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ARTIKEL/332: 20 Protestwochen gegen 20 Atomwaffen (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 4 - November 2017
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

20 Protestwochen gegen 20 Atomwaffen
Erfolgreiche Kampagne am Atomwaffenstandort Büchel

Von Marion Küpker


Vom 26. März bis zum 9. August, dem Nagasaki-Gedenktag, liefen auch dieses Jahr wieder die Proteste unserer bundesweiten Kampagne Büchel ist überall-atomwaffenfrei.jetzt!. Sie richten sich gegen die auf dem Bundeswehr-Fliegerhorst Büchel im Rahmen der sogenannten nuklearen Teilhabe der Nato stationierten 20 US-Atombomben. Gleich der März-Auftakt war ein toller Erfolg: Alle BürgermeisterInnen der größeren Städte rund um Büchel wie Frankfurt, Mainz, Köln, Bonn, Koblenz etc. haben sich mit unserer 20-wöchigen Aktionspräsenz solidarisiert und das in Grußbotschaften zum Ausdruck gebracht. Die Auftaktblockade der vier wichtigsten Zufahrtstore am darauffolgenden Morgen und zum Dienstbeginn der SoldatInnen setzte das richtige Zeichen zum Beginn der internationalen Verbotsvertragsverhandlungen der Staatengemeinschaft in den Vereinten Nationen, die genau am 27. März - ohne eine/n VertreterIn aus Deutschland! - begannen und erfolgreich am 7. Juli beendet wurden!

Verstärkung aus den USA

Direkt im Anschluss an die Verbotsvertrags-Verhandlungen kam vom 12. bis 18. Juli eine elfköpfige US-Delegation nach Büchel, darunter zwei Nonnen, die Schwestern Ardeth Platte und Carol Gilbert. Sie haben beide an den Verbotsvertrags-Verhandlungen in New York teilgenommen und saßen für ihre Pflugschar-Aktionen in den USA jeweils für siebeneinhalb Jahre im Gefängnis. Sie hatten u.a. Minuteman-III-Atomraketen-Silos mit Hämmern bearbeitet und ihr Blut darauf verteilt.

Das Camp füllte sich mit holländischen Catholic Workers, belgischen und französischen AktivistInnen, dem Internationalen Jugendcamp der Friedens- und Begegnungsstätte Mutlangen, Aktiven der Gewaltfreien Aktion Atomwaffen abschaffen GAAA und anderen. Drei Go-In-Aktionen, eine Voll-Blockade der wichtigsten Zufahrtstore, Mahnwachen und Vorträge auch zu Uranabbau einer Native-American-Diné-Frau, Leona Morgan, bestimmten unsere Woche.

Am Samstag, den 15. Juli, spielten auf unserer internationalen Kundgebung Konstantin Wecker und viele regionale MusikerInnen vor über 300 Menschen am Haupttor. Es war der Haupttag unserer bundesweiten Kampagne. Bewegende Momente, in denen unerwartet zwei Bürgermeister für den Frieden zweier naher Städte, der Verbandsbürgermeister Albert Jung aus Kaisersesch und der Oberbürgermeister Wolfgang Treis aus Mayen, mit dem Fliegenlassen von weißen Tauben ihre Solidarität mit uns ausdrückten! Schöne Bilder können auf unserer Webseite angeschaut werden.

