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BERICHT/061: Zwei Jahre als Fachkraft des Zivilen Friedensdienstes in Kolumbien


peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden
pbi Rundbrief 01/10

Eine überzeugende, gewaltfreie Alternative

Zwei Jahre als ZFD-Fachkraft in Kolumbien


JULIA WÄLTRING führte ein Leben zwischen Schutzbegleitung, Teamtreffen und Kommunikationsarbeit. Die 35-jährige Diplom-Sozialpädagogin arbeitete zwei Jahre als mit dem Zivilen Friedensdienst (ZFD) entsendete Friedensfachkraft in Kolumbien. Sie war zunächst in Barrancabermeja tätig, später in der Hauptstadt Bogotá. Im Gespräch mit pbi-Rundbriefredakteur CHRISTOPH BEHRENDS erläutert sie die Arbeit von pbi Kolumbien, schildert ihren Alltag und ihren Blick auf den ZFD.


PBI-RUNDBRIEF: Du warst zwei Jahre mit pbi über den ZFD in Kolumbien. Welche Schwerpunkte hat das pbi-Kolumbienprojekt?

JULIA WÄLTRING: Einen Schwerpunkt bildet die physische Begleitung, das heißt wir gehen wortwörtlich an der Seite von MenschenrechtsverteidigerInnen. In einem weißen T-Shirt mit den pbi-Logo begleiten wir auf Anfrage diese Menschen zu einem Gerichtstermin, zu einer Fortbildung mit einer Frauengruppe in einem Stadtviertel oder bei einer mehrtägigen Ermittlungskommission auf dem Land.

PBI-RUNDBRIEF: Hast du während der Begleitung heikle Situationen erlebt?

JULIA WÄLTRING: Schon gleich zu Anfang, noch mitten in der Eingewöhnungszeit im pbi-Team in Barrancabermeja, bekam ich hautnah mit, was eine 24-Stunden-Begleitung bedeutet. Die Vorsitzende der Frauenorganisation "Organización Femenina Popular" (OFP) wurde in ihrer Wohnung überfallen. Mit einer Waffe am Kopf wurde sie beschimpft und es wurde ihr damit gedroht, dass sie 48 Stunden Zeit hätte, Barrancabermeja zu verlassen, sonst würde ihrer Familie etwas angetan werden. Daraufhin bat sie um eine ständige Begleitung von pbi. Das hieß dann, dass wir über Nacht dort blieben und sie auf Schritt und Tritt begleiteten.

PBI-RUNDBRIEF: Was macht pbi Kolumbien noch?

JULIA WÄLTRING: Regelmäßige Besuche im Büro der jeweiligen Menschenrechtsorganisation, die Beobachtung öffentlicher Veranstaltungen wie z. B. Gemeindeversammlungen und Kundgebungen, und die internationale Präsenz bei Rückführungsprozessen vertriebener Gemeinden sowie bei "Runden Tischen" und Dialogprozessen gehören ebenfalls zu den Schwerpunkten.

PBI-RUNDBRIEF: Informieren und kommunizieren spielt also eine große Rolle?

JULIA WÄLTRING: Die regelmäßigen Kontakte mit VertreterInnen der nationalen Autoritäten und der internationalen Gemeinschaft wie Botschaften und den Vereinten Nationen und mit Abgeordneten in den Heimatländern der pbi-BegleiterInnen sowie mit weiteren Personen, die sich mit politischem Gewicht für Kolumbien engagieren, sind sehr wichtig. Diese Kontaktstellen informieren wir regelmäßig über unsere Arbeit und über die Situation der von uns begleiteten Organisationen. Neben den regelmäßigen Gesprächen erstellen wir vierteljährlich die Zeitschrift 'ColomPBla' und berichten monatlich für die Mitglieder unseres weltweiten Alarmnetzwerkes über besorgniserregende Vorfälle.

PBI-RUNDBRIEF: Inwieweit profitiert pbi Deutschland von deiner Anwesenheit vor Ort?

JULIA WÄLTRING: Die direkte Präsenz vor Ort verschafft uns Informationen aus erster Hand. So kann z. B. auch in Deutschland der "Focos de Interés" bezogen werden, ein monatliches Rundschreiben über die Menschenrechtssituation in Kolumbien und die Tätigkeiten von pbi.

PBI-RUNDBRIEF: Das pbi-Kolumbienprojekt bietet den begleiteten Organisationen zwei- bis dreimal jährlich Workshops zum Wiederaufbau des sozialen Netzes an. Warum ist das so wichtig?

