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BERICHT/1217: Die Globalisierungskritik ist tot, lang lebe die Globalisierungskritik (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2015
Kreislaufwirtschaft
Ist Recycling eine Illusion?

Die Globalisierungskritik ist tot, lang lebe die Globalisierungskritik

Der G7-Gegengipfel diskutiert über eine alternative Weltordnung

von Marie-Luise Abshagen


Kurz bevor sich die Staatschefs aus sieben großen Industrienationen (G7) im abgelegenen Schloss Elmau verschanzten, um gemeinsam über Weltpolitik zu diskutieren, veranstalteten zahlreiche NGOs, soziale Bewegungen und eine politische Stiftung einen G7-Gegengipfel. Gemeinsam diskutierten die TeilnehmerInnen über Alternativen für eine solidarische, friedliche und ökologische Welt. Der direkte Vergleich mit den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 liegt nahe. Wie wichtig ist die G7 noch für die Bewegung? Auf welche Themen konzentriert sich die Auseinandersetzung dieses Mal? Und welche Rolle spielt Globalisierungskritik eigentlich noch in unserem politischen Alltag?


Im Jahr 2007 als der letzte G8-Gipfel unter deutscher Präsidentschaft (damals noch mit Russland) in Heiligendamm stattfand, pilgerten zehntausende DemonstrantInnen nach Mecklenburg-Vorpommern, um ihrem Unmut gegen die G8 Ausdruck zu verleihen. Bei der G8-Demonstration dabei zu sein war für viele eine ebenso große Selbstverständlichkeit, wie zum Castor ins Wendland zu fahren. Kritikpunkt Nummer eins im Jahr 2007: Wie können sich diese acht Personen herausnehmen, Weltpolitik Jahr für Jahr unter sich ausmachen zu wollen? Zentrales Thema Nummer zwei: Die fortschreitende, alles verschlingende Globalisierung.

Die entwicklungspolitische Organisation INKOTA beispielsweise schrieb damals: "Die Politik der G8 steht für eine neoliberale Globalisierung auf Kosten von Umwelt und Entwicklung zum Nachteil der Mehrheit der Menschen in Nord und Süd. Aber es geht auch anders. Wir sind überzeugt, dass eine gerechte Globalisierung möglich ist." [1] Die Grüne Jugend kritisierte die G8 als undemokratisches, nicht legitimiertes, ausschließendes und intransparentes Gremium und erklärte: "Gegen diesen Auswuchs der Globalisierung werden wir Widerstand leisten!" [2] Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein sprach von "Globalisierung als Fluchtursache". [3] Die Bundesregierung wiederum zeigte sich bürgerInnennah. Man verstehe, dass die fortschreitende Globalisierung bei vielen Menschen auch Ängste wecke: "Wir wollen der Globalisierung ein menschliches Gesicht geben." [4]


2015 - Haben die G7 an Einfluss verloren?

Wieder ist Deutschland Gastgeberland der G7. Und wieder mobilisiert ein breites Bündnis aus zivilgesellschaftlichen Organisationen gegen die G7. Ein Alternativgipfel findet statt, zwei Demos bringen die Menschen auf die Straße (München) und an den Ort des Geschehens (Garmisch-Partenkirchen). Und dennoch, dieses Mal ist es irgendwie anders. Im Kern sind die Forderungen im Jahr 2015 ähnlich, trotzdem ist die Bewegung im Vorfeld deutlich schwerer für den G7-Gipfel zu interessieren. Zwar kamen 1.000 Menschen zum Gegengipfel und 40.000 gingen in München auf die Straße, eine große Mobilisierung mit Konzerten, riesigen Demo-Camps sowie Gipfel-Blockaden wie 2007 fiel aber deutlich geringer aus. Haben wir also gewonnen? Sind die G7 so unwichtig geworden, dass sich eine umfassende Mobilisierung gegen sie nicht mehr lohnt? Oder haben wir verloren, weil wir uns so sehr an die Globalisierung gewöhnt haben, dass wir sie nicht mehr infrage stellen und deswegen auch nicht mehr gegen sie protestieren?

