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BERICHT/153: Der Iran-Konflikt (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 12 - IV/2006
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Der Iran-Konflikt - Interessen und Lösungs-Ansätze

Von Clemens Ronnefeldt


Seit dem Frühjahr 2005 hat sich durch eine Reihe von Faktoren die Situation im Nahen und Mittleren Osten dramatisch verschärft, was auch erhebliche Rückwirkungen auf den Iran-Konflikt hat.

Die Kriege in Afghanistan und besonders im Irak stellen für Iran durch die Umzingelung mit US-Truppen ein erhebliches Risikopotenzial für das Überleben der Regierung in Teheran dar.

Durch die US-Invasion 2003 im Irak wurde die Position Irans in der Region erheblich gestärkt, da inzwischen 60 Prozent Schiiten im Irak nicht nur die Regierung stellen, sondern auch der gesamte Süden Iraks weitgehend von Iran aus kontrolliert wird.

Durch die schweren Kämpfe im Süden Afghanistans, wo die Taliban wiedererstarkt sind, werden US-Truppen noch auf längere Zeit gebunden bleiben und stehen nicht für einen neuen Kriegsschauplatz im Iran zur Verfügung.

Trotz Abzugs der israelischen Truppen aus dem Gazastreifen 2005 hat sich die Situation in Israel und Palästina u.a. wegen des fortgesetzten Siedlungs-, Mauer- und Trennungszaunbaus im Westjordanland und der Perspektivlosigkeit für die palästinensische Seite weiter verschärft, nicht zuletzt durch die jüngsten Militäraktionen im Gazastreifen. Durch den Wahlsieg der Hamas und den Eintritt Avidgor Liebermanns als "Minister für strategische Bedrohungen" in die israelische Regierung wird eine dauerhafter Nahost-Lösung, wie sie etwa in Taba 2001 oder in der Genfer Friedensinitiative vom Dezember 2003 entworfen wurde, kurz- oder mittelfristig kaum realisierbar. Liebermann, der dem palästinensischen Volk die Existenzberechtigung abspricht, einen judenreinen Staat Israel propagiert und für die Bombardierung Irans plädiert, könnte noch zur strategischen Bedrohung für Israel selbst werden.

Nach der Ermordung des libanesischen Premiers Rafik Hariri im Frühjahr 2005 hat der deutsche UN-Sonderermittler Detlev Mehlis in seinem Bericht an den UNO-Sicherheitsrat engste Verwandte des syrischen Regierungschefs Assad als Drahtzieher hinter dem Attentat stark belastet. Die Ermordung des libanesischen Ministers Pierre Gemayel Ende November 2006, der zum antisyrischen Lager zählte, wurde ebenfalls der Regierung in Syrien angelastet und könnte den Libanon noch an den Rand eines Bürgerkrieges bringen. Durch die Morde im Libanon kam ein für Iran wichtiger Verbündeter in der unmittelbaren Region enorm unter Druck.

Der Libanonkrieg im Sommer 2006 wurde, wie der US-Journalist Seymour Hersh recherchierte, von den Regierungen der USA und Israels als eine Art Testlauf für einen Krieg gegen Iran betrachtet. US-Außenministerin Rice lehnte einen Waffenstillstand zu Beginn der Bombardierungen mit der Begründung ab, es handele sich bei diesem Krieg um "Geburtswehen eines neuen Nahen Ostens".

Die Zerstörung der von iranischen Ingenieuren mitgebauten Tunnelanlagen der Hisbollah im Libanon wurde inzwischen ausgewertet, um daraus Rückschlüsse für die Bombardierung der Bunkeranlagen im Iran zu ziehen. Iran kann nicht angegriffen werden, ohne das Risiko für Israel durch Hisbollah-Raketen zuvor auszuschalten.

Allerdings ist der Libanon-Krieg völlig anders gelaufen, als von Israel und den USA geplant.

Der Einsatz von israelischen Bodentruppen war nicht vorgesehen - und weil diese im Falle Irans von US-Seite nicht zur Verfügung stehen, warnten eine Reihe hoher US-Militärs bereits vor einer Bombardierung Irans.

Israel hat sich frühzeitig deutsche Truppen für einen Libanoneinsatz gewünscht, weil sich weltweit kein anderes Land israelfreundlicher verhalte als Deutschland. Die Bundesregierung kann daher nicht neutral sein, was allerdings eine wichtige Voraussetzung für UN-Truppen in Krisenregionen überhaupt ist. Die deutsche Bundesregierung hat bereits von einem Kampfeinsatz der Marine zu einem Zeitpunkt gesprochen, als noch gar keine Anfrage der libanesischen Regierung vorlag. Der pro Jahr mit knapp 200 Millionen Euro teure Einsatz ist zudem von der Aufgabenstellung her mehr als fraglich, weil in den vergangenen Jahren keine Waffen auf dem Seeweg an die Hisbollah geliefert worden sind. Sollte es zu einem Krieg gegen Iran kommen, besteht die große Gefahr, dass die deutsche Politik als Kriegspartei an der Seite Jerusalems und Washingtons in der muslimischen Welt wahrgenommen wird und kaum noch Spielräume für eine diplomatische Vermittlung besitzt.

Die genehmigte Lieferung von zwei deutschen U-Booten an Israel, von deutschen Steuerzahlern mit 333 Millionen Euro subventioniert, die in Israel atomar umgerüstet werden sollen und damit Iran bedrohen könnten, gießt ebenso Öl ins Feuer des Nahostkonflikts wie die in Aussicht gestellte Lieferung von Dingo-Truppentransportern. Es wäre ein Akt der Vernunft und Verantwortung, alle weiteren Rüstungsexporte in die Region umgehend zu verhindern.

Eine deeskalierende Wirkung bezüglich Iran könnten die US-Zwischenwahlen vom 7. November 2006 haben, die als eindeutige Absage an die Irak-Politik der US-Regierung interpretiert wurden. Mit Verteidigungsminister Donald Rumsfeld verlor Präsident George W. Bush einen der vehementesten Iran-Kriegsbefürworter. Dennoch besteht die Gefahr eines Angriffes innerhalb der Amtszeit von Präsident Bush fort, da sich in der US-Außenpolitik Republikaner und Demokraten nur wenig unterscheiden und zudem die katastrophalen ökonomischen Daten der US-Wirtschaft (Außenhandelsbilanzdefizit, Haushaltsdefizit, Dollarschwäche, Ölabhängigkeit ...) weiter bestehen bleiben.

