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ASIEN/230: China - Knallhart gegen Kritiker (ai journal)


amnesty journal 05/2008 - Das Magazin für die Menschenrechte

Knallhart gegen Kritiker
Vor den Olympischen Spielen werden kritische Stimmen mundtot gemacht. Den Chinesen bleibt nicht mehr viel Zeit, die Menschenrechtslage zu verbessern.

Von Verena Harpe


Einen "Heiratsantrag" nannte Jacques Rogge, Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), vor sieben Jahren euphorisch die Vergabe der Sommerspiele 2008 an Peking. "Das IOC und eine Stadt feiern Hochzeit und machen ein Kind, das heißt dann Olympische Spiele", so Jacques Rogge. Auch die chinesische Regierung gab ein großes Versprechen: Die Spiele würden der Entwicklung der Menschenrechte helfen. Doch das Kind bereitet mittlerweile Kopfschmerzen. Es sind nur noch wenige Monate bis zur Eröffnung der Sommerspiele im August, und die Zwischenbilanz ist ernüchternd. Die Lage in Tibet und den umliegenden Provinzen ist Mitte März eskaliert, Militär und Polizei gehen rigoros gegen die Proteste vor. Doch nicht nur in Tibet setzt die chinesische Regierung im Vorfeld der Spiele auf eine harte Linie. Auch Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und soziale Randgruppen in und um Peking sind den Behörden ein Dorn im Auge. Wie vor anderen Großveranstaltungen auch will man Kritiker ruhig stellen, denn wenn die Welt im August auf Peking blickt, soll sich die Stadt offen und harmonisch präsentieren.

Da passt es nicht, wenn über das Internet z.B. ein Aufsatz verbreitet wird, in dem es heißt: "Wenn Sie nach Peking kommen, werden Sie Wolkenkratzer, breite Straßen, moderne Stadien und begeisterte Menschen sehen. Das wird die Wahrheit sein, aber nicht die ganze Wahrheit, sowie Sie von einem Eisberg nur die Spitze sehen. Sie werden vielleicht nicht sehen, dass Blumen, Lächeln, Harmonie und Wohlstand auf einem Fundament von Trauer, Tränen, Haft, Folter und Blut gebaut sind."

Verfasser dieser Zeilen ist Hu Jia, einer der prominentesten Bürgerrechtler Chinas. Hu Jia sitzt in Haft - für dreieinhalb Jahre, wie ein Pekinger Gericht Anfang April entschied. Er habe sich der Anstiftung zum Umsturz der Staatsgewalt schuldig gemacht. Sein Verbrechen: sechs kritische Internetartikel und zwei Radiointerviews mit ausländischen Medien. Bereits vor seiner Inhaftierung im Dezember 2007 stand Hu Jia unter Hausarrest. Er hatte sich als Umwelt- und Aids-Aktivist unbeliebt gemacht, sich für Religionsfreiheit und Bürgerrechte eingesetzt. Doch trotz Hausarrest ließ sich Hu nicht zum Schweigen bringen: Gemeinsam mit seiner Frau Zeng Jinyan schrieb er kritische Internet-Blogs. Die beiden dokumentierten in einem Film die täglichen Schikanen durch die zu ihrer Bewachung abgestellten Polizisten. Im November 2007 hatte Hu Jia, per Webcam zugeschaltet, in einer Anhörung des Europaparlaments die Menschenrechtslage in China scharf verurteilt. Seit Hus Verhaftung stehen seine Frau und die wenige Monate alte Tochter unter Hausarrest. Dutzende Polizisten bewachen den Häuserblock. Sicherheitskräfte haben die Wohnung über ihnen bezogen.