Aktionen der internationalen Woche

Der 16. Juli gilt bei den Native Americans als Internationaler Tag für "Aktionen gegen die atomare Kette": Am 16. Juli 1945 wurde die erste Atombombe Trinity in New Mexiko gezündet, und am 16. Juli 1979 gab es den größten Unfall weltweit in der Uranmine Church Rock in New Mexiko, beides Gebiete der Diné Native Americans. So hielten 60 Menschen am Sonntag eine Andacht, in der wir Brot miteinander teilten. Anschließend drangen über 30 Personen durch das Haupttor in den Luftwaffenstützpunkt Büchel ein. Während einige Aktive Brot mit den Soldaten teilen wollten, ließen zwei US-AktivistInnen, John LaForge und Susan Crane, die US-Flagge in der Basis herunter, und weitere Aktive legten Brot auf die drei Kampfflugzeuge im Eingangsbereich. Symbolisch sollten diese Flieger "Brot statt Bomben" an/auf die Menschen verteilen! Die Nonnen forderten, den Kommodore der Basis sprechen zu können, um ihm den Verbotsvertrag überreichen zu können. Sie verlasen den Inhalt immer wieder laut gegenüber den Soldaten. Nachdem die Polizei anrückte und Personalien feststellte, wurden alle Teilnehmenden wieder durch das Haupttor entlassen. Bereits am 14. Juli gab es eine kleinere Go-In-Aktion zweier US-AktivistInnen!

Am 17. Juli, früh morgens zu Dienstbeginn, wurden die drei wichtigsten Zufahrtstore von Büchel blockiert. Die beiden Nonnen verlangten von der Polizei, den leitenden Verantwortlichen des Luftwaffen-Stützpunktes Büchel herzubitten, da sie ansonsten nicht freiwillig aufstehen würden. Tatsächlich kam erstmalig der Verantwortliche Oberstleutnant Gregor Schlemmer, der auch das Atombomben-Jagdbomben-Geschwader 33 leitet, zu den BlockiererInnen. Er nahm nach einem Gespräch den Verbotsvertrag entgegen, woraufhin die US-Delegation sich aus der Blockade entfernte. Die weiteren Blockierenden ließen sich beiseite tragen.

Go-in-Aktion

Zum ersten Mal in der 21-jährigen Geschichte der Proteste gegen die stationierten US-B61-Bomben sind AktivistInnen auf einen der großen "Atombomben"-Flugzeugshelter-Bunker gestiegen. Nachdem sie zwei Außenzäune sowie anschließend zwei weitere Zäune aufgeschnitten hatten, die um den großen, mit Erde bedeckten Bunker stehen, saßen die fünf AktivistInnen über eine Stunde unentdeckt auf dem Bunker. Die Gruppe wurde erst bemerkt, als zwei von ihnen herunterkletterten, um "DISARM" (Abrüsten) auf die Metalltür des Bunkers zu ritzen. Dies löste einen Alarm aus. Umgeben von Fahrzeugen und Wachmännern, die sich u.a. mit Nachtsichtgeräten und Taschenlampen auf die Suche machten, haben sie die Wachmänner schließlich selber auf sich aufmerksam gemacht, indem sie zu singen begannen.

Sie befanden sich damit im einzig zusätzlich eingezäunten Sicherheitsbereich mit Flugzeugsheltern. Die AktivistInnen vermuteten in den Sheltern die Atombomben, die in zusätzlichen Sicherheitsbehältern (WS3 Vaults) unter den darin geparkten Tornados verbracht sind. Der Militärexperte Otfried Nassauer benennt diesen umzäunten Sicherheitsbereich für eine alte QRA-Stellung (Quick Reaction Alert), von der früher Kampfflugzeuge innerhalb kürzester Zeit aufsteigen konnten, um z.B. vom Kurs abgekommene Flugzeuge schnellstmöglichst erreichen zu können. Eine Aufgabe, die mittlerweile von anderen Militärbasen erledigt wird.