Bei einem israelischen Angriff auf die iranischen Atomanlagen würden sich die US-Streitkräfte nicht aus einem Iran-Krieg heraushalten.

Im Iran selbst hat die Wahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad seit dem Sommer 2005 zu erheblichen innen- und außenpolitischen Veränderungen geführt. Insbesondere das Militär wurde gestärkt, die Spannungen mit der EU und den USA nahmen wegen der israel-feindlichen Äußerungen des iranischen Präsidenten zu, oppositionelle Zeitungen wurden verboten.

Da Iran, derzeit viertgrößter Erdölproduzent der Erde, über die drittgrößten Erdöl- und zweitgrößten Erdgasvorkommen weltweit verfügt und mit China und Indien langfristige Lieferverträge geschlossen hat, besitzt der aktuelle Irankonflikt eine enorme geopolitische Dimension.


Zur Politik Irans

Die Wahlen Mitte Juni 2005 führten zu einschneidenden Veränderungen im Iran. Der als Favorit geltende Ex-Präsident Ali Akbar Haschemi Rafsandschani lag im ersten Wahlgang noch mit 6,1 Millionen Stimmen (21 %) knapp vor dem Überraschungskandidaten Mahmud Ahmadinedschad mit 5,7 Millionen (19,5 %). Der reformfreundliche Ex-Parlamentspräsident Mehdi Karrubi kam auf ca. 5 Millionen, der bekannteste Reformkandidat Mustafa Moin auf ca. 4 Millionen Stimmen.

Bei der Stichwahl siegte Ahmadinedschad mit 62 Prozent überraschend klar gegen Rafsandschani, der nur 36 Prozent erhielt. Die Wahlbeteiligung lag in beiden Durchgängen bei rund 60 Prozent. Die Wahlkampfslogans von Rafsandschani "Das Land steht am Abgrund" und Ahmadinedschad "Es geht - und wir können es" hätten kaum unterschiedlicher ausfallen können.

Am Tag der Stimmauszählung, dem 18. Juni 2005, lag Karrubi lange Zeit vor Ahmadinedschad, bevor sich dieser erst gegen Ende des Tages noch vor ihn schob und damit nur knapp die Stichwahl erreichte. Mehdi Karrubi forderte wegen des Verdachts massiver Unregelmäßigkeiten, an denen vor allem Anhänger des Militärs - Revolutionsgarden und Freiwilligencorps - beteiligt gewesen sein sollen, eine Überprüfung der Ergebnisse. Ali Akbar Haschemi Rafsandschani sprach offen von Wahlfälschung, Präsident Khatami wollte den obersten Repräsentanten des Staates Dokumente über Wahlfälschungen übergeben.

Seit seiner Wahl ersetzt Ahmadinedschad viele Schlüsselpositionen neu mit treuen Gefolgsleuten: 40 Botschafter werden abgelöst, die Direktoren der sechs staatlichen Banken abgelöst, 12 Provinz-Gouverneure und einige Vizeminister entlassen. Dennoch erlebte er im Parlament heftigen Gegenwind: Für die Besetzung des für seine Korruptionsskandale bekannten Erdölministeriums brauchte Ahmadinedschad vier Kandidatenanläufe.

Im Dezember 2005 standen durch einen Busfahrerstreik nach der Verhaftung des Gewerkschaftsführers Mansur Astanlu sowie einem weiteren Dutzend iranischer Gewerkschafter rund die Hälfte der etwa 6.000 Teheraner öffentlichen Busse still.

Bis auf die Freilassung Astanlus wurden nach kurzer Zeit alle Forderungen der Streikenden erfüllt. Als Präsident, der die Verbesserung der sozialen Situation im Lande zur zentralen Wahlkampfaussage machte, war Ahmadinedschad von diesem Streik, bei dem es um die Verbesserung der Lebensbedingungen ging, besonders herausgefordert.

Durch Rüstungslieferungen von Russland - u.a. Tor-M-1 Raketenabwehrsysteme im Wert von rund einer Milliarde US-Dollar, die die iranischen Atomanlagen schützen sollen - ebenso durch Rüstungsgüter aus China und Indien, weiß die iranische Führung um starke Partner im Rücken. International ist Iran inzwischen im Shanghai-Cooperations-Abkommen fest eingebunden und begehrter Kooperationspartner mehrerer asiatischer Staaten.


Zur Politik der US-Regierung

'Zur aktuellen Schwäche der US-Regierung:' Nicht nur bei den Umfragewerten bezüglich der Zustimmung zur Fortsetzung des Irak-Krieges steht George W. Bush mit dem Rücken an der Wand. Der Krieg mit bisher rund 3.000 toten US-Soldaten dürfte bis Ende 2006 mehrere hundert Milliarden US-Dollar gekostet haben. Die weitere Finanzierung der Kriege im Irak und in Afghanistan, die bei einem Haushaltsloch und einem Außenhandelsbilanzdefizit, die beide jeweils in den letzten Jahren im hohen dreistelligen Milliarden US-Dollar-Bereich lagen, dürfte der Regierung noch einige Kopfzerbrechen bereiten und sind nicht - wie erhofft - durch Ölverkäufe aus Irak kompensierbar.

Nach etlichen Skandalen und Rücktritten, u.a. von Lewis Libby, dem äußerst einflussreichen Stabschef des US-Vizepräsidenten Cheney, finden derzeit rund Zweidrittel der US-Wählerschaft die Leistungen der Regierung Bush unzureichend.

Eine Mehrheit der US-Wählerschaft lehnt derzeit einen neuen Krieg gegen Iran ab und fordert einen Rückzug der US-Truppen aus Irak.

