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EUROPA/568: Niederlande, Bosnien - Gerichtsurteil über Mitverantwortung für Srebrenica erwartet


Presseerklärung vom 5. September 2013

Urteil des Obersten Gerichthofs der Niederlande mit Spannung erwartet (6.9.):

Müssen die Niederlande für den Tod der Einwohner von Srebrenica Mitverantwortung übernehmen?



Mit Spannung erwartet die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) das Urteil des Obersten Gerichtshofes der Niederlande im Verfahren überlebender Angehörige der Opfer von Srebrenica gegen den niederländischen Staat. In dem Prozess soll entschieden werden, ob die in Srebrenica stationierten niederländischen Blauhelme für die Ermordung von bosnischen Zivilisten, die auf dem Stützpunkt der UN-Schutztruppe Zuflucht vor den serbischen Truppen gesucht hatten und fortgeschickt worden waren, tatsächlich Mitverantwortung tragen müssen. In einem vorherigen Urteil hatte ein Gericht zugunsten der Kläger entschieden. Die niederländische Regierung habe die "effektive Kontrolle" über ihre Truppen ausgeübt und sei deshalb für deren Handlungen verantwortlich. Zudem sei zu diesem Zeitpunkt schon bekannt gewesen, dass die serbischen Truppen bereits mit der Ermordung vor allem der männlichen Einwohner von Srebrenica auch direkt vor dem UN-Stützpunkt begonnen hatten. Deshalb seien die Schutzsuchenden "sehenden Auges" in den Tod geschickt worden.

"Vater, Mutter und Bruder von Hasan Nuhanovic sowie der zweifache Vater Rizo Mustafic wären noch am Leben, wenn nicht der Befehl ergangen wäre, sie vom Gelände der Schutztruppe zu weisen", sagt der GfbV-Generalsekretär Tilman Zülch. Die niederländische Regierung lehnt es bisher ab, für den Tod der Schutzsuchenden Mitverantwortung zu übernehmen, mit der Begründung, ihre Einheiten hätten damals als Teil der internationalen Friedensmission unter dem Kommando der Vereinten Nationen gestanden und könnten deshalb nicht belangt werden.

Wenn der Oberste Gerichtshof jetzt zugunsten der bosnischen Kläger entscheidet, könnte das große Auswirkungen auf weltweite Friedensmissionen haben. Dann könnten sich UN-Mitgliedsstaaten, die Blauhelme in Kriegsgebiete entsenden, nicht mehr auf die Immunität der UN-Truppen berufen, sondern müssten selbst mehr Haftung übernehmen. Auch die Angehörigen der vielen tausend Menschen, die sich auf das Gelände der UN-Friedenstruppe in Potocari, einem Vorort von Srebrenica, geflüchtet hatten, könnten die Niederlande dann für die Ermordung ihrer Angehörigen haftbar machen.

Am 13. Juli 1995 wurde dem Vater und der Mutter von Hasan Nuhanovic, Ibro und Nasiha, seinem jüngeren Bruder Muhamed und Rizo Mustafic vom niederländischen Kommandeur Thom Karremans befohlen, den Stützpunkt zu verlassen. Sie wurden von serbischen Truppen ermordet. Dem Völkermordverbrechen von Srebrenica fielen 8.372 Menschen zum Opfer, unter ihnen 510 Frauen. Hasan Nuhanovic und Mehida Mustafic-Mujic sowie ihre Kinder Damir und Alma reichten 2003 mit Hilfe der Anwältin für Menschenrechte, Liesbeth Zegveld, Klage gegen die Niederlande, die niederländischen Blauhelme hätten die Bosniaken in Srebrenica den serbischen Truppen von Radovan Karadzic und Ratko Mladic ausgeliefert.

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Quelle:
Presseerklärung Göttingen/Den Haag, den 5. September 2013
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. September 2013