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INTERNATIONAL/051: Ruanda - Völkermordopfer helfen Völkermordopfern, Wunden noch lange nicht geheilt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. September 2011

Ruanda: Völkermordopfer helfen Völkermordopfern - Wunden noch lange nicht geheilt

Von José Domingo Guariglia


New York, 16. September - Für Ruanda war 1994 ein blutiges Jahr. In nur 100 Tagen, nach der Ermordung von Präsident Juvenal Habyarimana und dem Ausbruch von Spannungen zwischen den beiden größten Ethnien des ostafrikanischen Landes wurden mehr als 800.000 ethnische Tutsi und moderate Hutu niedergemetzelt. "Doch noch immer laufen viele Täter frei herum", kritisiert Odette Kayirere von der 'Vereinigung der Witwen des Völkermords' (AVEGA Agahozo).

Kayirere war eine von tausenden Frauen, die während der Massaker im Frühjahr 1994 ihre Männer verloren. 1995 gründete sie zusammen mit 50 anderen Leidensgenossinnen 'AVEGA Agahozo', um den Überlebenden des Blutbads zu helfen, ihr Leben in den Griff zu kriegen. 'Agahozo' bedeutet Trost.

Seither hat AVEGA landesweit fünf Zentren aufgebaut und mehr als 20.000 Erwachsene, 71.000 Kinder und Waisen betreut. Obwohl die Organisation viel erreicht hat, indem sie den Menschen zu Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsleistungen verholfen hat, ist der Heilungsprozess noch lange nicht abgeschlossen. Es hapert vor allem an Gerechtigkeit und Entschädigungen, wie Kayirere betont.


Renommierter Preis für bemerkenswerte Organisation

In Juni, 16 Jahre nach ihrer Gründung, wurde AVEGA als diesjähriger Träger des renommierten Gruber-Preises für Frauenrechte ausgewählt. "weil die Organisation auf vorbildliche Weise das Leben so vieler Ruander verbessert hat", wie die Generalsekretärin der Stiftung, Patricia Gruber, begründet. Verliehen wird die mit 500.000 US-Dollar dotierte Auszeichnung am 26. September in New York.

"Wir sind sehr stolz auf diese unerwartete Geste und die Anerkennung von Außenstehenden, die unsere Arbeit offenbar für wirksam und konstruktiv halten", sagt Kayirere. "Auch freuen wir uns, dass wir Menschen für uns einnehmen konnten. Wir werden keinen Zweifel aufkommen lassen: Unsere Arbeit für die Witwen und ihre Kinder ist nicht umsonst. Das Preisgeld werden wir für Einkommen schaffende Maßnahmen verwenden."

AVEGA ist in unterschiedlichen Bereichen aktiv. Es gibt Abteilungen, die die Überlebenden des Völkermords über ihre Möglichkeiten und Rechte informieren und rechtlich beraten. Auch erhalten die Opfer psychologische Unterstützung, um die erlittenen Traumata zu bewältigen. Die Organisation betreibt drei Gesundheitszentren und versucht zudem, den Betroffenen auch finanziell und wirtschaftlich auf die Beine zu bringen.

Die vielen Witwen und Waisen, die meist Zeugen der grauenhaften Massaker waren, mussten selbst unvorstellbare Formen der Gewalt erfahren. Kayirere schätzt, dass bis zu 500.000 Frauen im Verlauf des Völkermords von April bis Juni 1994 vergewaltigt wurden. "Für diese Frauen ist AVEGA ein Refugium, wo sie medizinische und psychologische Hilfe vorfinden, beraten und ausgebildet werden und Unterkunft und Rechtsberatung erhalten", so die Leiterin der Organisation.


Afrikanische Staaten in der Pflicht

Angesichts des ganzen Ausmaßes des Grauens und der Tatsache, dass Völkermord ein international anerkanntes Verbrechen ist, sollten die afrikanischen Staaten dafür sorgen, dass die flüchtigen Täter festgenommen und vor Gericht gestellt werden, fordert Kayirere. Immerhin unternehme der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda inzwischen größere Anstrengungen, um die Verbrechen zu ahnden. Auch unterstütze er die Fahndung nach den Tätern.

Das vom UN-Sicherheitsrat eingesetzte Sonderorgan, das seine Arbeit am 1. Juli 2012 aufnehmen wird, würdigte Kayirere als Fortschritt. "Wir wünschen uns, dass diejenigen, die am Völkermord beteiligt waren, in Ruanda und nicht im Ausland zur Rechenschaft gezogen werden." (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.avega.org.rw/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=104959

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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. September 2011