'Einbettung der US-Politik in größere strategische Planungen:' Die Hintergrundfolie der US-Außenpolitik bestimmte maßgeblich bis in die jüngste Vergangenheit - wenn auch seit dem Irak-Desaster erheblich geschwächt - eine äußerst einflussreiche Gruppe von Neokonservativen, die ihre weltweiten Zukunftsvisionen unter dem Titel "Rebuildung Americas Defenses. Strategy, Forces and Resources For a New Century" im September 2000 verfasst hat. Dem Autorenteam, der 1997 gegründeten Gruppe "Project for the New American Century" gehör(t)en u.a. Paul Wolfowitz, Lewis Libby, Jeb Bush, Gouverneur in Florida und Bruder von George W. Bush, William Kristol, Robert Kagan und John R. Bolton an. Das Dokument kann inzwischen als Blaupause für die US-Außenpolitik der ersten fünf Jahre des neuen Jahrtausends bezeichnet werden. Ein weiteres Mitglied der Gruppe, Francis Fukuyama, hat sich von den Irak-Kriegsbefürwortern losgesagt und ist inzwischen einer der für die Bush-Regierung gefährlichsten Kritiker geworden.(1)

Ein wesentlicher Kernpunkt von "Rebuildung America's Defenses. Strategy, Forces and Resources For a New Century" ist folgender: "Derzeit sehen sich die USA keinem globalen Rivalen ausgesetzt. Die Grand Strategy der USA sollte darauf abzielen, diese vorteilhafte Position soweit wie möglich in die Zukunft zu bewahren und auszuweiten".

Inzwischen wurde das "Projekt für das neue amerikanische Jahrhundert" angeblich aus Geldmangel eingestellt - eine weitere Niederlage des neokonservativen Lagers.

Um allein ihr Außenhandelsbilanzdefizit auszugleichen, das 2005 bei 792 Milliarden US-Dollar lag, brauchen die USA einen täglichen Kapitalzufluss von mehr als zwei Milliarden US-Dollar. Von den großen Mächten USA, Europa, China, Indien oder Japan sind lediglich die vier letztgenannten in der Lage, die Waren, die sie konsumieren, auch zu bezahlen.

China verfügte im Mai 2006 über 925 Milliarden US-Dollar Währungsreserven, Japan über 843, alle Länder der Eurozone zusammen über 173 und die USA über 41. Würden Japan und China nicht einen Großteil der US-Staatsanleihen kaufen, mit denen die US-Regierung ihre Finanzlöcher zu stopfen versucht, wäre die immer noch mächtige US-Wirtschaft kaum mehr in der Lage, ihre Produkte aus dem Fernen Osten oder auch aus der EU zu bezahlen.

Knapp 60 Jahre wirtschaftlicher Aufstieg Europas und Japans, dazu ein sich wirtschaftlich langsam erholendes Russland und ein immer stärkerer werdendes China, lassen die US-Regierung offenbar immer häufiger auf Schwächere losgehen: "Die beschränkten wirtschaftlichen, militärischen und ideologischen Ressourcen lassen den Vereinigten Staaten, wenn sie ihre Rolle als Weltmacht behaupten wollen, keine andere Möglichkeit, als den kleinen Mächten übel mitzuspielen. In dem an einen Alkoholiker erinnernden Benehmen der amerikanischen Diplomatie steckt durchaus eine Logik. Das wahre Amerika ist so schwach, dass es nur mit militärischen Zwergen eine Konfrontation suchen kann. (...) Seine wirtschaftliche Abhängigkeit von der Welt macht auf die eine oder andere Art universelle Präsenz notwendig"(2), so der französische Politikwissenschaftler Emmanuel Todd, dessen scharfsinnige Analyse ich teile:

"Wagen wir es, stark zu sein, indem wir den Militarismus ablehnen und bereit sind, uns auf die inneren wirtschaftlichen und sozialen Probleme unserer Gesellschaften zu konzentrieren. Schauen wir zu, wie das gegenwärtige Amerika seine verbliebenen Kräfte im 'Kampf gegen den Terrorismus' vergeudet als Ersatz für den Kampf zur Verteidigung einer Hegemonie, die nicht mehr existiert. Wenn Amerika weiter darauf beharrt, seine Allmacht zu demonstrieren, wird es schließlich der Welt nur seine Ohnmacht enthüllen".(3)

An einem Punkt möchte ich Emmanuel Todd widersprechen: Im Sinne der Menschlichkeit und zur Vermeidung weiterer Opfer - möglicherweise im Iran - genügt das Zuschauen nicht. Die Menschheit steht im Zusammenhang mit dem Iran-Konflikt vor gewaltigen ökonomischen, ökologischen und auch geistigen Herausforderungen, die nach dem entschiedenen Engagement jeder und jedes Einzelnen für eine gerechtere Welt verlangt.

In den letzten Monaten haben die Realisten in den USA wieder erheblich an Einfluss gewonnen. Viele realistische US-Außenpolitiker und auch renommierte Politik-Institute raten dem US-Präsidenten inzwischen zu einer diplomatischen Lösung des Iran-Konfliktes, was auch direkte Verhandlungen mit Iran und Syrien einschließt.


Zur Rolle des Dollar-Euro-Konfliktes

Seit dem Jahr 2000 hatte Irak seine Ölrechnungen im Rahmen des Erdöl-für-Lebensmittel-Programms nicht mehr in Dollar, sondern in Euro berechnet. Zwei Monate nach dem Einmarsch der US-Truppen im Irak wurde 2003 die Fakturierung wieder auf Dollar umgestellt. Iran verkauft bereits seit einigen Jahren Öl in Euro.

China kündigte im November 2001 an, seine damals schon beachtlichen 200 Milliarden Dollar-Devisen-Reserven zu einem Teil in Euro umzutauschen.

So lange der US-Dollar als Weltleitwährung akzeptiert ist, kann die US-Wirtschaft dank des Druckes von ständig neuen Geldscheinen ohne Ängste vor einer instabilen Währung funktionieren. Mit diesem Mechanismus schöpfen die US-Verantwortlichen seit Jahrzehnten nicht unerhebliche Reichtümer anderer Volkswirtschaften ab, deren Geldanlagen - vor allem verstärkt aus dem asiatischen Raum - die Löcher der US-Ökonomie stopfen.