Einerseits hat sich die Rolle der G7 natürlich verändert. Weltpolitische Entscheidungen werden längst nicht mehr bei Kamingesprächen im Verborgenen gefällt und auch die Gipfelentscheidungen bleiben oft oberflächlich und unkonkret. Die neoliberale Politik- und Wirtschaftsordnung ist längst kein Alleinstellungsmerkmal der G7 mehr, sondern mittlerweile so gut wie weltweit etabliert. Und ob Staaten dort noch immer die Oberhand haben, ist längst nicht mehr sicher. Jean Ziegler, ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, nannte die G7-Staatschefs abwechselnd "Ausführungsgehilfen", "Befehlsempfänger" oder "Handlanger" und zeigte damit deutlich, welche Rolle er ihnen in der globalen Machtstruktur zuordnet. "Wenn jemand glaubt, dass in Elmau souveräne, unabhängige Staatschefs zusammenkommen, dann irrt er sich. Die Macht sitzt in Konzernetagen", so Ziegler mit klaren Worten. "Nach Weltbankberichten haben letztes Jahr die fünf größten transkontinentalen Konzerne aller Sektoren zusammengenommen über 52,8 % des Weltbruttosozialproduktes kontrolliert."


G7 - Wohlstandsschaffung für sieben

Andererseits: Mit der Macht der Konzerne schwindet nicht automatisch die Rolle der G7. Nehmen wir den Agrarsektor. Hier konnten die G7 ihre Exporte in Entwicklungs- und Schwellenländer seit 2001 um 126% auf nunmehr 119 Milliarden Euro steigern. Agrarkonzerne aus den G7-Ländern haben im Bereich Saatgut und Pestizide eine annähernde Monopolstellung erlangt. [5] Oder das Beispiel Klima. Oxfam warnt davor, dass ohne Kehrtwende allein die Emissionen aus Kohlekraftwerken der G7-Staaten am Ende des Jahrhunderts für Klimaschäden und Anpassungskosten in Höhe von 450 Milliarden US-Dollar pro Jahr verantwortlich sein werden. [6]

Auf den Punkt gebracht: Das Wirtschafts- und Politiksystem, welches die G7 in die Welt hineintragen, schadet der Mehrheit der Menschen und der Ganzheit des Planeten. Jayati Ghosh, Ökonomie-Professorin aus Indien und Exekutivsekretärin der International Development Associates fasste die Lage der Welt mit eindringlichen Worten zusammen: Ungleichheiten seien auf ein extremes Level angestiegen, Tendenz weiter steigend. Aus den Finanzkrisen der letzten Jahre hätten die Staatschefs nichts gelernt, der Finanzsektor sei im Gegenteil so stark wie nie. Dabei habe sich gezeigt, dass der uneingeschränkte Kapitalismus das Versprechen einer nachhaltigen Entwicklung nicht erfüllen könne. Im Gegenteil, die Idee unseres derzeitigen Kapitalismusmodells läge nun einmal im Verständnis, dass alle im Wettbewerb zueinander stünden, es sei somit gar nicht auf Zusammenarbeit ausgelegt. Schon jetzt erlebten wir auch bei uns und weltweit ein "massives ökologisches und soziales Dumping", so Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND.

Die Politik der G7 ist in erster Linie für die G7-Regierungen gut. So hatten sich die sieben Staatschefs beim Gipfel 2015 zwar ein ambitioniertes Programm auf die Tagesordnung geschrieben. Es sollte neben der Weltwirtschaft und Außenpolitik unter anderem auch um Standards in Lieferketten, die Stärkung von Frauen sowie Ressourceneffizienz gehen. Diese Bestrebungen zur Wohlstandsschaffung durch die Regierungschefs der G7 richten sich jedoch lediglich auf die eigenen Länder, das machten alle RednerInnen auf dem G7-Gegengipfel deutlich. Auch die angeblichen Gipfelerfolge tragen im Bestfall nur zur Untermauerung der Rolle der G7-Staaten bei. So beispielsweise auch der Klimaschutz, ein - auch von einigen NGOs - gelobtes Ergebnis des Gipfels. Dabei gehe es, wie Tina Keller von attac erklärte, den G7 gar nicht um konsequenten Klimaschutz oder den Schutz des Regenwaldes, sondern darum, selbst auf die Auswirkungen des Klimawandels vorbereitet zu sein.


