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RUSSLAND/057: Gespräch mit der Journalistin Elena Tregubova (ai journal)


amnesty journal 9/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Wenn ich Nachrichten aus Russland lese, kommen mir die Tränen"

Ein Gespräch mit der russischen Journalistin Elena Tregubova, die seit 2006 im britischen Exil lebt.


Elena Tregubova und die russische Staatsmacht - das ist eine lange Geschichte. Doch fassen wir uns kurz: Im Russland unter Boris Jelzin gehörte sie als Korrespondentin für die große Moskauer Tageszeitung "Kommersant" zu den wenigen Journalisten, die im Kreml ein- und ausgingen. Das Russland unter Wladimir Putin hat sie im vergangenen Jahr verlassen, seitdem wohnt sie in London.

Ihr in viele Sprachen übersetzter Bestseller "Die Mutanten des Kreml" gehört zu den Putin-kritischsten Büchern, die je erschienen sind. Es brachte ihr nicht nur Renommee unter Journalisten und Lesern ein, sondern bescherte ihr auch reichlich Ärger mit der russischen Staatsgewalt. Nach Erscheinen des Buches verlor Tregubova ihren Arbeitsplatz. Im Februar 2004 entging sie nur knapp einem Bombenanschlag auf ihre Wohnung, für den sie den russischen Inlandsgeheimdienst verantwortlich macht.

So lange sie in Russland lebte, wurde sie überwacht, ihr Telefon abgehört, konnte sie ihres Lebens nicht mehr sicher sein.

FRAGE: Nach all den Schwierigkeiten, die Sie in Russland gehabt haben - wie geht es Ihnen nun in London?

ELENA TREGUBOVA: Solange in Russland Putins kriminelles Regime an der Macht ist, das Journalisten und Regimekritiker mit allen Mitteln zum Schweigen zu bringen versucht, bin ich nicht völlig außer Gefahr. Auch in London nicht.

Trotzdem fühle ich mich hier sicherer als in Russland, und sei es nur, weil ich größeres Vertrauen zur englischen Polizei habe als zur russischen. Wie Sie vielleicht wissen, befindet sich in meinem Wohnhaus in Moskau, in dem seinerzeit ein Bombenanschlag auf mich verübt wurde, im Erdgeschoss eine Polizeidienststelle.

Trotzdem konnte dort jemand am hellichten Tag einen Sprengsatz mit der Kraft einer Handgranate an meiner Tür montieren und ihn mit einer Fernzündung zur Detonation bringen. Genau in dem Moment, als ich der Taxivermittlung über mein (offensichtlich abgehörtes) Telefon sagte, ich käme "gleich herunter", explodierte der Sprengsatz vor meiner Tür.

Das alles hat sich mitten in Moskau abgespielt, nur ein paar Kilometer vom Kreml entfernt.

FRAGE: Kennen Sie den aktuellen Stand der Ermittlungen?

ELENA TREGUBOVA: Vom Ermittler der Kriminalpolizei bekam ich später zu hören, er wisse zwar, wer hinter dem Anschlag steckte, würde es mir aber nicht sagen. Danach habe ich nie mehr von Ermittlungsergebnissen gehört. Deshalb war mir im Herbst letzten Jahres, als ich nach dem Erscheinen meines Buches in Deutschland auf einmal permanent beschattet wurde, von vornherein klar, dass es überhaupt keinen Sinn hat, die russische Polizei um Hilfe zu bitten. Sie ist ein Werkzeug des Kreml.

Scotland Yard flößt mir mehr Vertrauen ein. Allein schon deshalb, weil man sich dort nicht gescheut hat, trotz der gravierenden politischen Folgen im Fall des ermordeten Alexander Litwinenko zu ermitteln.

FRAGE: Können Sie im Exil als Journalistin arbeiten?

