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MUMIA/795: Nein zur Todesstrafe (Mumia Abu-Jamal)


Kolumne # 836
Nein zur Todesstrafe

von Mumia Abu-Jamal, Dezember 2016


Über das junge Leben des Angeklagten Dylann Roof (22) wird in den kommenden Wochen vor einem Bundesgericht im US-Bundesstaat South Carolina eine denkwürdige Entscheidung gefällt werden. Roof steht vor Gericht, weil er mit seiner Pistole im Juni 2015 neun Menschenseelen in der Kirche einer afroamerikanischen Gemeinde in Charleston abschlachtete. Nach dem bereits erfolgten Schuldspruch sollen die Geschworenen im Januar zum Abschluss des Verfahrens darüber entscheiden, ob Roofs Tat mit der Todesstrafe oder lebenslanger Haft geahndet wird.

Als jemand, der sein halbes Leben im Todestrakt zubringen musste, ist meine Haltung eindeutig: Selbst in einem Fall wie diesem kommt meine Opposition dagegen, dass der Staat Leben nimmt, nicht ins Wanken. Ja, selbst in diesem Fall eines vom weißen Überlegenheitsdenken getragenen rassistischen Gewaltaktes gegen neun christliche Gläubige der Emanuel African Methodist Episcopal Church!

Wenn ich irgend etwas genau kenne, dann ist es der Todestrakt. Dort habe ich erlebt, wie Männer in den totalen Wahnsinn getrieben wurden. Das allein ist schon ein hinreichender Grund für die Ablehnung der Todesstrafe. Als Meinung eines Einzelnen hat meine Ansicht indes in diesem Fall keinerlei Gewicht. Keinem der Geschworenen werden meine Worte je zu Ohren kommen. Die Jury wird sich zur Beratung zurückziehen und über Roofs weiteres Schicksal entscheiden, sobald er Gelegenheit hatte, sich mit seinem letzten Wort an das Gericht zu wenden. Sicherlich wird er sich damit bei den Geschworenen nicht gerade beliebter machen.

Die Verhängung eines Todesurteils über Roof würde nur die repressive Macht des Staates stärken und einen falschen Nimbus von »Gerechtigkeit« vermitteln. Sollte also die Anklage mit der von ihr beantragten Todesstrafe scheitern, wäre das gut für alle Männer und Frauen in den Todeszellen, weil so dem Unrecht, das die Todesstrafe darstellt, ein weiteres Mal ein Riegel vorgeschoben würde.

Meine Entscheidung, mich gegen ein Todesurteil für Roof auszusprechen, ist mir nicht leichtgefallen, aber ich bin überzeugt davon, dass es die richtige ist. Egal, aus welchen Gründen Roof auch gehandelt hat, bleibt es eine Tatsache, dass die meist jahrzehntelange Haft in der Todeszelle genauso wie jahrzehntelange Isolationshaft jeden Menschen um seinen Verstand bringen kann. Auf diese Auswirkungen ist Roof durch keine seiner Erfahrungen vorbereitet. Dazu war sein bisheriges Leben zu kurz. Das Leben im Gefängnis ist eben kein Picknick.


Copyright: Mumia Abu-Jamal
mit freundlicher Genehmigung des Autors

Übersetzung: Jürgen Heiser
Erstveröffentlicht in "junge Welt" Nr. 302 vom 27. Dezember 2016


Die kurz Emanuel AME genannte älteste afroamerikanische Kirche sowie das Datum 17. Juni für sein Attentat hatte Dylann Roof bewusst ausgewählt. Mitbegründer der Gemeinde war 1816 der ehemalige Sklave Denmark Vesey, der mit insgesamt 34 Gleichgesinnten wegen des Vorwurfs gehenkt wurde, für die Nacht auf den 17. Juni 1822 einen Sklavenaufstand geplant zu haben. Die AME galt den Sklavenhaltern damals als »Zentrum der Verschwörung«, weshalb ein weißer Mob diese und andere schwarze Kirchen niederbrannte. Die nach dem Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs (1861-65) neu erbaute Kirche setzte ihre Tradition in den 1960er Jahren fort, als sie zu einem Hort des Kampfes gegen Rassismus wurde.

Mit der NAACP und der Leadership Conference on Civil and Human Rights sprachen sich jüngst zwei Organisationen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung gegen die Hinrichtung Roofs aus. Ihr Argument: Die Todesstrafe sei die moderne Form des Lynchens und treffe bis heute überproportional Schwarze. Deshalb sei sie ausnahmslos abzulehnen und müsse abgeschafft werden. Christina Swarns, Leiterin des Verteidigungsfonds der NAACP und Anwältin von Mumia Abu-Jamal, schrieb dazu in der New York Times, ein Todesurteil gegen den Rassisten Roof hätte »den perversen Effekt, die Routine der rassistisch diskriminierenden Verhängung der Todesstrafe gegen Schwarze zu rechtfertigen«. (Jürgen Heiser)   

Erstveröffentlicht in "junge Welt" Nr. 302 vom 27. Dezember 2016

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Quelle:
Der Beitrag entstammt der Website www.freedom-now.de
mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Heiser
Internationales Verteidigungskomitee (IVK)
Postfach 150 323, 28093 Bremen
E-Mail: ivk(at)freedom-now(dot)de
Internet: www.freedom-now.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Januar 2017

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