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MITTELAMERIKA/111: Außergesetzliche Hinrichtungen in Kolumbien


peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden
pbi Rundbrief 02/08

"Wir prangern diese Verbrechen immer und immer wieder an

Liliana Uribe über außergesetzliche Hinrichtungen und die öffentliche Meinung in Kolumbien


Seit vielen Jahren begleitet pbi Mitglieder des Anwaltskollektivs Corporación Jurídica Libertad aus Medellín, so auch die Menschenrechtsanwältin Liliana Uribe. Uribe hat wesentlich an der Dokumentation von Fällen außergesetzlicher Hinrichtungen in ganz Kolumbien gearbeitet und die entsprechenden Berichte vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission in Washington vorgetragen. Im April diesen Jahres war sie in vier deutschen Städten, um über die besorgniserregende Zunahme dieser Morde in Kolumbien zu berichten. In Köln sprach TERESA HUHLE mit ihr.


PBI-RUNDBRIEF: Außergesetzliche Hinrichtungen - was ist darunter zu verstehen?

LILIANA URIBE: Das sind Morde, die von staatlichen Agenten verübt werden oder von Leuten, die das mit der Hilfe und dem Mitwissen des Staats tun. Sie werden willkürlich begangen und sind niemals ein Einzelfall. Es gibt auch keine "legalen" Hinrichtungen. Kolumbien kennt keine Todesstrafe. Aber es gibt einen bewaffneten Konflikt, und in den Kampfhandlungen gibt es Tote. Was wir anprangern, ist, dass auch Personen umgebracht werden, die an diesen Kampfhandlungen nicht beteiligt sind. Man verhaftet sie an ihrem Arbeitsplatz oder in ihrer Wohnung, vor den Augen ihrer Familie, ihrer Freunde, ihrer Kinder. Häufig werden sie gefoltert. Und dann tötet man sie, um sie als besiegte Feinde zu präsentieren.

PBI-RUNDBRIEF: Können Sie von einem konkreten Fall berichten?

LILIANA URIBE: Es gibt z.B. den Fall von Martia Graciela, einer schwangeren Frau. Sie wurde aus ihrem Bauernhaus im Osten Antioquias vom Militär verschleppt und vorher vor den Augen ihrer Familie misshandelt. Dabei hatte die Familie den Militärs immer wieder beteuert, sie sei keine Guerillera. Sie wurde trotzdem mitgenommen, dann ermordet und fernab ihres Dorfes verscharrt. Ihre Familie suchte sie überall und bat auch unser Anwaltskollektiv um Hilfe. Bei unseren Ermittlungen haben wir herausgefunden, dass ein Soldat, der Zeuge dieses Vorfalls war, seinen Angehörigen davon erzählte. Was er gesehen hatte, ließ ihn nicht los. Nach den Aussagen seiner Angehörigen hatte er vor, den Fall anzuzeigen. Doch bevor er die Anzeige einreichen konnte, "verschwand" er. Seine Angehörigen wissen nichts von seinem Verbleib. Das ist nur ein Fall von vielen dieser Art.

PBI-RUNDBRIEF: Ist es für Sie nicht gefährlich, in Fällen von außergesetzlichen Hinrichtungen zu ermitteln?

LILIANA URIBE: Wir waren eine der ersten Organisationen, die in Kolumbien die außergesetzlichen Hinrichtungen angeprangert hat. Wir prangern diese Verbrechen immer und immer wieder an. Das Militär steht uns sehr feindlich gegenüber. Letztes Jahr wurde unser Kollektiv verschiedentlich bedroht, wir werden auf der Straße verfolgt, unsere Telefongespräche werden abgehört. Natürlich soll uns das alles einschüchtern.

PBI-RUNDBRIEF: Im Februar und März fanden in Kolumbien große Demonstrationen statt, erst gegen die Entführungen und die FARC, dann aber auch gegen die staatliche Gewalt. Wie beurteilen Sie diese Demonstrationen gegen die Regierung?

LILIANA URIBE: Mich haben die Demonstrationen vom 6. März überrascht. Denn die öffentliche Meinung in Kolumbien ist immer auf der Seite der Regierung. Die Menschen vertrauen darauf, dass es möglich ist, die Guerilla zu besiegen, und dass dann alle Probleme gelöst sind. Alle Probleme, die wirtschaftlichen, die politischen und sozialen Probleme, werden auf die Guerilla zurückgeführt. Ein ganz wichtiges Problem wird aber übersehen: Die starke paramilitärische Durchdringung der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft. Der vermeintlich einzig sichtbare Feind ist die Guerilla. Vor diesem Hintergrund erscheinen mir die Demonstrationen vom 6. März sehr wichtig. Sie machen deutlich, dass ein großer Teil der kolumbianischen Öffentlichkeit eine politische Lösung des Konflikts möchte. Dass er Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung möchte.


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Quelle:
pbi Rundbrief 02/08, S. 14
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2008