Vom Abstrakten ins Konkrete: G7 und TTIP

Und schließlich umfasst die G7-Politik auch ganz konkrete Entscheidungen, die unser aller Leben beeinflussen werden. Insbesondere das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) gilt dabei als dessen Manifestation. Die Wut hierüber durchzog wie ein roter Faden den Gegengipfel und die Demonstration in München. TTIP als Verkörperung einer machtgetriebenen, ungerechten und zerstörerischen Politik gegen Bürgerinnen und Bürger. Christoph Bautz, Geschäftsführer vom Campact, dazu auf der G7-Demo: "Mit dem G7-Gipfel will Frau Merkel ihr Lieblingsprojekt wieder fit machen: TTIP, das Handelsabkommen mit den USA. Ihr ambitionierter Plan: Bis Ende des Jahres will sie TTIP in den Grundzügen fertig verhandelt sehen - und entscheidende Fortschritte auf dem G7-Gipfel erzielen. Liebe Frau Merkel, da hilft Ihnen der ganze Gipfel nichts, mit TTIP und CETA kommen Sie nicht durch!" Tobender Beifall unter den gut 40.000 TeilnehmerInnen der Demo.


G7 - Was macht die Bewegung?

Dass sich die Kritik an den G7 im Jahr 2015 nicht mehr am Stichwort Globalisierungskritik aufhängt, hat sicherlich viele Gründe. Einer davon ist vielleicht, dass der Einfluss dieser sieben Staaten auf die Welt nicht mehr so deutlich propagiert wird. Problematisch ist er aber noch immer. Möglicherweise hat aber die Kritik an einer Politik der G7 durch die Ablehnung von Freihandelsabkommen wie TTIP, CETA (EU-Kanada) und TPP (USA und eine Reihe von Pazifikstaaten, unter anderem Japan) an Konkretisierung gewonnen. G7-Kritik, das ist mittlerweile mehr als die Ablehnung einer Hintertürenpolitik oder der Dominanz des Westens. Es ist die Forderung nach demokratischen Regierungen. Die Forderung nach Gerechtigkeit und Solidarität mit allen Menschen. Die Forderung nach einer gleichberechtigten Beteiligung von Frauen. Die Forderung nach Lebensqualität und der Bewahrung natürlicher Ressourcen. Die Forderung nach Mitbestimmung. Die Ablehnung uneingeschränkter Konzernmacht. Der Widerstand gegen die G7 mag somit vielleicht nicht mehr so viele Menschen mobilisieren. Der Widerstand gegen die Politik, für die sie stehen, aber allemal. Wir sehen uns im Oktober zur TTIP-Demo in Berlin! [7]


Die Autorin ist Referentin für die Post-2015-Agenda beim Forum Umwelt und Entwicklung und Redakteurin des Rundbriefs.


Endnoten

[1] http://www.inkota.de/g8/.

[2] http://gj-rlp.de/rocking-g8-denheiligendamm-brechen/.

[3] http://www.frsh.de/fileadmin/schlepper/schl_40-41/s40-41_9.pdf.

[4] http://www.g-8.de/Content/DE/Artikel/2007/05/2007-05-24-merkelregierungserklaerung-g8-heiligendamm.html.

[5] Siehe hierzu auch Konzernmacht grenzenlos: Die G7 und die weltweite Ernährung,
http://www.forumue.de/konzernmacht-grenzenlos-die-g7-unddie-weltweite-ernaehrung/.

[6] http://www.oxfam.de/presse/150606-oxfam-g7-muessen-kohleausstiegvorantreiben.

[7] http://ttip-demo.de/home.

*

Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2015, S. 23-24
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
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Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. August 2015

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