Für die US-Wirtschaft war in den vergangenen Jahrzehnten von großem Vorteil, dass die zur Begleichung von Ölrechnungen im Mittleren Osten eingesetzten US-Dollars zu einem nicht unerheblichen Teil wieder in US-Rüstungsgeschäfte investiert wurden.

Bereits im Jahre 2003 ließ die damalige Regierung Khatami verkünden, eine eigene Öl-Handels-Börse zu gründen. Deren Start auf der kleinen Insel und Freihandelszone Kish im persischen Golf sollte eigentlich am 20. März 2006 erfolgen, wurde dann allerdings verschoben.

Am 18. Januar 2006 veröffentlichte der US-Makroökonom Krassimir Petrov von der Amerikanischen Universität in Sofia, Bulgarien, einen Beitrag mit dem Titel "The Proposed Iranian Oil Bourse" (www.EnergyBulletin.net), der international weite Kreise zog. Darin behauptete er, ebenso wie der US-Autor William Clark, der Streit um Teherans Atomprogramm sei ein vorgeschobener Grund die eigentliche Herausforderung Washingtons sei die neue iranische Energiebörse.

"Spiegel online" versuchte am 10. März 2006 "Die Legende vom Petro-Euro-Krieg" (www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,405160,00.html) zu widerlegen. Die gesamten iranischen Ölexporte hätten sich im Jahre 2005 auf 55 Milliarden US-Dollar belaufen, der Öl-Multi ExxonMobil habe im gleichen Jahr alleine 330 Milliarden US-Dollar umgesetzt. "Die Menge der iranischen Ölexporte ist weltwirtschaftlich marginal - wenn sie künftig in Euro fakturiert werden, wird dies keine nennenswerte Auswirkung auf die Finanzkraft des Dollars haben" wurde der Volkswirt Enno Harks zitiert; sein Kollege bei der regierungsnahen 'Stiftung Wissenschaft und Politik' in Berlin, der Iran-Experte Johannes Reissner ergänzte: "Das Thema wird überschätzt".

Da für viele ostasiatischen Staaten die USA inzwischen der wichtigste Absatzmarkt geworden sind, werden z.B. China oder Japan allein schon deswegen weiterhin neue US-Staatsanleihen kaufen, damit die Kreditzinsen in den USA niedrig bleiben und die US-Verbraucher die (asiatischen) Waren auch konsumieren können. Damit dürfte auch die Rolle des US-Dollars zumindest vorerst weiterhin bestehen bleiben, auch wenn sein Wert weiter sinken dürfte.

Dennoch ist die Bedeutung der Entscheidung Teherans zu einer Öl-Börse in Euroabrechnung nicht zu unterschätzen. Elmar Altvater sieht in der Dollar-Euro-Konkurrenz insgesamt ein erhebliches Konfliktpotenzial:

"Die USA bekämen ein riesiges Problem, wenn sie die steigenden Ölimporte nicht mehr in US-Dollar, sondern in Euro bezahlen müssten. Wenn die jährlichen Ölimporte, wie der Cheney-Report ausführt, von vier auf etwa 7 Mrd. Barrel im Jahr 2020 steigen, sind bei einem Preis von rund 50 US-Dollar pro Barrel derzeit 200 Mrd. US-Dollar für die Bezahlung der Öl-Rechnung nötig; 2020 wären es schon 350 Mrd."(4)


Zur Rolle von Öl und Gas

Iran hatte 2005 einen Erdöl-Weltmarktanteil von 4,6 Prozent. Die Zahl der Bohrtürme ging im Iran von 41 im Jahre 2004 auf 38 im November 2005 leicht zurück. Einige westliche Öl-Konzerne wie Shell, ENI oder Total machen seit längerem Ölgeschäfte im Iran. Weil die US-Regierung Investitionen von mehr als 20 Millionen US-Dollar in die iranische Ölindustrie untersagt, halten sich große US- und auch europäische Konzerne mit Investitionen zurück. Derzeit schöpft Iran nicht einmal seine OPEC-Förderquote von täglich 4,1 Millionen Barrel aus. Wegen seiner weltweit drittgrößten Erdgas- und zweitgrößten Erdöl-Reserven ist Iran ein begehrter Energielieferant, der für die nächsten Jahrzehnte mit darüber entscheiden wird, welche der großen Verbrauchernationen das zunehmend knappere Erdöl zugeteilt bekommt.

Der frühere Shell-Mitarbeiter, Erdölspezialist und Professor an der Princeton University, Kenneth S. Deffeyes, erklärte Anfang 2006 den 24. November 2005 rückwirkend zum "World Oil Peak Day". Nach seinen Berechnungen sei an diesem Tag - mit einer Toleranzspanne von einigen Wochen - der Höhepunkt der weltweiten Ölförderung erreicht worden (vgl. Energiedepesche, März 2006, S.4)

Etwa die Hälfte der weltweit bekannten Erdölvorräte ist verbraucht, neue Erdölfelder werden kaum noch gefunden. Saudi-Arabien als Land mit den größten Reserven gibt seit Jahren seine Vorräte nach Einschätzung von Branchenkennern bewusst zu hoch an, um seine Geldanlagen in westlichen Ländern nicht zu gefährden.

Für jedes Fass Öl, das die US-Regierung aus dem Mittleren Osten bezieht, kommen pro Barrel (159 Liter) noch einmal Militärstationierungskosten von geschätzten 70 bis 100 Dollar hinzu. Dieser Betrag enthält nicht die Kosten der Kriegsführung in der Region.

90 Prozent der iranischen Erdölvorkommen liegen in der südiranischen Provinz Khuzistan, die mehrheitlich von Arabern bewohnt ist. In dieser Region wurden bereits in der letzten Zeit etliche Bombenanschläge verübt, die offensichtlich ein Klima der Instabilität erzeugen sollen - und die von westlichen Geheimdiensten für einen Regimewechsel noch weiter intensiviert und instrumentalisiert werden könnten. US-Spezialeinheiten im Iran versuchen seit einiger Zeit, Angehörige ethnischer Minderheiten anzuwerben, um diese für einen Aufstand gegen das Regime in Teheran zu gewinnen. Nur bei einem Regimewechsel würden die iranischen Öl- und Gas-Langzeitverträge mit China und Indien gekündigt werden können - die begehrten Rohstoffe nicht nach Osten, sondern nach Westen fließen.

