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MITTELAMERIKA/116: Interview - "Nur indem wir unsere Umwelt schützen, können wir unser Leben schützen"


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pbi Rundbrief 01/10

"Nur indem wir unsere Umwelt schützen, können wir unser Leben schützen"

Im Interview mit Celsa Valdovinos Ríos, Leiterin von "Mujeres Ecologistas" aus Mexiko


CELSA VALDOVINOS RÍOS ist die Gründerin der "Ökologischen Frauenorganisation der Sierra de Petatlán" (OMESP), kurz: "Mujeres Ecologistas". Seit August 2005 werden sie und ihre im Jahr 2000 gegründete Organisation von pbi begleitet. Im Februar 2010 reiste Celsa nach Deutschland, um in Berlin eine Tagung zur Menschenrechtslage in Mexiko zu besuchen. Die pbi-Mitarbeiterinnen MICHAELA STEMPLINGER und HEIKE KAMMER sprachen mit ihr über ihre Arbeit in Mexiko.


PBI-RUNDBRIEF: "Mujeres Ecologistas" gilt als Musterbeispiel für die erfolgreiche Umsetzung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten. Was genau sind die Schwerpunkte eurer Organisation?

CELSA VALDOVINOS RÍOS: Der wichtigste Punkt, an dem wir arbeiten, ist der Anbau von Lebensmitteln, die wir selber zum Essen und Überleben brauchen. Natürlich soll das auch gesund sein, deshalb benutzen wir keine Chemikalien. Ein anderer, sehr wichtiger Faktor bei unserer Arbeit ist der Umweltschutz. Dabei geht es vor allem darum, die Flüsse und Bäche sowie die Wälder in unserer Region zu bewahren. Denn nur indem wir die Umwelt schützen, können wir unser Leben schützen, Trinkwasser gewinnen und Nahrung anbauen. Außerdem bieten wir Workshops an, durch die wir unseren Mitmenschen lehren wollen, die Umwelt zu schützen, um ihr Leben zu verbessern. Sehr wichtig ist auch die Vergabe von Kleinkrediten, die sogenannte "Sparbüchse", die aus eigenen Beiträgen finanziert wird.

PBI-RUNDBRIEF: Was war für dich persönlich der Auslöser, die Organisation zu gründen?

CELSA VALDOVINOS RÍOS: Ich sah, wie sehr die Frauen diskriminiert wurden. Es gab schon sehr viele Umweltschutzorganisationen, die jedoch nur männliche Mitglieder zählten. Meiner Meinung nach war es jedoch sehr wichtig, dass Frauen ebenfalls ihren Beitrag leisten.

PBI-RUNDBRIEF: Wie haben die Männer damals auf diesen Schritt reagiert?

CELSA VALDOVINOS RÍOS: Die Männer wurden ziemlich wütend und beschimpften uns. Sie warfen uns ständig an den Kopf, dass wir versagen würden. Das ist teilweise auch heute noch so. Die Männer sind sehr eitel und hatten damals Angst, dass wir Frauen genau so gut oder vielleicht sogar besser arbeiten könnten. Aber mit der Zeit haben viele Männer gesehen, was selbst Frauen erreichen können. Mit einigen dieser "männlichen" Organisationen haben sich über die Zeit sogar Kooperationen gebildet. Sie haben gesehen, dass wir einen wichtigen Beitrag leisten. Aus diesen Gründen geben wir in der Organisation auch viele Workshops zum Thema "Rechte der Frauen" oder Seminare, um das Selbstbewusstsein der Frauen zu stärken.

PBI-RUNDBRIEF: Wie hat sich die Lage der Frauen und der Umwelt in der Region durch deine Arbeit seit 2000 verändert?

CELSA VALDOVINOS RÍOS: Zum Einen können die Frauen jetzt viel mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Sie haben mehr Selbstvertrauen und werden stärker akzeptiert. Zum Beispiel sind seit letztem Jahr die meisten Posten des Schulkomitees von Frauen besetzt. Wir können zudem sehen, dass sich die Frauen selbst weiter entwickelt haben. Sie haben eigene Gärten angelegt, haben eigene Hühnerfarmen, arbeiten in Baumschulen. Sie werfen ihren Müll jetzt auch nicht mehr einfach in den nächsten Graben oder in den Fluss, sondern haben ein Bewusstsein für Umweltschutz entwickelt. Zum Anderen haben die Frauen begonnen, ihre Lebensmittel untereinander zu tauschen. Die Menschen haben gesehen, dass man kein Geld braucht, um zu überleben oder um sich gegenseitig zu helfen. Jetzt kommen sogar Frauen aus anderen Regionen, die von uns gehört oder unsere Arbeit gesehen haben und bitten um Hilfe. Manchmal kommen sie von sehr weit her, um von uns zu lernen. Es gäbe vielleicht noch viele weitere Frauen und Organisationen, denen wir helfen könnten, doch das Reisen in andere Regionen Mexikos ist einfach zu gefährlich.

