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BERICHT/036: Präsidentschaftswahlen im Kongo - Zeitenwende oder Chaos?


peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden - pbi Rundbrief 01/06

Präsidentschaftswahlen im Kongo

Zeitenwende oder Chaos?


Die am 30. Juli und 29. Oktober in der Demokratischen Republik Kongo abgehaltenen freien Wahlen sollten offiziell das Ende der Übergangszeit nach mehreren Jahren Bürgerkrieg einläuten. THOMAS HARTWIG, pbi-Freiwilliger im Indonesienprojekt, war mehrfach in Zentralafrika und schrieb über den Zentralafrika-Konflikt. Er schildert die Hintergründe dieses Krieges, der mit über 4 Millionen Opfern als einer der Verlustreichsten seit dem 2. Weltkrieg gilt.


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Nach der Unabhängigkeit 1960 stürzte die ehemalige belgische Kolonie in einen Strudel politischer Wirren, Rebellionen und Sezessionsbewegungen. Mit dem Putsch von 1965 begann die über 30 Jahre andauernde "Kleptokratie" Mobutus. Während Mobutu und seine Günstlinge unermesslichen Reichtum anhäuften, fiel das in Zaire umbenannte Land in administrativen Zerfall und Bankrott.

Als Anfang der neunziger Jahre die jahrzehntelange Unterstützung des Westens ausblieb und 1994 geschätzte 1-2 Millionen Menschen aus dem benachbarten Ruanda aus Angst vor Racheakten des neuen Regimes nach Zaire flohen, sah Mobutu seinem Ende entgegen.

In den Flüchtlingslagern der östlichen Provinzen fanden sich etliche derer, die sich am Völkermord beteiligt hatten. Sie organisierten sich neu und starteten von Zaire aus Angriffe gegen die neue Regierung in Ruanda. Dies verschärfte die schon bestehenden Spannungen zwischen Alteingesessenen und in Zaire ansässigen Banyarwanda (übersetzt: Leute aus Ruanda). Es kam zu offenen Auseinandersetzungen zwischen Banyamulenge (übersetzt: Leute aus Mulenge; ruandische Tutsi, die seit dem 18. Jahrhundert in der Region lebten) und zairischer Armee und Zivilisten. Im Oktober 1996 erhob sich ein bewaffneter Aufstand gegen zairische Truppen. Wenige Tage später wurde offiziell die Gründung der 'AFDL' ('Alliance des Forces pour la Libération du Congo-Zaire') mit Laurent-Désiré Kabila als Sprecher bekanntgegeben.

Mit Hilfe der ruandischen Armee eroberte die AFDL innerhalb nur weniger Wochen große Gebiete im Osten Zaires. Die Flüchtlinge kehrten entweder nach Ruanda zurück oder flohen vor den vorrückenden AFDL-Truppen landeinwärts. Kabila rekrutierte neue Kämpfer, darunter zahlreiche Kindersoldaten, später gelang es ihm, von Exilzairern in Angola unterstützt, eine weitere Front im Süden zu errichten.

Als die AFDL am 17. Mai 1997 kampf-los in die Hauptstadt Kinshasa einmarschierte, hatte es zwar kaum Gegenwehr seitens der zairischen Armee 'FAZ' ('Forces Armées Zairoises') gegeben, mehrere systematische Massaker an Hutu-Flüchtlingen und zahllose Plünderungen hatten @as Land aber in große Not gestürzt.

Laurent-Désiré Kabila, der sich kurz nach der Ankunft in Kinshasa zum Präsidenten der neu benannten Demokratischen Republik Kongo benannt hatte, verspielte schnell die ihm entgegen gebrachte Sympathie.


Der Afrikanische Weltkrieg eskaliert

Das Versprechen von Demokratie und Wahlen ignorierend, verbot er politischen Parteien jegliche Aktivitäten und ließ einige Monate später die Parteien selbst verbieten. Der international schnell isolierte Kabila sah sich Vorwürfen seitens der Nachbarländer Ruanda, Uganda und Burundi ausgesetzt, nichts gegen Rebellengruppen an ihren Grenzen zu unternehmen. Mit dem Regime in Ruanda kam es zum offenen Bruch, aus ehemaligen Verbündeten wurden Feinde.

Ein Aufstand Kabila-kritischer Soldaten am 2. August 1998 weitete sich binnen kurzer Zeit auf große Gebiete im Kongo aus. Die mit Hilfe der ruandischen und ugandischen, in geringerem Umfang auch der burundischen, Armee entstandene 'RCD' ('Rassemblement Congolais pour la Démocratie'), einer sehr heterogenen Vereinigung von Gegnern Kabilas, stand nach nur zwei Wochen vor der Einnahme Kinshasas.

Angola, Simbabwe und Namibia, später auch kurzfristig der Tschad, griffen zu Gunsten Kabilas in die Kämpfe ein und konnten große Gebiete im Süden zurückerobern. Im Oktober 1998 gründete sich der 'MLC' ('Mouvement de Libération du Congo'), der mit Ugandas Unterstützung große Gebiete im Norden kontrollierte.

