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BERICHT/900: Eine Welt ohne Atomwaffen (IPPNWforum)


IPPNWforum | 115 | 09
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Eine Welt ohne Atomwaffen
Wachsender Konsens, aber noch kein Zeitplan

Von Xanthe Hall


Die IPPNW-Kampagne ICAN wird im April gerade mal zwei Jahre alt, aber ihre Erfolgschancen sind seit dem Start gewaltig gestiegen. Nicht nur, dass sich viele Menschen Abrüstungsschritte durch den neuen US-Präsidenten Barack Obama erhoffen. Auch haben die sogenannten "vier apokalyptischen Reiter", Kissinger, Nunn, Schultz und Perry mit ihren Meinungsartikeln 2007 und 2008 die Idee von einer atomwaffenfreien Welt überraschend salonfähig gemacht (wir berichteten im Forum 110). Seitdem gibt es viele neue Initiativen, die sich für eine atomwaffenfreie Welt einsetzen - und zwar auf höchster Ebene. Eine neue politische Mode oder eine tatsächliche politische Wende? Das Jahr 2009 wird uns zeigen, ob dies alles nur leere Versprechungen sind.


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Im ersten Wall St. Journal-Artikel Anfang 2007 riefen die vier US-Staatsmänner dazu auf, die Vision von Reagan und Gorbatschow von einer Welt ohne Atomwaffen wieder aufleben zu lassen. Über diese Vision und ihre spannende Geschichte können sich Interessierte beim US-nationalen Sicherheitsarchiv (http://www.gwu.edu/~nsarchiv/index.html) sowie in Bernard Lowns neuem Buch "Prescription for Survival" informieren. Hier erfahren wir, dass wir die große Chance zu einer richtigen Wende in der Atomwaffenpolitik knapp verfehlt haben. Die verabschiedete Zerstörung der Mittelstreckenraketen, die wir erlebt haben, war im Vergleich dazu nur ein kleiner Erfolg.

Der zweite Artikel der US-Staatsmänner vom Januar 2008 zeigte, wie breit die Unterstützung für ihre Idee bereits gediehen war. Wenig später veranstaltete die norwegische Regierung zusammen mit dem Hoover Institut und der NGO Nuclear Threat Initiative eine große Konferenz zum Thema "Die Vision, eine atomwaffenfreie Welt zu erreichen" (Achieving the Vision of a Nuclear Weapon-Free World). Großbritannien schloss sich mit seiner neuen Initiative an, in der Experten aus allen Atomwaffenstaaten die Möglichkeiten diskutieren, eine atomwaffenfreie Welt zu erreichen. Diese Ankündigung konnte jedoch den Schmerz über die Entscheidung, das Trident-Atomwaffensystem zu erneuern, nur wenig lindern. Auch war noch keine Rede von einem konkreten Zeitplan.

Am 30. Juni 2008 veröffentlichten die vier britischen Staatsmänner Douglas Hurd, Malcolm Rifkind, David Owen und George Robertson in "The Times" den Aufruf "Fangt an, Euch Sorgen zu machen und lernt, die Bombe hinter Euch zu lassen". Der Tenor ihres Artikels lautete: "Es wird nicht einfach sein, aber eine Welt ohne Atomwaffen ist möglich". Wie die vier Amerikaner begründeten die britischen Staatsmänner ihre Sorge mit der Verbreitung von Extremismus, geopolitischen Spannungen und Terrorismus. Ihr Fazit lautete, dass man die Atomwaffen abschaffen sollte, bevor sie in die falschen Hände geraten.

