Amnesty International - 16. Mai 2016
Erst Menschen schützen, dann Grenzen!
Amnesty Jahresversammlung 2016 in Neuss vom 14. bis 16. Mai 2016
16. Mai 2016 - Amnesty International ruft die Politik in Deutschland und Europa mit Nachdruck dazu auf, "ihren Verpflichtungen zum Schutz von Flüchtlingen durch die Aufnahme verfolgter Menschen gerecht zu werden". Das beschlossen die über 400 Delegierte und Mitglieder auf der Jahresversammlung der deutschen Sektion der Menschenrechtsorganisation. Neben Anträgen zur strukturellen Ausrichtung von Amnesty diskutierten sie aktuelle Herausforderungen der Menschenrechtsarbeit und insbesondere die Entwicklungen der Flüchtlingspolitik.
In ihrer Abschlusserklärung bekräftigt die Jahresversammlung sowohl die Amnesty-Kritik am aktuellen EU-Türkei-Abkommen als auch an den deutschen Asylrechtsverschärfungen der vergangenen Monate - insbesondere den neuen Schnellverfahren, mit denen unter anderem Menschen, die aus sogenannten "sicheren" Herkunftsländern kommen, ein faires Asylverfahren verwehrt wird. Angesichts der dortigen Menschenrechtslage wenden sich die Delegierten nicht nur explizit gegen die Einstufung der Maghreb-Staaten als "sicher", wie sie erst am Freitag im Bundestag beschlossen wurde, sondern kritisieren auch die Einstufung von Bangladesch und Pakistan, die derzeit auf EU-Ebene diskutiert wird.
"Das Recht, Asyl zu suchen, ist ein Menschenrecht, das derzeit immer weiter eingeschränkt wird", sagt Gaby Stein, Vorstandssprecherin von Amnesty International in Deutschland. "Wir werden Politik und Öffentlichkeit weiter daran erinnern, dass es für jeden Menschen gilt und garantiert werden muss." Auf einer öffentlichen Aktion am Pfingstsamstag hatten die Amnesty-Mitglieder mit einem eigens aufgebauten offenen Grenzzaun gegen die europäische Abschottungspolitik protestiert.
Die Jahresversammlung kritisiert auch die anhaltenden Verletzungen des Völkerrechts und der Menschenrechte im Jemen. Die Delegierten fordern die Bundesregierung dazu auf, sich international für die Beseitigung des Humanitären Notstandes im Jemen einzusetzen und keine Exporte von Waffen, Munition oder anderer militärischer Ausrüstung an die Konfliktparteien zu genehmigen, wenn diese im Konflikt verwendet werden könnten.
Erstmals war auch ein Teil der Versammlung vor Ort und über einen Livestream öffentlich. Nach den Eröffnungsreden von Vorstandssprecherin Gabriele Stein und Generalsekretärin Selmin Çalιşkan sprachen internationale Gäste der Amnesty-Sektionen aus Rumänien, den USA und Belgien. Auch das öffentliche Diskussionsforum beschäftigte sich mit dem Thema Flucht und Asyl. Die Keynote zum Forum hielt der ehemalige Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung und Bundestagsabgeordnete Christoph Strässer.
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Die Jahresversammlung beschließt:
Die Jahresversammlung lehnt die Vereinbarung der Europäischen Union mit der
Türkei ab, nach der die Türkei Flüchtlinge durch verstärkte
Grenzüberwachung daran hindern soll, nach Europa zu gelangen und dort
Schutz zu suchen. Zudem werden Asylsuchende, die über die Türkei nach
Griechenland gelangt sind, ohne faires Asylverfahren in die Türkei
zurückgeschoben. Die Türkei ist kein sicheres Drittland. Sie nimmt zwar
viele Flüchtlinge auf, wendet die Genfer Flüchtlingskonvention aber nur für
Flüchtlinge aus Europa (also nicht für Flüchtlinge bsp. aus Syrien und
Afghanistan) an. Zum anderen hat Amnesty International zahlreiche Fälle
dokumentiert, in denen die Türkei Flüchtlinge nach Syrien abgeschoben hat,
was einen gravierenden Verstoß gegen das internationale Flüchtlingsrecht
darstellt.
Die Jahresversammlung bekräftigt die Forderungen von Amnesty International nach Schaffung legaler und sicherer Zugangswege für Flüchtlinge nach Deutschland und Europa. Zu den sicheren Zugangswegen gehören eine Verstärkung des Resettlement-Programms (Programm der Neuansiedlung für in Erstaufnahmeländern bereits anerkannte Flüchtlinge), Aufnahmekontingente als Ergänzung des individuellen Flüchtlingsschutzes, die Ausstellung humanitärer Visa und eine schnellere Bearbeitung der Anträge auf Familienzusammenführung.
Durch Schaffung sicherer und legaler Zugangswege kann die Zahl der Menschen, die lebensgefährliche Fluchtwege nehmen müssen, um nach Europa zu gelangen, erheblich reduziert werden.
