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BERICHT/227: Was die Friedensbewegung von der "Obamania" erwarten kann (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 6 - Dezember 2008
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Was die Friedensbewegung von der OBAMANIA erwarten kann - und was nicht

Von Elsa Rassbach


Der Wahlsieg Barack Obamas bei den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen hat eine solche Begeisterung ausgelöst und Erwartungen geweckt, dass schon gewarnt werden musste: Auch Obama kann nicht übers Wasser gehen! Vorsicht also vor der Obamania. Sicher kann man die Wahl eines Afroamerikaners zum US-Präsidenten historisch nennen, kulturell kommt das in den USA innergesellschaftlich betrachtet einer Revolution gleich. Ob aber mit einer wirklichen Veränderung der Kriegspolitik gerechnet werden kann, bleibt die große Frage. Elsa Rassbach, DFG-VK-Mitglied und in Berlin lebende US-Amerikanerin, wirft einen differenzierten Blick auf die Frage, was aus friedenspolitischer Sicht von der US-Politik unter Obama zu erwarten ist.


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Schon wieder die Luftbrücke?! Als Barack Obama im Juli diesen alten Schinken aus dem Kalten Krieg zum zentralen Punkt seiner Rede an der Siegessäule in Berlin machte, um eine größere Beteiligung der Deutschen in Afghanistan zu fordern, konnte ich meinen Ohren kaum trauen. Ich war mit einem - vom Veranstalter verbotenen - Transparent "Truppen raus aus Afghanistan" gekommen, hielt Obama bis zu diesem Zeitpunkt aber trotzdem für einen modernen und weltgewandten Politiker. In dieser Rede zeigte Obama allerdings nicht einmal das Bewusstsein, dass viele der an der Siegessäule Versammelten während des Kalten Krieges auf der anderen Seite der Mauer lebten und vielleicht alles ganz anders erlebt hatten. Der Redner war nicht einmal geschickt genug, den Deutschen ein paar Komplimente zu machen: Zum Beispiel könnten wir US-AmerikanerInnen einiges von Europa und Deutschland in Bereichen wie Krankenversicherung, öffentliche Verkehrssysteme und bezahlbare Universitätsausbildung lernen - alles Ziele, die Obama für die USA angeblich erreichen möchte.

War Obamas Rede in Berlin ein Zeichen dafür, wie er als Präsident regieren wird? Oder wurde sie nur von Redenschreibern für den überlasteten Kandidaten geschrieben, der ja erst 28 Jahre alt war, als die Mauer fiel? Die Profis der Demokratischen Partei, die die Kandidatur Obamas schon vor mehreren Jahren abgesegnet haben, um ihn dann den Protestierenden als "Erlöser" zu verkaufen - werden sie letztendlich bestimmen? Wird alles beim Alten bleiben, oder bedeutet der Sieg Obamas eine Chance auf eine grundsätzliche Änderung der US-Politik, wonach sich so viele US-AmerikanerInnen sehnen?

Die Antwort darauf habe ich nicht, das kann ich jetzt schon zugeben. Wie so viele auf der Welt suchen auch wir US-AmerikanerInnen täglich nach Zeichen dafür, was nun werden wird. Viele sind misstrauisch geworden. Aber andere, teilweise gute, kluge AktivistInnen, sind voller Hoffnung. "Wer unter uns ist nicht sprachlos", schrieb Michael Moore kurz nach der Wahl. "Die Tränen fließen. Tränen der Freude, der Erleichterung. Ein überwältigender, kolossaler Erdrutschsieg der Hoffnung in einer Zeit tiefster Verzweiflung! Ein Afroamerikaner ist als Präsident der Vereinigten Staaten gewählt worden. Alles ist möglich."

Auch meine Augen waren feucht, als ich zusammen mit deutschen und US-FreundInnen in Berlin früh am Morgen des 5. November die Rede von Obama nach seinem Wahlsieg "live" erlebte. Es war eine viel bessere Rede, als wir sie seit langem von einem US-Politiker gehört haben. Er sagte auch (ein Funken von Hoffnung für mich), dass die Größe der USA nicht in ihrer militärischen oder ökonomischen Macht liege (Gott sei Dank!), sondern in der demokratischen Idee, die erneuert werden muss. "Eine schwarze Frau im Weißen Haus - ist das nicht toll, ist das nicht toll!" sagte meine Freundin immer wieder. Ja, das Weiße Haus ist mit Sklavenarbeit gebaut worden, und das Dienstpersonal waren in den ersten 50 Jahren der US-Republik Sklaven.