Dass die US-Regierung auch anders mit der Ölfrage umgehen könnte, hat Amory Lovins zusammen mit anderen Autoren des renommierten Rocky Mountain Institute nachgewiesen (www.oilendgame.org). "Sucht nach Öl - Eine Studie zeigt: Die USA könnten sich unabhängig machen", titelte die "Süddeutsche Zeitung" am 29. August 2005 und führte ergänzend aus, "dass das Lovinsche Nachdenken vom Pentagon gesponsert wurde. Dass das Pentagon sich an der Erschließung alternativer strategischer Optionen beteiligt, zeigt zugleich, wie weit diese Option schon vorgedrungen ist im militärisch-industriellen Komplex".


Zur Rolle der Religionen

Sowohl in ultrakonservativen christlichen Kreisen der USA, wie auch bei muslimischen und jüdischen Extremisten haben derzeit religiös motivierte apokalyptische Denkmuster Hochkonjunktur. Ihnen gemeinsam ist, dass am Ende der Zeit aus Zerstörung und Chaos eine neue, gerechtere Welt erstehen wird.

'Iran:' Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad erklärte nach seiner Wahl, dass der verborgene Imam, der Mahdi, für seine Berufung zum Regierungschef verantwortlich sei. Dieser im 9. Jahrhundert verschwundene Imam wird nach islamischem Glauben am Ende der Zeit aus dem Chaos heraus eine neue weltweite Gerechtigkeit errichten. Ahmadinedschad ließ noch als Bürgermeister von Teheran eine der Hauptstraßen der iranischen Hauptstadt renovieren, weil er glaubt, dass der Mahdi bei seiner Rückkehr darüber einmarschieren wird.

Seit 1978 wird im Iran der "Jerusalem-Tag" gefeiert, an dem Ahmadinedschad erstmals seine israelfeindlichen Äußerungen aussprach. Dieser Gedenktag hat in der muslimischen Welt auch eine stark apokalyptische Bedeutung.

Als Ahmadinedschad im Oktober 2005 vor der UNO-Vollversammlung sprach, widmete er fast die Hälfte seiner 28-minütigen Redezeit dem verborgenen Imam, der am Ende der Zeiten ein Reich der Gerechtigkeit errichten wird. Nach seiner Rückkehr berichtete er im Iran, die Vertreter der Nationen hätten ihn fasziniert angeschaut, da während der Dauer seiner Rede ein Licht um sein Haupt sichtbar geworden sei. "'Ich übertreibe nicht. Sie blinzelten nicht einmal', erzählte er einem perplexen Ajatollah. Von dem peinlichen Bericht über den Heiligenschein existiert eine Video-Aufzeichnung, die dem Präsidenten viel Ärger bereitete. Namhafte Theologen distanzierten sich" (SZ, 19.12.05).

Zwei lange Briefe des iranischen Präsidenten an George W. Bush vom Frühjahr 2006 und vom Sommer 2006 an Angela Merkel zeigen, wie sehr das religiöse Denken die Politik Ahmadinedschads mitbestimmt.

'USA:' "Der Spiegel" begann am 17. Februar 2003 seine Titelreportage "In Göttlicher Mission. Der Kreuzzug des George W. Bush" mit den Sätzen: "Washington ist eine gottesfürchtige Stadt. Zu den Ritualen im Weißen Haus gehört es, dass Kabinettssitzungen mit einem Gebet eröffnet werden. Der Präsident bittet einen Minister um ein paar Worte der Besinnung, und alle im Saal senken die Köpfe, schließen die Augen, falten die Hände. Donald Rumsfeld, der alte Kämpe, flehte Gott an, er möge die 'lust for action', die Gier loszuschlagen, zügeln". Dies war unmittelbar vor dem Einmarsch in Bagdad.

Präsident George W. Bushs Weltbild ist von der Unterscheidung von "Guten" und "Bösen" geprägt: Wer nicht für Amerika ist, ist gegen Amerika. In einer Rede am 10.2.2003 in Nashville gab George Bush tiefe Einblicke in seine Handlungsmotivation: "Freiheit ist nicht Amerikas Geschenk an die Welt. Freiheit ist Gottes Geschenk an jedes menschliche Wesen auf der Welt. (...) Gott hat uns aufgerufen, unser Land zu verteidigen und die Welt zum Frieden zu führen, und wir werden beide Herausforderungen mit Mut und Selbstvertrauen angehen" (Der Spiegel, 17.2.03).

Im Hinblick auf eine zivile Lösung des Iran-Konfliktes ist dem US-Präsidenten zu wünschen, dass er sich an seine eigenen Sätze der Nashville-Rede erinnert: "In der Heiligen Schrift befiehlt uns Gott, jenen die Hand zu reichen, die anders sind, sich miteinander zu versöhnen (...). Und er verspricht, dass die Früchte des Glaubens und der Brüderlichkeit, der Andacht und der Versöhnung bei weitem die Mühen übertreffen werden, die wir auf uns nehmen müssen, um sie zu erreichen."

Als Symbol für die Entscheidung zwischen Guten und Bösen gilt christlichen Fundamentalisten Armaggedon. In einer Endschlacht werde in letzter Minute Jesus Christus erscheinen und das jüdische Volk in Israel vor der Vernichtung bewahren.


Zur Rolle der Medien

'In Deutschland:' Wie in allen Konflikten wurde auch im Irankonflikt mit (Falsch-)Meldungen bewusst Einfluss auf die öffentliche Meinung über ihn genommen.

Die "Hamburger Morgenpost" titelte am 3. Januar 2006: "Iran droht jetzt mit einem vernichtenden Atomschlag" und führte weiter aus: "Nach Experten-Einschätzung dürfte das Mullah-Regime über nukleare Waffen verfügen". Den Namen eines einzigen "Experten", der dies ernsthaft behauptet oder gar belegen könnte, suchte man in der Nachricht vergeblich.

