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BERICHT/035: Mit den Internationalen Friedensbrigaden in Guatemala


peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden - pbi Rundbrief 01/06

Mit den Internationalen Friedensbrigaden in Guatemala

Silvio Köhler berichtet über die Arbeitskämpfe in einer
Textilfabrik


Seit August 2004 begleitet pbi neben Umwelt- und Bauernorganisationen auch die Gewerkschaft der ArbeiterInnen des Unternehmens NB (SITRANB). Während meines Aufenthaltes in Guatemala bestand das Team aus acht internationalen Freiwilligen, darunter mit Ulrike Beck und mir auch zwei Deutsche. Die Arbeitsbedingungen in dieser "Maquila" (Weltmarktfabrik) waren extrem schwierig. Neben der generell schlechten Bezahlung gab es erhebliche "Behinderungen", wie zum Beispiel vereinzelte Übergriffe auf Gewerkschaftsmitglieder, Einschränkungen bei den Pausen, unvollständige Lohnauszahlung, Behinderungen beim Einhalten der Stillzeiten, unsichere Arbeitsendzeiten und Aussperrungen für Unpünktliche. In Zeiten von geringer Auslastung wurden die Arbeiterinnen vorzeitig nach Hause geschickt oder für mehrere Tage ohne Lohnauszahlung nicht beschäftigt. Dafür mussten sie bei höherer Auslastung nicht vergütete Überstunden leisten.


Aussperrung der Näherinnen

Als im Januar 2005 einzelne Mitglieder der Gewerkschaft wiederholt tätlich angegriffen wurden, aktivierte pbi sein Frühwarnsystem und machte verschiedene Botschaften und staatliche Stellen auf die Arbeitsbedingungen und die bedrohliche Situation der Beschäftigten in der Maquila aufmerksam. Dennoch wurde die Fabrik am 10. Juni 2005 geschlossen und von der Firmenleitung für insolvent erklärt.

Am Tag der Schließung erhielten wir einen Notruf und fuhren sofort zur Fabrik. Dort war es uns lediglich möglich, durch einen kleinen Spalt an der Tür Kontakt zu den Beschäftigten aufzunehmen. Die Frauen waren verzweifelt und berichteten uns, dass sie extrem unter Druck gesetzt wurden, um eine Verzichtserklärung auf die komplette Abfindung zu unterzeichnen und sich mit ca. 20 % zufrieden zu geben. Während des gesamten Tages hielten wir uns vor den Toren auf, um die Frauen zu unterstützen und Kontakt zu den Inspektoren des Arbeitsministeriums und der örtlichen Polizei zu bekommen. Den Inspektoren wurde der Zutritt verwahrt und die Polizei wollte erst einschreiten, wenn es zu Ausschreitungen und Verletzten komme.


Durchhalten ohne Lohn

Nach der Schließung verbrachten die ArbeiterInnen einen Monat lang vor der Fabrik, um so den Abtransport der gesamten Industrieanlage zu verhindern. Dies war nötig, um mit den Vertretern von NB eine Grundlage für die weiteren Gespräche zu haben. Während des friedlichen Protestes gegen die Schließung gab es vereinzelte Schüsse in Richtung der Demonstrierenden, die allmählich unter immer größerem Schlafmangel litten. Da sie in der Zwischenzeit kein Geld verdienten, waren besonders Mütter mit Kleinkindern auf Spenden angewiesen, um Miete und Ernährung ihrer Familien aufbringen zu können. Ging es ihnen in ihren Forderungen anfangs noch um die Wiedereröffnung und Weiterbeschäftigung in der Maquila, stand nach langen Verhandlungen nur noch die Zahlung der kompletten Abfindung für alle im Vordergrund. Nach einem Monat Arbeitskampf waren wenigstens diese Forderungen erreicht und mehrere der Gewerkschafterinnen gingen neue Arbeitsverhältnisse in anderen Maquilas ein, aus denen aber viele von ihnen sofort wieder entlassen wurden. Es stellte sich heraus, dass schwarze Listen der Fabrikbesitzer kursierten, die es den Frauen zusätzlich erschwerten, einen neuen Job zu bekommen.

Für mich persönlich war der Fall der Gewerkschaft ein besonders hartes Beispiel für die fehlende Umsetzung von international anerkannten Arbeitsrechten. In Guatemala sind weniger als 2 % der arbeitenden Bevölkerung in Gewerkschaften organisiert und werden immer wieder Opfer von gewalttätigen Übergriffen.

Aus Angst, ausländisches Kapital zu verlieren und zukünftige Investoren abzuschrecken werden die Bedingungen in den Maquilas häufig vom guatemaltekischen Arbeitsministerium akzeptiert. Die Staatsanwaltschaft arbeitet nur unzureichend, die Prozesse sind langwierig und teuer.

Deshalb ist es um so wichtiger, dass internationale Organisationen wie pbi die Gewerkschaften unterstützen und ihre Mitglieder begleiten. Aus meinen Erfahrungen ist die Arbeit von pbi von großer Bedeutung für die MenschenrechtsverteidigerInnen, die wegen ihrer Arbeit bedroht werden, und ermöglicht es ihnen, weiterhin ihre gesetzlich zugesicherten Rechte einzufordern. - pbi


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Quelle:
pbi Rundbrief 01/06, Seite 12
Herausgeber: pbi-Deutscher Zweig e.V.
Bahrenfelder Strasse 79, 22765 Hamburg
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den 17. Januar 2007