Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FAKTEN

INTERNATIONAL/116: Kanada - Erdölprojekte, Arbeitslosigkeit und Selbstmorde gefährden indigene Völker (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. Juni 2012

Kanada: Erdölprojekte, Arbeitslosigkeit und Selbstmorde gefährden indigene Völker

von Fawzia Sheikh



Toronto, 25. Juni (IPS) - Die First Nations an Kanadas Westküste stecken in zahlreichen Existenzkrisen. Neben einer drohenden Zunahme von Entwicklungsprojekten auf ihren Territorien sehen sie sich mit einer hohen Arbeitslosigkeit konfrontiert. In Duncan in British Columbia haben indigene Gemeinschaften angesichts einer dramatischen Zunahme von Selbstmorden und Suizidversuchen den Notstand ausgerufen.

Anlass zur Sorge gibt unter anderem ein Pipeline-Projekt ('Northern Gateway Pipelines'), das der Konzern 'Enbridge' durch ihr Land verlegen will. Die Pipelines sollen über eine Gesamtstrecke von 1.100 Kilometern Öl aus Edmonton in der kanadischen Provinz Alberta nach Kitimat in British Columbia an der Pazifikküste transportieren, von wo aus es verschifft werden soll.

Indigene aus British Columbia haben sich zur 'Yinka Dene'-Allianz zusammengeschlossen und Enbridge verboten, auf ihren Territorien zu operieren. Dazu gehören die Nadleh Whut'en, die Nak'azdli, die Takla Lake, die Saik'uz und die Wet'suwet'en. "Wir werden gerichtlich gegen das Projekt vorgehen, noch bevor die Bauarbeiten beginnen", kündigte Jackie Thomas an, Chief der Saik'uz. "Sobald sie auf unserem Land auftauchen, werde ich mich persönlich den Bulldozern entgegen stellen."


Bedrohung für Gesundheit und Umwelt

Thomas lehnt die Pipeline-Pläne ab, weil sie fürchtet, dass der mögliche Austritt von Öl die Flüsse und Böden verschmutzt und damit sowohl die Nahrungsmittelquellen ihres Volkes als auch die Umwelt bedroht. Im letzten Monat hatte sich ein indigener 'Freiheitszug' in Richtung Toronto aufgemacht, wo Enbridge seine Jahrestagung abhielt.

Die Hälfte der rund 48 indigenen Völker, die im Umfeld der geplanten Pipeline-Strecke leben, haben nach Angaben von Enbridge-Sprecher Todd Nogier bereits Abkommen mit dem Öl- und Gaskonzern unterzeichnet. Demnach erhalten die indigenen Völker einen Anteil von zehn Prozent an dem Projekt, und im Gegenzug darf das Unternehmen auf ihrem Territorium Öl fördern. In einem Zeitraum von 30 Jahren sollen damit 280 Millionen US-Dollar zusammenkommen.

Enbridge hat den Indigenen außerdem weitere Vergünstigungen versprochen: Dazu gehört ein 100 Millionen Dollar schwerer Investmentfonds für Menschen, die in unmittelbarer Nähe der geplanten Pipeline leben. Darüber hinaus sollen mindestens 15 Prozent der Jobs, die durch die Ölförderung entstehen, Indigenen vorbehalten sein. Schließlich hat das Unternehmen Maßnahmen zur ökologischen Unternehmensverantwortung versprochen.

Untersuchungsergebnisse, inwiefern das Projekt tatsächlich der Gemeinschaft nutzt und wie stark die Umwelt in Mitleidenschaft gezogen wird, stehen noch aus. Sie sollen im kommenden Jahr vorliegen. 2017 soll die Pipeline dann in Betrieb gehen.

"Fast das gesamte Land in British Columbia gehört traditionell den First Nations", sagt William Lindsay, Direktor des Büros für indigene Völker der Simon-Fraser-Universität in Burnaby, British Columbia. Frühere Pipeline-Projekte durch Ureinwohner-Gebiete seien fast nie in Abstimmung mit den Indigenen beschlossen worden. "Indigene Ansprüche auf das Land sind bisher nicht verhandelt worden."


Protestwelle befürchtet

Die Proteste gegen die Pipeline-Pläne könnten zu einer ähnlich großen Protestwelle wie vor 22 Jahren in Quebec ausarten, warnt Lindsay. Damals sollte auf heiligem indigenem Gebiet ein Golf-Resort entstehen. Während einer 78 Tage andauernden gewaltsamen Auseinandersetzung wurde ein Polizist getötet. Schließlich griff die Armee in den Konflikt ein.

Ganz andere Probleme haben Indigene auf Vancouver Island. Bereits Mitte Mai riefen die Cowichan in der Stadt Duncan den Ausnahmezustand aus. Grund waren vier Selbstmorde und 40 weitere Selbstmordversuche zwischen Januar und April dieses Jahres. Bis Ende Mai waren die Selbstmordversuche bereits auf 52 angestiegen. Die meisten wurden von Jugendlichen begangen, sagt Jennifer Jones von der örtlichen Gesundheitsbehörde.

Indigenen-Führer machen die hohe Arbeitslosenquote dafür verantwortlich: 85 Prozent der Ureinwohner in Duncan haben keinen Job. Hinzu kommt, dass die Menschen häufig auf engstem Raum zusammen wohnen, und sie nach und nach ihrer Kultur beraubt werden. Unter anderem werden ihre traditionellen Rechte immer weiter beschnitten, sodass sie kaum noch fischen und jagen können.

Mit der Ausrufung des Ausnahmezustandes haben die Cowichan immerhin etwas Positives erreicht: Sie können aller Wahrscheinlichkeit nach mit staatlicher Förderung rechnen, um eine Kampagne gegen die vielen Selbstmordversuche zu finanzieren. (Ende/IPS/jt/2012)


Link:

http://www.ipsnews.net/2012/05/native-canadians-see-way-of-life-under-assault/

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 26. Juni 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2012