Am 4. Januar 2006 präsentierte der linksliberale britische "Guardian" seiner Leserschaft Meldungen aus einem "Geheimpapier" britischer, französischer, deutscher und belgischer Nachrichtendienste, wonach Iran u.a. in Europa Material zur Herstellung einer Atombombe kaufe. Diese Meldung erinnerte sehr an bewusst lancierte Falschmeldungen im Vorfeld des Irak-Krieges 2003.

Ebenfalls im Januar 2006 berichtete die Nachrichtenagentur UPI, dass die Regierung in Teheran noch vor dem iranischen Neujahrsfest am 20. März 2006 einen ersten Atombombentest durchführen wird. Quelle war eine in den USA ansässige "Oppositionsgruppe", die sich dabei auf mehrere unabhängige Quellen in den USA und Iran berief. Auch diese Meldung gehörte wohl zur Kategorie "psychologische Kriegsführung" mittels Irreführung der Öffentlichkeit.

"Spiegel online" berichtete am 19. Januar 2006: "Der BND geht davon aus, dass Iran schon in wenigen Monaten eine Atombombe bauen könnte". Dabei berief sich "Spiegel online" auf einen Vortrag des BND-Chefs Ernst Uhrlau, den dieser am Tag zuvor in Berlin vor dem Auswärtigen Ausschuss des Bundestages gehalten hatte.

Der BND brauchte nicht lange zur Klarstellung, die dann ebenfalls von "Spiegel online" ins Internet gestellt wurde: "Zeitungsmeldungen, der Iran sei laut BND-Erkenntnissen möglicherweise nur wenige Monate vom Bau einer Atombombe entfernt, wurden jedoch vom BND umgehend dementiert".

Der Leiter der IAEO in Wien, El Baradei, gab im Januar 2006 dem US-Nachrichtenmagazin "Newsweek" ein Interview, das Quelle vieler zweideutiger Meldungen wurde. El Baradei hatte gesagt: "Wenn sie nukleares Material haben und wenn sie ein paralleles Waffenentwicklungsprogramm laufen haben, dann sind sie wirklich nicht weit - ein paar Monate - von der Atomwaffe entfernt". Das zweifache "wenn" in diesem Satz wurde dann in etlichen nachfolgenden Meldungen unterschlagen. Im gleichen Interview hatte El Baradei allerdings auch betont, dass die IAEO bisher keine Anzeichen für ein iranisches Atomwaffenprogramm gefunden habe, was allerdings in der Berichterstattung über das Interview wenig Beachtung fand.

Dieser letzte Satz El Baradeis störte die "Bild-Zeitung" am 18. Januar 2006 dennoch nicht, neben den Bildern von Adolf Hitler und Mahmud Ahmadinedschad - beide in gleicher Pose - zu titeln: "Ist der Irre aus Teheran so gefährlich wie Hitler?" und El Baradei, der angeblich "den Iran notfalls mit Gewalt hindern" möchte, "an ihrem nuklearen Waffenprogramm zu arbeiten" sehr frei zu zitieren: "Seine [El Baradeis] düstere Prophezeiung: 'Teheran ist unter Umständen nur noch wenige Monate vom Bau einer Atombombe entfernt'".

Das nachfolgende Beispiel zur Legitimierung eines Krieges gegen Iran lässt sich - im Gegensatz zu den vorher genannten - kaum widerlegen: "Die Welt" gab am 17. Januar 2006 dem US-Geschichts-Professor Laurence A. Tisch von der Harvard-Universität Gelegenheit zu einem Essay, der aus der Perspektive des Jahres 2011 unter der Überschrift "Wie der Große Golfkrieg begann" einen Rückblick auf den Iran-Konflikt hielt: "Die Europäer wollten davon nichts hören, dass der Iran seine eigenen Massenvernichtungswaffen baute. Selbst wenn Ahmadinedschad über CNN live einen Atomtest gesendet hätte - für Europas Liberale wäre das alles ein Manöver der CIA gewesen. Also wiederholte sich die Geschichte. Wie in den dreißiger Jahren, als ein antisemitischer Demagoge alle internationalen Verträge seines Landes brach und sich militärisch zum Krieg rüstete. ... Der zerstörerische thermonukleare Zusammenprall im August 2007 symbolisierte nicht nur das Scheitern der Diplomatie. Er markierte auch das Ende des Ölzeitalters. Und wurde zur Götterdämmerung des Westens. Im Irak wurden die amerikanischen Basen gestürmt, und China drohte, Teheran militärisch zu unterstützen. Heute muss sich der Historiker fragen, ob die wirkliche Bedeutung des Krieges von 2007-2011 nicht darin bestand, im nachhinein das Prinzip des Präventivschlags, für das die Bush-Regierung stand, als richtig und gerechtfertigt zu betrachten. Hätte man 2006 die nuklearen Absichten des Iran mit geringem Aufwand durchkreuzt - hätte es den Großen Golfkrieg nie gegeben".

Die Grenzen zwischen freier Meinungsäußerung und offener Kriegspropaganda scheinen bei einigen Beiträgen speziell in der Springer-Presse äußerst fließend zu sein.

'In den USA:' Auch in den USA nehmen es Journalisten so angesehener Zeitungen wie z.B. der "New York Times" mit ihnen selbst bekannten Fakten im Falle Iran nicht so genau. Als im Jahre 2004 ein iranischer Laptop mit Informationen über die iranische Shahab-Rakete auftauchte, äußerte die "New York Times" den Verdacht, dass eine dargestellte Backbox an der Spitze der Rakete Platzhalter für einen atomaren Sprengkopf sei. Der Laptop enthielt allerdings auch Informationen, dass diese Blackbox lediglich der Informationsgewinnung bei Versuchsflügen der Rakete dienen sollte. Als US-Wissenschaftler, die Zugang zu den Daten hatten, von der New York Times eine Richtigstellung der atomaren Sprengkopf-Meldung verlangten, lehnte die Redaktion dies ab (www.armscontrolwonk.com).

Die US-Regierung hat ihre Ausgaben zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung zu ihren Gunsten in einem Maße gesteigert, wie dies vor ihr noch keine Regierung getan hat.

