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BERICHT/135: Der Wiederaufbau nach dem Tsunami (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2007
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Der Wiederaufbau nach dem Tsunami
Die Katastrophe nach der Katastrophe?

Von Gunnar Stange


Zweieinhalb Jahre nach der großen Welle ist der Wiederaufbau in vollem Gange. 230 Tausend Opfer forderte der Tsunami in elf Ländern Süd-, Südostasiens und Ostafrikas. Ganze Landstriche versanken im Meer oder wurden verwüstet. Dennoch konnte eine schnelle Not- und Übergangshilfe den Ausbruch von Pandemien und Hungersnöten verhindern. Insgesamt sagte die internationale Staatengemeinschaft 6,7 Milliarden US-Dollar an Hilfsgeldern zu. Dazu regnete es Milliarden an Privatspenden. Die Liste der Erfolge ist lang, wirft jedoch ganz besonders eine Frage auf: Ist Not wirklich dort gelindert worden, wo sie am größten war?


Wo kein Regen fällt

Gefährdete Gruppen (vulnerable groups) sind die klarer Tsunami-Verlierer. Seezigeuner und Arbeitsmigranten in Thailand, die vormals Unberührbaren (Dalits) in Indien, Landarbeiter und Landlose in allen betroffenen Ländern sowie ethnische Minderheiten haben oft keine Ansprüche auf Kompensation oder können diese nur ungenügend geltend machen. Wer arm war, muss arm bleiben. So ergaben Untersuchungen, dass alleinstehende Mütter tendenziell nicht als Familienoberhäupter anerkannt werden und somit einen schlechteren Zugang zu Ausgleichsleistungen haben. Leider sind Verletzung und Missachtung von Menschenrechten unter den Augen der internationalen Gemeinschaft an der Tagesordnung. Besonders im Bereich der Landrechte wurde die Katastrophe in vielen Fällen zur Strukturanpassung missbraucht. In Sri Lanka mussten wegen vorgeblicher Sicherheitsrisiken traditionelle Fischerdörfer Touristenhochburgen weichen. In Aceh sind bis heute von 160.000 vermessenen Landtiteln erst 23.000 an ihre Besitzer übergeben worden. Dies, obwohl spätestens seit der Welternährungskonferenz 1996 der Zugang zu Land als eine Grundvoraussetzung für Ernährungssicherung gilt.


Häuser, Häuser, nochmals Häuser

Ein Dach über dem Kopf ist Menschenrecht. Zugleich eignet sich Häuserbau, der schätzungsweise ein Drittel der Wiederaufbaumittel beansprucht, auch hervorragend, um schnell große Summen 'vorzeigbar' abfließen zu lassen. Dies führte zu dem Phänomen, dass insgesamt mehr Häuser zugesagt sind als tatsächlich benötigt werden. Der Wiederaufbau ist wahrscheinlich das größte Häuserbauprojekt, dessen die Welt je Zeuge wurde. Für weit über Hunderttausend Menschen ist es ihre größte Geduldsprobe: Allein im südindischen Tamil Nadu und der indonesischen Provinz Aceh Leben nach wie vor jeweils 50.000 Menschen ohne gesichertes Einkommen in Notunterkünften. Ende 2006 waren erst 57.000 der 127.000 in Aceh benötigten Häuser fertig gestellt. Laut Weltbank und Asiatischer Entwicklungsbank standen bis zum Jahresanfang in Indien nur 28 Prozent der geplanten Neubauten. Menschenrechtsorganisationen beklagen die unzureichende Einbindung von Katastrophenopfern in die Planungsprozesse. Die Häuslebauer der sogenannten Tsunamiländer sind große Bauunternehmen, die ihre wesentlich günstigeren Arbeitskräfte aus anderen Regionen importieren. Lohnarbeit lohnt da nicht.


Taschengeld?

J. C. Weliamuna, der Direktor von Transparency International in Sri Lanka äußerte, dass nur Gott wisse, wo das gespendete Geld letztlich geblieben sei. Grundsätzlich beklagen Korruptionswächter unzureichende buchhalterische Transparenz angesichts der enormen Summen, mit denen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen innerhalb kürzester Zeit jonglieren. Bezeichnend ist, dass nur sechs der 70 großen Organisationen, welche in Sri Lanka am Wiederaufbau beteiligt sind, sich von Transparency International in die Karten schauen ließen. Die Wiederaufbaubehörde Indonesiens verfügt zwar über eine eigene Antikorruptionsabteilung. Die NRO Indonesian Corruption Watch geht dennoch davon aus, dass bisher 40 Prozent der Wiederaufbaugelder unterschlagen wurden.

Die wichtigste Botschaft zweieinhalb Jahre nach dem Tsunami muss neben allem Geleisteten lauten, dass die Katastrophe für viele zehntausende Menschen allein materiell bis heute andauert. Aus zu wenig Zeit und (zu)viel Geld entsteht das Phänomen des Mittelabflussdrucks, das wie ein Damoklesschwert über der enormen Herausforderung 'Tsunami-Wiederaufbau' schwebt.


Der Autor arbeitete in einem Projekt für wirtschaftlichen Wiederaufbau in der indonesischen Provinz Aceh.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2007, März 2007, S. 9
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Düppelstraße 9-11, 50679 Köln
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Einzelpreis: 4,50 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2007