Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FIAN

BERICHT/152: Quotenziele für Agrartreibstoffe verdoppelt (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 1/2008
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Quotenziele für Agrartreibstoffe verdoppelt und Sozialstandards gestrichen

Von Roman Herre


Seit gut einem Jahr wird nun intensiv und kontrovers über den Nutzen von Agrartreibstoffen diskutiert. Berichte aus den Anbauländern im Süden zeigt immer mehr, dass die Produktion aus ökologischer und entwicklungspolitischer Sicht besonders problematisch ist. Auch die Wissenschaft sieht die Entwicklung immer skeptischer. Der Beimischungszwang bei Agrartreibstoffen ist das falsche Instrument zur Förderung alternativer Energien - zu teuer und mit zu vielen Nebenwirkungen behaftet. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen empfiehlt ein Einfrieren der Quote und nimmt Abstand vom Beimischungszwang; auch der ehemalige Vorsitzende des UN-Umweltprogramms Klaus Töpfer fordert ein Innehalten der Politik. Die hingegen scheint auf dem Ohr taub und verdoppelt die Beimischungsziele.


Der Beimischungszwang hat enorme Sogwirkung: ökologisch und sozial unerwünschte Handelsströme und damit verbundene Anbaumethoden werden forciert. Schon jetzt werden nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums zwei Drittel der Agrartreibstoffe importiert. Noch vornehmlich aus Osteuropa, dies wird sich aber schnell ändern, bleiben die Zielvorgaben erhalten. Die gebetsmühlenartig propagierten Chancen für eine breite ländliche Entwicklung sind hingegen nicht in Sicht. Im Gegenteil, die Kronjuwelen der Befürworter des Energiepflanzenanbaus, das brasilianische Projekt zur Integration von KleinbäuerInnen in die Agrartreibstoffproduktion, stehen vor dem Aus und die allgemeine Skepsis gegenüber Agrartreibstoffen wird immer größer. So wundert es nicht, dass erste Länder wie China oder Südafrika ihre Förderungen einfrieren und ihre Quotenziele senken.

Nicht so die Bundesregierung. Anfänglich wurde ein Beimischungszwang von zehn Prozent für Agrartreibstoffe bis 2020 festgelegt. Im November 2007 tauchte dann zur Überraschung umwelt- und entwicklungspolitischer Verbände die so genannte 'Roadmap Biokraftstoffe' auf, ein zwischen Erdöl- und Automobilindustrie sowie Landwirtschafts- und Umweltministerium abgestimmtes Papier, das die Zielformulierung kurzerhand verdoppelt. Im Rahmen des am 5. Dezember 2007 verabschiedeten umfassenden Klimaschutzpaketes (Meseberg-Beschlüsse) hat die Bundesregierung die Verdopplung auf 20 Prozent beschlossen.

In europäischen NRO-Kreisen wird ausgesprochen, was viele denken: Die deutsche Vorreiterrolle in Sachen Agrosprit erklärt sich aus den Interessen der Industrie. Klimaschutz ist vorgeschoben - die Einsparungspotentiale von Treibhausgasen sind ohnehin sehr fraglich. Das Zauberwort, mit dem die Bundesregierung alle Bedenken zerstreuen will, heißt Zertifizierung. Dabei ist dieses Instrument schon längst entzaubert worden. Zertifizierungssysteme bergen viele Probleme, und je schwächer sie ausgelegt sind, desto mehr tragen sie zu einen so genannten Greenwashing bei. Wie eine Überwachung direkter Landnutzungsänderungen, also beispielsweise den Umbruch von Grasland zum Anbau von Energiepflanzen, in den Ländern vor Ort gewährleistet werden soll, ist völlig ungeklärt. Auch eine Offenlegung des Zertifizierungsverfahrens zur Kontrolle durch Dritte ist nicht angedacht. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen bezweifelt daher die Wirksamkeit eines Zertifizierungssystems bei Agrartreibstoffen.

Grundlage des Zertifizierungssystems ist die im Klimapaket integrierte Nachhaltigkeitsverordnung. Trotz massiver Kritik seitens der Entwicklungs- und Umweltverbände wurden selbst minimale Sozialstandards, Mindestanforderungen an Arbeitsbedingungen und der Schutz der Menschenrechte gänzlich ausgeklammert. Verdrängungsprozesse zu Lasten der marginalisierten ländlichen Bevölkerung und deren Ausweichen in sensible Gebiete (so genannte indirekte Landnutzungsänderungen) sind nicht nur aus menschenrechtlicher Perspektive katastrophal. Auch zur Bewertung ökologischer Folgen und der Treibhausgasbilanz sind solche Auswirkungen essentiell, zumal diese Effekte nicht die Ausnahme sind, sondern die Regel. Trotzdem fallen sie in der Nachhaltigkeitsverordnung unter den Tisch. Dass dadurch schnell eine negativere Klimabilanz als bei fossilen Kraftstoffen entsteht, konterkariert die Grundidee der Förderpolitik und lässt an der Glaubwürdigkeit der Argumentation der Bundesregierung zweifeln.

Im Rahmen des WSK-Paktes ist die Bundesrepublik dazu verpflichtet, mit ihrer Politik nicht zu einer Verletzung des Menschenrechts auf Nahrung beizutragen. Dieser Verpflichtung kommt sie mit der Nachhaltigkeitsverordnung nicht nach. Sie muss daher schnellstmöglich einlenken und ihre Förderpolitik für die Nutzung erneuerbarer Energien überdenken.


Der Autor ist Agrarreferent bei FIAN-Deutschland. Das Positionspapier Agrartreibstoffe und das Menschenrecht auf Nahrung kann unter www.fian.de → Themen/Kampagnen → Agrarreform → Dokumente heruntergeladen werden.


*


Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 1/2008, S. 11
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Tel. 0221/702 00 72, Fax 0221/702 00 32
E-Mail: fian@fian.de
Internet: www.fian.de

Erscheinungsweise: drei Ausgaben/Jahr
Einzelpreis: 4,50 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2008