PBI-RUNDBRIEF: Vor wem genau müsst ihr bei eurer Arbeit oder auf euren Reisen Angst haben?

CELSA VALDOVINOS RÍOS: Zum Beispiel vor dem Militär. Wir machen in der Organisation gute Arbeit, aber das Militär geht gegen unsere Organisation vor. Die Soldaten werden von der Regierung geschickt. Sie kommen unangekündigt, erstellen Straßensperren, befragen Mitglieder der Organisation und auch AnwohnerInnen, durchsuchen Häuser, halten die Leute fest oder lassen welche von ihnen verschwinden. Früher kamen die Soldaten nur tagsüber, aber neuerdings kommen sie sogar nachts. Das ist sehr schlimm. Wir haben Angst, uns frei zu bewegen, weil wir nicht wissen, was uns passieren kann. Kriminalität ist in unserer Region ebenfalls sehr verbreitet. Manchmal wissen wir gar nicht, ob wir jetzt von Soldaten oder von Kriminellen, wie etwa Dieben oder Drogenhändlern angegriffen wurden.

PBI-RUNDBRIEF: In der Region Guerrero ist der Drogenhandel außerordentlich stark. Wird die Tätigkeit eurer Organisation dadurch weiter eingeschränkt?

CELSA VALDOVINOS RÍOS: Auf alle Fälle. Die Drogenhändler entführen und ermorden ständig Menschen, um Sachen zu vertuschen oder Schulden einzufordern. Wir haben sehr viel Angst, vor ihnen. Außerdem werden viele Repressionen gegen uns mit dem Drogenhandel begründet. Der vorherige Präsident Fox hat zum Beispiel oft gesagt, dass man alle Umweltschutzorganisationen bekämpfen müsste, da diese Drogen anbauen und die Drogenhändler schützen würden.

PBI-RUNDBRIEF: Warum kämpfen die Regierung und das Militär gegen eure Organisationen?

CELSA VALDOVINOS RÍOS: Sie wollen die Wälder abholzen und die Flüsse trocknen, sprich, die Umwelt zerstören, um die vorhandenen Rohstoffe für ihren eigenen Gewinn und ihren eigenen Vorteil auszubeuten. Dass wir, die auf dem Land wohnen und von der Umwelt abhängig sind, dafür mit unserem Leben bezahlen müssen, wollen sie nicht sehen.

PBI-RUNDBRIEF: Was gibt dir die Kraft, trotz allem mit deiner Arbeit weiter zu machen?

CELSA VALDOVINOS RÍOS: Ich mache diese Arbeit gerne und bin stolz auf das, was wir schon erreichen konnten. Ich will den Menschen helfen, ich will, dass sie sich weiter entwickeln und ein besseres Leben führen können. Ich will in meinem Leben etwas Gutes hinterlassen.

PBI-RUNDBRIEF: Die "Mujeres Ecologistas" werden von pbi-Freiwilligen begleitet. Wie hat sich deine Arbeit durch die Präsenz von pbi verändert?

CELSA VALDOVINOS RÍOS: Ich fühle mich sicherer und bekomme durch die Menschen von pbi auch moralische Unterstützung. Durch die "Gringos/-as" (weiße AusländerInnen) gibt es einfach mehr Sichtbarkeit meiner Arbeit. Die Menschen in Mexiko sehen, dass ich nicht mehr allein bin, dass Leute aus einflussreichen Ländern meine Arbeit und mich unterstützen. Außerdem werden die "Gringos/-as" von den Autoritäten unseres Landes besser anerkannt. Die Abteilung "Ländliche Entwicklung", die zur Regierung Guerreros gehört, unterstützt jetzt sogar meine Arbeit mit dem Anbau der Lebensmittel.

PBI-RUNDBRIEF: Du hast in den letzten Tagen an der Mexikotagung und weltwärts-Fachkonferenz teilgenommen. Was versprichst du dir von der Teilnahme?

CELSA VALDOVINOS RÍOS: Wir hätten gerne einige weltwärts-Freiwillige, die uns bei administrativen und organisatorischen Aufgaben unterstützen. Wir sind doch alle nur einfache Bauern ohne das nötige Know-how. Außerdem hoffen wir, dass wir auf unsere Situation und unsere Organisation aufmerksam machen konnten und mehr Hilfe von Europa bekommen. Wir möchten, dass sich die Menschen hier für uns einsetzen, mit ihrer Regierung sprechen und Druck auf die mexikanische Regierung ausüben. Darüber hinaus wollten wir die Menschen dazu animieren, stärker für den Umweltschutz einzutreten. Die Verschmutzung und der Klimawandel sind große Probleme, die uns alle betreffen. Alle Menschen auf diesem Planeten müssen dagegen angehen und die ökologische Situation weltweit verbessern. Das ist unser Traum und auch unsere Hoffnung.

Vielen Dank für das Gespräch!


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Quelle:
pbi Rundbrief 01/10, S. 3-4
Herausgeber: pbi Deutscher Zweig e.V.
Harkotstr. 121, 22765 Hamburg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2010