Der US-Militärexperte Hans Kristensen schreibt in seinem 2005 veröffentlichten Bericht U.S. Nuclear Weapons in Europe, dass bis Mitte der 90er Jahre für Einsatzübungen die B61-Atombomben in diese eingezäunten QRA-Stellung hinein- und heraustransportiert wurden. In Büchel befinden sich dort vier Flugzeugshelter für heute jeweils mögliche vier WS3-Sicherheitsbehälter für Atombomben. Erst nach dem Kalten Krieg wurden durch die neuen WS3-Sicherheitsbehälter, die direkt unter den Kampfflugzeugen in einigen Flugzeugsheltern eingebaut wurden, der Transport aus einem einzigen geheimen zentralen Lager unnötig. Büchel besitzt elf dieser WS3-Sicherheitssysteme in elf Flugzeugsheltern, wovon jedes einzelne Atombomben-Sicherungssystem bis zu vier B61-Bomben aufnehmen kann. D.h. in Büchel können bis zu 44 Atombomben stationiert werden, wobei Experten hier von derzeit ca. 20 Atombomben ausgehen. Es gibt auf der Basis wesentlich mehr geeignete Flugzeugshelter, wie es WS3-Sicherungsbehälter darin gibt.

Auch kann im Gegensatz zu anderen Kampfflugzeugen der Tornado nur zwei (statt vier) B61 Atombomben tragen.

Hans Kristensen schreibt hierzu: "Das Konzept der Dezentralisierung (Verstreuung) und die örtliche Zusammenlegung von Atomwaffen mit den Flugzeugen erhöhen ihr Überleben, die Sicherheit und die Einsatzbereitschaft; darüber hinaus wird so eine geheimdienstliche Enttarnung reduziert."

Konkret heisst das, dass heute die Atombomben, die überall auf der Basis in elf der vielen Flugzeug-Sheltern (Hangars) stationiert sein müssen, als Angriffziel für einen potenziellen Feind nicht so leicht ausgemacht werden können. Welche Hangars tatsächlich einen zusätzlichen unterirdischen WS3-Sicherheitsbehälter und mit wie vielen Atombomben beinhalten, unterliegt der Geheimhaltung!

Steve Baggarly, 52, aus Virginia, Susan Crane, 73, aus Kalifornien, John LaForge, 61, Bonnie Urfer, 65, beide aus Wisconsin, und Gerd Büntzly, 67, aus Deutschland sagten in einer gemeinsamen Stellungnahme: "Wir sind gewaltfrei in den Fliegerhorst Büchel eingedrungen, um die Atomwaffen, die hier gelagert werden, anzuprangern. Wir bitten Deutschland, entweder die Waffen unschädlich zu machen oder sie in die USA zurückzuschicken, damit sie dort abgerüstet werden." Nach einer weiteren Stunde, in der man sie durchsuchte und fotografierte, wurden die Fünf durch den Haupteingang des Militärstützpunktes wieder entlassen.

Die AktivistInnen aus den USA kamen auch nach Büchel, um über das "Modernisierungs"-Vorhaben der B61-Bombe aufzuklären, die real eine nukleare Aufrüstung darstellt. Ralph Hutchison aus Oak Ridge in Tennessee, wo der neue thermonukleare Kern für die "B61-Model 12"-Bombe hergestellt wird, sagte, dass es wichtig sei, deutlich zu machen, dass es sich hier um eine globale Bewegung handelt. Der Widerstand gegen Atomwaffen beschränke sich nicht auf die USA. Das neue B61-12-Programm wird über 12 Milliarden US-Dollar kosten, und sobald die Herstellung irgendwann nach 2020 beginnt, soll Büchel frühestens ab 2024 neue Atombomben erhalten.

Diese Go-In-Aktion löste eine Pressewelle über die Sicherheit der in Büchel stationierten Atombomben aus. Diese Diskussion endete vorerst darin, den AktivistInnen die Verantwortung für einen neuen Sicherheitszaun, der 2018 für 18 Millionen Euro gebaut werden soll, zuzuschreiben. Nicht nur, dass dieser Zaunbau bereits vorher feststand, tatsächlich wird unsere Sicherheit durch die eigentliche Existenz dieser Atombomben gefährdet. AktivistInnen in Großbritannien haben bereits des Öfteren bewiesen, wie leicht auch diese Hochsicherheitszäune überwunden werden können. "Der Glaube an die nukleare Abschreckung ist eine Fiktion, und auch der Glaube daran, Atomwaffen sicher lagern zu können", formulierte es der US-Aktivist John LaForge.

