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MITTELAMERIKA/114: Kritische Lage für MenschenrechtsverteidigerInnen im Süden Mexikos


peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden
pbi Rundbrief 01/09

"Wenn ihr nicht ins Gefängnis kommt, werden wir euch töten!"
Kritische Lage für MenschenrechtsverteidigerInnen im Süden Mexikos

Von Maik Müller, Adam Muminovic


Der 13. Februar 2009 schrieb in Mexiko in zweierlei Hinsicht Schlagzeilen. An diesem Tag nahm die mexikanische Regierung 83 von insgesamt 93 Empfehlungen des UN-Menschenrechtsrates im Rahmen der "Revision zur Menschenrechtssituation in Mexiko" an. Dies könnte als Indikator dafür angesehen werden, dass Mexiko sich in Sachen Menschenrechte auf einem guten Weg befindet. Am gleichen Tag löste jedoch ein anderes Ereignis im Bundesstaat Guerrero tiefe Besorgnis aus und machte deutlich, wie kritisch es um die Menschenrechte besonders in den südlichen Regionen Mexikos bestellt ist: Die beiden Aktivisten Raúl Lucas (39) und Manuel Ponce (32), Präsident und Sekretär der "Organisation für die Zukunft der Mixtecos" (OFPM) wurden in Ayutla de los Libres von drei bewaffneten Männern entführt. Wie berechtigt die Sorgen um die beiden entführten Menschenrechtsverteidiger waren, wurde genau eine Woche später deutlich. Am 20. Februar wurden die Leichen der beiden Männer aufgefunden - durch Blutergüsse, schwere Verbrennungen und eingeschlagene Zähne aufs Grausamste entstellt.



Lynchjustiz und Militärwillkür

Es ist wohl kein Zufall, dass gerade sie ausgewählt wurden, um ein blutiges Exempel an ihnen zu statuieren. Raúl war Überlebender eines Massakers im Dorf "El Charco", in dem das Militär 1998 elf Zivilisten hinrichtete. Die mexikanische Regierung stellte die Ereignisse später als Auseinandersetzung zwischen der Armee und der Guerilla dar. Die beiden ermordeten Aktivisten klagten in diesem und anderen Fällen die Menschenrechtsverletzungen an, die durch das Militär begangen wurden. Dies hat zu wiederholten Drohungen und Übergriffen geführt. In einem Interview, dass pbi 2007 mit Raúl Lucas führte, erzählte er, was er und seine Familie erleiden mussten: "Nach dem Massaker von El Charco begann die Armee, mich zu bedrohen. Ich sei ein Anführer, der die Kameraden anstachele, und sie würden mich töten. Sie kamen viermal in mein Haus und wir erhielten Morddrohungen. Später haben sie auch auf meine Frau geschossen. Am 15. Februar 2007 verübten sie ein Attentat auf mich und sie schossen mir in den Hals." Obwohl alle Vorfälle zur Anzeige gebracht wurden, gingen die Täter straffrei aus.

Die Hintergründe dieser Taten erklären sich aus der jüngeren Geschichte. Seit seiner Gründung Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Guerrero immer wieder von Konflikten erschüttert, die sich stets am Streit um Landbesitz und am sozialen, politischen und wirtschaftlichen Gefälle zwischen Bauern und den wenigen regionalen Machthabern, den Kaziken, entzündeten. Die Kaziken unterhalten enge Beziehungen zu Militär, Polizei und zu Regierungskreisen. In den letzten Jahren ist die Situation vor Ort vor allem von blutigen Machtkämpfen rivalisierender Drogenbanden geprägt. Dies nahm die Regierung zum Anlass, die Militärpräsenz in der Region massiv zu erhöhen.


Gegensätzliche Ansichten vor dem UN-Menschenrechtsrat

Folgt man dem offiziellen Bericht der Mexikanischen Regierung zur Lage der Menschenrechte im eigenen Land, den diese nur drei Tage vor der Entführung von Raúl Lucas und Manuel Ponce dem UN-Menschenrechtsrat vorgelegt hat, könnte man meinen, die Tage schwerer Menschenrechtsverletzungen in Mexiko wären längst passé. Mit dem Hinweis auf die vielen Initiativen und Programme, die der mexikanische Staat in den letzten Jahren angestoßen hat, soll der Eindruck vermittelt werden, Mexiko befände sich auf dem besten Weg zu einem Staat, in dem solche Gräueltaten keinen Platz mehr haben. Die Berichte mehrerer zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie der offizielle UN-Bericht zeichnen indes ein anderes Bild. Viele dieser staatlichen Initiativen, so die Kritik, seien vorrangig administrativer Natur und führten zu keinen strukturellen Veränderungen. Häufig fehle es aber auch an der konsequenten Umsetzung, um Menschenrechtsverletzungen und deren Nichtverfolgung einzudämmen.


