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AKTION/956: Urgent Action - Serbien - Drohende Zwangsräumung


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-323/2011-2, AI-Index: EUR 70/006/2012, Datum: 24. Februar 2012 - we

Serbien
Drohende Zwangsräumung

Weitere Informationen zu UA-323/2011 (EUR 70/026/2011, 2. November 2011 und EUR 70/028/2011, 21. November 2011


33 ROMA-FAMILIEN in Belgrad

33 Roma-Familien, darunter auch Vertriebene aus dem Kosovo, könnten ab dem 1. März jederzeit aus ihren Wohnungen in der serbischen Hauptstadt Belgrad vertrieben werden. Einigen Familien wurden Ersatzunterkünfte angeboten, die den internationalen Standards für angemessenes Wohnen jedoch nicht entsprechen. Andere, denen kein solches Angebot gemacht wurde, droht die Obdachlosigkeit.

Die Behörden der Stadt Belgrad planen im Auftrag der serbischen Regierung die Zwangsräumung von 33 Roma-Familien, die im Block 72 leben, um so Platz für die Errichtung von Geschäftsgebäuden zu schaffen. Block 72 ist eine informelle Siedlung, die sich auf einem Grundstück der serbischen Regierung befindet. Aufgrund von Protesten von Amnesty International und anderen Menschenrechtsorganisationen, wurde die Zwangsräumung nicht wie geplant im November 2011 durchgeführt. Die Behörden in Belgrad gaben bekannt, dass die Zwangsräumung nun am 1. März 2012, beziehungsweise sobald sich die heftigen Schneestürme in Belgrad gelegt haben, stattfinden werde. Bei 20 der 27 Familien handelt es sich um Binnenvertriebene, die nach dem Krieg im Kosovo 1999 von dort geflohen waren. Zwölf andere Familien sind Einwohner Belgrads. Eine Familie stammt aus dem Süden Serbiens. Sollte die Zwangsräumung umgesetzt werden, würde den Familien, die als Einwohner Belgrads registriert sind, wahrscheinlich eine Unterkunft in sogenannten "Container-Siedlungen" angeboten werden. In diesen Siedlungen leben bereits viele Roma-Familien die aus anderen Siedlungen vertrieben worden sind. Die Metallcontainer sind schlecht belüftet, feucht und überfüllt. Oft liegen sie am Rande der Stadt, weit weg von öffentlichen Diensten und Beschäftigungsmöglichkeiten. Einige der Familien aus dem Kosovo, wurde die Unterbringung in Kollektivunterkünften für Flüchtlinge angeboten. Dabei handelt es sich um große Gebäude, in denen mehrere Familien zugleich untergebracht werden. Dies sind jedoch keinesfalls angemessene Unterkünfte, da sowohl eine gute Infrastruktur, als auch eine ausreichende Grundausstattung fehlen. Zudem plant die serbische Regierung alle Kollektivunterkünfte zu schließen. Nur eine der Familien hat das Angebot bisher angenommen. Den anderen Familien könnte bei Ausschlagen des Angebots Obdachlosigkeit drohen. Den übrigen zehn Familien, bei denen es sich um Binnenvertriebene handelt, wurde gesagt, dass sie in den Kosovo zurückkehren müssen. Amnesty International hatte zuvor angegeben, dass 27 Familien aus Block 61 von Zwangsräumung bedroht seien. Diese Information war falsch und wurde nun richtig gestellt. Bei der von Zwangsräumung bedrohten Gruppe handelt es sich um 33 Familien aus Block 72.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Auf Druck von Menschenrechtsgruppen, wurde im November 2011 ein Ausschuss gegründet, der aus Mitgliedern der städtischen Behörden von Belgrad, Regierungsmitgliedern und Angehörigen von Menschenrechtsgruppen besteht. Ziel des Ausschusses ist es, einen Umsiedlungsplan für die Bewohner von Block 72 zu entwickeln. Bei einem Treffen des Ausschusses im Februar 2012 gab das Ministerium für Städtebau bekannt, dass die Zwangsräumung umgesetzt werde, sobald die Wetterbedingungen dies erlauben. Dies würde wahrscheinlich in der Woche nach dem 1. März der Fall sein.

Es wäre die 16. Zwangsräumung in Belgrad, die von Amnesty International seit April 2009 dokumentiert worden ist. Alle 15 führten dazu, dass Menschen obdachlos geworden sind. Einige AktivistInnen, die versucht hatten die Vertreibungen zu verhindern, wurden festgenommen. Bei der jetzt drohenden Zwangsräumung würde es sich um die erste handeln, die von den staatlichen Behörden ausgeführt wird.

Die Situation der Familien, die zu den Binnenvertriebenen aus dem Kosovo gehören, ist besonders besorgniserregend. Laut der Regierung haben zehn der 20 Familien in der Vergangenheit Unterstützung für die Rückkehr in den Kosovo erhalten. Wie aber von Menschenrechtsgruppen vor Ort betont wurde, sind diese Familien zurück nach Belgrad gekommen, weil die Behörden nicht sicherstellen konnten, dass ihnen eine dauerhafte Rückkehr und Reintegration in den Kosovo in Sicherheit, Würde und ohne Diskriminierung möglich ist.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE LUFTPOSTBRIEFE, FAXE UND E-MAILS MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Stoppen Sie die Vertreibung der Roma-Familien aus Block 72 in Belgrad

- Stellen Sie bitte sicher, dass die betroffenen Familien angemessene Ersatzunterkünfte erhalten, wie durch die UN-Grundsätze und Prinzipien zur Räumung und Umsiedlung im Rahmen von Entwicklungsprojekten und den UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, zu deren Vertragsstaaten Serbien gehört, vorgeschrieben.