Während sich die Fronten verhärteten und ein im Juli 1999 im sambischen Lusaka geschlossenes Abkommen ohne Folgen blieb, spielten sich hinter den Linien unglaubliche humanitäre Dramen ab.

Die Ausbeutung der enormen Rohstoffvorkommen des Kongo gab dem Krieg eine neue Dynamik. Vor allem Gold, Diamanten und das für die Chipherstellung benötigte Coltan, waren Objekte zahlreicher Begierden. Zwischen der ruandischen und ugandischen Armee kam es am Diamantenumschlagplatz Kisangani zu schweren Gefechten um die Kontrolle über die Stadt und den Diamantenhandel, an dem auch Simbabwe und Uganda profitierten.

Mit den Erlösen finanzierten sie Kriegskassen und Offiziere. So kamen stets neue Waffen in die Gebiete. Leidtragende waren Zivilisten, die häufig Zwangsdienste leisten mussten, Opfer von Einschüchterungen, Vergeltungsmaßnahmen oder sonstiger Übergriffe wurden. Das speziell im Osten unüberschaubare Spektrum bewaffneter Gruppen führte dort zu besonders schlimmen Gewaltakten.

Vielfältige wirtschaftliche Interessen beförderten die Fragmentierung des Landes. Neben MLC und RCD, die sich in drei Splittergruppen aufteilte, gab es zahlreiche kleinere Gruppen, die teilweise reine materielle Interessen verfolgten. Darüber hinaus nutzten zahlreiche Milizen aus den Nachbarländern die Ostprovinzen als Rückzugsgebiet. Schätzungen der 'International Crisis Group' zufolge sterben noch heute etwa 1000 Menschen pro Tag an den direkten und indirekten Folgen des Krieges.


2002: Neue Friedensbemühungen

Nachdem Laurent-Désiré Kabila am 16. Januar 2001 unter bis heute nicht geklärten Umständen ermordet und sein Sohn Joseph zu seinem Nachfolger im Präsidentenamt ernannt wurde, kam neue Bewegung in die festgefahrenen Friedensbemühungen. Im Dezember 2002 unterzeichneten die größten Kriegsparteien in Pretoria einen Friedensvertrag, der einen Abzug aller ausländischen Truppen und eine Übergangszeit mit abschließenden Wahlen vorsah. Inzwischen sind etwa 17.000 Blauhelmsoldaten der UN-Mission MONUC im Land, um ein erneutes Aufflammen der Kämpfe zu verhindern.

Heute, November 2006, ist die Sicherheitslage vor allem im Osten immer noch prekär. Neben ausländischen Milizen, vor allem aus Ruanda und Uganda, sind dort weiterhin viele kleinere Gruppen unter Waffen.

Auch die neue Armee bedroht die Zivilbevölkerung. Bei Kämpfen und Entwaffnungsaktionen kommt es oftmals zu Übergriffen gegen Zivilisten, Schießereien und Plünderungen.

Mit den auf Juli 2006 verschobenen Wahlen sollte der Krieg eigentlich endgültig beendet werden. Wegen zahlreicher in- und ausländischer Befürchtungen, dass es schon während der Wahlen zu Gewaltausbrüchen kommen könnte, sind 1.500 zusätzliche Soldaten der EU eingesetzt, um unter der Führung der Bundeswehr die Wahlen zu sichern. Ihr Mandat endet Ende November 2006.

Oft wurde im Vorfeld der Wahlen die Befürchtung geäußert, nicht die Durchführung der Wahlen, sondern die Akzeptanz ihres Ausgangs sei das Problem der politischen Landschaft der Demokratischen Republik Kongo. Vieles spricht dafür, dass die Proteste der Anhänger des mit nur 12 % der Stimmen unterlegenen Rebellenführers Jean-Pierre Bemba die heiße Phase der Auseinandersetzung erst einläuten könnten.

Die Stichwahl am 29. Oktober zwischen Joseph Kabila und Jean- Pierre Bemba, konnte Kabila mit knapp 58 % der Stimmen für sich entscheiden. Jean-Pierre Bemba hat in seinen ersten Reaktionen das Ergebnis angezweifelt und rechtliche Schritte angekündigt. Beide Kontrahenten verfügen noch über bewaffnete Milizen, und in den Wochen nach den Wahlen, die ruhig verliefen, kam es vor allem in Kinshasa mehrfach zu Zusammenstössen. Inzwischen hat Bemba angekündigt, das Wahlergebnis anzuerkennen. Es bleibt abzuwarten, wie sich vor allem die im Osten Kongos verbleibenden bewaffneten Gruppen zum Wahlausgang stellen werden.


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Quelle:
pbi Rundbrief 01/06, Seite 18-19
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veröffentlicht im Schattenblick am 23. Januar 2007