JULIA WÄLTRING: Die Gewalt- und Bedrohungssituation in Kolumbien führt oft dazu, dass Gemeinschaften auseinander gerissen werden, dass das Vertrauen in die Gesellschaft, und sei es auch nur ein Teil der Gesellschaft wie die Nachbarschaft, zerstört wird und somit das soziale Netz der Menschen nicht mehr funktioniert oder einfach nicht mehr vorhanden ist. Auf Dauer hat das fatale Folgen für die kolumbianische Gesellschaft. Ein menschenwürdiges Lebensumfeld, zu dem auch ein soziales Netz gehört, ist notwendig für eine Gesellschaft, die gerechtes und gewaltfreies Handeln einfordert.

PBI-RUNDBRIEF: Wie sieht dein Alltag aus?

JULIA WÄLTRING: Ich begleite MenschenrechtsverteidigerInnen zu Gerichtsterminen oder bei mehrtägigen Reisen auf dem Land. Ich führe Gespräche mit dem diplomatischen Korps oder mit dem Militär, schreibe Artikel für "ColomPBla" und verfasse Abschnitte des monatlichen "Focos de Interés", beschäftige mich mit Sicherheitsfragen und der Analyse der aktuellen Situation im Land. Darüber hinaus gibt es spezifische Aufgaben in den jeweiligen Teams.

PBI-RUNDBRIEF: Der ZFD feiert in diesem Jahr zehnjähriges Bestehen. Wo siehst du die Reichweiten und Grenzen des Entsendeprogramms?

JULIA WÄLTRING: Im Großen und Ganzen halte ich den ZFD für ein sinnvolles Instrument, das auch machtvoll sein und für dauerhafte gewaltfreie Konfliktlösungen stehen kann. Aber es kommt sehr auf den Spielraum an, der der Friedensfachkraft und ihrem Projekt zur Verfügung steht sowie auf den politischen Willen der beteiligten Länder und AkteurInnen. Ist letzterer nicht vorhanden, sehe ich die Gefahr, dass der ZFD zu einem reinen Prestigeobjekt werden kann, ohne jedoch zu tiefergehenden Veränderungen beitragen zu können.

PBI-RUNDBRIEF: Kann ein finanziell verhältnismäßig gering ausgestattetes Programm überhaupt etwas Entscheidendes zu friedlicher Konfliktlösung beitragen?

JULIA WÄLTRING: Auch ein Programm mit begrenzten finanziellen Ressourcen kann dazu beitragen, dass Schritte unternommen werden, die zu einer gewaltfreien Lösung beitragen, da es oftmals auf das Engagement der daran beteiligten Menschen ankommt und auf den Handlungsspielraum, den die Friedensfachkräfte haben. Aber klar, oftmals fehlt es an finanziellen Mitteln und es ist traurig zu sehen, dass man mehr tun könnte, aber die Mittel fehlen oder der Projektzeitraum abgelaufen ist. Oft fehlt es auch an politischem Willen. Denn es regt natürlich schon zum Nachdenken an, wenn die Bundesregierung im Rahmen des ZFD Friedensprozesse in der Welt fördert, gleichzeitig aber hohe Rüstungsausgaben verzeichnet und in einigen Ländern Regierungsprogramme unterstützt, die sich eben nicht durch die Förderung von Gerechtigkeit und Frieden auszeichnen.

PBI-RUNDBRIEF: Während in den hiesigen Medien viel über die Wiederaufbauarbeit etwa der deutschen Bundeswehr in Afghanistan berichtet wird, bleiben die Errungenschaften des Zivilen Friedensdienstes meist außen vor. Hat die zivile Friedensarbeit ein Aufmerksamkeitsdefizit?

JULIA WÄLTRING: Die zivile Friedensarbeit könnte sicherlich mehr Aufmerksamkeit vertragen und hat diese verdient! Aber es ist schwer, die ja dann doch eher "sensationslose" Arbeit in die Medien zubringen. Da braucht es interessante und innovative Ideen, um Interesse in der Gesellschaft zu wecken, sowohl um über diese Arbeit zu informieren als auch neue ZFD-Fachkräfte zu gewinnen. Zudem habe ich den Eindruck, dass viele Menschen das Konzept der zivilen Friedensarbeit mit Altruismus, Träumerei oder Abenteuer verbinden, es aber noch nicht als mögliche und gewaltfreie Alternative zu militärischer Konfliktlösung begreifen.

Vielen Dank für das Gespräch.


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Quelle:
pbi Rundbrief 01/10, S. 10-11
Herausgeber: pbi Deutscher Zweig e.V.
Harkotstr. 121, 22765 Hamburg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2010