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EUROPA/384: Mahnwache - Serbiens Völkermord in Bosnien 1992 - 1995


Presseerklärung vom 26. Februar 2007

Serbiens Völkermord in Bosnien 1992 - 1995


Mahnwache der Frauen aus Srebrenica und Bosnien und der Gesellschaft für bedrohte Völker in Den Haag am Montag, den 26. Februar 2007 vor dem ICJ - International Court of Justice, Peace Palace, anlässlich der Urteilsverkündung Bosnien- Herzegowina vs. Serbien-Montenegro

Die Leugnung von Völker- und Massenmord hat in Europa des 20. Jahrhunderts Tradition. Europäische Regierungen und Parteien, Gerichte, Institutionen und Medien, europäische Intellektuelle, haben vielfach die Massenvernichtungen des Nationalsozialismus und des Stalinismus tabuisiert, vertuscht oder ignoriert. "Nie wieder - Never again" - hieß es nach dem Holocaust, dem die Juden Europas zum Opfer fielen. Nichts desto weniger schwieg Europa, als jugoslawische Truppen und serbische Milizen den Völkermord in Bosnien begingen, der als sogenannte "Ethnische Säuberung" als neuer Terminus Eingang in die internationale Genozid-Diskussion fand. Alle diese Verbrechen wurden von Belgrad aus gesteuert, unter Mitwirkung des serbischen Innenministeriums, Geheimdienstes, der Rüstungsunternehmen und paramilitärischer Verbände durchgeführt. Inzwischen wurden serbische Täter wegen Genozid unter Anklage gestellt oder verurteilt. Bis heute halten sich die zwei gesuchten Hauptkriegsverbrecher, Radovan Karadzic und Ratko Mladic, dank Unterstützung serbischer Behörden und serbischen Militärs, versteckt.

Unvergessen sind jene vielen Persönlichkeiten aus vielen Teilen der Welt, und allen Kontinenten, die ihre Stimme für die verfolgten Bosnier erhoben und sie publizistisch, politisch, humanitär unterstützt haben. Marek Edelmann, letzter überlebender Kommandeur der Widerstandskämpfer des Warschauer Ghettos, erklärte bitter: "Europa hat aus dem Holocaust nichts gelernt, Bosnien ist ein posthumer Sieg für Hitler". Gleich ihm protestierten Alain Finkielkraut, Bernhard-Henry Lévy, André Glucksman, Simon Wiesenthal, Elie Wiesel, Susan Sonntag, Ignatz Bubis und die Präsidenten des American Jewish Congress Kahn und Siegmann, Christian Schwarz-Schilling, Freimut Duve, Daniel Cohn- Bendit, Roy Gutmann und viele andere.

Simon Wiesenthal fühlte sich, angesichts der Kriegsverbrechen in Bosnien "an Bestandteile des Holocaust" erinnert. Wiesenthal hatte selbst eine Konferenz über Bosnien in New York initiiert. Er war, gemeinsam mit Rita Süßmuth, Schirmherr des großen internationalen Kongresses in Bonn im September 1995 über den Genozid in Bosnien, der mit 150 Experten aus vier Erdteilen von der 'Gesellschaft für bedrohte Völker', gemeinsam mit dem 'Institut zur Ermittlung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit' und das 'Völkerrecht aus Sarajevo und der malaysischen 'Human Rights Group for Bosnia' aus Kuala Lumpur organisiert worden war.

Im folgendem skizzieren wir kurz die verbrecherischen Methoden dieses einzigartigen Genozids in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Wir gedenken aller Opfer, die zu über 90 % Bosniaken (Muslime) waren, aber ebenso unvergessen sind die Opfer der kroatischen, serbischen, jüdischen und Roma Nationalitäten Bosniens:

1. Errichtung von über hundert Konzentrations- und Internierungslagern und Inhaftierung von über 200.000 Zivilisten.

2. Ermordung von etwa 30.000 Häftlingen in Lagern wie Omarska, Manjaca, Keraterm, Tmopolje, Luka Brcko, Susica. Foca u.a.

3. Vergewaltigung von etwa 30.000 Frauen und Errichtung von Vergewaltigungslagern.

4. Systematische Verhaftung und Ermordung von Angehörigen der akademischen und politischen Eliten.

5. Flucht und Vertreibung von etwa 2,5 Millionen Bosniern und ihre Zerstreuung über vier Erdteile.

6. Einkesselung, Aushungerung und Beschießung von 500.000 Bosniern von sogenannten UN-Schutzzonen über fast vier Jahre (Sarajevo. Gorazde, Srebrenica, Zepa und Bihac).

7. Tötung von über 11.000 Einwohnern der Stadt Sarajevo, darunter 1.000 Kindern.

8. Massaker und Massenerschießungen in zahlreichen Gemeinden und Städten, Nord-, West- und Ostbosniens (Posovina, Raum Prijedor und Podrinje).

9. Ermordung von 8350 Knaben und Männern in Srebrenica.

10. Verscharrung der Ermordeten in über 500 Massengräbern allen besetzen Gebieten, ohne Hinweise auf die Identität der Opfer.

11. Planmäßige Zerstörung Hunderter Dörfer und Stadtteile.

12. Totale Zerstörung der materiellen islamischen und weitgehend auch der katholischen Kultur, darunter etwa 1.300 Moscheen und etwa 500 katholische Kirchen.

13. Suche nach immer noch etwa 15.000 Vermissten und deren notwendige Exhumierung und Identifizierung.

Verantwortlich für diesen Text: Tilman Zülch, Autor verschiedener Veröffentlichungen über den Bosnien-Krieg, darunter das erste Buch über den Genozid ("Ethnische Säuberung - Völkermord für Großserbien" - Luchterhand, Januar 1993, Sarajevo 1995). Zülch ist Ehrenmitglied des Verbandes der weiblichen bosnischen Lagerinsassen, Träger der Silbernen Lilie des römischen Staatspräsidiums, Träger des "Srebrenica Award Against Genocide", verliehen von den drei Verbänden der Mütter von Srebrenica und des Preises "Sloboda" (Freiheit), des Anti-Kriegs-Zentrums in Sarajevo.


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Quelle:
Presseerklärung Göttingen vom 26. Februar 2007
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2007