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BERICHT/171: Nahrungsmittel im Griff der Finanzmärkte? (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 3/2008
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Nahrungsmittel im Griff der Finanzmärkte?
Die Rolle der Spekulation

Von Rainer Falk


In der Diskussion um die Ursachen der aktuellen Hausse bei Nahrungsmittel-Preisen verweisen die einen auf die steigende Nachfrage (zum Beispiel aus den Schwellenländern und für die Biospritproduktion),die Verteuerung der Inputs (wie Erdöl und Dünger) und die Verknappung des Angebots. Andere halten die Lebensmittelspekulation für den entscheidenden Faktor. Unbestreitbar ist, dass die Wucht der Agflation, wie das Phänomen seit neuestem genannt wird, auch durch die Spekulation erklärt werden muss.


"Spekulanten mögen unschädlich sein als Seifenblasen auf einem steten Strom der Unternehmungslust", schrieb John Maynard Keynes in seiner berühmten Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes. "Aber die Lage wird ernsthaft, wenn die Unternehmungslust die Seifenblase auf einem Strudel der Spekulation wird." In der Nahrungsmittelkrise dieses Jahres zeigt sich, dass die globale Agrarökonomie schnell in Gefahr geraten kann, zu einer "Seifenblase auf einem Strudel der Spekulation" zu werden.


Die Spekulation verstärkt bestehende Trends

Die starke Nachfrage - beispielsweise durch die Veränderung der Konsumgewohnheiten in Schwellenländern, durch die Zunahme des Fleischverzehrs oder durch den Boom bei Agrotreibstoffen - ist eine längerfristige Entwicklung. Doch die Nahrungsmittelspekulation - auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten jenseits der kriselnden Asset-Klassen - hat den Trend gewaltig verstärkt. Lebensmittel wurden so mehr und mehr in einen handelbaren ökonomischen Rohstoff verwandelt.

Es ist nicht möglich, den Stellenwert der Spekulation für die 'Agflation' exakt zu messen. Ökonomen wie Paul Krugman argumentieren, die Spekulation treibe vor allem die Futures-Preise nach oben, also die Wetten der Spekulanten, wieviel eine künftige Ernte - sei es bei Getreide oder Reis - zu dem Zeitpunkt, an dem sie auf den Markt kommt, wert sein wird. Die Spot- bzw. Kassapreise würden nur folgen, wenn die explodierenden Futures-Preise irgendwie die für den Endverbraucher verfügbaren Mengen reduzieren. In Wirklichkeit aber, so argumentiert zum Beispiel der Chef-Ökonom der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD), Heiner Flassbeck, werden ganze Ernten gekauft, bevor es sie gibt. Das treibt auch die Endverbraucherpreise in die Höhe.

Unbestreitbar ist das explosive Wachstum des spekulativen Handels mit Lebensmittel- und Rohstoffderivaten in den letzten Jahren. Die Zahlen belegen das:

In den letzten fünf Jahren ist der Handel mit Rohstoff-Futures und -Options geradezu explodiert. Die Futures Industry Association berichtet von einem Sprung der einschlägigen Verträge von 6,2 Milliarden im Jahre 2002 auf 15,2 Milliarden im letzten Jahr. Allein 2007 betrug der Zuwachs 28 Prozent.
An der Börse von Chicago, die seit jeher das Zentrum der Rohstoffspekulation ist, waren Rohstoff-Investitionsfonds mit 40 Prozent am Handel mit Futures- und Optionskontrakten beteiligt - der höchste Anteil seit Menschengedenken.
Nach Angaben der Investmentbank Morgan Stanley ist allein die Anzahl von Getreide-Futures in den letzten Jahren von 500.000 Kontrakten auf 2,5 Millionen Kontrakte angewachsen.
Börsengehandelte Rohstoff-ETFs (exchange-traded funds) beteiligen sich am Rohstoff- und Lebensmittelhandel über Swaps, Futures und andere derivative Kontrakte. Obwohl es sie erst seit vier Jahren gibt, hatten die in diesem Bereich investierten Nettoanlagen im Januar 2008 bereits 32,8 Milliarden US-Dollar erreicht, ein Quantensprung gegenüber knapp 4,8 Milliarden US-Dollar 2005.

Wie wird das aktuelle Interesse an zunehmender Spekulation mit Rohstoffen angetrieben? Eine große Rolle spielt, dass der Finanzsektor inzwischen ein Übergewicht über alle anderen Wirtschaftsbereiche erlangt hat.Nach Angaben der New York Times waren unter den größten Spekulanten und Anlegern auf den Rohstoffmärkten dieselben großen Hedgefonds, kommerziellen Banken und Brokerhäuser, die auch in den krisengeschüttelten Aktien-, Immobilien- und Kreditmärkten aktiv waren, sich aber dort wegen mangelnder Rendite zurückzogen.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Spekulation ist keine Triebkraft der Preisentwicklung bei Nahrungsmitteln und Rohstoffen; sie ist vielmehr ein Faktor, der die durch Nachfrage und Angebot ausgelösten Preistrends verstärken und beschleunigen kann. Ihre Bedeutung für die Preisentwicklung ist zeitlich jeweils begrenzt. Oft zeigt sich die Wucht spekulativer Wellen erst im Nachhinein, wenn die Preise wieder zurückgehen, wie dies derzeit der Fall ist. Anlass zur Beruhigung gibt es jedoch nicht. Soeben hat die FAO davor gewarnt, dass sich die Nahrungsmittelkrise im Jahr 2009 durchaus wiederholen kann.


Der Autor ist Herausgeber des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung
www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 3/2008, S. 12
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Januar 2009