Obama ist nicht nur ein Afroamerikaner, sondern einer mit einem muslimischen Namen und Verwandten, der als Kind in Indonesien mehrere Jahre eine muslimische Schule besuchte. Er ist Sohn einer weißen "Hippie-Mutter, die zu ihren Grundwerten in den 1960-er Jahren gekommen ist, die sich schon damals (sehr "vorzeitig") getraut hat, eine Liebschaft mit einem schwarzen Afrikaner einzugehen. Obama ist noch dazu im Grunde vaterlos aufgewachsen und von seiner weißen Großmutter erzogen worden. Sein erster Job hatte er als Aktivist für die ärmeren Gemeinden in Chicago, und er war lange Mitglied einer Kirche, der von einem radikalen schwarzen Pfarrer geleitet wurde, der nach dem 11. September 2001 gepredigt hat, dass die USA gewissermaßen den Anschlag insofern "verdient" hätten, weil sie sich so ausbeuterisch anderen Völkern gegenüber verhalten hatten. Undenkbar, dass noch vor zehn Jahren in den USA solch ein Kandidat aufgestellt und gewählt hätte werden können!

Die Obama-Kampagne ist unter dem Logo "Change" (Veränderung) geführt worden. Der Wahlsieg allein ist schon ein Zeichen, dass eine gravierende Veränderung in den USA bereits eingetreten ist, und zwar in der Einstellung der Bevölkerung. Die Möglichkeit des Siegs eines Kandidaten wie Obama ist letztlich auf die langjährige Basisarbeit der US-amerikanischen Friedensbewegung, Bürgerrechtsbewegung, Arbeiterbewegung, Frauenbewegung und von progressiven Kirchen zurückzuführen.

Aber bevor wir hier zu optimistisch werden, sollten wir auch nicht vergessen, dass nur 43 Prozent der weißen Bevölkerung für Obama gestimmt haben, davon in der Mehrzahl Frauen. Wir sollten nicht vergessen, dass in mehreren, vorwiegend im Süden gelegenen Bundesstaaten Obama nur etwa ein Drittel der Stimmen bekommen hat. Wir sollten nicht vergessen, dass es in den USA immer noch eine relativ starke, rechte "Volksbewegung" für den Krieg gibt. Diese Bewegung ist viel wichtiger und populärer in den USA als es vergleichbare neonazistische Bewegungen in Europa sind. Diese Bewegung bereitet schon den Gegenschlag vor, plant schon das Amtsenthebungsverfahren.

Wir müssen Obamas Chancen - falls er wirklich etwas ändern will - in diesem Licht betrachten. Innenpolitisch gesehen bietet seine Amtszeit sogar große Chancen: Gerade die Finanzkrise verlangt ganz neue Lösungen und viel Umdenken. Aber Obamas Präsidentschaft ist damit auch schon gefährdet. Falls die Rezession lange dauert oder sich sogar zur Weltwirtschaftskrise wie in den 1930-ern entwickelt, werden die Rechten Obama die Schuld zuschieben - sie tun es schon.

Er hat als Kandidat versprochen, die Steuern der ärmeren 95 Prozent der US-BürgerInnen zu reduzieren, eine fast universelle Krankenversicherung einzuführen und vieles mehr. Wird dies noch möglich sein, oder wird er eventuell doch die Steuer erheblich erhöhen müssen und andere Versprechen nicht einhalten? Dies könnte sehr rasch zu einem wachsenden Zynismus unter seinen AnhängerInnen führen wie auch zu einer Stärkung der rechten Kräfte.

