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EUROPA/514: Bosnien - Westerwelle soll Unterstützung für Visafreiheit und EU-Aufnahme zusichern


Presseerklärung vom 25. August 2010

Offener Brief an Bundesaußenminister Guido Westerwelle

Auch Deutschland steht in Bosniens Schuld!
Sichern Sie Unterstützung zu für Visafreiheit, Aufnahme in die EU und Wiedervereinigung!


Sehr geehrter Herr Minister,

noch immer in guter Erinnerung geblieben ist uns die gemeinsame Veranstaltung mit dem damals jungen Nachwuchspolitiker Guido Westerwelle auf dem Marktplatz der damaligen Bundeshauptstadt Bonn im Jahre 1992 gegen den Völkermord in Bosnien-Herzegowina.

Doch Deutschland hat den Massakern, dem fast vierjährigen Bombardement eingeschlossener Städte, dem Aufbau von Vergewaltigungs- und Konzentrationslagern, der Massenvertreibung von vielen hunderttausend Menschen und der Zerstörung sämtlicher 1189 Moscheen in den serbisch besetzten Gebieten Bosniens tatenlos zugesehen.

Als US-Präsident Bill Clinton damals eine Intervention gegen den Genozid erwog und einen Sonderbotschafter auch nach Deutschland sandte, wurde dieser im Auftrag von Außenminister Klaus Kinkel von einem subalternen Vertreter des Auswärtigen Amtes schnöde abgefertigt. Übrigens weist Clinton bis heute darauf hin, dass sowohl Frankreich unter Francois Mitterand als auch Großbritannien unter John Major während dieser Jahre alles unternommen haben, um den Sieg der serbischen Truppen möglich zu machen.

Bosnien-Herzegowina, das Land der Opfer, ist heute geteilt. Die eine Hälfte, die sogenannte Republik Srpska - darunter auch das Land an der Drina mit Srebrenica -, wird immer noch von der Partei der serbischen Täter beherrscht. Die Rückkehr fast aller Vertriebenen wurde verhindert, weil die Großmächte als Unterzeichner des Dayton-Vertrages diese nie ernsthaft durchsetzen wollten. Ausgerechnet dem Opferland Bosnien-Herzegowina wird heute die Aufnahme in die Europäische Union ebenso versagt seinen Bürgern die Visa-Freiheit für Europa. Die Aufnahme in die NATO kommt ebenso wenig voran wie der Wiederaufbau und die reale Wiedervereinigung. Auch unsere Bundesregierung scheint nicht ernsthaft auf der Auslieferung des Hauptkriegsverbrechers Ratko Mladic durch Serbiens Regierung an das Tribunal in Den Haag zu bestehen.

Wir meinen, dass Sie als deutscher Außenminister, als liberaler und als europäischer Politiker während ihres Besuchs in Bosnien eine ganz besondere moralische und somit auch politische Verantwortung wahrnehmen müssen. In diesem Zusammenhang erinnere ich an jene großen jüdischen Persönlichkeiten, an Marek Edelman, den vor kurzem verstorbenen Kommandeur des Warschauer Ghettos, an Simon Wiesenthal, der unsere Menschenrechtsorganisation drei Jahrzehnte unterstützte, an Henry Siegman, den früheren Präsidenten des "American Jewish Congress, und an Elie Wiesel. Sie alle fühlten sich durch Bosnien an den Holocaust erinnert und forderten Europa und Nordamerika zum rechtzeitigen Handeln auf.

Sehr geehrter Herr Minister, wie Europa steht auch Deutschland in Bosniens Schuld. Deshalb bitten wir Sie herzlich, bei Ihrem Besuch in Sarajevo zu versichern, dass Sie sich dafür einsetzen, dass die Visa-Freiheit für die Bürger Bosnien-Herzegowinas schnellstens vorangebracht, die Aufnahme des Landes in die Europäische Union beschleunigt und der nötige Druck auf die serbische Regierung ausgeübt wird, damit der Hauptkriegsverbrecher Ratko Mladic nach Den Haag ausgeliefert wird. Sagen Sie zu, dass Sie in Europa für die reale Wiedervereinigung des geteilten Bosniens werben und eintreten werden.

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr
gez. Tilman Zülch
Präsident


Marek Edelman, der vor kurzem verstorbene Kommandeur der Widerstandskämpfer des Warschauer Ghettos: "Europa hat nichts aus dem Holocaust gelernt. Nichts ist unternommen worden, dieses Morden zu beenden. Was sich in Bosnien-Herzegowina ereignet, ist ein posthumer Sieg für Hitler".
Simon Wiesenthal, der uns zu seinem Bosnien-Kongress 1993 nach New York als Referenten einlud und dann die Schirmherrschaft über unseren großen Bosnien-Völkermord-Kongress in Bonn 1995 mit 150 Teilnehmern aus fünf Kontinenten übernahm: "Als in den Berichten über die Verbrechen in Bosnien-Herzegowina immer wieder als Hauptverantwortliche Karadzic und Mladic genannt wurden, war ich fest davon überzeugt, dass diese Personen ebenso zu Verantwortung gezogen werden müssten, wie die Nazi-Verbrecher nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges."
Henry Siegman, Präsident des American Jewish Congress in einem Offenen Brief an Bill Clinton in der New York Times am 20. April 1993: "Wenn das Gedenken an die Holocaust-Opfer uns nicht dazu bewegt, auf das Leiden in Bosnien zu reagieren, welchen denkbaren Zweck soll diese Erinnerung haben?"
Elie Wiesel, der jedem von uns bekannte große Mahner und Holocaust-Überlebende, richtete sich am 22. April 1993 an Bill Clinton: "Herr Präsident, ich muss Ihnen eines sagen. Im vergangenen Herbst war ich im früheren Jugoslawien. Was ich dort sah, lässt mich nicht mehr länger schlafen. Als Jude kann ich Ihnen sagen: Wir müssen etwas tun, um das Blutvergießen zu stoppen".

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Quelle:
Presseerklärung Sarajevo/Göttingen, den 25. August 2010
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2010