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MITTELAMERIKA/092: Aids in der Dominikanischen Republik


amnesty journal 1/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte


Die lautlose Katastrophe

Die Dominikanische Republik hat weltweit eine der höchsten Rate an HIV/Aids-Erkrankungen. Menschenrechtsverletzungen treiben die Pandemie voran.

Von Claudia Winkler

Als kalifornische Ärzte vor über 25 Jahren die ersten Aids-Fälle meldeten, wussten sie noch nicht, woran ihre jungen homosexuellen Patienten starben. Im März 1983 stellten zwei Forscherteams gleichzeitig - angeführt von dem US-Amerikaner Robert Gallo und dem Franzosen Luc Montagnier - den Auslöser der Immunschwäche, das HI- Virus vor. Mittlerweile sind weltweit 40 Millionen Menschen mit HIV infiziert, jährlich sterben nach Schätzung der UNO drei Millionen an Aids. Allein im Jahr 2004 infizierten sich weltweit rund fünf Millionen Menschen mit HIV: Das sind zehn pro Minute. WHO- Generalsekretär Halfdan Mahler erklärte 1986: "Aids ist eine Gesundheitskatastrophe von globalem Ausmaß. Wir stehen einer sehr gefährlichen Seuche, die sich über Länder und Kontinente ausbreitet, nackt gegenüber. Ich kenne keinen größeren Killer als Aids."

Nach Schwarzafrika hat die Karibik die höchste Prävalenzrate an HIV- Infizierten, bzw. Aids-Kranken, wobei die Dominikanische Republik nach Haiti auf Platz zwei rangiert. Insgesamt sind dort etwa 1,7 Prozent der Bevölkerung HIV-positiv. Armut, sexuelle Beziehungen in frühem Lebensalter, niedriges Bildungsniveau und die untergeordnete Stellung der Frau fördern die Ausbreitung. Aufgrund von Analphabetismus oder mangelnder Kenntnis der spanischen Sprache auf Seiten der haitianischstämmigen Bevölkerung haben vielen Menschen keinen Zugang zu Informationen. In den Schulen ist die Aufklärung der Heranwachsenden häufig mangelhaft. "Der Lehrer hat uns nur gesagt, dass wir nicht aus dem selben Glas trinken oder vom selben Teller essen sollen, da wir dann HIV oder andere Krankheiten bekommen könnten", berichtete ein zwölfjähriges, HIV-positives Mädchen aus Basima.

Neben Prostituierten und Häftlingen gehören vor allem haitianische Gastarbeiter auf den Zuckerrohrfeldern zu den Risikogruppen. Diese leben meistens in "Bateyes", Gemeinschaftsunterkünften in der Nähe der Felder, die von Plantagenbesitzern speziell für die Arbeiter gebaut wurden und häufig weder fließend Wasser noch Strom haben. Die HIV-Rate in den Bateyes ist hoch, 2002 betrug sie fünf Prozent. Trotz nationalen HIV/Aids Programmen hat gerade diese Bevölkerungsgruppe wegen ihrer finanziellen Situation, mangelnder Aufklärung oder schlechter Erreichbarkeit keinen Zugang zu Medikamenten und Gesundheitszentren. "Ich habe nicht das Geld oder die Kraft, um in die Hauptstadt zu fahren, wo ich Hilfe bekommen könnte. Ich will leben, um mein neunjähriges Kind aufwachsen und heiraten zu sehen. Aber wenn das Fieber, die Kopfschmerzen und die Diarrhöen über mich herfallen, erschrecke ich und denke, ich sterbe. Dann verliere ich jede Hoffnung", beschreibt eine Aids-kranke Frau, die zwei Stunden entfernt von der Hauptstadt Santo Domingo in einem Bateyes lebt, ihre Situation.

Trotz Subventionen, die das Land durch den "Global Fund zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria" bekommt, bestätigt die Regierung der Dominikanischen Republik, dass fast 70 Prozent der Betroffenen keine medikamentöse Therapie erhalten. Ein Stellvertreter einer regionalen Menschenrechtsorganisation berichtete im Januar vergangenen Jahres: "Während die Regierung großzügige Spenden zur Finanzierung von Therapien und für die Arbeit mit HIV/Aids erhält, sterben nur 30 Minuten von den glänzenden Privatkliniken von Santo Domingo entfernt Menschen. Ich habe in den letzten zwei Jahren so viele Menschen aus Mangel an Medikamenten unnötig sterben sehen."

Wie in den meisten Entwicklungsländern sind auch in der Dominikanischen Republik zunehmend mehr Frauen als Männer mit HIV infiziert, Aids stellt bereits die häufigste Todesursache von Frauen im gebärfähigen Alter dar. Fast überall sind Frauen stärker diskriminiert und in ihren Rechten verletzt als Männer. Dieses beruht vor allem auf wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheit und den kulturell akzeptierten Geschlechterrollen.

Frauen in den Bateyes berichteten, dass sie aus Angst vor Verlust des Lebensunterhaltes für sich und ihre Kinder, von ihrem Ehemann oder Lebensgefährten keinen geschützten Geschlechtsverkehr forderten. Die größere Mobilität führt zu einer größeren Fluktuation in den Bateyes, länger andauernde Abwesenheit der Männer, die auswärts Arbeit suchen müssen, begünstigt Gelegenheitssex, wodurch das HI-Virus in feste Beziehungen hineingetragen wird. Frauen, die wegen der Schwangerschaftsvorsorge öffentliche Kliniken aufsuchen, werden ohne umfassende Aufklärung zu einem HIV-Test genötigt, oder dieser wird ohne ihr Wissen und Einverständnis durchgeführt.

In der dominikanischen Gesetzgebung ist hinsichtlich HIV/Aids festgelegt, dass alle Informationen, die den HIV-Status einer Person, die Testung und die Beratung betreffen, vertraulich behandelt werden müssen. Dennoch ist die Praxis von unfreiwilligen HIV-Tests zum Beispiel in Fabriken der Freihandelszonen und im Tourismussektor weit verbreitet. Das positive Testergebnis ist häufig mit dem Verlust des Arbeitsplatzes verbunden.

Auch im Gesundheitswesen sind grobe Missstände in der Aufklärung und beim Prinzip der. Freiwilligkeit hinsichtlich der Testungen auf HIV beobachtet worden. Demaris, einer 23-jährigen Frau, wurde mitgeteilt, dass sie mehrmals positiv getestet wurde, ohne jedoch über die Bedeutung des Ergebnisses und die Verbindung zwischen HIV und AIDS aufgeklärt worden zu sein. Sie berichtet: "Jeder weiß das Testergebnis des HIV-Tests vor dem Patienten - der Pförtner, andere Patienten, Schwestern, einfach jeder".

Die Tatsache, dass Menschenrechtsverletzungen die HIV/Aids Pandemie vorantreiben, wurde bei der Sondersitzung der UN-Vollversammlung in der Erklärung von 2001 anerkannt. Menschenrechtsverletzungen erhöhen die Vulnerabilität gegenüber HIV/Aids, führen zu Stigmatisierung und damit zur gesellschaftlichen Diskriminierung von Menschen, die mit HIV/Aids leben.

Die Autorin ist Mitglied der Karibik-Kogruppe von ai.


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Quelle:
amnesty journal, Januar 2007, S. 26
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2007