Erstes Resumée der Aktionspräsenz 2017

Auch dieses Jahr nahmen wieder viele kleinere Friedensorganisationen an Mahnwachen und Blockaden teil. Auffällig war, dass die Gruppen, die letztes Jahr bereits dabei waren, wie z.B. die DFG-VK Köln, Bonn goes Büchel, das Grundrechtekomitee u.a., jetzt in größerer personeller Anzahl und mit jüngeren Menschen viel selbstbewusster Blockaden durchführten. Die erworbene Ortskenntnis und das Einschätzen des polizeilichen Verhaltens führte zu mehr Sicherheit für die Protestierenden. Immerhin gab es in den letzten 20 Jahren noch kein Verfahren gegen BlockiererInnen in Büchel. Auch das Pazifik Netzwerk e.V. traute sich erstmalig, im Namen des Verbandes - nicht nur als dessen Mitglieder - an der Aktionspräsenz teilzunehmen.

Die Ärzte zur Verhütung eines Atomkrieges IPPNW hielten während ihrer einwöchigen Anwesenheit ein internationales Symposium und ihre jährliche Vorstandssitzung im Camp am Haupttor ab und beschlossen, ab jetzt bis zum Abzug der Atomwaffen jedes Jahr ihre Vorstandssitzung in Büchel zu machen. Erstmalig blockierten sie mit Lock-on's, d.h. die Arme der Blockierenden waren in Rohren miteinander verbunden, was eine Räumung erschweren soll.

Und auch die DKP kam dieses Jahr länger und an einem Dienstwechsel-Wochentag und erstmalig mit ihren jüngeren GenossInnen aus der SDAJ, die auch mit eigenen Lock-on's sehr erfolgreich blockierten: Wartend auf die Polizei, die die Blockaden räumen sollten, standen die Soldaten in größeren Menschen-Trauben an den verschiedenen Zufahrtstoren!

Veranstaltungen und Mahnmale, ob im Scheunen-Café im nahegelegenen touristischen Gillenfeld oder der Burg von Cochem; Transparente von der Cochemer Moselbrücke oder der Brücke zum ehemaligen Atomwaffendepot an der Bundesstraße zum Fliegerhorst Büchel: Über 40 Gruppen und Personen des öffentlichen Lebens, wie der Pfarrer Rainer Schmid mit Kreuz auf der Verkehrsinsel am Haupttor oder der Bischof Ackermann von Trier mit einer Andacht auf unserer Friedenswiese, machten direkt am Stützpunkt und regional gegen die Atomwaffen Stimmung. Direkt nach dem Zustandekommen des Verbotsvertrages waren innerhalb von 10 Tagen der Bischof, Konstantin Wecker und die Internationale Woche am Atomwaffen-Standort. Dies hat das Thema in den rheinland-pfälzischen Medien auf sehr hohem Niveau gehalten!

Ich kann als Mitwirkende des Kampagnenrates der Kampagne Büchel ist überall - atomwaffenfrei.jetzt! schon jetzt sagen, dass die diesjährigen Aktionen meine Erwartungen weit übertroffen haben und wir mit den Selbstverpflichtungs- und Solidaritätserklärungen weiter Aktionen an unserem Symbolort Büchel organisieren müssen. Wir müssen noch mehr Druck auf unsere Regierung für den endgültigen Abzug der Atombomben aufbauen, auch um die geplante Atombombenmodernisierung hier und international zu verhindern! Und Deutschland muss natürlich jetzt dem Verbotsvertrag beitreten!

Die Selbstverpflichtungs- und Solidaritätserklärung finden sich auf unserer Webseite (www.buechel-atombombenfrei.de) zum Ausdruck. Ich freue mich, Euch zukünftig hier zu sehen!

Marion Küpker ist Internationale Koordinatorin gegen Atomwaffen der DFG-VK.

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Quelle:
ZivilCourage Nr. 4 - November 2017, S. 22 - 25
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2017

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