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BERICHT/184: Kambodscha - Zwangsumsiedlung und Vertreibung (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 1/2009
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Sand im Getriebe

Von Lisa Lenz


Kambodscha ist eines der ärmsten Länder der Welt. 80 Prozent der Bewohner bestreiten ihr Einkommen aus Landwirtschaft oder Fischerei. So wie die Fischer der Gemeinde Boeung Touk in der Provinz Kampot im Süden Kambodschas. Hier leben neun von zehn Menschen von der Fischerei. Die Regierung in Phnom Penh möchte hingegen mit so genannten Sonderwirtschaftszonen für Entwicklung sorgen.


Auf 1.000 Hektar soll die Kampot Special Economic Zone (SEZ) mit neuem Hafen, Fabrikgelände, Wohnkomplexen sowie einem öffentlichen Park entstehen. Das neue Gelände wird drei Kilometer weit ins Meer hinausragen, die Mangrovenwälder werden mit Sand aufgeschüttet. Die Fischer verlieren ihren Zugang zum Meer. Der Fisch- und Meerestierbestand wird durch die Zerstörung des fragilen Ökosystems Mangrove rapide abnehmen. Ein privater Investor hat den Fischern im Gegenzug Arbeitsplätze versprochen, doch wie viele Menschen in der SEZ tatsächlich angestellt werden können, bleibt völlig vage. Der Verlust des Lebensunterhalts für alle anderen ist jedoch gewiss.

Die Fischer von Boeung Touk blockieren daher die Aufschüttung mit Sitzstreiks und verlangen die gesetzlich vorgeschriebene Umweltverträglichkeitsprüfung sowie Entschädigungen. Denn die Implementierung von geltendem Recht, wozu laut kambodschanischer Verfassung auch die Einhaltung der WSK-Rechte zählt, ist wie so oft die Achillesferse im Zugang zu Land. Ziele des Landgesetzes von 2001 waren Armutsbekämpfung und Rechtssicherheit. Es besagt, dass jeder, der fünf Jahre unangefochten auf einem Stück Land gelebt hat, einen rechtmäßigen Anspruch hat und einen Landtitel erhalten soll. Die kambodschanische Regierung legte damals - unter anderem mit Unterstützung aus Deutschland - ein über 15 Jahre angelegtes Programm auf, um diese Landtitel auszugeben. Bis Ende 2007 waren über eine Million Grundstücke registriert.

Neben der historisch bedingten erschwerten Dokumentation von Besitzansprüchen konzentrierte sich die systematische Landregistrierung zudem bislang auf unproblematische Regionen außerhalb von Ballungszentren und attraktiven Anbaugebieten. Derweil stiegen vor allem in der Hauptstadt Phnom Penh die Grundstückswerte durch Spekulation und Bauboom in astronomische Höhen. Slumbewohner, die seit den frühen 80er Jahren dort leben und somit eigentlich Anspruch auf ihr Land haben, werden zu Tausenden zwangsumgesiedelt.

Ein Schicksal, das seit August 2008 auch den Anwohnern des Boeng Kok Sees im Norden Phnom Penhs droht. Auch hier ist Sand im Spiel: seit dem 25. August 2008 wird der See damit aufgeschüttet, um Platz für ein großes Investitionsprojekt zu schaffen. Der Investor und die Stadtverwaltung bieten zwar eine Entschädigung an, doch diese liegt weit unter dem Marktwert. Alternativ sollen die Betroffenen außerhalb der Hauptstadt umgesiedelt werden. Ihren Lebensunterhalt verdienen sie jedoch am See und befürchten berechtigt, dass ein Umzug den Verlust ihres Einkommens bedeutet. Frühere Umsiedlungen bestätigen diese Sorge. Die Bewohner des Slams entlang des Bassac-Flusses wurden im Jahre 2006 rund 30 Kilometer weit vom Stadtzentrum entfernt in einem Reisfeld ohne jegliche Infrastruktur ausgesetzt; ihre bisherigen Arbeitsplätze waren unerreichbar. Noch heute hausen Tausende von Menschen in Behelfsunterkünften und sind auf die Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen angewiesen.

Auch der Blick in die Zukunft ist alles andere als rosig: Waren in 2005 mehr als sechs Prozent der Bevölkerung von Landkonflikten betroffen, so geht man für 2008/2009 von bis zu zehn Prozent aus. Das heißt: 140.000 KambodschanerInnen sind bereits von ihrem Land vertrieben worden oder von Vertreibung bedroht.

Im Mai 2009 wird sich die kambodschanische Regierung daher vor dem Ausschuss des WSK-Pakts in Genf kritischen Fragen zur Landfrage und mangelnden Umsetzung der entsprechenden Gesetze stellen müssen. Nachdem die Regierung mit 15 Jahren Verspätung ihren ersten Staatenbericht abgab, arbeitet die kambodschanische Zivilgesellschaft an ihrem Parallelbericht. Viele Nichtregierungsorganisationen hoffen, dass die Anhörung vor dem internationalen Gremium die Gebernationen wachrütteln wird, welche für die Hälfte des kambodschanischen Staatsaushaltes aufkommen. Von ihnen müsste mehr Druck kommen, damit Kambodscha nicht nur seiner Berichtspflicht auf dem Papier nachkommt, sondern auch den politischen Willen aufbringt, seinen Bewohnern den Zugang zu Land und natürlichen Ressourcen real zu sichern.


Die Autorin ist für den Deutschen Entwicklungsdienst (DED) in Kambodscha und arbeitet mit Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Zugang zu Land einsetzen.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 1/2009, S. 9
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juli 2009