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STANDPUNKT/113: Die Schuld der Mandats- und Funktionsträger durch ihr Schweigen (Evelyn Hecht-Galinski)


Die Schuld der Mandats- und Funktionsträger durch ihr Schweigen

Von Evelyn Hecht-Galinski, 29. März 2009


Allmählich sieht man auch in deutschen Medien positive Veränderungen im Sinne von Information und objektiver Berichterstattung. Gerade die Süddeutsche Zeitung ist in dieser Art im Augenblick besonders hervorzuheben durch ihre aufklärenden Korrespondentenberichte. Zumal gerade die SZ in ihrer Rubrik Außenansichten genau das gegenteilige Bild zeigt, z.B. Februar 2007 von Einat Wilf, einer ehemaligen Beraterin von Shimon Peres und Mitglied der Arbeitspartei "Die Palästinenser sind selbst schuld an ihrem Elend" oder am 15. Mai 2008 von Ilan Mor, dem Gesandten und stellvertretenden Botschafter Israels "Eine selbstverschuldete Tragödie" oder die neueste Steigerung vom 14. März 2009 von Ronald Lauder, dem Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses "Schaulaufen der Heuchler und Antisemiten".

Das ist also die wissenschaftlich begleitete Propaganda der israelischen Politik, die dann auch noch in Sätzen gipfelt wie von Shimon Peres, dem Vater der Atombombe und des Siedlungsbaus "Israel schöpft aus jeder Wunde Kraft", oder die unwahren Behauptungen von Ilan Mor und anderen: "Israel baut keine neuen Siedlungen sondern muss sich nur dem bestehenden natürlichen Wachstum anpassen". Diese Beispiele ließen sich seitenweise fortführen.

Erwähnenswert erscheint mir in diesem Zusammenhang allerdings der neueste Newsletter der israelischen Botschaft vom 26. März 2009. Es wird dort von "ethischen Dilemmata" während der Operation "gegossenes Blei" gesprochen. Der Angriffskrieg auf Gaza war und ist ein Kriegsverbrechen, keinesfalls eine von Verantwortung getragene Zwangslage, wie die Übersetzung dieses Begriffes sagt. Israels Regierende sollten sich hüten, das Wort Ethik zu benutzen. Ethik beinhaltet auch eine Verantwortung und Verpflichtung der Einhaltung der Menschenrechte gegenüber Besetzten und Blockierten, also der Palästinenser.

Seit fast 61 Jahren basiert Israels Staatsgründung auf einer ethnischen Säuberung und Missachtung palästinensischer Rechte. Dieser israelische Staatsterror von Beginn an hat wiederum Widerstand hervorgebracht. Dieser Newsletter ist der Gipfel an Unverfrorenheit und unwahren Behauptungen, z.B. der Geist von Zahal, also der IDF: "Dieser Code setzt sich aus den Werten zusammen, die der Gründung des Staates Israel inne wohnten, den Werten der westlichen Demokratie und der Verpflichtung gegenüber dem internationalen Recht." Wie wahr!

Hierzu werden Beispiele aus der Süddeutschen und Haaretz übernommen: "Aussagen von Soldaten der IDF vorigen Monat während einer Versammlung an einer Militärakademie gemacht und (sind) erst jetzt in einem Informationsblatt der Akademie veröffentlicht worden. Sie sind von großem Wert, da wegen Israels Militärzensur bislang keine Berichte über die Einsatzbefehle im Gazastreifen bekannt geworden waren. Und sie sind haarsträubend. Kommandeure sollen gesagt haben: "Schießt und schützt Eure Kameraden und sorgt Euch nicht um Konsequenzen." So viel zu Kollateralschäden minimieren. Es wird beschrieben, wie eine ältere Palästinenserin erschossen wurde. Du siehst eine Person auf der Straße, sie muss keine Waffe mit sich tragen. Du musst sie nicht identifizieren. Du kannst sie einfach erschießen. In diesem Fall war es eine ältere Frau. Kaltblütiger Mord. Ein anderer Soldat berichtet, wie eine Mutter und ihre zwei Kinder getötet wurden, nur weil sie die Anweisung nach links zu gehen, verwechselt hätten und nach rechts gegangen wären. Andere erzählten, wie Soldaten Häuser von Palästinensern, in denen sie tagelang Stellung bezogen, verwüstet und mit Exkrementen verunreinigt hätten.

