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NORDAMERIKA/022: Indianischer Bürgerrechtler seit 31 Jahren unschuldig in Haft


Presseerklärung vom 12. September 2007

"Transatlantischer Dialog in Erfurt"
Free Peltier! Indianischer Bürgerrechtler seit 31 Jahren unschuldig in Haft

Von Yvonne Bangert


Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat am Mittwoch (12.09.) während des "Transatlantischen Dialogs in Erfurt" mit einer Mahnwache vor dem Augustinerkloster um Unterstützung für den seit 31 Jahren unschuldig inhaftierten schwer kranken indianischen Bürgerrechtler Leonard Peltier gebeten.

"Wir möchten an das traurige Schicksal dieses Indianers erinnern, der mit großer Sicherheit längst in Freiheit wäre, wenn das FBI den Gerichten tatsächlich von Anfang an alle Beweismittel vorgelegt hätte", begründete die GfbV ihre Aktion. "Deshalb unterstützen wir die Klage der Anwälte Peltiers auf Freigabe aller noch immer zurückgehaltenen Ermittlungsakten. Er ist für viele der Nelson Mandela der indianischen Bürgerrechtsbewegung. An die Teilnehmer des Transatlantischen Dialoges appellieren wir, sich im Namen der Menschlichkeit bei der US-Regierung für die umgehende Freilassung des Bürgerrechtlers einzusetzen."

Peltier, der fast sein halbes Leben im Gefängnis verbringen musste, wird am 12. September 63 Jahre alt. Nach einer Schießerei zwischen Angehörigen des American Indian Movement (AIM) und FBI Agenten im Pine Ridge Reservat der Oglala Lakota - Indianer im US-Bundesstaat Süd Dakota floh Peltier, einer der Führer des AIM, 1975 nach Kanada. Bei der Schießerei starben zwei FBI-Agenten. Peltier wurde 1976 verhaftet, aufgrund einer Falschaussage in die USA abgeschoben und dort 1977 zu zweimal lebenslänglicher Haft verurteilt. Doch die tödlichen Schüsse stammten ballistischen Untersuchungen zufolge nicht aus seiner Waffe. Eine vermeintliche Augenzeugin widerrief ihre Aussage, da sie unter Druck des FBI entstanden war.

Viele Prominente wie Harry Belafonte, Marlon Brando, Nelson Mandela oder Robert Redford setzten sich ebenso für ihn ein, wie Abgeordnete des Deutschen Bundestages und des Europaparlamentes. Trotzdem wurde das Verfahren bis heute nicht neu aufgerollt. Richter Gerald Heaney, der in zwei Berufungsverfahren den Vorsitz führte, bat den damaligen US-Präsidenten Clinton schriftlich, das Urteil gegen Peltier aufzuheben. Doch Clinton beugte sich dem Druck des FBI und strich den Namen des Bürgerrechtlers kurz vor der Amtsübergabe an George Bush im Januar 2001 wieder von der Liste der Begnadigungen.

Peltier ist seit einem Schlaganfall, den er im Gefängnis erlitten hat, auf einem Auge fast erblindet. Er ist an Diabetes erkrankt, und es besteht der Verdacht auf eine lebensbedrohliche Krebserkrankung.

Wer Peltier unterstützen möchte, kann sich am Online-Appell der GfbV an Vertreter des US-Repräsentantenhauses sowie des US-Senates beteiligen oder dem Bürgerrechtler persönlich schreiben


