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AUFRUF/009: Der Philosemitismus der deutschen Regierung (Evelyn Hecht-Galinski)


Die wahren israelischen Patrioten oder der Philosemitismus der deutschen Regierung

Von Evelyn Hecht-Galinski, Publizistin - 22.11.2009


Gestern am 21. November sagte Uri Avnery anlässlich der Verleihung des ethicon-Preises sinngemäß Folgendes: Warum unterstützt Merkel nicht die wahren israelischen Patrioten, wie ihn und Gusch Schalom, sondern die israelischen Rassisten? Herzlichen Glückwunsch Uri Avnery! Tatsächlich ist es auch nur in Deutschland möglich, dass Generalstabchef Aschkenasi, der als Kriegesverbrecher angeschuldigt ist, Ende Oktober in Berlin mit militärischen Ehren empfangen wurde und dort im Beisein von Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhahn einen Holocaust Missbrauch inszenieren konnte, in dem er folgenden unsäglichen Ausspruch machte: "Das gute Verhältnis zur Bundeswehr zeuge vom Sieg über das Hitlerregime". Weiter betonte er, die israelischen Verteidigungsstreitkräfte, "der Schild der jüdischen Nation", sei nicht eine Armee die Krieg befürwortet. Sie seien vielmehr eine Armee der Verteidigung. "Wir suchen nicht nach Kampf usw. ...". So sah sich Schneiderhahn genötigt, auf das gute Verhältnis zu den israelischen "Verteidigungsstreitkräften" hinzuweisen. Auch machte er den feinen Unterschied zwischen deutschem Militär und israelischen Verteidigungsstreitkräften mit dem Hinweis, dass diese aus der einzigartigen Geschichte erwachsen seien. Man sieht, die israelische Propaganda hat schon tiefe Spuren hinterlassen. Dazu passt die schreckliche Meldung, dass Israel die Kriegsflotte der NATO unterstützen und ein Kriegsschiff zur Verfügung stell en wird. Vielleicht ist es eines der beiden Kriegsschiffe, das Israel von Deutschland geschenkt bekommen möchte. Dazu kam die bezeichnende skandalöse Äußerung eines NATO-Sprechers aus Brüssel, die Allianz trenne solche Einsätze von den politischen Ereignissen im Nahen Osten. Haben wir deshalb auch in den letzten Jahren ca. 330 Mio Euro im deutschen Verteidigungsetat für israelische U-Boote eingeplant?

So protestiere ich aufs Schärfste gegen die geplante gemeinsame Kabinettssitzung zwischen der deutschen und israelischen Regierung am nächsten Montag, am 30. November in Berlin. Wie kann man eine Sitzung stattfinden lassen mit einer Regierung mit rechtsextremen, rassistischen Mitgliedern, wie Außenminister Avigdor Lieberman, Vize-Verteidigungsminister Matan Vilnai, der den Palästinensern mit einer Shoah drohte, oder Verteidigungs(Kriegs)minister Ehud Barak, um nur einige zu nennen. Jeder dieser Minister würde - käme er nicht aus Israel - hier niemals empfangen werden, geschweige denn zu einer gemeinsamen Kabinettssitzung eingeladen werden. Diese Kabinettssitzung sollte in Den Haag stattfinden!

"Deutsche Staatsräson" - das sollte nur für ein demokratisches, in den Grenzen von 1967 existierendes Israel gelten, das die Palästinenser als gleichwertige Partner und Nachbarn betrachtet - nicht als "Araber", die der ethnischen Säuberung ausgesetzt sind. Aber was ist von einer Kanzlerin Merkel zu halten, die anlässlich ihrer Israelreise im letzten Jahr, bei der auch diese regelmäßigen Kabinettssitzungen beschlossen wurden, dort eine völlig einseitige Knessetrede hielt, die die israelische Unrechtspolitik unterstützte. Das war für alle und speziell für die israelischen Friedensaktivisten eine schallende Ohrfeige. Ist das die Belohnung für den Gaza-Angriff, den ungebremsten Siedlungsbau, die Judaisierung Jerusalems, die Besatzung, Strangulierung und Blockade Gazas? Also nochmals: Wie kann ein Land wie Israel "deutsche Staatsräson" sein, das gegen alle UNO-Resolutionen verstößt, ebenso wie gegen die IV. Genfer Konvention, die die Bundesrepublik Deutschland unterschrieben hat? Diese uneingeschränkte und bedingungslose Solidarität mit Israel soll so der "Staatsräson für die Bundesrepublik" eine Konsequenz in der politischen Praxis verleihen. Dies widerspricht unserem Grundgesetz und unserer Werteordnung, die dadurch mit Füßen getreten wird.

