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GRUNDSÄTZLICHES/320: Starke Frauen (ai journal)


amnesty journal 02/03/2015 - Das Magazin für die Menschenrechte

Starke Frauen

In vielen Ländern der Welt setzen sich mutige Menschenrechtsverteidigerinnen unter schwierigen Bedingungen für die Rechte anderer ein. Wir stellen vier von ihnen vor.


Konstantina Kuneva (Griechenland)

Bis 2001 arbeitete die Bulgarin Konstantina Kuneva als Historikerin an der Universität Sofia. Als jedoch ihr Sohn schwer erkrankte, beschloss sie, ihn in der griechischen Hauptstadt Athen behandeln zu lassen. Um die notwendige Herzoperation zu finanzieren, arbeitete sie dort als Reinigungskraft und erlebte die schwierige Situation von Arbeitsmigrantinnen am eigenen Leib.

Als Akademikerin kannte sie - anders als viele ihrer Kolleginnen - ihre grundlegenden Rechte als Arbeiterin und beschloss, diese einzufordern. Gemeinsam mit anderen gründete sie die Gewerkschaft der Reinigungskräfte in Attika, um für die Rechte von Frauen zu kämpfen, die von der traditionellen Arbeiterbewegung vernachlässigt worden waren.

Als Sprecherin der weitgehend mittellosen Arbeitsmigrantinnen aus Osteuropa und anderen Teilen der Welt stieg sie zur Generalsekretärin der Gewerkschaft auf. Dabei verdiente sie monatlich noch immer kaum mehr als 600 Euro. Sie kritisierte die bis zu fünfmonatigen Verspätungen bei der Lohnzahlung und fehlende Sozialleistungen.

Ihr Einsatz hatte zur Folge, dass ihr ungünstige Arbeitszeiten zugeteilt wurden. Man übte Druck auf sie aus, um sie zur Kündigung zu bewegen, und sie erhielt anonyme Drohanrufe. Außerdem schüchterten viele Arbeitgeber ihre Angestellten ein, sodass einige sich aus Angst vor einer Kündigung kaum noch trauten, mit Konstantina Kuneva zu reden.

Im Dezember 2008 kam es zu einem Streit mit ihrem Arbeitgeber OIKOMET. Als Konstantina Kuneva am 22. Dezember zu später Stunde von der Arbeit nach Hause gehen wollte, überwältigte sie ein unbekannter Mann und goss ihr Schwefelsäure in den Mund und über das Gesicht.

Nach dem Säureanschlag lag sie mehrere Tage im Koma. Sie ist seither auf einem Auge blind, auf dem anderen ist ihre Sehkraft eingeschränkt. Bei dem Angriff wurden außerdem ihre Stimmbänder und ihre Luftröhre schwer verletzt. Sie musste über Jahre hinweg zahlreiche Operationen vornehmen lassen, um wieder ein annähernd normales Leben führen zu können.

Konstantina Kuneva erstattete eine Anzeige, die von den griechischen Behörden jedoch lange vernachlässigt wurde. Als die Ermittlungen schließlich begannen, wurden Kunevas gewerkschaftlichen Aktivitäten allerdings nicht berücksichtigt. Zudem wurden Zeugen bedroht.

Die Ermittlungen wurden in der Zwischenzeit mehrfach eingestellt und nur auf Druck von Anmesty und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen wieder aufgenommen. Bis heute wurde kein Tatverdächtiger überführt. Der Gesundheitszustand von Konstantina Kuneva hat sich so weit verbessert, dass sie wieder politisch aktiv sein kann. Im Mai 2014 wurde sie als Abgeordnete der griechischen Partei Syriza ins Europaparlament gewählt.


Norma Cruz (Guatemala)

In Guatemala ist Gewalt gegen Frauen ein drängendes Problem. Um Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, Beistand zu leisten, gründete die Rechtsanwältin Norma Cruz 1996 in Guatemala-Stadt die Stiftung "Fundación Sobrevivientes", die ein Frauenhaus einrichtete.

Dank des unermüdlichen Engagements von Norma Cruz wurde aus dem Frauenhaus im Laufe der Zeit ein Frauenrechtszentrum, das Unterstützung in verschiedener Form anbietet. Die Stiftung dokumentiert außerdem Fälle von Gewalt gegen Frauen und vertritt die Opfer vor Gericht, sofern sie diesen Weg einschlagen wollen. Zudem organisiert Norma Cruz zusammen mit den Familien ermordeter Frauen Kampagnen, um die Mörder zu ermitteln und zur Rechenschaft zu ziehen.

Wegen ihres Einsatzes ist Norma Cruz großer Gefahr ausgesetzt. In Guatemala häufen sich Angriffe und Drohungen gegen alle, die die Menschenrechte verteidigen. Auch die zuständige UNO-Sonderberichterstatterin hat sich darüber besorgt gezeigt.