Die Europäische Union und Deutschland werden ihren Verpflichtungen zum Schutz von Flüchtlingen nicht durch Abwehrmaßnahmen an den Grenzen, sondern durch Aufnahme verfolgter Menschen gerecht
Die Jahresversammlung beschließt:
Die Jahresversammlung bekräftigt die Kritik von Amnesty International an
den Einschränkungen des Asylrechts vom Oktober 2015 und vom Frühjahr 2016.
Insbesondere lehnt Amnesty International die Festlegung weiterer Staaten als "sichere Herkunftsstaaten" ab. Die Menschenrechtssituation lässt eine Einstufung dieser Staaten als "sicher" nicht zu.
Als Folge der Einstufung als "sichere Herkunftsstaaten" werden Asylverfahren von Menschen aus diesen Ländern nur in einem Schnellverfahren durchgeführt, das eine gründliche Überprüfung der Fluchtgründe nicht zulässt. Zudem steht ein effektives Rechtsmittel gegen eine ablehnende Entscheidung nicht zur Verfügung. Damit verstößt dieses Schnellverfahren gegen den Anspruch von Asylsuchenden auf Zugang zu einem fairen Asylverfahren.
Die Jahresversammlung kritisiert weiter, dass das geänderte Asylgesetz die Möglichkeit eröffnet, Asylanträge von Menschen, die nicht im Besitz gültiger Reisedokumente sind, ebenfalls im Schnellverfahren zu entscheiden. Dabei hat der Gesetzgeber die Tatsache nicht beachtet, dass Flüchtlinge in der Regel ohne gültige Ausweispapiere ihr Herkunftsland verlassen müssen. Die Jahresversammlung befürchtet, dass die Aussetzung des Anspruchs auf Familiennachzug zu subsidiär Geschützten für zwei Jahre dazu führt, dass Frauen und Kinder diese Wartezeit nicht abwarten, sondern sich auf einen lebensgefährlichen Weg nach Europa begeben werden, um hier mit ihrer Familie zusammenleben zu können. Zudem verstößt die zeitweise Aussetzung des Familiennachzugs gegen europäische Richtlinien.
Zudem rügt die Jahresversammlung, dass ein Abschiebehindernis nur noch bei lebensbedrohlichen und schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, angenommen wird. Insbesondere psychologische Gutachten sollten in einem Asylverfahren entscheidend berücksichtigt werden.
Die Jahresversammlung beschließt:
Diejenigen europäischen Staaten, die ein faires Verfahren zur Entscheidung
über Asylanträge aufbauen bzw. gewährleisten, und die gleichzeitig
angemessene Kapazitäten für die Aufnahme der Asyl-Antragsteller für den
Zeitraum des Verfahrens aufbauen bzw. gewährleisten, müssen darin aktiv und
entschieden von der europäischen Staatengemeinschaft unterstützt werden.
Dasselbe muss für den Umgang mit denjenigen Menschen gelten, die vor
schweren Menschenrechtsverletzungen fliehen, aber nur subsidiären Schutz
erhalten, weil sie die Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention nicht
erfüllen.
Die Jahresversammlung ruft die politischen Akteure in Deutschland und Europa auf, die Politik der Abschottung aufzugeben und einem gut organisierten Flüchtlingsschutz Vorrang einzuräumen. Innerhalb der EU müssen die dazu bestehenden Instrumente konsequent umgesetzt und um wirksame Anreize ergänzt werden.
Bei der Verteilung innerhalb der Europäischen Union sollen die berechtigten Interessen der Asylsuchenden und Flüchtlinge im Vordergrund stehen.
Die 51. Jahresversammlung von Amnesty International 2016 (JV) beschließt:
Die deutsche Sektion von Amnesty International lehnt die Festlegung von Staaten als "sichere Herkunftsländer" ab und fordert die Europäische Kommission auf, Pakistan und Bangladesch nicht zu sicheren Herkunftsländern zu erklären.
Die JV stellt fest,
Die JV stellt ferner für Pakistan fest:
Ebenfalls konstatiert die JV zu Bangladesch:
Der Vorstand wird beauftragt, diesen Antrag in geeigneter Weise in den internationalen und europäischen Gremien von Amnesty International zu kommunizieren und bei den zuständigen nationalen und europäischen Institutionen (z.B. Bundestag, Bundesregierung, Europäisches Parlament und Europäische Kommission) umzusetzen.
Die Jahresversammlung beschließt:
Die Jahresversammlung der Sektion von Amnesty International der
Bundesrepublik Deutschland e. V.
Die JV fordert die Regierung der Bundesrepublik Deutschland dazu auf,
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Quelle:
Meldung vom 16. Mai 2016
https://www.amnesty.de/2016/5/16/erst-menschen-schuetzen-dann-grenzen?destination=node%2F2817
https://www.amnesty.de/2016/5/16/oeffentliche-beschluesse-der-jahresversammlung-2016-neuss
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Mai 2016
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