ELENA TREGUBOVA: Ich warte derzeit auf die Entscheidung über meinen Antrag auf politisches Asyl. Nach englischem Recht habe ich im Moment also noch keine Arbeitserlaubnis. Einstweilen beschränke ich mich auf Kommentare, etwa für die Zeitung "The Independent". Vor kurzem hat mich die Redaktion angerufen und nach meiner Einschätzung des jüngsten Anschlags auf einen Journalisten in Russland gefragt. Vor dem G8-Gipfeltreffen in Heiligendamm habe ich im "The Independent" und in der "Süddeutschen Zeitung" einen offenen Brief veröffentlicht. Jetzt gebe ich Journalisten aus vielen Ländern Interviews, um Einfluss auf die Entwicklung in Russland zu nehmen und die Öffentlichkeit auf die Tragödie aufmerksam zu machen, die sich in meinem Heimatland abspielt.

FRAGE: Man sagt ja, die Distanz helfe manchmal, bestimmte Dinge klarer zu sehen. Fällt Ihnen der Blick aus dem Exil auf Russland leichter oder schwerer?

ELENA TREGUBOVA: Wenn ich Nachrichten aus Russland lese, kommen mir die Tränen. Erst kürzlich habe ich wieder etwas Furchtbares erfahren. In Murmansk wurde Larissa Arap, eine Aktivistin der regierungskritischen Bewegung "Anderes Russland", in eine psychiatrische Klinik eingewiesen und bekam gegen ihren Willen psychotrope Medikamente injiziert. Das ist dieselbe unmenschliche Praxis wie zur Sowjetzeit, die Wiedergeburt der so genannten Strafmedizin des sowjetischen Geheimdiensts. (Inzwischen wurde Arap wieder entlassen; d. Red.)

Wenn ich mein Land auf der Karte anschaue, könnte ich manchmal verzweifeln. Warum nur will dieses riesige, an natürlichen Ressourcen so reiche Russland seit über einem Jahrhundert das Schreckgespenst für die ganze Welt spielen? Warum sehen die heutigen Führer - wie früher die kommunistischen - Russlands Größe einmal mehr darin, dass es mit Raketen herumfuchtelt und alle, die anderer Meinung sind, physisch vernichtet?

Wir hatten die kurze Zeit der Reformen unter Boris Jelzin, die samtene Revolution, ein Wunder von kurzer Dauer. Der alte Geheimdienst, zur Sowjetzeit eine kriminelle Vereinigung, hat sich für seine damaligen Verbrechen, für die Millionen Opfer in Russland und im Ausland nicht entschuldigt. Im Gegenteil: Er greift heute wieder offen auf seine alten Methoden zurück. Putin hat sich explizit zum Nachfolger des sowjetischen Systems erklärt, altbewährte KGB-Methoden inbegriffen. In Russland vollzieht sich der totale Backlash einer kriminellen Organisation, die jeden, den sie nicht kontrollieren kann, physisch vernichtet: Journalisten und Oppositionspolitiker, aber auch geschäftliche Konkurrenten.

FRAGE: Wie wird derzeit in Russland selbst darüber diskutiert? Finden solche Diskussionen überhaupt statt?

ELENA TREGUBOVA: In einer Diktatur sind politische Diskussionen sinnlos. Jeder ernsthafte, aus den Reihen der Opposition hervorgehende Konkurrent Putins würde sofort ausgeschaltet. Ebenso klar ist, dass der Kreml im Fall einer "orangen" oder "samtenen" Revolution, bei der das Volk auf die Straße ginge und ehrliche Wahlen forderte, gewaltsam dagegen vorgehen würde.

Dass die Regierung auch vor Gewaltanwendung und Blutvergießen nicht zurückschreckt, hat sie im Frühjahr gezeigt, als der berühmte "Marsch der Unzufriedenen" im Moskauer Zentrum aufgelöst und die Teilnehmer erbarmungslos niedergeknüppelt und verhaftet wurden.

Durchaus denkbar ist, dass die Geheimdienste im Vorfeld der Wahlen im Dezember Schläger aus den putintreuen extremistischen Organisationen in eine Menge friedlicher Demonstranten einschleusen, Unruhen provozieren, und dann die Spezialeinsatztruppen das Feuer eröffnen. So könnte entweder der Ausnahmezustand verhängt und die Wahlen verschoben werden oder man könnte oppositionelle Demonstrationen komplett verbieten.