Seit 2008 erhält Norma Cruz anonyme Drohungen, die sich gegen sie und ihre Familie richten. 2009 nahm sie sich eines Mädchens an, das im Alter von 14 bis 16 Jahren wiederholt von einem Bekannten vergewaltigt wurde. Daraufhin drohte man Norma mehr als fünfzig Mal, sie oder ein Mitglied ihrer Familie zu ermorden. Eine Tante des Mädchens, die die Anwaltskosten übernommen hatte, wurde ermordet. Bisher wurde nur ein Mann überführt, der für die Drohungen verantwortlich war. Er wurde lediglich zu einer Geldstrafe verurteilt.

Amnesty hofft jedoch, dass dies ein Präzedenzfall sein könnte, denn bislang wurden Drohungen gegen Menschenrechtsverteidiger noch nie geahndet. Amnesty hat Norma Cruz durch einen Briefmarathon an die guatemaltekische Regierung unterstützt. Nicht zuletzt Dank des zivilgesellschaftlichen Drucks stehen Norma Cruz, ihre Familie und ihre Frauenrechtsorganisation heute unter Polizeischutz. Dennoch bleibt ihre Gefährdung groß.


Fartun Adan (Somalia)

Seit mehr als 20 Jahren befindet sich Somalia im Bürgerkrieg. Für eine ganze Generation sind Gewalt und Unsicherheit zur normalen Lebensrealität geworden. Die rudimentären staatlichen Strukturen bieten den Bürgern des Landes kaum Schutz. Frauen sind dabei besonders gefährdet. Sie werden Opfer von Vergewaltigung, Zwangsheirat und Genitalverstümmelung.

Vergewaltigung wurde auch als besonders grausame Methode der Kriegsführung eingesetzt. Die betroffenen Frauen und Mädchen erhalten in der Regel keine Unterstützung und werden häufig sogar wegen "Promiskuität" oder "Ehebruch" angeklagt.

Um dem zu begegnen, gründete Fartun Adan mit ihrem Ehemann, dem Friedensaktivisten Elman Ali Ahmed, eine Menschenrechtsorganisation. Nachdem Elman Ali Ahmed 1996 ermordet wurde, wanderte Fartun drei Jahre später mit ihren vier Töchtern nach Kanada aus. 2007 kehrte sie trotz anhaltender Kämpfe nach Somalia zurück.

Sie ist inzwischen Direktorin der damals von ihr gegründeten Organisation, die mittlerweile den Namen ihres verstorbenen Ehemanns trägt: "Elman Peace and Human Rights Center". Für ihr Engagement unter schwierigsten Bedingungen überreichte ihr Michelle Obama 2013 den amerikanischen "International Woman of Courage Award". 2014 erhielt Fartun Adan den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung.


Loujain al-Hathloul (Saudi-Arabien)

Saudi-Arabien ist das einzige Land der Welt, in dem Frauen das Autofahren verboten ist. Nachdem 1990 rund 40 Frauen aus Protest über eine zentrale Straße der Hauptstadt Riad gefahren waren, verkündete ein hochrangiger Geistlicher eine Fatwa gegen Frauen am Steuer. 2011 begannen engagierte junge Frauen verstärkt das Internet zu nutzen, um gegen das Fahrverbot zu protestieren.

Im selben Jahr wurde eine Frau wegen Autofahrens zu zehn Peitschenhieben verurteilt. Die Strafe wurde jedoch in der Folge annulliert und nicht vollstreckt. Im Oktober 2013 kündigte die 24-jährige Loujain al-Hathloul in einem im Internet verbreiteten Video den Start einer neuen Kampagne an.

Dabei sollten sich Frauen beim Autofahren filmen und die Videoclips im Netz veröffentlichen. Kurz darauf wurde die Webseite der Kampagne durch Hacker stillgelegt.

Aus regierungsnahen Kreisen verlautete, die Kampagnenteilnehmerinnen könnten unter Berufung auf die Antiterrorgesetzgebung angeklagt werden, da öffentliche Versammlungen als versuchter Umsturz gewertet werden könnten. Andere Frauenrechtlerinnen versuchen, das Fahrverbot mit rechtlichen Mitteln zu kippen.

Dies ist bisher jedoch noch nicht gelungen. Mutige Frauen bekämpfen das Fahrverbot weiterhin durch alltägliche Aktionen: So wurde Loujain al-Hathloul erst kürzlich erneut festgenommen, als die Polizei sie am Steuer ihres Autos vorfand. Ihr Fall wurde anschließend an das Sondertribunal für Terrorismus überwiesen.

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Quelle:
amnesty journal, Februar/März 2015, S. 30-31
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2015

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