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BERICHT/219: Truppen raus aus Afghanistan (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 5 - November 2008
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Truppen raus aus Afghanistan
Demonstrationen am 20. September in Berlin und Stuttgart

Von Roland Blach und Monty Schädel


"Wir befinden uns in Afghanistan im Krieg". Deutliche und klare Worte, die Bernhard Gertz, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes, Mitte September ausgesprochen hatte. Damit redet er im Gegensatz zu Verteidigungsminister Jung und den meisten Bundestagsabgeordneten Klartext. Die Zahl der Toten steigt auf allen Seiten, und das angebliche Ziel des Wiederaufbaus wird immer weiter in den Hintergrund gedrängt.

Grund genug, dem Frieden eine Chance und Stimme zu geben: Eine bundesweite Demonstration in Stuttgart und Berlin hat am 20. September "Nein zur Verlängerung der Mandate für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan" gesagt. Auf diese beiden Orte hatte sich die Friedensbewegung Anfang Juni verständigt. Zwei gut gewählte Orte, waren es doch auch Stuttgart und Berlin, wo am 13. Oktober 2001 bereits mehrere Zehntausend Menschen gegen den Beginn des Afghanistankrieges demonstrierten. Aufgerufen hatten mehrere Hundert unterschiedliche Gruppen - Friedensorganisationen und -initiativen, Parteien, kirchliche und soziale Vereinigungen sowie Einzelpersonen.


Berlin: Ca. 4.000 Menschen fanden sich am 20. September auf dem Berliner Platz des 18. März am Brandenburger Tor ein und wollten so ihre Forderung "Dem Frieden eine Chance - Truppen raus aus Afghanistan!" vor der Entscheidung des Bundestages im Oktober auf der Straße formulieren. Wenn auch weniger Menschen als vor einem Jahr dem Aufruf in Berlin gefolgt waren, so war doch deutlich, dass die Zusammensetzung der Demonstration breiter und bunter war.

In seiner Auftaktrede ließ Reiner Braun als Sprecher der Kooperation für den Frieden die Afghanistankampagne kurz Revue passieren und verwies auf Erfolge bei der öffentlichen Diskussion. Die Unterstützung des Berliner Protestes mit dem zur gleichen Zeit stattfindenden Protest gegen den so genannten "Antiislamisierungskongress" europäischer Rechtsextremisten in Köln brachte die Autorin Sabine Schiffer zum Ausdruck.

Solidaritätsbekundungen gab es auch für die inhaftierten Berliner Antimilitaristen, gegen die seit Monaten wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt wurde und deren Prozess am 25. Oktober vor der Strafkammer in Berlin begann. Ihnen wird vorgeworfen, Bundeswehrfahrzeuge in Brand gesteckt zu haben. Polizei und Staatsanwaltschaften nutzen die Anklagen seit einem Jahr für Überwachungen und die Ausforschung antimilitaristischer Zusammenhänge. Um Öffentlichkeit hierfür zu erzeugen, wurden auf den Demonstrationen in Berlin und Stuttgart Panzerattrappen angezündet.

Die US-Amerikanerin Medea Benjamin von der Friedensorganisation 'Codepink' berief sich auf dem Gendarmenmarkt auf das Zusammengehen der internationalen Bewegung gegen den Krieg. Afghanistan sei kein guter Krieg: In den sieben Jahren des Krieges seien viel mehr afghanische Zivilisten getötet worden als im New York des 9/11.

Matin Baraki überzeugte mit seinen Ausführungen zur Situation in Afghanistan, die, soll sie verbessert werden, einen sofortigen Abzug der Besatzungstruppen notwendig macht. Er verwies auf die Diskrepanz der Ausgaben für die militärischen Kämpfe und den zivilen Aufbau nicht nur bei der Bundesregierung.


Stuttgart: Etwa 5.000 Menschen zogen friedlich vom Hauptbahnhof durch die Innenstadt bis zum Schlossplatz. Damit wurden die Erwartungen des Friedensnetzes Baden-Württemberg, des Veranstalters der Demo, voll erfüllt. Hinter dem Fronttransparent mit dem Motto der Demonstrationen "Dem Frieden eine Chance - Truppen raus aus Afghanistan" scharten sich unübersehbar mehrere Dutzend DFG-VK-Mitglieder mit den blauen Fahnen unseres Verbands. Es zahlte sich aus, dass die DFG-VK in der Vorbereitung und Mobilisierung einen wesentlichen Anteil hatte.

Zu den Rednern zählten neben dem desertierten Irak-Veteran Chris Capps Claudia Haydt von der Informationsstelle Militarisierung, der ehemalige Generalsekretär von Pax Christi, Reinhard Voss, auch Bernhard Riexinger, Geschäftsführer von ver.di-Stuttgart. Er bezeichnete den Auslandseinsatz der Bundeswehr als gescheitert: "Der Terrorismus ist nicht eingedämmt, sondern die Taliban sind gestärkt."

Dieter Lachenmayer vom baden-württembergischen Friedensnetz ergänzte: "Alle unsere Befürchtungen sind sieben Jahre nach unserer ersten Demo gegen den Krieg leider wahr geworden. Außerdem sei ein kriegsgeschichtsträchtiges Land wie Deutschland der Welt keine Soldaten mehr schuldig: "Obwohl wir auf unsere Fahnen Frieden geschrieben haben, mischen wir mittlerweile wieder aktiv und fleißig an einem grausamen Krieg mit".