Hu Jia und Zeng Jinyan hatten Informationen über Fälle von Bürgerrechtlern gesammelt und sich für diese eingesetzt. Zum Beispiel für Vang Chunlin, der sich für die Rechte von enteigneten Bauern in seiner Heimat im Nordosten Chinas stark gemacht hatte. Weil er in einer Petition "Menschenrechte, keine Olympischen Spiele" gefordert und etwa 10.000 Unterschriften gesammelt hatte, wurde Yang am 24. März zu fünf Jahren Haft verurteilt. Wie Hu Jia wurde er der Anstiftung zum Umsturz der Staatsgewalt schuldig gesprochen. Auch für Ye Guozhu hatten sich Hu und seine Frau engagiert. Ye sitzt seit 2004 eine vierjährige Haftstrafe wegen Unruhestiftung ab. Er hatte seine Wohnung und sein Restaurant wegen eines Bauvorhabens ohne jegliche Entschädigung verloren. Als Ye eine Demonstration gegen Zwangsräumungen in Peking anmelden wollte, wurde er verhaftet.

Im Gegensatz zu Hu sind andere Bürgerrechtler zwar auf freiem Fuß, werden aber massiv bedroht. Der Menschenrechtsanwalt Li Heping wurde kürzlich von einem Polizeiauto absichtlich gerammt, als er seinen Sohn zur Schule bringen wollte. Li war letzten Herbst bereits einmal entführt und misshandelt worden. Sein Kollege Teng Biao, der zusammen mit Hu Jia Kritik an der Menschenrechtslage vor den Olympischen Spielen geübt hatte, wurde am 6. März auf dem Weg zum Einkaufen von mehreren Männern in einen schwarzen Transporter gezerrt und zwei Tage lang verhört. Als man ihn schließlich frei ließ, wurde er angewiesen, nicht mehr mit ausländischen Journalisten zu sprechen.

Damit bricht die chinesische Regierung ihr Versprechen an das IOC, ausländischen Medien freie Berichterstattung zu gewähren. Die neue Regelung, gültig von 2007 bis nach den Spielen, war von Peking wie vom IOC als Meilenstein gefeiert worden. Sie sieht vor, dass ausländische Journalisten für Interviews nur noch die Zustimmung ihrer Gesprächspartner benötigen. Doch wenn diese anschließend bestraft werden, sind diese Zugeständnisse eine Farce. Auch in Tibet hielt die Regierung nicht Wort und wies nach Beginn der Proteste sämtliche Korrespondenten aus - angeblich zu ihrer eigenen Sicherheit. Recherchen in benachbarten Provinzen wurden behindert. Bereits zuvor ignorierten lokale Behörden wiederholt die neue Regelung einer freien Berichterstattung, wenn ausländische Journalisten zu sensiblen Themen recherchieren wollten. Mehr als 180 Verstöße hat die Vereinigung der Auslandskorrespondenten in China im vergangenen Jahr registriert, darunter willkürliche Festnahmen und Überfälle durch angeheuerte Schläger. Besonders gefährdet sind die chinesischen Mitarbeiter der Auslandskorrespondenten. Auch inländische Medien bleiben strenger Zensur unterworfen. Gerade im Internet kam es in den letzten Monaten wieder zu Schließungen kritischer Webseiten, vor allem zum Thema HIV/Aids. Und als das IOC Anfang April freien Internetzugang für ausländische Korrespondenten während der Olympischen Spiele einforderte, ließ sich Peking erst einmal keine Zusage abringen - die "Verwaltung des Internets" stimme mit der internationalen Praxis überein.

Doch die Sportfunktionäre wollen sich die Hochzeitsfeier nicht von schlechten Nachrichten verderben lassen. Das IOC weist immer noch daraufhin, dass die Spiele in Peking automatisch einen positiven Impuls zu Reform und Öffnung geben werden. Diese Rechnung ist bisher nicht aufgegangen. Dennoch schweigt Herr Rogge dazu, dass die chinesische Regierung nicht trotz, sondern wegen der Olympischen Spiele verstärkt kritische Stimmen mundtot macht. Statt sich aus der Verantwortung zu stehlen, sollte das IOC - wie auch Regierungen weltweit - öffentlich die Menschenrechts-Versprechen Pekings einfordern. Viel Zeit bleibt nicht mehr.


Die Autorin ist Asien-Espertin der deutschen Amnesty-Sektion.


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Quelle:
amnesty journal, Mai 2008, S. 16-17
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juni 2008