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Zur Person: Leonard Peltier

Leonard Peltier ist Anishinabe und Dakota/Lakota. Am 12. September 1944 wurde er in Grand Forks in Nord Dakota/USA geboren. Während seiner inzwischen 31jährigen Haftzeit wurde der Verfechter indianischer Menschenrechte zu einem anerkannten Maler und Schriftsteller. 1986 erlitt er einen Schlaganfall. Auf dem linken Auge hat er danach 80% der Sehkraft verloren. Er ist an Diabetes erkrankt, leidet unter hohem Blutdruck. Nun ist er nach Informationen der Gesellschaft für bedrohte Völker auch an Krebs erkrankt. Seine Gefühle in der Haft beschrieb er einmal - frei übersetzt - so: "Zeit abzusitzen lässt eine irrsinnige Dunkelheit meiner eigenen Vorstellungskraft entstehen. ... Zeit ist ein Kannibale, der das Fleisch Deiner Jahre verschlingt, Tag um Tag, Bissen um Bissen." 1999 erschien unter dem Titel "Prison Writings: My Life is my Sundance" ein autobiografisches Buch Peltiers, das im selben Jahr unter dem Titel "Mein Leben ist mein Sonnentanz. Gefängnisaufzeichnungen US-Häftling Nr. 89637-132" im Verlag Zweitausendeins erschien. Peltier, der bereits als Amerikas Mandela bezeichnet wurde, wird von der Gesellschaft für bedrohte Völker, von Amnesty International und anderen Menschenrechtsorganisationen als politischer Gefangener betrachtet.

Leonard Peltier war 1975 im Pine Ridge Reservat der Oglala Lakota in Süd Dakota/USA, als dort im Zuge eine Schießerei zwei FBI-Agenten und ein junger Indianer zu Tode kamen. Ausgelöst durch die Besetzung des Ortes Wounded Knee durch Angehörige des American Indian Movement (AIM) 1973 herrschte dort eine Atmosphäre von Angst und Gewalt. Peltier gehörte zu den Führern der Bewegung. Mit Hilfe einer bewaffneten Schlägertruppe, den Goon Squads, versuchte der damalige Stammesratsvorsitzende von Pine Ridge, die AIM-Leute aus dem Reservat zu drängen. Traditionelle Lakota, die in Opposition zum ihm waren, wurden massiv unter Druck gesetzt, mehr als 60 bei den Auseinandersetzungen mit den Goon Squads getötet. Im Juni 1975 kam es dann zu der schicksalhaften Auseinandersetzung auf dem Gelände der Familie Jumping Bull, bei der die beiden Agenten aus nächster Nähe erschossen wurden.

Obwohl nach Angaben des FBI mehr als 40 Indianer an der Schießerei beteiligt waren, wurden nur die drei AIM-Mitglieder Bob Robideau, Dino Butler und Leonard Peltier vor Gericht gestellt. Robideau und Butler wurden freigesprochen, ihre Beteiligung an dem Schusswechsel als Notwehr gewertet, die angesichts der damaligen Atmosphäre der Angst gerechtfertigt gewesen sei. Peltier wurde separat angeklagt und vor ein anderes Gericht gestellt. Die vermeintliche Augenzeugin Myrtle Poor Bear widerrief ihre Peltier belastende Aussage als vom FBI erzwungen, durfte dies in dem Prozess jedoch nicht aussagen. Drei weitere Zeugen der Anklage zogen später ihre Aussagen als unter Druck des FBI gemacht zurück. Der Staatsanwalt behauptete, die Verteidigung habe alle Ermittlungsakten des FBI erhalten. Tatsächlich prozessieren die Verteidiger um deren restlose Freigabe bis heute. Ein FBI-Ballistiker brachte in seiner Aussage eine Geschosshülse, die neben den Leichen gefunden worden war, in Verbindung mit der Waffe Peltiers. Dabei wurde das ballistische Gutachten unterschlagen, demzufolge das Geschoss nicht aus Peltiers Waffe abgefeuert worden war. Die Geschworenen, den en dies alles nicht bekannt war, verurteilten Peltier zu zwei aufeinander folgenden lebenslangen Haftstrafen, von denen er die erste vor sechs Jahren verbüßt hat.

Trotz eingestandener Verfahrensfehler und obwohl die US-Behörden zugeben, dass sie nicht wissen, wer vor mehr als 30 Jahren die tödlichen Schüsse abgegeben hat, sind alle Versuche der Anwälte Peltiers, ein neues Verfahren zu erwirken, bislang gescheitert. Angesichts seiner langen Haftzeit und der allseits konstatierten guten Führung hätte er ohnehin schon lange vorzeitig entlassen werden müssen. Die zuständige Kommission besteht als Voraussetzung aber auf einem Schuldeingeständnis - für eine Tat, die er nicht begangen hat.


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Quelle:
Presseerklärung Erfurt/Göttingen, 12. September 2007
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. September 2007