 3 69-169 40 oder 3 69-627 57


KOPIEN AN

BOTSCHAFT DES STAATES ISRAEL
S.E. Herrn Jaakov Hadas-Handelsman
Auguste-Viktoria-Straße 74-76, 14193 Berlin
Fax: (030) 8904 5555
E-Mail: botschaft@israel.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Hebräisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 7. März 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Calling on the Israeli authorities to release Aziz Dweik, and the other Palestinian parlamentarians held in administrative detention, unless they are promptly charged with internationally recognizable criminal offences and brought to trial in full conformity with international fair trial standards.

- Calling on the Israeli authorities to end the use of administrative detention, which violates the right to a fair trial as guaranteed by Article 14 of the International Covenant on Civil and Political Rights.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Der UN-Menschenrechtsausschuss, der die Einhaltung des IPBPR durch die Vertragsstaaten überwacht, hat 2009 "den häufigen und übermäßigen Rückgriff auf die Verwaltungshaft und ihren Einsatz selbst gegen Kinder" beanstandet und Israel empfohlen, die Praxis der Verwaltungshaft zu beenden. Verwaltungshaft darf nach Überzeugung von Amnesty International nicht als Mittel eingesetzt werden, um die Strafjustiz zu umgehen und rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze auszuhebeln.

Die verfügbaren Daten lassen Amnesty International vermuten, dass es sich bei einigen der in Israel und den besetzten Gebieten in Verwaltungshaft befindlichen Menschen um gewaltlose politische Gefangene handelt, die allein deshalb festgenommen worden sind, weil sie ihre Rechte auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit in friedlicher Weise wahrgenommen haben. Dem möglichen Missbrauch der Verwaltungshaft wird durch die Tatsache Vorschub geleistet, dass der israelische Gesetzgeber die Gründe, die Verwaltungshaft rechtfertigen, nur vage formuliert hat und sie damit der Auslegung offen stehen. Die Rechtsvorschriften zur Verwaltungshaft wurden ursprünglich mit Hinweis darauf erlassen, dass man es für außergewöhnliche Umstände ermöglichen müsse, Menschen in Gewahrsam zu halten, von denen eine hochgradige und unmittelbar bevorstehende Gefahr für die Sicherheit ausgeht. Tatsächlich jedoch sind die Vorschriften seit Jahren gegen eine Vielzahl von Menschen zur Anwendung gelangt, die gar nicht oder nur auf der Grundlage der regulären Strafverfahrensvorschriften hätten festgenommen werden dürfen.

Amnesty International wendet sich seit vielen Jahren gegen die Praxis der Verwaltungshaft und fordert ihre Abschaffung. Verwaltungshäftlinge, die ausschließlich aufgrund ihrer politischen Überzeugungen und gewaltfreien Aktivitäten in Gewahrsam gehalten werden, müssen unverzüglich und bedingungslos frei gelassen werden, es sei denn, sie werden einer erkennbar strafbaren Handlung angeklagt und in Übereinstimmung mit internationalen Standards der Fairness vor Gericht gestellt.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-023/2012, AI-Index: MDE 15/002/2012, Datum: 25. Januar 2012 - gs
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2012