'Unterdrückung Iran entlastender Beispiele:' Auffällig ist, dass in westlichen Medien Meldungen, die Iran bezüglich seiner Atombomben-Ambitionen entlasten, weitgehend unterdrückt oder sogar ins Gegenteil verkehrt werden.

In einem ausgezeichnet differenzierten Beitrag mit dem Titel "Das Nuklearprogramm des Iran - zivil oder militärisch?" beschreibt Martin Kalinowski, der im März 2006 die Carl-Friedrich von Weizsäcker-Professur für Naturwissenschaft und Friedensforschung an der Universität Hamburg angetreten hat und zuvor sieben Jahre für die Teststoppvertragsorganisation in Wien tätig war, zwei solcher Beispiele:

"Die bisher brisanteste Entdeckung wurde in der Kala Electric Company in Abali bei Teheran gemacht. Die IAEO hat Spuren von hoch angereichertem Uran in Wischproben nachweisen können, die Inspektoren im August 2003 auf der Oberfläche von Maschinenteilen für die Urananreicherung genommen hatten. (...) In der Folge blieb zwei Jahre lang umstritten, ob mit dem Nachweis von Spuren hoch angereicherten Urans ein Verstoß gegen den NVV [Nichtverbreitungsvertrag oder Atomwaffensperrvertrag] aufgedeckt worden sei. Der Iran erklärte, dass die gefundenen Spuren beim Import der Anlage von Pakistan als Kontamination mit eingeschleppt worden seien. (...) Im August 2005 kam dann jedoch die Entwarnung. Ein internationales Team von Experten konnte den Nachweis erbringen, dass die Isotopenzusammensetzung der im Iran gefundenen Uranspuren mit pakistanischen Proben übereinstimmen, die diesen Experten zur Verfügung standen. Damit war endlich die Erklärung des Iran bestätigt. Diese Nachricht blieb von den Medien weitgehend unbeachtet, und nur wenigen Beobachtern wurde deutlich, dass somit keinerlei Spuren auf eine Hochanreicherung von Uran im Iran hinweisen. Somit kann die IAEO dem Iran also keinen Bruch seiner Verpflichtungen unter Artikel II des NVV vorwerfen".(5)

Das zweite Beispiel betrifft Unterlagen zum Bau von Atombomben: "Wenige Tage vor der IAEO-Gouverneursratssitzung am 24. November 2005 wurde bekannt, dass der Iran technische Unterlagen an die IAEO übergeben hat, in denen die mechanische Bearbeitung von metallischem Uran und insbesondere die Herstellung von Halbkugeln beschrieben wird. Hierfür ist keine zivile Anwendung vorstellbar. Dies ist eine eindeutig militärische Technik, die zur Herstellung der zentralen nuklearen Komponente einer Kernwaffe verwendet werden kann. In den Medien wird die voreilige Schlussfolgerung gezogen, es sei ein neuer und besonders ernst zu nehmender Hinweis auf ein weit fortgeschrittenes Kernwaffenprogramm entdeckt worden. Ganz im Gegensatz dazu wertet die IAEA die Übergabe der Dokumente als einen positiven Schritt zur Erfüllung der geforderten Transparenz und sieht im bekannt werden dieser Unterlagen keinen Vertrauensbruch. Tatsächlich befanden sich die beschriebenen Unterlagen in einem Stoß zahlreicher Dokumente, die der Iran bereits vor rund zehn Jahren vom A.Q. Kahn-Netzwerk aus Pakistan unaufgefordert im Zuge der Lieferung von Zentrifugen erhalten hatte. Der Iran beteuert, diese für den Kernwaffenbau wichtigen Informationen weder bestellt noch verwendet zu haben. Für alle hier aufgeführten Indizien, die vor allem in ihrer Häufung die Vermutung von Kernwaffenambitionen nahe legen, hat der Iran Erklärungen abgegeben, die mit der Unschuldsvermutung vereinbar sind".(6)


Lösungsansatz

Der erste Schritt für eine zivile, diplomatische Lösung des gegenwärtigen Streites um das iranische Atomprogramm bestünde im Anerkennen des atomaren Ungleichgewichtes in der Region Naher und Mittlerer Osten durch die USA und die EU. Zur Beseitigung dieser grundlegenden Konfliktursache wäre die Einberufung einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten geeignet, die auf eine ABC-waffenfreie Zone von Israel bis Iran hinarbeiten könnte.

Forderungen nach der Umsetzung einer solchen ABC-waffenfreien Zone finden sich bereits in mehreren UN-Resolutionen bezüglich Iraks, wurden allerdings bisher noch nie ernsthaft aufgegriffen. Von iranischer Seite wurde in den bisherigen Verhandlungen mit der EU betont, die EU-3 mögen die Initiative zum Start einer regionalen ABC-waffenfreien Zone ergreifen.

Vertrauensbildung und Konfliktkontrolle lauten zwei Stichworte, die Volker Perthes mit Inhalt füllt: "Denkbar wären verschiedene 'runde Tische', etwa zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit, zur Zusammenarbeit im Katastrophenfall (Seenotrettung, Frühwarnung bei Ölhavarien etc.), zur Koordinierung von Maßnahmen zur Bekämpfung organisierter Kriminalität (insbesondere Waffen- und Drogenschmuggel) und vor allem zur Diskussion von Fragen der Grenzsicherheit und Terrorismusbekämpfung und zur Koordination geeigneter Schritte. Aus solchen Foren könnte sich mit der Zeit ein grundlegender Mechanismus regionaler Zusammenarbeit entwickeln".(7)

Zur kurzfristigen Entschärfung des Konfliktes würde ein umfassendes Hilfsprogramm beitragen, an dem Iran aufgrund seiner ökonomisch desaströsen Situation größtes Interesse hat. Ein Verzicht auf die Herstellung angereicherten Urans zur Waffenherstellung könnte dann wahrscheinlicher werden, wenn die US-Regierung zusammen mit der EU in diplomatische Verhandlungen treten würde. Im Gegenzug zum atomaren Waffenverzicht Teherans könnten die USA, Israel und die EU eine umfassende Sicherheitsgarantie für Iran abgeben, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen anbieten und das Embargo aufheben. Die Kleriker als eigentliche Machthaber im Iran sind an einem Aufbrechen der zunehmenden Isolation des Landes und seiner US-Umzingelung ebenso interessiert wie an einer raschen Verbesserung der wirtschaftlichen Lage, insbesondere auch an einer - von der US-Regierung bekämpften - Aufnahme Irans in die WTO. Auf der Wunschliste Irans steht auch die Lieferung von Ersatzteilen für die zivile Luftfahrt durch Boeing und Airbus, deren Nichtlieferung bereits zu etlichen Abstürzen im Iran geführt hat.

