Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → AMNESTY INTERNATIONAL

EUROPA/260: Wahrung der Menschenrechte in Deutschland (ai journal)


amnesty journal 02/03/2009 - Das Magazin für die Menschenrechte

Ein wunderbares Land

In Deutschland ist alles in bester Ordnung, wenn es um die Menschenrechte geht. Davon versucht die Bundesregierung zumindest den UNO-Menschenrechtsrat in Genf derzeit zu überzeugen. Doch nicht alle sind dieser Meinung.

Von Silke Voss


Es gehört sicherlich zu den wichtigsten Neuerungen, die der UNO-Menschenrechtsrat in den vergangenen Jahren beschlossen hat: In Zukunft müssen alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen darüber berichten, wie sie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die UNO-Charta, oder die jeweils unterzeichnete Konvention umgesetzt haben. Im Februar ist Deutschland an der Reihe und im Rahmen des "universellen periodischen Überprüfungsverfahrens" (UPR) muss die Bundesregierung nun darlegen, ob und wie sie internationale Menschenrechtsabkommen eingehalten hat.

Zumindest dem Papier nach, das sie in Genf vorlegen will, ist in Deutschland alles in bester Ordnung. Die Menschenrechte erfreuen sich hier auch angesichts der Terrorismusbekämpfung größter Wertschätzung, und die notwendigen minimalen Einschränkungen werden selbstverständlich demokratisch und gerichtlich wirksam überprüft.

Die Bundesregierung versichert in dem in Genf vorgelegten Bericht, dass Flüchtlinge und Asylsuchende einen umfassenden Schutz erhalten, und sie lässt keinen Zweifel daran, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit von staatlichen Stellen mit größter Aufmerksamkeit entgegengewirkt wird. Sie erklärt zudem, dass Armut in Deutschland überwiegend ein statistisches Problem sei. Man sei sich zwar bewusst, dass im deutschen Bildungssystem gewisse Nachteile für Kinder aus Migrantenfamilien existieren würden, doch dabei handele es sich nicht um ein strukturelles oder gar menschenrechtliches Problem. Die Regierung in Berlin betont zudem, dass sie das UNO-Menschenrechtssystem schätze, und sie lässt die Leser ihres Berichts glauben, dass sich kein UNO-Gremium jemals wirklich kritisch zu Deutschland geäußert habe.

Vermutlich werden nicht nur deutsche Beobachter über diesen Bericht aus einem menschenrechtlichen Wunderland zweifeln. Auch in Genf sind kritische Nachfragen wahrscheinlich.

Die Fragen werden dabei aber nicht von unabhängigen und erfahrenen UNO-Menschenrechtsexperten formuliert werden, wie dies bei der Berichterstattung zu den einzelnen Menschenrechtsabkommen wie etwa der Anti-Folter-Konvention der Fall ist. Vielmehr muss sich die Bundesregierung vor den diplomatischen Vertretern der übrigen Mitgliedsstaaten im UNO-Menschenrechtsrat rechtfertigen. Somit ist das Überprüfungsverfahren ein höchst politischer Prozess, und darin liegt auch das Motiv für die so überaus positive Selbstdarstellung der menschenrechtlichen Situation der Bundesregierung in Genf.

Ausnahmslos alle UNO-Mitglieder müssen sich zukünftig innerhalb von vier Jahren der Überprüfung im Menschenrechtsrat stellen. Grundlage hierfür sind ein schriftlicher Bericht des jeweiligen Staates sowie jeweils eine Zusammenfassung von Berichten und Empfehlungen einzelner UNO-Ausschüsse und Berichterstatter. In einer Arbeitsgruppensitzung muss die betreffende Regierung zu ihrem Bericht Stellung nehmen und Nachfragen beantworten. In "konstruktiver", "nicht-konfrontativer" und "kooperativer" Weise, so der zugrunde liegende Beschluss des Rates, werden dann ein abschließender Bericht sowie Empfehlungen an die Regierung ausgearbeitet und im Plenum des Menschenrechtsrates verabschiedet. Erst in dieser letzten Beratung im Rat haben dann auch Nichtregierungsorganisationen die - ohnehin sehr knappe - Gelegenheit, noch einmal ihre Sicht der Dinge darzulegen.

