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BERICHT/146: Agroenergie und Recht auf Nahrung (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 3/2007
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Das Ende der Überschüsse
Agroenergie und das Recht auf Nahrung

Von Thomas Fritz


Bis vor kurzem lautete das kleine Einmaleins vieler Gruppen, die für einen gerechteren Agrarhandel eintreten, wie folgt: Subventionen der Industriestaaten führen zu Überschüssen und Dumpingpreisen, gegen die Kleinbetriebe in Nord und Süd nicht konkurrieren können und zur Aufgabe gezwungen werden. Profiteur hingegen ist das Agrobusiness mit seiner monokulturellen und chemisierten Feldbestellung. Diese allgemein zu beobachtende Entwicklung führte zu folgendem Umkehrschluss: Käme es zu einer Trendumkehr mit steigenden Preisen, würde sich die Produktion für Kleinbetriebe wieder lohnen. Einkommen könnten geschaffen und die Landflucht aufgehalten werden. Zwar vollzieht sich nun eine solche Trendumkehr, gleichwohl erscheinen ihre Folgen weit weniger segensreich als erhofft. Getreide und Ölsaaten verteuern sich und ziehen die von Futtermitteln abhängigen Milch- und Fleischprodukte mit in die Höhe. Neben saisonalen Ursachen wie Missernten sind hierfür drei langfristige Faktoren verantwortlich:

1. die weltweite Steigerung der Lebensmittelnachfrage,

2. der rapide Überschussabbau vor allem in den USA und Europa und

3. die Förderung der Agroenergien, die eine immense Expansion des
    Anbaus nachwachsender Rohstoffe zur Strom-, Wärme- und
    Kraftstofferzeugung auslöste.

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen bringt diese einschneidende Veränderung der Agrarmärkte auf den Punkt: "Wir leben nicht mehr in einer Überschusswelt." Die UN-Organisation warnt, dass sie ohne Aufstockung ihrer Gelder die Nahrungsmittelhilfe für derzeit 90 Millionen Menschen einschränken müsse. Allein die Maispreise hätten in einzelnen Ländern im vergangenen halben Jahr um 120 Prozent angezogen. Als wichtigste Ursachen nennt das Programm die zunehmende Nachfrage nach Futtermais sowie die Massenproduktion von Maisethanol.

Die Risiken der Agroenergien riefen auch den UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler, auf den Plan. In seinem aktuellen Bericht für die UN-Generalversammlung schreibt Ziegler, dass die übereilte Förderung der energetischen Verwendung von Mais, Weizen, Zuckerrohr, Soja- oder Palmöl in einem "Desaster" enden könne. Die derzeitigen Preissprünge seien eine ernste Gefahr für die Ernährungssicherheit auf dem Land und in der Stadt. Zudem treibe der Vormarsch der Energieplantagen auch die Boden- und Wasserpreise in die Höhe.

Gerade die Verteuerung von Boden bedroht Landlose sowie Kleinbäuerinnen und -bauern, die auf die Zupachtung von Ackerflächen angewiesen sind. Die anziehenden Pachtzinsen führen zu erhöhter Verschuldung, abnehmender Kaufkraft und weiterer Verarmung. Zudem konzentriert sich die Massenproduktion der Energiepflanzen trotz gegenteiliger Beteuerungen vornehmlich auf beste Böden, wie das Beispiel der nicht-essbaren Jatropha zeigt, deren Öl sich zu Biodieselverarbeiten lässt.

Aufgrund ihrer Hitzeresistenz erscheint die Pflanze häufig als ideale Kultur für trockenere Regionen. Der Anbau der ersten kommerziellen Jatropha-Plantagen etwa in Tansania erfolgt jedoch bevorzugt auf fruchtbarem Land, das zuvor der Nahrungsmittelerzeugung diente. Der indische Bundesstaat Rajasthan plant gar eine Änderung des Bodenrechts, welche die traditonellen Rechte diskriminierter Gruppen wie der Dalit und Adivasi beschneiden und den Zugriff auf ihr kollektiv verwaltetes Land erleichtern würde. In Indien häufen sich mittlerweile Meldungen über gewaltsame Vertreibungen zur Anlage von Jatropha-Pflanzungen.

Der Bioenergieboom gefährdet die Ernährungssicherheit also durch Preiseffekte, Landkonflikte und die Intensivlandwirtschaft. Die steigenden Agrarpreise sind ein Signal an Privatanleger, nun auf dem Land zu investieren. Ihre Renditeerwartungen aber lassen sich in der Regel nur durch industrielle Plantagenwirtschaft erfüllen. Sinnvollere Anwendungen dagegen - etwa die Verstromung von Abfällen in dezentralen Anlagen - werden durch die einseitige Förderung exportorientierter Energieplantagen marginalisiert.


Der Autor ist Mitarbeiter des Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL).


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 3/2007, S. 3
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Dezember 2007