In dasselbe Raster passt auch die morgige Israelreise unseres Außenministers Westerwelle, der schon vorher eingeschüchtert wird (auf Rumpelstilzchenformat), in dem ihm die frühere antijüdische Haltung der FDP vorgeworfen wird. Was heißt denn bitte "antijüdisch"? Karsli und Möllemann kritisierten sehr scharf die israelische Regierungspolitik. Deshalb waren und sind sie aber keine Antisemiten! Hier wird also wieder mit der Vermengung von Antisemitismus und Israelkritik gearbeitet. Es wird also zwangsläufig vermengt, was auseinander zu halten ist. So ist zu befürchten, dass wir wieder das gleiche Schauspiel wie immer erleben. Nach Westerwelles Ankunft ein Besuch in Yad Vaschem, damit keine Zweifel an Deutschlands historischer Verantwortung bestehen.

Und jetzt kommt der eigentliche Skandal: Peres, Netanjahu und Lieberman wollen von Westerwelle wissen, ob sie mehr erwarten können als diese Pflicht. Welche Anmaßung! Widersprechen wir Israel. Die Weltgemeinschaft sollte es nicht länger hinnehmen, wenn Israel für die Tagespolitik den Holocaust instrumentalisiert, um von den eigenen Schandtaten abzulenken. Opponieren wir gegen den massiven Einfluss israelischer und jüdischer Organisationen auf die Medien und damit auf die öffentliche Meinung und akzeptieren wir das nicht länger! Meine Lehren aus der Geschichte und dem Holocaust sind andere: Keine Akzeptanz von Menschenrechtsverletzungen, Blockade und Besiedlung von palästinensischem Land und daher auch keine und schon gar keine militärische Allianz mit Israel - solange Israel alles will, nur keinen Frieden! Israel braucht Druck und Sanktionen, keine philosemitischen Geschenke, die es in dieser Politik noch bestärken.

Zum Schluss möchte ich auch noch auf die neueste Verbrüderung hinweisen: Eine neue Meldung besagt, dass der Zentralrat der Juden und die Deutsche Bischofskonferenz sich demnächst treffen wollen, um sich gemeinsam für die Bewahrung einer Form von "Religionsfreiheit" in Deutschland einzusetzen, die es gestattet "das religiöse Bekenntnis auch öffentlich zum Ausdruck zu bringen". In der Tat, man wundert sich, wieso sich der Zentralrat der Juden in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz gemeinsam für eine Form der Religionsfreiheit einsetzen. Beide Seiten kritisierten das jüngste Kruzifix-Urteil des Europäischen Gerichtshofes. Ich halte es für gefährlich, wenn die Bischofskonferenz und der Zentralrat gemeinsam fordern, dass Antisemitismus und Antizionismus in den Schulen zu bekämpfen sind. Antizionismus und Antisemitismus gleichzusetzen ist wieder der Versuch, jede politische Kritik an einer politischen Ideologie und Bewegung mit der moralischen Keule totzuschlagen. Daher ist meine Meinung: In öffentlichen Schulen sollten weder Kruzifixe hängen, noch ist es die Aufgabe der Schulen Antizionismus zu bekämpfen.


So rufe ich alle nachdenkenden "Mitstreiter/Innen", die noch nicht an Medienpandemie leiden, sondern sich umfassend informieren - sollte es ihnen möglich sein - am 30. November in Berlin um 11:00 Uhr gegen die gemeinsame Kabinettssitzung zu demonstrieren. Genaue Daten bitte im Internet recherchieren, z.B. beim Palästinaportal oder Christoph Hörstel, Neue Mitte.


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Quelle:
© Evelyn Hecht-Galinski, November 2009
mit freundlicher Genehmigung der Autorin


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2009