- Stellen Sie Unterstützung und Schutz für Binnenvertriebene zur Verfügung, wie es die UN-Leitlinien betreffend Binnenvertreibungen verlangen.


APPELLE AN

MINISTER FÜR BERGBAU, UMWELT UND RAUMPLANUNG
Oliver Dulic
Nemanjina 11
11000 Belgrade
SERBIEN
(korrekte Anrede: Dear Minister / Sehr geehrter Herr Minister)
Fax: (00 381) 11 361 77 22
E-Mail: kabinet@ekoplan.gov.rs

KOMMISSAR FÜR FLÜCHTLINGE DER REPUBLIK SERBIEN
Vladimir Cucic
Narodnih heroja 4
11070 Belgrade
SERBIEN
(korrekte Anrede: Dear Commissioner / Sehr geehrter Herr Kommissar)
E-Mail: kirs@kirs.gov.rs

MINISTER FÜR MENSCHENRECHTE UND DIE RECHTE VON MINDERHEITEN,
ÖFFENTLICHE VERWALTUNG UND LOKALE SELBSTVERWALTUNG
Milan Markovic
Bircaninova 6
11 000 Belgrade
SERBIEN
(korrekte Anrede: Dear Minister /Sehr geehrter Herr Minister)
Fax: (00 381) 11 268 53 96
E-Mail: kabinet@mduls.gov.rs


KOPIEN AN

BOTSCHAFT DER REPUBLIK SERBIEN
S.E. Herrn Prof. Dr. Ivo Viskovic
Taubertstraße 18
14193 Berlin
Fax: 030-825 2206
E-Mail: info@botschaft-serbien.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Serbisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 6. April 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Stop the forced eviction of Roma families living in Block 72 in Belgrade.

- Provide adequate alternative housing for all the affected families, as required by UN Guidelines and Principles on Development Based Evictions and Resettlement and the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, to which Serbia is a party.

- Ensure that the internally displaced families receive further assistance and protection, as required by the UN Guiding Principles on Internal Displacement.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG:

Binnenvertriebene aus dem Kosovo sind besonders schutzbedürftig. Im Jahr 2009 teilte der damalige Repräsentant des UN-Generalsekretärs für die Menschenrechte von Binnenvertriebenen, Walter Kälin, mit, dass "fast ein Drittel aller binnenvertriebenen Roma (32% gegenüber 6,9% Binnenvertriebenen, die nicht Roma sind) in der Studie berichtet hatten, dass sie in Gebäuden lebten, die nicht als Wohnraum gedacht waren". Kälin gab auch seiner Sorge über die steigende Zahl von Zwangsräumungen von Roma in Belgrad Ausdruck, darunter auch die Räumung von Binnenvertriebenen aus dem Kosovo aus informellen Siedlungen, um Platz für Infrastrukturprojekte der öffentlichen Hand zu schaffen. Er empfahl, dass die Regierung in enger Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, internationalen Organisationen und der serbischen Ombudsperson klare und einheitliche Richtlinien entwickeln sollte, die der Gemeindeverwaltung und anderen Behörden eine Orientierung geben, wie solche Fälle unter Einhaltung der internationalen Standards gehandhabt werden müssen.

Die Regierung hat die Roma aus dem Kosovo zwar als Binnenvertriebene anerkannt, jedoch binnenvertriebenen Roma, die in informellen Siedlungen leben, weder Grundrechte noch andere Schutzmaßnahmen wie in den UN-Leitlinien betreffend Binnenvertreibungen dargelegt, zugestanden. Dazu gehören ein angemessener Lebensstandard einschließlich notwendiger Nahrung und Trinkwasser, Unterbringung und Wohnen, medizinische Versorgung und sanitäre Anlagen. Binnenvertriebenen Roma in informellen Siedlungen werden diese Rechte nicht gewährt.

Serbien ist Vertragsstaat internationaler und regionaler Menschenrechtsabkommen, die rechtswidrige Zwangsräumungen untersagen. Zu diesen Menschenrechtsverträgen gehört der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hat in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 7 ausgeführt: "Räumungen dürfen nicht dazu führen, dass Menschen obdachlos werden oder in Gefahr geraten, anderweitige Menschenrechtsverletzungen zu erleiden". Die serbische Regierung verhindert die Vertreibung von Roma aus der Stadt Belgrad nicht. Viele der vertriebenen Roma verlieren nicht nur ihre Wohnung, sondern auch ihre Lebensgrundlage und ihr Hab und Gut. Die serbische Regierung hat ihre Verpflichtungen gemäß der vorher genannten Abkommen nicht erfüllt. Hierzu zählt auch die Einführung eines Gesetzes, dass rechtswidrige Zwangsräumungen untersagt und sicherstellt, dass die Verfahrensabläufe und Schutzmaßnahmen der UN-Grundsätze und Prinzipien zur Räumung und Umsiedlung im Rahmen von Entwicklungsprojekten in Kraft sind, ehe Zwangsräumungen durchgeführt werden.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-323/2011-2, AI-Index: EUR 70/006/2012, Datum: 24. Februar 2012 - we
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Februar 2012