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AKTION/906: Urgent Action - Brasilien - Drohende Zwangsräumung


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-294/2011-1, AI-Index: AMR 19/003/2012, Datum: 1. Februar 2012 - gs

Brasilien
Drohende Zwangsräumung

Weitere Informationen zu UA-294/2011 (AMR 19/015/2011, 28. September 2011)


INDIGENE GEMEINSCHAFT DER GUARANI-KAIOWÁ

Der indigenen Gemeinschaft der Guarani-Kaiowá in Laranjeira Ñanderu, unter ihnen 80 Kinder und 30 ältere Menschen, droht die Zwangsräumung von ihrem angestammten Land. Sollten sie tatsächlich vertrieben werden, müssten sie auf einem kleinen Grundstück nahe einer Schnellstraße leben. Dort haben sie weder ausreichend Zugang zu Trinkwasser und Schattenplätzen noch zu Land, das sie bewirtschaften können.

Am 27. Januar erließ ein Richter gegen die indigene Gemeinschaft der Guarani-Kaiowá in Laranjeira Ñanderu einen Räumungsbefehl. Der Beschluss setzt der Gemeinschaft eine Frist von 15 Tagen, um von ihnen bewirtschaftetes Land in der Gemeinde Rio Brilliante im Bundesstaat Mato Grosso do Sul zu verlassen. Die Guarani-Kaiowá hatten das Grundstück in Erwartung einer Entscheidung über von ihnen geltend gemachte Landansprüche besetzt gehalten. FUNAI, die Regierungsbehörde für indigene Angelegenheiten in Brasilien, fertigt derzeit einen Bericht an, der einen ersten Schritt auf dem Weg darstellt, der indigenen Gemeinschaft Landrechte zuzugestehen. Das vom Richter vorgegebene Zeitfenster für die Vorlage des Berichts hat FUNAI nicht eingehalten.

Die Guarani-Kaiowá haben bereits zwei Zwangsräumungen durchlebt. Die erste Räumung fand im September 2009 statt, als örtliche Landwirte das Hab und Gut der Guarani-Kaiowá in Brand setzten. Die indigene Gemeinschaft sah sich daraufhin gezwungen, nahe der Schnellstraße BR-163 eine provisorische Bleibe zu errichten. Dort lebten die Guarani-Kaiowá zwei Jahre lang unter äußerst heiklen Bedingungen, bis die Verkehrsbehörden sie 2011 auch von dort vertrieben. Daraufhin ließen sie sich wieder ihrem angestammten Land nieder. Seitdem werden die Guarani-Kaiowá von ortsansässigen Bauern bedroht und am Zugang zu Grundversorgungseinrichtungen gehindert.

Dona Adelaide, ein Mitlied der indigenen Gemeinschaft der Guarani-Kaiowá, sagte: "Ich werde mein Zuhause nicht wieder verlassen. Wir werden hier bleiben. Sollten der Bauer oder der Bundespolizist wieder auftauchen, werden sie uns hier vorfinden. Sie können uns und unsere Unterkünfte in Brand setzen." In einem Schreiben an brasilianische RichterInnen führten die Guarani-Kaiowá aus: "Wir alle leben in einem Zustand der Angst, der Verzweiflung und des tiefen Schmerzes... Uns ist bewusst geworden, dass wir hier in Brasilien weder kulturell noch physisch eine Überlebenschance haben. Wir wissen, dass uns jederzeit die Vertreibung vom Land unserer Vorfahren droht."

Die Markierung des angestammten Landes der Guarani-Kaiowá ist Teil eines Kennzeichnungsprozesses, der bereits Ende April 2011 hätte abgeschlossen sein sollen, durch rechtliche Einsprüche aber immer wieder ins Stocken geraten ist.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Der Bundesstaat Mato Grosso do Sul umfasst einige der kleinsten, ärmsten und am dichtest besiedelten indigenen Regionen Brasiliens: ländliche und verarmte Regionen, umgeben von großen Soja- und Zuckerrohrplantagen sowie Viehfarmen, in denen das Leben von Krankheit und schlechten Lebensbedingungen gekennzeichnet ist. Rund 60.000 Guarani-Kaiowá leben in prekären Verhältnissen. Der Zusammenbruch des sozialen Systems hat Gewalt und hohe Selbstmordraten hervorgebracht und zu Unterernährung geführt. Die nur schleppend verlaufende Demarkierung des Landes hat bei den Guarani-Kaiowá große Enttäuschung ausgelöst und sie dazu veranlasst, ihrerseits mit der Besetzung angestammter Ländereien zu beginnen. Daraufhin wurden sie eingeschüchtert und mit Gewalt von dem Land vertrieben, das sie besetzt hatten.