In Afghanistan herrsche Terror, die Bevölkerung sterbe an Hunger und es gehe keine Meinungsfreiheit mehr, sagte die afghanische Frauenrechtlerin Zova von den Revolutionary Association of the Women of Afghanistan (RAWA) auf der Abschlusskundgebung: "Die alliierten Truppen haben die bestehenden demokratischen Gruppen ignoriert, anstatt sie zu unterstützen".

Die Verstärkung der Einsatzkräfte, wie sie auch von US-Präsidentschaftskandidat Barack Obama gefordert wird, sei nutzlos und werde keine positiven Veränderungen bringen. Für Ihre mutige und riskante Arbeit hat RAWA zahlreiche internationale Auszeichnungen erhalten, darunter den Ehrendoktortitel der Universität Antwerpen, Belgien (2002) sowie den Mona-Lisa-Frauenpreis des ZDF (2001).


Ausblick: Mit den Demonstrationen in Stuttgart und Berlin hat die Friedensbewegung erneut ein Zeichen gegen die Kriegseinsätze der Bundeswehr und deren regelmäßige Absegnung durch die Mehrzahl der Bundestagsabgeordneten gesetzt. Auch mit einer Vielzahl an Aktionen und Veranstaltungen haben Aktive der DFG-VK und anderer Organisationen im Vorfeld der Demonstrationen die Bundeswehr-Kriegseinsätze im Allgemeinen und in Afghanistan im Besonderen thematisiert, sich mit Hintergründen und Zusammenhängen auseinandergesetzt, die Öffentlichkeit informiert und sensibilisiert. Konstant sagen Umfragewerte, dass die große Mehrheit der Bevölkerung einen Abzug der Truppen aus Afghanistan fordert.

Die Bundesregierung und der Bundestag sind so auch weiterhin in der Situation, dass sie nicht nur gegen wenige "Spinner aus der Friedensbewegung" streiten, sondern sich in weiten Teilen der Bevölkerung rechtfertigen müssen. Bisher reichte dieser Umstand noch nicht dazu, dass eine Mehrheit im Bundestag sich eher an den Maßstäben von Frieden und Menschlichkeit orientiert, sondern immer noch an den Vorgaben aus den Fraktionsspitzen und Parteizentralen. Doch auch unseren Aktivitäten ist es zuzurechnen, dass die Diskussionen in den Bundestagsfraktionen wie auch der Öffentlichkeit intensiver wurden. Eingeständnisse und Verlautbarungen über das unnütze Mittel Krieg zur "Bekämpfung des Terrors" werden mittlerweile auch von Medien verbreitet, die vor einigen Jahren noch dem Krieg huldigten. Das ist noch kein Widerstand gegen den Krieg aus der Mitte der Gesellschaft, doch es ist ein Fundament, auf dem wir aufbauen können und müssen. Die überschaubare Beteiligung an beiden Demonstrationen machten diese Stimmungen in der Gesellschaft jedoch nicht deutlich. Trotz (oder wegen) der täglichen Berichterstattung über den Krieg in Afghanistan ist der Krieg für viele noch zu weit entfernt, als dass sie sich zu einer Demonstration motiviert und mobilisiert fühlten. Der bestehende Zusammenhang zwischen der Kriegs- und Rüstungspolitik und dem Abbau von sozialen und Grundrechten konnte auch in diesem Jahr nicht deutlich gemacht werden und so keine mobilisierende Wirkung entfachen. Es bleibt die Frage zu klären - und aus der Antwort Schlüsse zu ziehen -, warum wenige Wochen nach den Demonstrationen der Friedensbewegung 50.000 Menschen in Berlin gegen Vorratsdatenspeicherung, Überwachung und Bundeswehreinsätze im Inneren demonstrierten. Wer demonstriert hier getrennt von den anderen und warum? Weshalb war die Friedensbewegung (in ihrer gesamten Vielfalt) unter den 50.000 Menschen eher nicht vertreten?

Der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan sollte für uns auch weiterhin die erste Forderung zur Beendigung des Krieges sein. Denn mit dem Abzug wird der Weg für eine Ordnung in Afghanistan frei, die durch die dort lebenden Menschen gestaltet wird. Unsere Anstrengungen dazu müssen wir wohl auch im kommenden Jahr weiter verstärken. Um unsere Kräfte dabei aber nicht zu verschleißen, sollte auf die Verbindung mit unseren anderen Themen geachtet werden. Vielleicht ist es dann auch möglich, dass andere, verbundene Themen auf den Friedensdemonstrationen eine angemessene Aufmerksamkeit bekommen und TeilnehmerInnen mobilisieren.


Roland Blach ist Geschäftsführer des DFG-VK-Landesverbandes Baden-Württemberg, Monty Schädel ist DFG-VK-Bundesgeschäftsführer.


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 5 - November 2008, S. 14-15
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
Redaktion: ZivilCourage, Postfach 90 08 43, 21048 Hamburg
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Erscheinungsweise: zweimonatlich
Jahres-Abonnement: 12,00 Euro einschließlich Porto
Einzelheft: 2,00 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Dezember 2008