Außerdem wird berichtet, wie Armeerabbiner die Soldaten mit religiösen Parolen für den Kampf gegen die "radikalislamische Hamas" indoktriniert hätten. Die Rabbiner hätten massenhaft religiöse Texte verteilt, die den Kampf gegen die Hamas in einen Glaubenskrieg uminterpretiert hätten. Immer wieder hat man uns gesagt: "Wir Juden sind durch ein Wunder in dieses Land gekommen. Wir müssen kämpfen und die Nichtjuden aus unserem Land vertreiben." In Israel wird jetzt heftig diskutiert, wie dominant die Religion bei der Kriegsführung im Gazastreifen war. Kritiker werfen dem Chefrabbiner der Armee, Avichai Rontzki, vor, er betreibe eine Missionierung der Soldaten und versuche Israels IDF in eine Glaubenstruppe umzufunktionieren. Rontzki, der in der Vergangenheit behauptet hat, bei humanistischen Werten handle es sich um "rein subjektive Gefühle", hat gemeinsam mit anderen Rabbinern die Truppen im Gazakrieg besucht. Er soll mit den Soldaten zusammen gebetet und Texte an sie verteilt haben. In einem hieß es: "Erbarmen im Kampf zu zeigen, sei furchtbar unmoralisch." So ist das also laut noch- und wiederkommendem Verteidigungsminister (Kriegsminister bis zum bitteren Ende) Ehud Barak: Israels Armee, "eine der moralischsten weltweit." Nach diesem Loblied auf seine Truppe stehen diese Soldatenaussagen gegenüber, die das Bild einer verwerflichen Armee zeigen, einer Armee, für die das Leben von Palästinensern sehr viel weniger wert ist als das eigene.

Eine Untersuchung wegen Kriegsverbrechen, wie sie von UN-Vertretern gefordert wird, kann Barak da nicht brauchen. Zumal er sich als Feigenblatt für die neue Regierung unter Netanjahu prostituiert hat und damit wegen seiner Machtgier "bis zum bitteren Ende" die Arbeitspartei - oder was von ihr übrig geblieben ist - fast gespalten hat. So wird er in einer Regierungskoalition sein mit einem Türsteher, der früher in israelischen Clubs Gäste aussortiert hat, mit Fäusten, nicht mit Fingerspitzengefühl.

Dieser Lieberman will illoyale israelische Araber, die durch einen von ihm gewünschten Loyalitätstest gefallen sind, nach Westjordanland oder in den Gazastreifen verbannen. Er, der künftige Außenminister, hat Ägyptens Staatschef Mubarak kürzlich zum Teufel gewünscht und die Bombardierung des Assuan-Staudamms und der iranischen Atomanlagen gefordert. Zudem möchte Lieberman, der mit seiner Familie in einer jüdischen Siedlung im Westjordanland lebt, den Gazastreifen am liebsten einebnen und einem Fußballfeld gleich glattmachen. Der israelischen Armee rät er, dort vorzugehen, wie die russische Armee in Tschetschenien. Dabei sieht Gaza schon aus wie Grosny nach dem Angriff. Ägypten lehnt inzwischen eine Zusammenarbeit mit dem designierten israelischen Außenminister ab. Hoffentlich bleibt es dabei. Mit dieser Regierung ist die Bildung eines Palästinenserstaates auf ewig in der Versenkung verschwunden.

Obwohl die vorige Regierung unter Olmert für den Friedensprozess auch nichts getan hat, außer den Siedlungsbau voranzutreiben und den Gazakrieg zu führen. Unter Olmert wurden trotz aller Versicherungen die meisten Siedlungsblöcke und die "Judaisierung" Jerusalems gewaltig vorangetrieben. Wer spricht noch über 11.000 palästinensische Häftlinge, wo Olmert sich nur für Gilad Shalit interessierte. Wer spricht noch von den gezielten Morden auch im Ausland, den Drohungen und Angriffen gegen jeden und alles, um Israels Abschreckungskraft zu demonstrieren? Die ganze Welt schaut zu und nimmt es als normal hin, wenn der kleine jüdische Staat, Hightech bewaffnet bis an die Zähne, dank US-amerikanischer und unserer Hilfe sich alles erlauben kann.

Bedauerlicherweise scheint der Druck aus den USA auch nicht groß zu sein - im Gegenteil, der UN-Sonderberichterstatter, Richard Falk, wird nach seinem Klartextbericht über Israels vergangene Kriegsverbrechen nicht nur natürlich von Israel kritisiert. Auch ein Sprecher des US-Außenministeriums erklärte, man habe mehrfach Bedenken über die Ansichten von Richard Falk geäußert. Was ist auch von einer Außenministerin Clinton zu erwarten, ein Liebling Israels, mit der Israel-Lobby verbunden. Das konnte man gut beobachten nach der Aufgabe von Jeff Freeman für den Posten als Vorsitzender des Nationalen Nachrichtlichen Rates und Berater der US-Regierung. Die Israel-Lobby mobbte und setzte ihm mit falschen Anschuldigungen zu und schreckte auch vor Rufmord nicht zurück. So gab er auf. So ist es offensichtlich, dass auch die Obama-Administration (Yes, we can) nicht in der Lage sein wird, die richtigen Entscheidungen im Nahen Osten zu fällen, und anstatt Druck auf Israel auszuüben, dem Druck der Israel-Lobby erliegt. Fazit: Es ist ein Segen, dass es Juden wie Richard Falk gibt, die sich nicht beirren lassen gegen alle Widerstände und Anfeindungen.

