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INTERNATIONAL/143: Bolivien - 38 Familien halten Erbe der Tapiete-Indigenen hoch (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. Dezember 2012

Bolivien: 38 Familien halten Erbe der Tapiete-Indigenen hoch

von Natalia Seas Yelma


Der Grundschullehrer Reynaldo Balderas in Samuguate - Bild: © Natalia Seas Yelma/IPS

Der Grundschullehrer Reynaldo Balderas in Samuguate
Bild: © Natalia Seas Yelma/IPS

Samuguate, Bolivien, 17. Dezember (IPS) - Dreieinhalb Stunden von der nächsten Stadt entfernt leben 38 Familien auf einer Lichtung im Wald im bolivianischen Chaco-Gebiet nahe der Grenze zu Paraguay und Argentinien. Samuguate gilt als die Geburtsstätte der Tapiete-Indigenen, die hier versuchen, die Sprache und Kultur ihrer Vorfahren zu erhalten.

Die Indigenen haben auf der Lichtung einfache Hütten zusammengezimmert. Insgesamt leben 190 Menschen auf 24.000 Hektar, für die sie im Jahr 2001 offiziell einen Landtitel erhalten haben. Auch in den Nachbarländern leben Tapiete-Indigene: 2.000 in Paraguay und 480 im Norden Argentiniens.

"Während des Chaco-Krieges sind viele Menschen geflohen. Nach dem Krieg sind einige zurückgekehrt, doch andere sind in Paraguay und Argentinien geblieben", erzählt Reynaldo Balderas, ein Lehrer an der örtlichen Grundschule.

Der Chaco-Krieg dauerte von 1932 bis 1935 an und gilt als der längste und blutigste Krieg des 20. Jahrhunderts in der Geschichte Südamerikas. Bolivien und Paraguay kämpften um die Hoheitsrechte der Chaco-Region, die sich über den Süden der beiden Länder sowie über den Norden Argentiniens erstreckt und heute eine besonders arme Gegend ist - jedoch reich an Flora und Fauna. Rund 60.000 Bolivianer und 30.000 Paraguayer kamen in dem Konflikt ums Leben.


Wirtschaftslage zwingt zu Migration

Jetzt sind die bolivianischen Tapiete wieder gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Dieses Mal stehen wirtschaftliche Gründe im Vordergrund: Es gibt kaum Arbeit, aber auch immer weniger Nahrungsmittelquellen. Traditionell haben die Indigenen beispielsweise den Alosa gefischt und gegessen, der zu den Heringsarten gezählt wird. Doch mittlerweile ist er aus dem Fluss Pilcomayo, der durch den Chaco fließt, verschwunden. Schuld ist der Eingriff der Menschen in den Flusslauf: Für Bewässerungssysteme wurden immer mehr Kanäle von Pilcomayo abgezweigt.

Durch Bodenerosion haben sich im Verlauf der Jahre Sedimente im Fluss abgesetzt. Dadurch sind immer mehr Fischarten verschwunden. Mittlerweile haben sich die Indigenen daher weitgehend vom Fischfang zurückgezogen und produzieren nun Honig, halten Tiere und ernähren sich durch kleinbäuerliche Landwirtschaft.

Noch ist die Chaco-Region reich an Flora und Fauna. Hier leben Spießhirsche, Gürteltiere, Wildschweine, Nandusse (Laufvögel ähnlich dem Strauß), Leguane und Papageien. Damit dies so bleibt, fordern die Tapiete-Indigenen eine Verdoppelung ihres Territoriums auf 59.000 Hektar - der Größe ihres Territoriums vor dem Chaco-Krieg - und die Anerkennung des Gebiets als Naturpark. Auf diese Weise könnten sie weiterhin in der Region leben, ihren Aktivitäten nachgehen und dabei nachhaltige Entwicklung wie den Ökotourismus betreiben.

Die Indigenen haben noch mehr Pläne: Sie wollen ein Institut eröffnen, das der Erhaltung und Verbreitung ihrer Sprache und Kultur dient und vor allem die junge Generation mit den Bräuchen ihrer Vorfahren vertraut macht. Immerhin bietet die lokale Schule Unterricht sowohl auf Spanisch als auch auf Tapiete an.

Tapiete ist dem Guaraní sehr ähnlich, der in Bolivien dritthäufigsten gesprochenen Sprache nach Quechua und Aymara. Rund 60 Prozent der Wörter und Struktur unterscheiden das Tapiete jedoch vom Guaraní. "Einige Wörter werden in beiden Sprachen gleich ausgesprochen, deshalb können sich die Menschen beider Völker gut verstehen. Aber es gibt auch Unterschiede", sagt Balderas.


Losgesagt von Lehnsherren

Bis 1990 arbeiteten die Tapiete als Arbeitskräfte in großen landwirtschaftlichen Betrieben in der Region. Doch dann sagten sie sich von den Großgrundbesitzern los und begannen mit ihrer eigenen kleinbäuerlichen Landwirtschaft, dem Halten von Bienen und dem Fischen.

Mittlerweile haben sie die Organisation der Anführer der Weenhayek und der Tapiete gegründet, um ihre Interessen besser vertreten zu können. Die Weenhayek sind nach den Guaraní die zweitgrößte Indigenengruppe im bolivianischen Chaco. Ihr gehören etwa 15.000 Menschen an. Sowohl die Weenhayek als auch die Tapiete fühlen sich als Opfer der Degradation des Pilcomayo. Die Mitglieder beider Volksgruppen gehören zum Großteil einer schwedisch-evangelischen Kirche an. (Ende/IPS/jt/2012)


Links:

http://www.ipsnews.net/2012/12/bolivias-tapiete-people-a-culture-in-the-hands-of-38-families/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=102059

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IPS-Tagesdienst vom 17. Dezember 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Dezember 2012