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ASIEN/016: Vietnam - Ms. Huongs Rechte (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 3/2007
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Ms. Huongs Rechte

Von Lisa Lenz


Keine Frage, Vietnam ist eine Erfolgsgeschichte. Einst eines der ärmsten Länder der Welt, von jahrzehntelangen Kriegswirren traumatisiert, international isoliert und in den 1980er Jahren von Hungerkrisen erschüttert, ist die sozialistische Republik in Indochina heute Wirtschaftswunderland: Exporteur von Öl und Kaffee, gefragter Produzent von Textilien und Schuhen sowie weltweit zweitgrößter Reislieferant. Vietnam hat - nach China - die am stärksten wachsende Wirtschaft in Asien. Doch ein Blick über die boomende Metropole Ho Chi Minh (Saigon) hinaus offenbart viele Probleme.


Auch über 30 Jahre nach dem Ende des Vietnamkriegs ist das Land noch zweigeteilt. Im Süden des Landes, der strategisch günstig liegt, ist der Aufschwung allgegenwärtig. Urbanisierung und Industrialisierung schreiten (zu) schnell voran. Doch an der ehemaligen Demarkationslinie verlangsamt er sich zusehends. Die Gründe: das Erbe der massiven Kriegsschäden (unter anderem durch chemische Entlaubung), mangelnde Infrastruktur, Raubbau an der Natur und heftige Unwetter. In einem Land, dessen Bevölkerung zu 60 Prozent in der Landwirtschaft arbeitet, tun fallende Preise für landwirtschaftliche Produkte ein Übriges. Besonders das Hochland von Zentralvietnam und die Bergregionen im äußersten Norden sind betroffen. Saisonale Engpässe führen hier schnell und mit unschöner Regelmäßigkeit dazu, dass Familien bis zur nächsten Ernte hungern müssen. Betroffen sind bis zu 15 Prozent der Bevölkerung, besonders die ethnischen Minderheiten wie die Gie-Tring in den Bergwäldern an der Grenze zu Kambodscha und Laos. 13 von 81 Millionen Vietnamesen sind unterernährt, mehr als sonst irgendwo in Südostasien. Wie überall hungern vor allem Frauen und Kinder. Gleichzeitig wird beispielsweise Reis aus dem Mekong-Delta nach Thailand exportiert, anstatt die Engpässe im Norden zu überbrücken. Auf diese Weise sollen Devisen ins Land gebracht werden. Mit demselben Ziel stieg Vietnam innerhalb weniger Jahre zu einem der größten Kaffeeproduzenten auf. Heute haben die vietnamesischen Produzenten aufgrund weltweiter Überproduktion und Preisverfall die gleichen Probleme wie ihre Konkurrenten in Afrika und Lateinamerika.

In der Provinz Ha Thin in Zentralvietnam sitzt Ms. Huong stolz in ihrem eigenen kleinen Laden. Die NRO Pro Poor Center (PPC) hat hier mit Hilfe des FIAN-Partners ActionAid ein Mikrokreditprojekt ins Leben gerufen. Dabei wird die Ausgabe von den Kleinstkrediten an Sparpläne gekoppelt. Bevor sie der kleinen Kreditgruppe beitrat, kämpften die allein erziehende Ms. Huong und ihre beiden Kinder regelmäßig mit dem Hunger: Ihre Felder brachten nicht genug ein, jede noch so kleine unvorhergesehene Ausgabe bedeutete leere Reisschüsseln. Zuerst kaufte sie von dem Kleinkredit von einigen Tausend Dong ein paar Hühnerküken, die sie aufzog und das Fleisch verkaufte. Mittlerweile hat sie ihre Hütte zu einem kleinen Haus ausgebaut und verdient mit ihrem kleinen Laden genug, um die Engpässe aus der Landwirtschaft zu überbrücken. Und sie hat schon neue Pläne.

Bei den regelmäßigen Treffen ihrer Kreditgruppe erfuhr sie auch vom Basisdemokratieerlass, den die kommunistische Regierung mit Hilfe von Deutschland ausgearbeitet hat und der die Beteiligung der Bevölkerung am politischen Prozess regelt. Gemeinsam mit den Frauen ihrer Gruppe fordert sie nun im participatory budgeting die Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse bei der Planung des Haushalts ihrer Kommune ein. PPC unterstützt die Frauen und hat sich zum Thema Ernährungssicherheit und Recht auf Nahrung nun Rat von FIAN geholt, um Armut in Zukunft stärker mit dem Rechte basierten Ansatz zu bekämpfen. Kein leichtes Ziel. Barbara Heinzelmann, Mitarbeiterin des DED: "Der Begriff ist für die Menschen hier historisch vorbelastet, denn die Amerikaner haben ihr Eingreifen auch mit dem Schutz der Menschenrechte begründet". Doch Ms. Huongs Erfahrung hat ihr gezeigt, dass Zivilgesellschaft mehr sein kann als die Massenorganisationen der kommunistischen Partei. Noch gibt es in Vietnam fast keine NRO im klassischen Sinn. PPC ist eine der wenigen, aber Ms. Huong ist auf den Geschmack gekommen und hat noch viele Pläne.


Die Autorin arbeitet als Entwicklungshelferin für den Deutschen Entwicklungsdienst.


Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Vietnams ist in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich um 7,5 Prozent gestiegen. Die Lebenssituation hat sich rasant verbessert. Der Anteil an Armen unter der Bevölkerung verringerte sich von mehr als 50 auf unter 20 Prozent. Der Anteil der Unterernährten ist von 31 auf 16 Prozent gesunken. Die durchschnittliche Kalorienzufuhr stieg 2180 (1990-1992) auf 2630 kcal.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 3/2007, S. 11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2008