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BERICHT/210: Kriegsverbrechen gegen Frauen (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 19 - III/2008
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Kriegsverbrechen gegen Frauen - Gerechtigkeit für die Gewaltopfer
Die langsame Entwicklung internationaler Rechtsstandards

Von Rita Schäfer


Im Juni verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1820. Damit setzte er einen Meilenstein bei der Verfolgung sexualisierter Kriegsgewalt. Denn diese Resolution bezeichnet die in vielen Kriegen systematisch eingesetzte Gewaltform als Kriegsverbrechen und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Erstmals werden auch Vergewaltigungen im Zusammenhang mit Genoziden als systematische Vernichtungsstrategie verurteilt.

Diese Resolution baut auf zahlreiche internationale Abkommen zum Schutz von Frauen und Mädchen und zur Geschlechtergleichheit auf. Eine weitere Basis ist die UN-Resolution 1325 aus dem Jahr 2000, die dazu verpflichtet, Geschlechterfragen in Friedensmissionen einzubeziehen. Auch die "Null-Toleranz"-Richtlinien für Soldaten in internationalen Friedenseinsätzen und die Sanktionierung von Blauhelmsoldaten, die vergewaltigen oder Frauen zur Prostitution zwingen, sind in diesem Kontext zu sehen. Die UN-Resolution 1820 bekräftigt diese Vorgaben.


Keine Straflosigkeit und Amnestie mehr für Täter

Eine wichtige Grundlage für die juristische Verfolgung sexualisierter Gewalt und Zwangsprostitution in Kriegen war das internationale Tribunal im Dezember 2000 zur Verurteilung der Sex-Sklaverei durch die japanische Armee im Zweiten Weltkrieg. In diesem Tribunal wurden nicht nur das damalige japanische Militär und die Regierung, sondern auch der frühere japanische Kaiser Hiroito für diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig gesprochen. Über 200.000 Frauen und Mädchen aus Korea, China, Taiwan, Indonesien, Osttimor und den Philippinen waren in Bordelle verschleppt und von japanischen Soldaten vielfach vergewaltigt worden.

1993 bekannte sich Tokio erstmals zur Beteiligung der kaiserlichen Armee, verweigerte aber kategorisch jegliche Entschuldigung oder Entschädigung der so genannten "Comfort Women". Ein Ziel des Tribunals im Jahr 2000 war es, durch die Verurteilung der Schuldigen den Überlebenden aus Südostasien die Würde zurückzugeben. Zwar war das Urteil juristisch nicht bindend, es hatte aber eine große moralische Bedeutung.

Mit der UN-Resolution 1820 sind alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen aufgefordert, der Straflosigkeit der Täter Einhalt zu gebieten und ihnen keine Amnestie zu gewähren. Außerdem sollen die Regierungen Frauen und Mädchen schützen und ihren Zugang zur Justiz sicher stellen. Schließlich ist das Ende der sexualisierten Kriegsgewalt eine Grundvoraussetzung für nachhaltige Friedens- und Versöhnungsprozesse. Nun muss sich diese Resolution in der Praxis bewähren. Notwendig sind umfassende Konzepte, die den politischen Willen zur Umsetzung erkennen lassen. Dazu sind internationale Gremien und nationale Regierungsstellen ebenso wie zivilgesellschaftliche Gruppen gefordert.


Engagement gegen sexualisierte Gewalt

"Auf der Suche nach Gerechtigkeit" lautete das Motto einer internationalen Konferenz, zu der die Kölner Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale Anfang September in Bad Honnef eingeladen hatte. Mitveranstalter war die Frauenrechts- und Gender-Abteilung des UN-Hochkommissariates für Menschenrechte in Genf. Im Beisein von Yakin Ertürk, der UN-Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen, diskutierten über 50 Frauenrechtsaktivistinnen aus allen Kontinenten über ihre Erfahrungen mit dem internationalen und nationalen Recht. Alle sind in so genannten Nachkriegsgesellschaften aktiv.

Die Expertin für psycho-soziale Konflikttransformationen in Bosnien-Herzegowina Sabiha Husic erläuterte, dass nationale Rechtsreformen, die auf internationale Abkommen Bezug nehmen, wichtig für ihre konkrete Arbeit sind. Häufig erschweren bürokratische Spitzfindigkeiten aber den Zugang der Frauen zu neuen Rechtsansprüchen.