In seiner Berliner Rede vom 24. Juli 2008 bekannte sich Barack Obama deutlich zu einer Welt ohne Atomwaffen, allerdings ohne konkrete Maßnahmen zu nennen. Dennoch, in einem Interview mit der Arms Control Association (Forum 114) präzisierte er seine Vorstellung, welche praktischen Schritte folgen sollten. Allerdings wurde sein Versprechen, keine neuen Atomwaffen bauen zu wollen, gleich nach der Wahl mit der Entscheidung, Robert Gates zum neuen Verteidigungsminister zu machen, wieder in Frage gestellt. Gates spricht sich schon länger für das neue Reliable Replacement Warhead Programm aus, das die Entwicklung von neuen Atomwaffen im Tausch gegen weitere Reduzierungen des Arsenals beinhaltet. Das Programm wurde vom US-Kongress vorläufig gestoppt. Zunächst soll eine Strategieüberprüfung erfolgen. In den USA befürchtet man, dass das RRW-Programm im Gegenzug für die Ratifizierung des Atomteststoppvertrags wieder aufgenommen werden könnte.

Am Tag der Obama-Rede in Berlin erschien in der italienischen Zeitung Il Corriere della Sera ein Meinungsartikel von fünf italienischen Persönlichkeiten: Massimo D'Alema, ehemaliger Premierminister und Außenminister, Gianfranco Fini, Präsident des italienischen Parlaments und ehemaliger Außenminister, Giorgio La Malfa, ehemaliger Minister für europäische Angelegenheiten, Arturo Parisi, ehemaliger Verteidigungsminister und Francesco Calogero, Physiker und ehemaliger Generalsekretär von Pugwash. Der Artikel attestierte eine "breite Unterstützung" in Italien für den "wachsenden Konsens" für eine Welt ohne Atomwaffen.

Am 30. Oktober 2008 brachte der UN-Generalsekretär bei einer Veranstaltung des East-West Institutes in der UN in New York überraschenderweise seine Unterstützung für eine Atomwaffenkonvention zum Ausdruck. Er rief die Atomwaffenstaaten auf, Verhandlungen über Abrüstung aufzunehmen. Er sagte: "Sie könnten dieses Ziel verfolgen, indem ein Abkommen getroffen wird, das verschiedene, sich gegenseitig fördernde Instrumente enthält. Oder sie könnten die Aushandlung einer Nuklearwaffenkonvention in Erwägung ziehen, die durch ein strenges Verifizierungssystem gekennzeichnet ist, so wie bereits seit langem von den Vereinten Nationen vorgeschlagen. Der Aufforderung Costa Ricas und Malaysias entsprechend, habe ich den Entwurf einer solchen Konvention, der einen guten Ausgangspunkt bietet, an alle VN-Mitglieder weitergeleitet." Inzwischen haben viele prominente Persönlichkeiten öffentlich erklärt, dass eine Atomwaffenkonvention zu begrüßen sei, wie z.B. Hans Blix oder Gareth Evans. Auf der Homepage der internationalen ICAN-Kampagne (www.icanw.org) kann man sich diese prominenten Aussagen anhören.

Dann erschien in der November/Dezember-Ausgabe von Foreign Affairs ein Artikel mit dem Titel "The Logic of Zero" von Ivo Daalder und Jan Lodal. Der Artikel läutete eine Wende in der US-Atomwaffenpolitik ein, weil die beiden Autoren als wichtige Berater der Obama-Administration gelten. Im Artikel steht: "Eine solche Vision [von einer Welt ohne Atomwaffen] zu haben, ist von vitaler Wichtigkeit, aber nicht ausreichend. Was wir brauchen, ist eine strategische Logik, die klärt, wie die Welt von hier nach dort kommt". Dies bedeutet vier Schritte, so die Autoren. 1.): Atomwaffen sollen nur zur Abschreckung vor einem atomaren Einsatz dienen 2.): das atomare Arsenal soll auf nicht mehr als 1000 Waffen reduziert werden. 3.): Ein umfassendes, internationales Kontrollregime zur Sicherung nuklearen Materials sei notwendig. Dieses müsse besser funktionieren als das unter dem Atomwaffensperrvertrag. Und schließlich 4.): eine diplomatische Initiative, um die Welt von der Logik von "Zero" (Null Atomwaffen) und die Vorteile davon zu überzeugen. Hier sollten die USA führend sein. Sie müssten auch bereit sein, ihr eigenes Arsenal drastisch zu reduzieren, um glaubwürdig zu sein und andere Atomwaffenstaaten für diese Vision zu gewinnen.