Das UPR-Verfahren ist eine der maßgeblichen Neuerungen, die mit der Schaffung des Menschenrechtsrates verbunden sind. Und zumindest in diesem Verfahren gibt es keine Ausnahmen. Anders als noch in der abgeschafften Menschenrechtskommission kann nun kein Land mehr durch politische Manöver verhindern, dass die jeweilige Menschenrechtslage auf die Tagesordnung des Rates kommt.

Gleichzeitig birgt dies jedoch die Gefahr, dass damit andere Instrumente, die sich mit den gravierenden Menschenrechtsproblemen in einem Land befassen, abgewertet oder gar abgeschafft werden. Hardliner im Rat wie Pakistan, Ägypten oder China wollen die ungeliebten Länderresolutionen oder länderspezifischen Berichterstatter "lieber heute als morgen" loswerden - angeblich, um "Überschneidungen" zu vermeiden.

Leider gibt es auch in der Bundesregierung Stimmen, die in der vermeintlichen "Doppelung" unnötige Konflikte sehen und damit den Vertragsausschüssen schaden könnten. Mindestens ebenso groß ist die Gefahr, mit geschönter Berichterstattung und übermäßiger Fixierung auf die "kooperative" Ausgestaltung des Verfahrens dessen eigentliches Ziel zu untergraben.

Die "Verbesserung der Menschenrechtssituation vor Ort" ist gemäß Beschluss 5/2 des Rates das übergeordnete und hehre Ziel des Überprüfungsverfahrens, und die Chancen, mittel- und langfristig tatsächlich in kleinen Schritten die Rechte der Menschen im jeweiligen Land zu stärken, sind durchaus gut. Vorausgesetzt, wenigstens diejenigen Mitglieder im Rat, die sich diesem Ziel ehrlich verpflichtet fühlen, gehen mit gutem Beispiel voran. Sie können die Chance nutzen, um im Dialog mit der Zivilgesellschaft Defizite in ihrem Verantwortungsbereich zu benennen und auf Verbesserungen hinzuarbeiten.

Dies hätte Amnesty International auch von der Bundesregierung erwartet. Das federführende Auswärtige Amt hat jedoch einen Bericht präsentiert, dessen erste Fassung von deutschen Menschenrechtsorganisationen erstaunt zur Kenntnis genommen wurde und auch in der Endfassung nicht realistisch ist.

In der Absicht, sich in Genf möglichst positiv zu präsentieren, unterscheidet sich die Bundesregierung wenig von denjenigen Staaten, die tatsächlich Grund haben, die Situation in ihrem Land zu beschönigen. Die Bundesregierung will darstellen, was sie an (menschen)rechtlichen Errungenschaften "glaubt, vorweisen zu können", erklärte ein Vertreter des Auswärtigen Amtes. So berechtigt dieser Ansatz ist, so falsch sind die daraus gezogenen Konsequenzen. Mit einem Bericht, der die bestehenden Menschenrechtsprobleme in Deutschland konsequent ausblendet, erreicht sie das Gegenteil und schürt Misstrauen. Die Chance, nach einem transparenten Konsultationsprozess mit der Zivilgesellschaft bestehende Defizite offensiv zu benennen, den Willen zu Verbesserungen zu dokumentieren und damit tatsächlich in Genf "best practice" zu beweisen, ist zumindest für diese Runde vertan.


Die Autorin ist Lobbyreferentin der deutschen Sektion von Amnesty International.


*


Quelle:
amnesty journal, Februar/März 2009, S. 60-61
Herausgeber: amnesty international
Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V., 53108 Bonn
Telefon: 0228/98 37 30, E-Mail: info@amnesty.de
Redaktionanschrift: Amnesty International, Redaktion amnesty journal,
Postfach 58 01 61, 10411 Berlin, E-Mail: ai-journal@amnesty.de,
Internet: www.amnesty.de

Das amnesty journal erscheint monatlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.
Nichtmitglieder können das amnesty journal für
30 Euro pro Jahr abonnieren.


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2009