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NAHOST/140: Türkei - Prozess gegen 151 kurdische Politiker beginnt


Presseerklärung vom 18. Oktober 2010

Bundespräsident Wulff besucht Türkei (18.10.2010)

Prozess gegen 151 kurdische Politiker beginnt
Wulff soll "schwindende Hoffnung auf friedliche Lösung der Kurdenfrage" in der Türkei wiederbeleben


Bundespräsident Christian Wulff soll während seines Staatsbesuches in der Türkei am heutigen Montag öffentlich spürbare Fortschritte bei der Durchsetzung der Rechte der Kurden einfordern und so die schwindenden Hoffnungen auf eine friedliche Lösung der Kurdenfrage wiederbeleben. Darum hat der Präsident der Gesellschaft für bedrohte Völker International (GfbV), Tilman Zülch, den Bundespräsidenten in einem Schreiben gebeten.

"Ausgerechnet am Tag Ihrer Ankunft beginnt der Prozess gegen 151 der mehr als 1600 kurdischen Politiker und Bürgerrechtler, die seit den Kommunalwahlen im Frühjahr 2009 inhaftiert wurden. Diesen wurde vorgeworfen, sie hätten angeblich in Verlautbarungen, Interviews und mit sonstiger Betätigung die illegale PKK unterstützt", hieß es in dem Schreiben. "Doch diese Angeklagten haben sich meist nur bei den Wahlen für kurdische Parteien engagiert und treten im übrigen überwiegend für Rechtsstaatlichkeit und Gleichberechtigung der 15 Millionen Kurden ein. Bitte versichern Sie dieser unterdrückten Minderheit, dass Deutschland sich für ihre Rechte einsetzt und weisen Sie darauf hin, dass nicht nur der Islam, sondern auch die 800.000 Menschen kurdischer Abstammung in Deutschland zu unserem Land gehören."

Die Zugeständnisse, die die türkische Regierung der kurdischen Bevölkerung in jüngster Zeit mit der Zulassung kurdischsprachiger Fernseh- und Radiosendungen gemacht hat, seien nur ein allererster Schritt in Richtung Minderheitenrechte. Es sei auch unerträglich, dass die über 4.000 während des türkisch-kurdischen Krieges zerstörten Dörfer bis heute nicht wiederaufgebaut und den kurdischen Flüchtlingen somit jede Rückkehrmöglichkeit verwehrt bleibe.

Zülch erinnerte den Bundespräsidenten daran, dass Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan im Februar 2008 bei seinem Besuch in Köln großes Aufsehen erregte, als er den deutschen Türken zurief: "Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Weiter forderte Erdogan türkische Schulen und Gymnasien in der Bundesrepublik für die hier erst seit 40 Jahren ansässige türkische Minderheit. Die Kurden der Türkei aber, bereits seit zwei Jahrtausenden im heutigen Südostanatolien ansässig, verfügen bis heute nicht über eine einzige kurdischsprachige Schule. Wenn ein islamischer, der Bundesrepublik eng verbundener und durch die NATO verbündeter Staat es sich leiste, 6500 politische Gefangene der kurdischen Minderheit, unter ihnen 1200 Jugendliche, überwiegend bereits seit 20 Jahren gefangen halte, sei ein offenes Wort des deutschen Staatsoberhauptes gefragt. Schließlich müssten die türkischen Behörden endlich anfangen, das Schicksal von 17.000 Zivilisten zu klären, die als Schriftsteller, Journalisten, Anwälte, als jugendliche Flugblattverteiler oder als Spender für die PKK zwischen 1984 und 2000 verschwunden waren. In dieser Zahl sind die etwa 42.000 Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen nicht einbezogen.


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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 18. Oktober 2010
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen,
Tel.: 0551/49906-25, Fax: 0551/58028
E-Mail: presse@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Oktober 2010