Obama hat gesagt, dass er gegen "dumme" Kriege sei. Unter den 52 Prozent der WählerInnen, die für Obama gestimmt haben, gibt es breite Meinungsunterschiede in der Frage Krieg und Frieden. Die "New York Times", die schon lange für den Abzug der US-Truppen aus dem Irak plädiert und eine Wahlempfehlung für Obama ausgesprochen hatte, hat nun in einem längeren Leitartikel ihre Position zu den wichtigen neuen Aufgaben aufgelistet: Trotz Finanzkrise müsse Obama sofort die US-Streitkräfte um fast 100.000 SoldatInnen erweitern, den Krieg in Afghanistan intensiver führen und die USA auf Einsätze gegen Guerillas in der ganzen Welt vorbereiten. Im Kontrast dazu schrieb die Friedensaktivistin Cindy Sheehan, Mutter eines im Irak "gefallenen" US-Soldaten, die im Sommer 2005 wochenlang und weltweit beachtet mit einem Camp vor der Ranch von George W. Bush in Texas gegen den Irak-Krieg protestiert hat: "Wenn Obama nicht eine schnelle und vollständige Beendigung des US-Kriegs des Terrors gegen die Welt vollzieht, sollte jemand ein Camp vor seiner Ferienwohnung errichten." Einige meinen sogar, dass "Obama, der Erlöser" gerade dazu geschaffen wurde, dem inzwischen in Verruf geratenen "Krieg gegen den Terror" ein neues Gesicht zu geben und die Friedensbewegung zu spalten.

Ich selbst und viele andere US-AmerikanerInnen haben bei den Vorwahlen der Demokratischen Partei gerade deswegen für Obama gestimmt, weil er sich klar gegen den Angriff auf den Irak ausgesprochen hat. Obama sagte in den Vorwahl-Debatten immer wieder, dass er von Anfang an gegen den Irak-Krieg war, während Hillary Clinton dafür gestimmt hätte. (Allerdings war Obama noch nicht Mitglied des US-Senats, als er seine Opposition gegen den Irak-Krieg im Wahlkampf für den Senat 2004 erklärt hat; dem US-Senat gehörte er seit Anfang 2005 an.) Er sagte immer wieder, dass gerade er der stärkere Präsidentschaftskandidat sei, weil nur er als "jemand, der diesen Krieg nie unterstützt hat", einen starken Kontrast zur Bush-Politik biete. Die berühmte Internet- und Basiskampagne, die Obama nun den Sieg brachte, ist im Wesentlichen aus der Energie, der Leidenschaft und den Fähigkeiten der Antikriegs- und sozialen Bewegungen entwickelt worden.

Nach den Vorwahlen und seinem Erfolg darin stellte sich aber heraus, dass Obamas Pläne für den Irak nicht eindeutig im Sinne der Friedensbewegung sind. Schlimm genug, dass er den Abzug der US-Truppen erst 16 Monaten nach seinem Amtsantritt geplant hatte, sagte er nun sogar, dass er "erst nach Beratung" entscheiden wird, wie viele US-Truppen wie schnell abgezogen werden; dabei sollen mindestens 30.000 SoldatInnen wie auch wahrscheinlich zehntausende Söldner von privaten Militärfirmen wie Blackwater etc. permanent im Irak bleiben.

Obama wird sicherlich versuchen, der US-Außenpolitik ein etwas anderes Gesicht zu geben. Am 16. November bei seinem ersten Interview nach dem Wahlsieg erklärte Obama im Sender CBS, dass er als ein Teil der Bestrebungen, "Amerikas moralische Statur in der Welt wieder aufzubauen", Guantanamo schließen wird. Sein Team hat aber schon bekannt gegeben, dass Bush, Cheney und andere nicht zur Rechenschaft wegen dieses und anderer Verbrechen gezogen werden sollen. Im selben CBS-Interview sagte Obama wie bereits zuvor bei seiner Rede in Berlin, dass er die US-Truppen aus dem Irak abziehen wird, aber den Krieg "gegen al-Qaida" in Afghanistan, ausweiten wird.

In vier wichtigen Fragen erscheint die US-Außenpolitik Obamas identisch mit der der Bush-Regierung: Er ist für die Erweiterung des Afghanistan-Kriegs und der US-Präsenz im Mittleren Osten, für die Unterstützung der jetzigen irakischen Regierung durch US-Militärgewalt, für die einseitige Unterstützung Israels ohne die klare Anerkennung der Rechte und Ansprüche des palästinensischen Volkes und für die Fortsetzung des Druck auf den Iran.

In manchen Punkten hat er sich sogar kriegerischer als der republikanische Präsidentschaftskandidat McCain geäußert. Während des Wahlkampfs kündigte Obama an, dass er unter Umständen militärische Angriffe in Pakistan anordnen werde, auch ohne Einwilligung der pakistanischen Regierung. Das ging sogar McCain zu weit, der Obama daraufhin als "verantwortungslos" bezeichnete. Während McCain meinte, dass Iran eventuell Atomkraft friedlich entwickeln und nutzen dürfe, wäre dies für Obama ein Kriegsgrund.