Deshalb möchte ich allen Interessierten empfehlen, die die Möglichkeit haben, am 9. Mai nach Freiburg zu kommen anlässlich der Verleihung des Kantpreises an Jeff Halper, Laudatio von Richard Falk oder/und am 11. Mai zu einer Podiumsdiskussion auch an der Freiburger Universität, u.a. auch mit Jeff Halper und Richard Falk.

Wann werden diese schrecklichen Tatsachen und Taten Israels, also des jüdischen Staates bei den deutschen Funktions- und Mandatsträgern verinnerlicht und angekommen sein? Mit Spannung erwarte ich die ersten Treffen und Küsse zwischen Kanzlerin Merkel, Außenminister Steinmeier und dem Duo Netanjahu/ Lieberman, nachdem Frau Merkel ja schon verlauten ließ, vertrauensvoll mit jeder israelischen Regierung zusammenzuarbeiten. So wundert es auch nicht, dass der Druck der Israel-Lobby und des Zentralrats schon Wirkung gezeigt haben.

Deutschland wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht an der Antirassismuskonferenz Durban II in Genf teilnehmen trotz völlig verwässerten Abschlussdokuments. Gegen Israels Politik darf keine Kritik geäußert werden. Wir dürfen zwar nicht auf die Antirassismuskonferenz, aber wir dürfen einen israelischen rassistischen Außenminister empfangen!

Durch die Überhöhung und Tabuisierung jedes ansatzweise kritischen Dialoges wird ein normaler Umgang unmöglich gemacht. Dadurch wollen Israel und der Zentralrat vom eigenen Fehlverhalten ablenken. Dieser Staat Israel sollte auch keinen Platz in der UNO haben und sollte mit Sanktionen belegt werden anstatt noch mit EU-Anbindungen belohnt zu werden, solange sich Israel nicht auf die Grenzen von 1967 zurückgezogen hat, alle Siedlungen auf palästinensischem Boden aufgegeben hat, die Blockade und Besatzung aufgegeben hat, die Annexionsmauer auf palästinensischem Gebiet abgebaut hat und über das Rückkehrrecht der Flüchtlinge verhandelt. Für die Besatzung und Entrechtung der Palästinenser und die zerstörerischen Angriffskriege und deren Folgen dürfen wir wieder klaglos aufbauen und bezahlen. Wo bleibt da das Verursacherprinzip? Unsere Mandats- und Funktionsträger sind unserem Grundgesetz und uns als Bürger/Innen verpflichtet. Das scheinen sie leider zu vergessen. Wir Bürger/Innen als "Urnenpöbel" haben nur die Chance das richtige Kreuzchen zu machen. Das wird uns leider immer schwerer gemacht bei so viel Demokratieverständnis.

Überlassen wir nicht so genannten Antisemitismusexperten die neue Marktlücke der Einschüchterung, wie man in diversen Talkshows sehen kann, mit den verschiedensten Vertretern dieser neuen "Berufsgruppe". Wehren wir uns durch Proteste bei den Sendern. Überlassen wir die Deutungshoheit über die Sprachbegrifflichkeiten nicht diesen "Experten", sondern wehren wir uns, in dem wir protestieren und uns nicht mehr einschüchtern lassen und nicht mehr vermengen, was auseinander zu halten ist, also die Unterscheidung zwischen Juden, Zionisten und Israel, also zwischen Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik. Wir brauchen keine "Eichmeister des Antisemitismus". Dieses Wort ist durch den inflationären Gebrauch so entwertet worden, dass - obwohl noch dringende gebraucht - für den wirklichen Antisemitismus langsam zu einer stumpfen Waffe wird. Sehr gefährlich!

Kanzlerin Merkel sollte an ihrer Rede anlässlich des 9. November 2008 gemessen werden, wo sie feststellte: "Die Menschenrechte sind unteilbar und bilden das Fundament jeder freiheitlichen Grundordnung." Sollte nur Israel ausgeklammert sein, wenn es um diese Grundordnung und Werte geht?

Deshalb fällt es mir auch schwer an eine jüdische Tradition der Nächstenliebe zu glauben, seit ich das sehr empfehlenswerte Buch von Israel Shahak :"Jüdische Geschichte, jüdische Religion" gelesen habe. Daher war es mir auch ein Bedürfnis eine Petition zu unterschreiben, mit der Bitte, dass Papst Benedikt anlässlich seiner Reise im Mai ins Heilige Land auch den Gazastreifen besucht, nicht nur Yad Vashem, Betlehem und Nazareth. Auch wenn Israel mit seiner touristischen Propagandamacht jetzt in allen Fernsehkanälen seine wunderbare Werbung ausstrahlen lässt "Schalom heißt Frieden. Kommen Sie nach Israel. Israel erwartet Sie." Israel sollte uns erst erwarten, wenn es Frieden mit seinen Nachbarn gemacht hat und die Besatzung, Besiedlung, Blockade und Entrechtung der Palästinenser aufgegeben hat.


© 2009 Evelyn Hecht-Galinski


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Quelle:
Evelyn Hecht-Galinski, März 2009
mit freundlicher Genehmigung der Autorin


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2009