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AFRIKA/035: Westafrikanischer Gerichtshof urteilt zu Menschenrechten (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2009
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Mit bindender Wirkung
Westafrikanischer Gerichtshof urteilt zu Menschenrechten  

Von Ute Hausmann


Die regionale Integration in Afrika bietet für die Durchsetzung der Menschenrechte neue Möglichkeiten. So wird die Afrikanische Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker nicht nur von der Afrikanischen Union, sondern auch von den sub-regionalen Zusammenschlüssen als gemeinsamer Standard anerkannt, der das Handeln der Staaten bindet. Der Gerichtshofs der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS kann sogar Klagen gegen die Verletzung von Menschenrechten entgegennehmen. 2008 kam er zu einem bahnbrechenden Urteil gegen die Sklaverei.


Im Gründungsabkommen von ECOWAS aus dem Jahr 1975 findet sich keine Erwähnung der Menschenrechte, erst 1993 wurden sie in die Statuten aufgenommen, mehr als ein Jahrzehnt nach der Verabschiedung der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker. Noch ein Jahrzehnt später - im Jahr 2004 - erhielt der ECOWAS Gerichtshof die Zuständigkeit für Verstöße gegen Menschenrechte in den Mitgliedstaaten, und es wurde eine Klagemöglichkeit für betroffene Individuen eröffnet. Dabei müssen die Rechtsmittel vor Ort nicht ausgeschöpft werden, was heißt, dass sich jedes Opfer von Menschenrechtsverletzungen unmittelbar an den Gerichtshof wenden kann, auch wenn der Fall Gegenstand eines nationalen Gerichtsverfahrens ist.


Sklaverei im Niger

Ende Oktober 2008 verurteilte der ECOWAS Gerichtshof den Staat Niger zu einer Entschädigungszahlung von umgerechnet 20.000 US Dollar an die ehemalige Sklavin Hadijatou Mani. Der Gerichtshof war der Ansicht, dass der Staat - insbesondere die Gerichte - nicht der internationalen Verpflichtung nachgekommen war, Hadijatou Mani vor der Sklaverei zu schützen. Hadijatou Mani wurde 1984 als Tochter einer Sklavin geboren und wurde als Zwölfjährige von dem Besitzer ihrer Mutter für umgerechnet 400 US Dollar verkauft. Ihr neuer Herr hatte vier Frauen und sieben Sklavinnen. Diese Sklavinnen werden sadaka genannt, was "fünfte Frau" bedeutet, da jeder Mann nach dem Islam nur vier Frauen heiraten kann. Hadijatou Mani wurde mit 13 Jahren das erste Mal und dann regelmäßig vergewaltigt. Sie gebar drei Kinder, wovon eines starb. 2005 entschied sich Hadijatou Manis Herr, sie zu "befreien" und sie zu einer seiner legitimen Frauen zu machen. Sobald sie das so genannte Befreiungszertifikat erhalten hatte, verließ Hadijatou Mani das Haus und weigerte sich, ihren ehemaligen Besitzer zu heiraten. Dieser bestand jedoch auf einer Heirat.


Klage vor dem ECOWAS Gerichtshof

Um ihre Freiheit bestätigen zu lassen, wandte sich Hadijatou Mani an ein lokales Gericht, das die Ungültigkeit der Ehe bestätigte, da sie dieser nicht zustimmte. Ein nächst höheres Gericht kam jedoch zu der Ansicht, dass Hadijatou Mani aufgrund ihrer Versklavung de facto verheiratet sei und zu ihrem Mann zurückkehren müsse. Da Hadijatou Mani in der Zwischenzeit einen neuen Mann geheiratet hatte, verklagte ihr früherer Besitzer sie wegen Bigamie. Sie wurde zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt, wovon sie zwei Monate absitzen musste, bevor das Urteil suspendiert wurde. Im Dezember 2007 reichte Hadijatou Mani mit Unterstützung durch die nigerische Organisation Timidira und die internationalen Organisationen Anti-Slavery International und INTERIGHTS Klage beim ECOWAS Gerichtshof gegen den Staat Niger ein.


Effektive Rechtsmittel

Schätzungsweise 43.000 Frauen, Männer und Kinder in Niger leben als Sklaven. Hadijatou Mani und ihre Anwälte forderten deshalb als Wiedergutmachung nicht nur eine finanzielle Entschädigung, sondern auch die Änderung von Gesetzen und Praktiken, einschließlich der diskriminierenden Anwendung traditionellen Rechts, und Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung. Hierauf ging das Gericht in seinem Urteil jedoch nicht ein und begrenzte die Entschädigung auf zu leistenden Zahlung des Staates an die Klägerin. Deshalb ist es umso bedeutender, dass der Gerichtshof die Anhörung der Beteiligten nach Niger verlegte. Dies führte dazu, dass der Gerichtsprozess in Niger große Aufmerksamkeit erhielt. Für Hadijatou Mani und ihre MitstreiterInnen hat sich der Gang vor den ECOWAS Gerichtshof als effektives Rechtsmittel erwiesen. Nur knapp ein Jahr dauerte der Prozess und das Ergebnis ist bindend.


CEDEAO - ECOWAS

Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (franz.: La Communauté Economique Des Etats De l'Afrique De l'Ouest, CEDEAO; engl: Economic Community of West African States, ECOWAS) wurde am 28. Mai 1975 mit der Unterzeichnung des Vertrages von Lagos gegründet. Die derzeitigen Mitgliedsstaaten sind Benin, Burkina Faso, Gambia, Ghana, Guinea, Guinea-Bissau, Elfenbeinküste, Kap Verde, Liberia, Mali, Niger, Nigeria, Senegal, Sierra Leone, Togo.


Shell zahlt 15,5 Millionen an Hinterbliebene von Ogoni-Aktivisten

13 Jahre lang haben die Hinterbliebenen des nigerianischen Menschenrechtlers Ken Saro-Wiwa und seiner Mitstreiter vor US-amerikanischen Gerichten Klagen gegen den Shell-Konzern geführt. Die Ogoni-Familien werfen dem Unternehmen eine Mitschuld an der Ermordung der Aktivisten aus dem Niger-Delta durch den nigerianischen Staat vor. Anfang Juni haben sich die Parteien nun außergerichtlich geeinigt. Shell zahlt 15,5 Millionen US-Dollar, wovon ein Teil in einen Fonds für das Volk der Ogoni einfließt.


Ute Hausmann ist Geschäftsführerin von FIAN-Deutschland.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2009, Juni 2009, S. 14
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2009