Im November 2007 unterzeichneten der Justizminister, der Generalbundesanwalt, FUNAI-VertreterInnen und 23 SprecherInnen indigener Gemeinschaften ein Abkommen (Termo de Adjustamento de Conduta - TAC). In dem Abkommen verpflichtet sich FUNAI, bis April 2010 insgesamt 36 Stücke Land der Guarani-Kaiowá, einschließlich des Gebiets der Laranjeira Ñanderu, zu demarkieren und an die Gemeinschaft zurückzugeben. Mangelnde Ressourcen und anhängige Gerichtsverfahren haben dazu geführt, dass der Demarkierungsprozess nach wie vor nicht abgeschlossen ist. FUNAI hat jüngst angekündigt, im März 2012 einige anthropologische Studien veröffentlichen zu wollen.

Da die Klärung von Landkonflikten immer wieder scheitert, müssen mittlerweile mehrere Gemeinschaften der Guarani-Kaiowá am Rand von Schnellstraßen leben. Sie werden von MitarbeiterInnen der Sicherheitsdienste bedroht, welche die Guarani-Kaiowá an der Wiederbesetzung von Ländereien hindern sollen. Außerdem leiden die Guarani-Kaiowá unter gesundheitlichen Problemen, die auf die schlechten Bedingungen in den Notunterkünften und auf mangelnde medizinische Versorgung zurückzuführen sind. Zahlreiche Guarani-Kaiowá sind außerdem bei Verkehrsunfällen verletzt oder sogar getötet worden.

Sowohl die UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker, die Brasilien im Jahr 2007 unterzeichnet hat, als auch das von der brasilianischen Regierung ratifizierte Übereinkommen Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation garantieren indigenen Völkern das Recht auf Land, das traditionell ihnen gehört. Außerdem werden darin die Staaten aufgefordert, Mechanismen zu entwickeln, mit deren Hilfe diese Rechte zugesprochen und anerkannt werden können. Nicht zuletzt bekräftigt die brasilianische Verfassung von 1988 die Rechte der indigenen Völker Brasiliens auf ihr Land. Die Verfassung verpflichtet den Staat, das Land der indigenen Bevölkerung zu demarkieren.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE FAXE UND LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich fordere Sie auf, den Räumungsbefehl sofort solange auszusetzen, bis der Bericht der FUNAI den genauen Umfang der angestammten Gebiete der Laranjeira Ñanderu festlegt.

- Sorgen Sie bitte dafür, dass die Gemeinschaft angemessenen Zugang zu Grundversorgung erhält, einschließlich Nahrungsmittel, Wasser und Gesundheitsversorgung. Untersuchen Sie außerdem alle Vorwürfe der Bedrohung gegen die Gemeinschaft.

- Ich fordere Sie auf, Ihrer Verpflichtung gemäß des Übereinkommens Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation, der UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker und der brasilianischen Verfassung nachzukommen, indem Sie alle ausstehenden Landrechtsfragen abschließen.


APPELLE AN

JUSTIZMINISTER
Exmo. Sr. José Eduardo Martins Cardozo
Esplanada dos Ministérios,
Bloco "T", 4º andar, 70712-902 - Brasília/DF, BRASILIEN
(korrekte Anrede: Exmo. Sr. Ministro / Dear Minister / Sehr geehrter Herr Minister)
Fax: (00 55) 61 2025 7803

MINISTERIN FÜR MENSCHENRECHTE
Exma Sra. Ministra Maria do Rosário Nunes
Setor Comercial Sul-B, Quadra 9, Lote C
Edificio Parque Cidade Corporate, Torre "A", 10 º andar
70308-200 - Brasília/DF, BRASILIEN
(korrekte Anrede: Exma. Sra. Ministra / Dear Secretary / Sehr geehrte Frau Ministerin)
Fax: (00 55) 61 2025 9414


KOPIEN AN

MENSCHENRECHTSORGANISATION
Conselho Indigenista Missionário (CIMI)
CIMI Regional Mato Grosso do Sul
Av. Afonso Pena, 1557 Sala 208 Bl.B
79002-070 Campo Grande/MS
BRASILIEN

BOTSCHAFT DER FÖDERATIVEN REPUBLIK BRASILIEN
S.E. Herrn Everton Vieira Vargas
Wallstraße 57
10179 Berlin
Fax: 030-7262 83-20 oder -21
E-Mail: brasil@brasemberlim.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Portugiesisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 14. März 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Call for the immediate suspension of the eviction order, pending a completion of the issuing of FUNAI's report defining the extent of Laranjeira Ñanderu ancestral lands.

- Call for the authorities to ensure the community has adequate access to basic services, including food, water and healthcare, and investigate any allegations of threats against them.

- Urge them to fulfil their obligations under the International Labour Organization's Convention 169, the UN Declaration on the Rights of Indigenous Peoples and the Brazilian constitution by completing all outstanding land demarcations.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-294/2011-1, AI-Index: AMR 19/003/2012, Datum: 1. Februar 2012 - gs
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Februar 2012