Schon jetzt ist der Opposition der Zugang zum Fernsehen verwehrt. Das wichtigste Recht jedes Kandidaten bei den Wahlen wird der Opposition vorenthalten: gleicher Zugang zu den Medien. Freie Medien, allen voran Fernsehsender, gibt es in Russland nicht mehr, und sämtliche Wahlkommissionen, die die Stimmen auszählen, unterstehen der direkten Kontrolle des Kreml.

FRAGE: Was können westliche Staaten tun, um zu einer Verbesserung der Situation beizutragen?

ELENA TREGUBOVA: Sie müssten erst einmal wollen! Mittel und Wege finden sich immer. Den diktatorischen Anwandlungen des Regimes könnte man schnell ein Ende machen. Es würde genügen, dem Putin-Kreis und den aus den Geheimdiensten stammenden Öl- und Gas-Oligarchen die Einreise zu verweigern und keine Geschäfte mehr mit den unter Putins "Schutz" stehenden Energieunternehmen zu machen. Das wären konkrete ökonomische Sanktionen. Die Sprache des Geldes ist die einzige, die Putin versteht.

FRAGE: Wie erklären Sie sich diese seltsame Ignoranz des Westens gegenüber der innenpolitischen Situation in Russland?

ELENA TREGUBOVA: Leider spielen die Regierenden der westlichen Länder immer noch die feigen und korrupten Nachbarn, die seelenruhig zuschauen, wie der Nachbar Frau und Kinder schlägt. Wenn eines der Opfer mal entkommt und die Nachbarn bittet, die Polizei zu rufen, antworten sie eiskalt, dass sie nichts gegen ihn unternehmen werden. Schließlich ist er ein reicher Mann.

Ich glaube nicht an die Blindheit der Verantwortlichen im Westen. Sie sind nicht erst seit gestern auf der Welt. Wenn Gerhard Schröder seinen Freund Putin einen "lupenreinen Demokraten" nennt und wenig später dank Putins Protektion einen Posten mit siebenstelligem Gehalt im Gazprom-Konzern bekommt, dann steckt dahinter nicht Blindheit, sondern ein konkretes egoistisches Interesse.

Man könnte auch die Bevölkerungen der westlichen Länder fragen, ob sie sich nicht einmal ausführlicher mit den aus Erdöl und -gas bestehenden Gründen beschäftigen wollen, die ihre Regierungen veranlassen, Putin gegenüber beide Augen zuzudrücken.

FRAGE: Hat sich im Umgang des Westens mit Russland in jüngster Zeit etwas geändert?

ELENA TREGUBOVA: In den vergangenen Monaten haben sich die westlichen Politiker schärfer zu Putins eklatanten Menschenrechtsverletzungen geäußert. Allerdings, wie mir scheint, nicht deshalb, weil ihnen urplötzlich "die Augen aufgegangen" wären, sondern weil sie von der öffentlichen Meinung und von der Presse in die Enge gedrängt wurden.

Dennoch unternimmt der Westen nach wie vor keine konkreten Schritte. Noch immer möchte man es sich mit Putin nicht verderben. Die westlichen Politiker schleichen weiterhin auf Zehenspitzen um ihn herum, weil sie um ihre Öl- und Gasverträge fürchten. Um die Missachtung der Menschenrechte dagegen schert sich niemand. Wenn die westliche Presse nicht immer wieder lauthals protestieren würde, wären alle zufrieden.

FRAGE: Kann man so ein Verhalten anders als korrupt nennen? Wie geht es mit Ihnen und Ihrer Arbeit nun weiter?

ELENA TREGUBOVA: Für mich geht es jetzt erst einmal darum, zu überleben.

Interview: Maik Söhler, Übersetzung: Olga Radetzkaja


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Quelle:
amnesty journal, September 2007, S. 22-24
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. September 2007