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NAHOST/211: Libyen - Satellitengestützte Grenz-Überwachung schürt neue Probleme in der Sahara


Presseerklärung vom 28. November 2013

Libyen: Italienischer Rüstungskonzern liefert Satellitentechnik zur Überwachung der Grenzen: Antiterror-Kampf und Europas Flüchtlingsabwehr schüren neue Probleme in der Sahara



Mit scharfer Kritik hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) auf die Ankündigung des libyschen Verteidigungsministers Abdullah Al-Thinni reagiert, die Südgrenze Libyens werde vom Jahresende 2014 an satellitengestützt überwacht. "Eine systematische Abriegelung der Grenzen Libyens durch satellitengestützte Überwachungssysteme wird katastrophale Folgen für die traditionellen Bewohner der Sahara haben", warnte der GfbV-Afrikareferent Ulrich Delius am Donnerstag in Göttingen. "Die Sahara ist immer ein Handelsplatz für den Austausch von Waren zwischen Nord und Süd gewesen. Wer diesen Handel unterbindet, schürt die Verarmung von Tuareg, Toubou, Berbern, Arabern und anderen Bevölkerungsgruppen und treibt sie somit in die Arme radikaler Islamisten."

Bei seinem Italien-Besuch am Mittwoch hatte Al-Thinni erklärt, das italienische Rüstungsunternehmen Selex ES sei beauftragt worden, eine satellitengestützte Überwachung der Südgrenze Libyens zu erstellen. Das Projekt soll im Dezember 2013 beginnen und bis zum Jahresende 2014 abgeschlossen werden. Selex ES ist Teil der in Italien führenden Industrie-Holding Finmeccanica, an der der italienische Staat zu 30 Prozent beteiligt ist. Als ehemalige Kolonialmacht Libyens, die noch immer bedeutende Wirtschaftsinteressen in dem nordafrikanischen Staat besitzt, will Italien darüber hinaus 3.000 libysche Soldaten zur Grenzsicherung ausbilden. Die italienische Außenministerin Emma Bonino hat in den vergangenen Wochen vor Anarchie in Libyen und vor einem Eindringen von Islamisten gewarnt und eine bessere Grenzsicherung gefordert, um den Menschenhandel mit Flüchtlingen aus West- und Ostafrika zu unterbinden.

"Dieses Projekt ignoriert nicht nur die Bedürfnisse der Menschen in der Sahara, sondern ist auch kurzsichtig und nicht Erfolg versprechend", kritisierte Delius. "Denn so können die Menschen- und Drogenhändler nicht wirksam gestoppt werden. Sie werden nur höhere Preise verlangen, weil sie den Zöllnern mehr Bestechungsgelder zahlen müssen. Der umstrittene Schmuggel wird von Kartellen organisiert, die in allen Sahara-Staaten über beste Beziehungen zu den Regierungen verfügen." Doch die kleinen Händler, die Salz, Nudeln und andere Gegenstände des täglichen Bedarfs verkaufen und so 90 Prozent des Warenstroms ausmachen, werden ihr Gewerbe stark einschränken müssen. Für sie bleiben die von den Kolonialmächten willkürlich gezogenen Grenzen künstlich, weil sie ihre Siedlungsgebiete durchschneiden und Jahrzehnte lang keine Bedeutung hatten.

"Europas Flüchtlingspolitik darf den Menschen in der Sahara nicht die Lebensgrundlage entziehen", erklärte Delius. "Wer Grenzen für Kleinhändler unpassierbar macht, muss den Betroffenen alternative Arbeitsmöglichkeiten verschaffen. Ansonsten schürt Europa mehr Probleme, als sie tatsächlich zu lösen."

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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 28. November 2013
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. November 2013