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BERICHT/236: UN fordern konsequenten Menschenrechtsansatz für deutsche Sozialpolitik (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2011
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Vereinte Nationen fordern konsequenten Menschenrechtsansatz für deutsche Sozialpolitik

von Tim Engel und Ute Hausmann


Deutliche Kritik an der deutschen Sozialpolitik hat der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte der Vereinten Nationen (UN-Sozialausschuss) - verpackt in diplomatische Worte - in seinen am 20. Mai veröffentlichten Empfehlungen formuliert. Darunter befinden sich auch einige Empfehlungen mit direkter Relevanz für das Recht auf Nahrung. So wird die Bundesregierung aufgefordert, die Landwirtschafts- und Agrarhandelspolitik stärker am Recht auf Nahrung auszurichten. Der geforderte konsequente Menschenrechtsansatz für die deutsche Entwicklungs- und Sozialpolitik stellt einen guten Ansatz für unsere Arbeit zum Recht auf Nahrung dar.


Zivilgesellschaftliche Allianzen

Mit seinen Anmerkungen hat der Ausschuss die Bewertung des bereits 2008 von der Bundesregierung vorgelegten 5. Staatenberichts abgeschlossen. Knapp zwei Jahre lang hat FIAN gemeinsam mit anderen Organisationen in der ad-hoc-Allianz für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zusammengearbeitet. Der gemeinsam dem UN-Sozialausschuss im März vorgelegte Parallelbericht wurde noch ergänzt durch eine Reihe von Einzelberichten, darunter ein Bericht von FlAN und anderen zu Deutschlands extraterritorialen Staatenpflichten im Kontext von Agrarhandel, Entwicklungszusammenarbeit und Außenwirtschaftsförderung. Bei einer Anhörung Anfang Mai in Genf, zu der eine fast 20-köpfige NRO-Delegation angereist war, konnte FIAN insbesondere auf die unrühmliche Rolle der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (früher gtz, jetzt giz) hinweisen (siehe FOOD First 2/10). Da der Ausschuss in dieser Sache bereits 2009 deutliche Kritik an Kambodscha geäußert hatte, findet sich nun auch in den Empfehlungen an Deutschland ein kritischer Punkt dazu.


Berechnungsgrundlagen für Arbeitslosengeld II noch immer zweifelhaft

Sehr deutliche Worte hat der Ausschuss auch zur deutschen Sozialpolitik gefunden. So fordert er die Bundesregierung auf, ein konsistentes Konzept zur Armutsbekämpfung in Deutschland vorzulegen und darin ausdrücklich den Menschenrechten - einschließlich des Rechts auf einen angemessenen Lebensstandard und des darin enthaltenen Rechts auf Ernährung - Raum zu gewähren. Aus Sicht FIANs bedeutet dies vor allem die Betonung der Tatsache, dass die Vernachlässigung der Armutsbekämpfung keine "lässliche Sünde" ist, sondern eine Verletzung grundlegender Menschenrechte. Damit hat der Ausschuss gegenüber der Bundesregierung deutlich gemacht, dass Armutsbekämpfung keine Gnade des Staates ist, sondern eine menschenrechtliche Pflicht, die die Bundesregierung bislang nicht ausreichend erfüllt hat. Der UN-Sozialausschuss zweifelt zudem an, dass die Bundesregierung mit den Gesetzen zur Umsetzung der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung zu dem Grundrecht auf ein "menschenwürdiges Existenzminimum" (Urteil vom 9.2.2010) tatsächlich bereits einen Berechnungsmaßstab gefunden hat, der das Menschenrecht auf einen angemessenen Lebensstandard aus Artikel 11 des UN-Sozialpaktes sicherstellt. In diesem Zusammenhang fordert der Ausschuss die Bundesregierung unter anderem auf, die Höhe der gewährten Leistungen, insbesondere auch für Kinder, erneut - und später regelmäßig - daraufhin zu kontrollieren, ob sie dem tatsächlichen Bedarf entsprechen.


Zusatzprotokoll für Individualbeschwerdeverfahren noch nicht ratifiziert

Schließlich hat der UN-Ausschuss die Bundesregierung in seinen Anmerkungen auch darin bestärkt, das Zusatzprotokoll zum UN-Sozialpakt, mit dem ein Individualbeschwerdeverfahren geschaffen werden soll, zu ratifizieren. Dies entspricht den Forderungen von FIAN und anderen Nichtregierungsorganisationen, für die nicht nachvollziehbar ist, dass die Bundesregierung angesichts ihres früheren Engagements für die Schaffung des Beschwerdeverfahrens bei der Ratifizierung nunmehr auf der Bremse steht und damit ihren eigenen Bürgern ein Beschwerderecht vor dem UN-Sozialausschuss vorenthält.


Ute Hausmann ist Geschäftsführerin von FIAN Deutschland. Tim Engel ist Vorstandsmitglied von FIAN Deutschland und Mitglied des Arbeitskreises Recht auf Nahrung in Deutschland.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2011, August 2011, S. 3
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2011