Brennelemente sollten nach dem Vorschlag von IAEO-Chef El Baradei nicht mehr nationaler Kontrolle unterstehen, sondern - so lange es noch Kernkraftwerke gibt - existierende Anreicherungs-Anlagen der UN-Behörde IAEO unterstellt werden. Der größte Widerstand gegen diesen Vorschlag kommt von westlichen Staaten.

Da auch Uran in wenigen Jahrzehnten weltweit nicht mehr verfügbar sein wird und Atomenergie so wenig Zukunft hat wie die Energiegewinnung aus Öl und Gas, könnten im Iran NGO's wie die "Women Society Against Enviromental Pollution", die sich u.a. für den Einsatz erneuerbarer Energien im Iran engagieren, unterstützt werden. Insbesondere Deutschland als führendes Land im Bereich erneuerbare Energien könnte Iran im Rahmen der EU-3 Verhandlungen Anreize für Wind- und Solarprojekte anbieten. Allein schon wegen der Erdbebengefahr ist der Betrieb von Atomanlagen im Iran unverantwortlich.

Der israelisch-palästinensische Konflikt könnte durch einen Gefangenenaustausch deeskaliert werden, durch einen Stopp von Siedlungs-, Mauer- und Grenzzaunbau, den Rückzug der israelischen Armee aus den besetzten Gebieten und die Einstellung des Beschusses israelischen Territoriums durch Kassam-Raketen und die Fortführung des fast zwei Jahre andauernden palästinensischen Verzichtes auf Selbstmordattentate.

Wichtige erste Schritte im humanitären Bereich wären die Freigabe der EU-Gelder und der israelischen Zolleinnahmen an die palästinensische Verwaltung, um das Aushungern der Menschen im Gazastreifen und einen blutigen Bürgerkrieg zwischen Hamas und Fatah zu verhindern.

Die Hisbollah im Libanon könnte durch die Einbettung in die regulären libanesischen Streitkräfte als Gefahr für Israel entschärft werden, die israelische Armee könnte sich aus den Schebaa-Farmen im Länderdreieck Israel-Syrien-Libanon zurückziehen. Syrien ist bereit, die Schebaa-Farmen völkerrechtlich als libanesisches Staatsgebiet anzuerkennen - Israel behauptet immer noch, es handele sich um syrisches Gelände.

Die Rückgabe der Golanhöhen an Syrien scheiterte im Jahre 2000 an 20 Quadratkilometern um den See Genezareth - und am Widerstand Washingtons. Israel wünscht eine Frühwarnstation auf den Golanhöhen und Zugang zu genügend Wasser aus dem Jordan und aus dem See Genezareth.

Auf die US- und die israelische Regierung könnte eine ähnlich breite Bewegung wie am 15. Februar 2003 gegen den Irak-Krieg internationalen Druck ausüben, alle weiteren Kriegsvorbereitungen unverzüglich einzustellen und von der iranischen Regierung den Verzicht auf jegliche weiteren antiisraelischen Äußerungen fordern.

Bei einem Militärschlag gegen Iran würde sich ein durchgehendes Kriegsgebiet von Israel bis Pakistan ergeben, dessen Folgen unabsehbar wären.

Die Chancen, dieses düstere Szenario doch noch zu vermeiden und die offenen Probleme anzugehen, stehen derzeit nicht schlecht, benötigen allerdings massive Unterstützung von Friedensbewegungen, Gewerkschaften und Kirchen.

Die Einsicht, dass die beiden Säulen westlicher Politik für den Nahen und Mittleren Osten - sicherer Ölfluss zu annehmbaren Preisen und Sicherheit Israels - nicht ausreichend sind, scheint in breiteren Kreisen auch westlicher Gesellschaften zu wachsen.

Die Wahrnehmung der legitimen Interessen und Bedürfnisse der Länder in der arabischen und muslimischen Welt ist überfällig.


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Clemens Ronnefeldt ist Friedensreferent des deutschen Zweiges des Internationalen Versöhnungsbundes. Von ihm sind zwei längere AGDF-Studien über Iran erschienen: "Krieg gegen Iran" (2005) und "Iran-Konflikt-Akteure, Interessen und Wege aus der Eskalation" (2006). Beide sind im Internet als PDF-Datei herunterzuladen unter
www.friedensdienst.de oder www.versoehnungsbund.de


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Anmerkungen

1) Francis Fukuyama, Scheitert Amerika? Supermacht am Scheideweg, Berlin 2006. Fukuyama bekennt offen: "Ich hin zu dem Schluss gelangt, dass ich den Neokonservatismus nicht länger unterstützen kann." (S. 9)

2) Emmanuel Todd, Weltmacht USA. Ein Nachruf. München 2003, S. 168

3) Emmanuel Todd, a.a.O., S. 252f.

4) Elmar Altvater, Das Ende des Kapitalismus, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 2/2006, S. 179

5) Martin Kalinowski, Das Nuklearprogramm des Iran - zivil oder militärisch, in: Wissenschaft und Frieden, Dossier 51, hg. von Wissenschaft und Frieden in Zusammenarbeit mit den Internationalen Ärzten für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW), Bonn 2006, S. 6f.

6) Martin Kalinowski, a.a.O., S. 8f.

7) Volker Perthes, Bewegung im Mittleren Osten, SWP-Studie, Berlin 2004.


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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 12, IV/2006, S. 3-10
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
Pazifismus, Friedenspädagogik und Völkerverständigung PAX AN
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2007