Als nächstes startete am 8. Dezember 2008 die Kampagne "Global Zero", die ebenfalls die Breite der Unterstützung für die Vision zeigt, dieses Mal in Form eines Zusammentreffens von "Global Leaders" in Paris. Mehr als 100 führende Persönlichkeiten unterstützen das Ziel von "Global Zero". Sie sagen von sich selbst: "Unser internationales Team von Strategieexperten hat sich mit der Ausarbeitung eines Schritt-für-Schritt-Plans befasst, der alle Maßnahmen berücksichtigt, die zum Erreichen des Ziels Zero nötig sind. Global Zero hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine breite gesellschaftliche Unterstützung für das Anliegen zu mobilisieren, das Ziel einer atomwaffenfreien Welt zu erreichen - durch weltweite Berichterstattung auch in Online-Medien und den Aufbau von Graswurzelinitiativen." Es gibt jedoch wenig Transparenz über den "Plan", auf Null zu kommen. Die IPPNW versucht, sich über die amerikanische Schwestersektion PSR in den USA mit der Gruppe zu vernetzen. Bisher mit wenig Erfolg. Global Zero will demnächst angeblich einen Film mit dem Filmemacher von "Eine unbequeme Wahrheit" zum Thema "Abschaffung von Atomwaffen" machen. Geld scheinen sie ja genug zu haben.

Für uns ging es nahtlos weiter in Sachen Abrüstung: Regina Hagen vom Wissenschaftlernetzwerk INESAP und ich wurden eingeladen, bei einer Anhörung des Unterausschusses für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung zur Atomwaffenkonvention am 17. Dezember 2008 zu sprechen. Regina Hagen erläuterte den Inhalt der Atomwaffenkonvention und ich gab eine kurze politische Analyse dazu ab. Beinah alle Mitglieder des Ausschusses waren anwesend. Es folgte eine rege Diskussion u.a. mit dem Botschafter Gottwald vom Auswärtigen Amt, der sich sehr vorsichtig äußerte. Er sagte, dass die Zeit für eine Konvention nicht reif sei, dennoch würde Deutschland sie unterstützen, wenn es so weit wäre.

Die Krönung der Aufrufe für eine atomwaffenfreie Welt kam für uns in Deutschland am 9. Januar 2009, als die vier deutschen Staatsmänner Egon Bahr, Hans-Dietrich Genscher, Helmut Schmidt und Richard von Weizsäcker als Antwort auf die US-Staatsmänner in der FAZ und in englischer Sprache in der International Herald Tribune einen Artikel veröffentlichten. Darin unterstützen sie die Forderungen der US-Staatsmänner und fügten ihre eigenen hinzu: u.a. die Raketenabwehr in Europa überdenken und die Atomwaffen aus Deutschland abziehen.

Für mich persönlich war die Freude groß, als ich gelesen habe, dass britische Generäle die Verschrottung des Atomwaffenarsenals fordern. "Atomwaffen sind irrelevant" und "vollkommen unbrauchbar" hieß es in dem Brief, den der ehemalige Generalstabschef Lord Bramhall, General Lord Ramsbotham und General Sir Hugh Beach in der Times veröffentlichten. Nur ihre Argumentation, dass sie die 20 Milliarden Pfund für Trident besser für die Modernisierung der Streitkräfte nützen können, hat mich weniger gefreut.

Unsere Arbeit besteht jetzt darin, den wachsenden Konsens über die Vision von einer atomwaffenfreien Welt in einen konkreten Zeitplan zu gießen. Als Instrument bleibt die von der IPPNW propagierte Modellkonvention, die zeigt, wie eine Abschaffung der Atomwaffen realistisch verlaufen kann. Dann bleiben wir nicht nur bei schönen Worten, sondern bei echten Taten. Dazu sind die Staatsparteien schließlich verpflichtet.


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Quelle:
IPPNWforum | 115 | 09, S. 8-9
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
Anschrift der Redaktion:
IPPNWforum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. März 2009