Sogar in Südafrika, dessen Wahrheits- und Versöhnungskommission oft als vorbildlich für eine erfolgreiche Vergangenheitsbewältigung gerühmt wird, scheitern viele Apartheid-Opfer an institutionellen Hürden. Mancherorts haben sich überlebende Apartheidgegner zusammengeschlossen, um ihre Interessen gemeinsam zu vertreten. Die Organisation Khulumani verleiht den Opfern eine Stimme. Noma-Russia Bonase, eine Khulumani-Mitarbeiterin aus Gauteng, erläutert, wie die Khulumani-Gruppen den Mitgliedern helfen, ihre Traumata zu bewältigen: Auf lokaler Ebene arbeiten sie detailliert die Verbrechen der Vergangenheit auf. Eine Herausforderung besteht darin, die sexualisierte Gewalt zu thematisieren und zu verurteilen, um die Würde der Vergewaltigten wiederherzustellen. Diese Gewaltform kam bei den öffentlichen Anhörungen der Wahrheits- und Versöhnungskommission kaum zur Sprache und kein einziger Täter stellte einen Amnestieantrag wegen politisch motivierter Vergewaltigungen. So lastet diese Bürde der Vergangenheit bis heute schwer.

In Südafrika, aber auch in Guatemala oder Peru zeigt sich, wie das Schweigen über sexualisierte Gewalt zu neuen Gewaltformen in Friedenszeiten führt. Wenn Regierungen die Täter nicht bestrafen und Gesellschaften die gewaltgeprägten Männlichkeitsvorstellungen nicht durchbrechen, werden Vergewaltigungen und häusliche Gewalt zur alltäglichen Bedrohung von Frauen und Mädchen. Dem versuchen couragierte Frauenrechtsaktivistinnen Einhalt zu gebieten. Allerdings ist ihr Engagement oft gefährlich. Dennoch arbeiten z.B. in Guatemala Organisationen daran, kriegstraumatisierten Maya-Frauen zu ihrem Recht zu verhelfen. Sie versuchen, durch Basisarbeit in ländlichen Siedlungen und Vermittlungen zwischen Behörden diesen Frauen Respekt und Würde zu verschaffen. Ihre Arbeit verstehen sie als wichtigen Beitrag zum Aufbau einer gewaltfreieren, friedlicheren und gerechteren Gesellschaft.

Auch in anderen lateinamerikanischen Ländern sind es Frauenrechtlerinnen, die sexualisierte Gewaltverbrechen in Diktaturen und Bürgerkriegen anprangern. Durch länderübergreifende Vernetzungen versuchen sie, Allianzen zu bilden und Druck auf die jeweiligen Regierungen und Entscheidungsträger auszuüben. Sie müssen ihre Kräfte bündeln, um rechtliche und gesellschaftliche Reformen zu erreichen. Zentrale Herausforderung ist es, gewaltgeprägte und frauenverachtende Einstellungen von Militärs und Zivilisten grundlegend zu ändern.

Dr. Rita Schäfer ist Ethnologin und Autorin des im Märzerschienen Buches "Frauen und Kriege in Afrika. Ein Beitrag zur Gender-Forschung" (das in der nächsten Ausgabe rezensiert wird).


Informationen über Medica Mondiale:
www.medicamondiale.org/
www.medicamondiale.org/http.//gerechtigkeit/frauen/

Informationen über die UN-Resolution 1820:
www.un.org/News/Press/docs/2008/sc9364doc.htm
daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/N08/391/44/PDF/N0839144pdf?OpenElement
www.medicamondiale.org/bibliothek/rechte/un1820/index.html

Informationen über die UN Resolution 1325:
www.un.org/events/res_1325e.pdf
www.frauensicherheitsrat.de/1325.html
www.unifem.de/dokumente/download/infomix/10-2000_1325German.pdf
www.unifem.de/dokumente/events/2005/IPS_Wenig-Rueckenwind-1325.pdf
www.glow-boell.de/de/rubrik_2/5_740.htm
www.medicamondiale.org/bibliothek/rechte/un1325/index.html

UN-Sonderberichterstatterin über Gewalt gegen Frauen:
www2.ohchr.org/english/issues/women/rapporteur/
www2.ohchr.org/english/issues/women/rapporteur/annual.htm
www2.ohchr.org/english/issues/women/rapporteur/issues.htm


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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 19, III/2008, S. 23 - 24
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
Pazifismus, Friedenspädagogik und Völkerverständigung PAX AN
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Internet: www.forum-pazifismus.de

Erscheinungsweise: in der Regel vierteljährlich
in der zweiten Quartalshälfte.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2008