Staatliche Schutzmaßnahmen verpuffen

Der Mord an Raúl Lucas und Manuel Ponce ist kein Einzelfall. Am 10. Februar 2008 wurde ebenfalls in Ayutla de los Libres die mit Folterspuren übersäte Leiche von Lorenzo Fernández Ortega aufgefunden. Der Ermordete war ein führendes Mitglied der "Organisation des Volkes der Me'phaa" (OPIM). Im April 2008 wurden fünf weitere OPIM-Mitglieder verhaftet, die Amnesty International daraufhin zu politischen Gefangenen erklärt hat. Vier von ihnen wurden erst nach fast einem Jahr wieder auf freien Fuß gesetzt. Aufgrund solcher und ähnlicher Vorfälle sehen sich viele AktivistInnen gezwungen, ihre Aktivitäten aufzugeben oder unterzutauchen. Selbst nachdem die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte im Sommer 2008 die Ausweitung von behördlichen Sicherheitsmaßnahmen auf insgesamt 41 OPIM-Mitglieder angeordnet hatte, verbesserte sich deren Situation nicht signifikant. In vielen Fällen erwies sich die Umsetzung dieser Maßnahmen als völlig unzureichend, um die bedrohten MenschenrechtsverteidigerInnen vor weiteren Übergriffen zu schützen.


Systematische Einschüchterungen, ständige Bedrohung

Besonders prekär ist der Fall von Obtilia Eugenio Manuel, die bereits seit ihrer Teilnahme am Gedenktag des Massakers von EI Charco in 2002 bedroht wird. Nach ihrer Wahl zur Präsidentin der OPIM im Januar 2009 spitzt sich die Situation nun allerdings bedrohlich zu. Seither hat sie bereits sieben ernstzunehmende Todesdrohungen erhalten. Kurz nach ihrer Wahl wurde die neue OPIM-Präsidentin auf dem Weg zu einer Versammlung von drei Autos verfolgt. Einer der Insassen sprach sie mit den Worten an: "Du kommst dir wohl sehr mutig vor. Hoffentlich kommst du auch ins Gefängnis. Wenn ihr nicht ins Gefängnis kommt, werden wir euch töten." Im März wurde ihr mitgeteilt, dass sie die Nächste sein könnte, die verschwindet, gefoltert und erschossen wird.

Trotz breiter moralischer Unterstützung durch über 100 Nichtregierungsorganisationen hat Obtilia Eugenio Manuel mittlerweile die Region verlassen müssen. Ebenso musste das Menschenrechtszentrum Tlachinollan sein Büro in der Region Ayutla aufgrund der angespannten Situation auf unbestimmte Zeit schließen. pbi hat daraufhin seine Präsenz in Ayutla verstärkt, die schützende Begleitung für OPIM-Mitglieder ausgeweitet und die Kontakte zu politischen und militärischen Entscheidungsträgern intensiviert. In Deutschland hat pbi im Frühjahr 2009 mehrere Gespräche mit der mexikanischen Botschaft und mit Entscheidungsträgern aus Politik und Verwaltung geführt. Zudem wurde am 16. April eine Delegation der Europäischen Kommission nach Guerrero eingeladen. Es fand eine Zusammenkunft mit Mitgliedern der OPIM und des Menschenrechtszentrums Tlachinollan statt. VertreterInnen der deutschen und französischen Botschaft trafen sich außerdem zu Gesprächen mit Obtilia Eugenio Manuel und den vier freigelassenen OPIM-Aktivisten.


Die internationale Gemeinschaft ist gefragt

Mexiko hat nun schon mehrfach zugesagt, MenschenrechtsverteidigerInnen einen besonderen Schutz zukommen zu lassen. Eigentlich sollte dies bereits ein am 29. August 2008 gestartetes "Nationales Menschenrechtsprogramm" gewährleisten. Allein eine Umsetzung dieses Programms ist bis heute nicht erfolgt. Auch seit Annahme der Empfehlungen des UN-Menschenrechtsrates konnte nicht festgestellt werden, dass konkrete Schritte unternommen wurden, um die Sicherheit der MenschenrechtsverteidigerInnen in Guerrero zu verbessern. Wichtig ist nun, dass die internationale Gemeinschaft Mexiko dazu anhält, seinen Verpflichtungen nachzukommen.
pbi

pbi ist seit 2003 in der Gemeinde Ayutla im Bundesstaat Guerrero präsent


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Quelle:
pbi Rundbrief 01/09, S. 8-9
Herausgeber: pbi Deutscher Zweig e.V.
Harkotstr. 121, 22765 Hamburg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2009