Obwohl sich Obama bereit erklärt hat, sich mit "Feinden" der USA zu treffen, hat er die neokonservative Doktrin des US-Alleingangs in "präemptiven Kriegen" keineswegs zurückgewiesen. Solche Maßnahmen sollen nach wie vor durch stillschweigende Einwilligung der deutschen Regierung über die US-Militäreinrichtungen in Deutschland organisiert werden.

Auch in seinen Personalentscheidungen zeigt Obama keine neue Richtung für die US-Außenpolitik. Zu seinem Vizepräsidenten machte er Senator Joseph Biden, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschuss und von Anfang an ein Unterstützer des Angriffs auf den Irak, der eine führende Rolle bei der weiteren Bewilligung der Kriegsbudgets gespielt hat, nachdem die Demokraten 2006 die Mehrheit im Kongress bekommen haben.

Der neue Stabschef im Weißen Haus und "Türsteher" am Oval Office soll Rahm Emanuel werden, einer der konservativsten Abgeordneten der Demokraten im Kongress und Mitglied der Gruppe "New Democrat Coalition", die sich für die Interessen der Industrie einsetzt. Er stimmte für das Raketenabwehrsystem und gegen alle Einschränkungen des Militärbudgets für den Irak-Krieg und seine bedingungslose Weiterfinanzierung wie auch gegen alle Versuche seiner Fraktionskollegen, einen Zeitplan für den Abzug zu verlangen. Ebenso stimmte er gegen alle Vorlagen seiner Fraktion, die die Bush-Regierung hindern sollten, einen Krieg gegen Iran zu beginnen. Emanuels Vater war Mitglied der zionistischen Terrorgruppe Irgun, die in den 1940-er Jahren an der Massenvertreibung der Palästinenser mitwirkte, er selbst ist gleichzeitig Staatsbürger der USA und Israels und diente als Freiwilliger in ziviler Funktion in der israelischen Armee. Die israelische Invasion Libanons 2006 unterstützte er.

Das Außenministerium hat Obama seiner früheren Konkurrentin Hillary Clinton angeboten, die als Senatorin für den Irak-Krieg gestimmt hatte. Außerdem wird er den Bush-Verteidigungsminister Robert Gates behalten, der den Plan eines Abzugs der Mehrheit der US-Truppen innerhalb sechzehn Monaten aus dem Irak wahrscheinlich stornieren möchte.

Auch in Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik ist es bei weitem nicht klar, dass Obama versuchen wird, die Hoffnungen seiner Wähler zu verwirklichen. Bei der Vorwahlkampagne kam die erste Finanzierung durch unzählige kleine Spenden, die übers Internet eingeworben wurden. Später hat Obama größere Spenden von Konzernen und Reichen geworben. Laut "Public Citizen", einem angesehenen Verbraucher-Interessenverband, hat die Wall Street einen überproportionalen Einfluss auf Obama gewonnen, weil die MitarbeiterInnen der Finanzindustrie viel Geld an die Obama-Kampagne gespendet haben: 12,7 Millionen US-Dollar im Vergleich zu den 8 Millionen Dollar, die sie an McCain gegeben haben. Allein die MitarbeiterInnen der Privatbank Goldman Sachs, haben für Obama 874.207 Dollar gespendet, mehr als die MitarbeiterInnen aller anderen Organisationen in den USA (außer die Universität von Kalifornien).

Zur Finanzkrise sagte Obama im CBS-Interview am 16. November. "Die Antwort ist nicht plumpe Regulierung, die den unternehmerischen Geist und die Risikobereitschaft des amerikanischen Kapitalismus erdrückt. Das sind doch die Eigenschaften, die unsere Wirtschaft mächtig gemacht haben. Wir müssen vielmehr versuchen, einen Sinn für Gleichgewicht wieder herzustellen."

So sehr wir FriedensaktivistInnen uns über diese Entwicklungen empören und jetzt durch Briefkampagnen und dergleichen versuchen, die Entscheidungen von Obama und seinem Stab zu beeinflussen, müssen wir auch selbstkritisch feststellen: Wir haben ein "großes Loch" in den Diskussionen zu Krieg und Frieden gelassen und keine Bewegung aufgebaut, die die Bevölkerung auf diese Entwicklungen vorbereitet hat. In den USA lag der Fokus der Friedensbewegung bis vor kurzem fast ausschließlich auf dem Irak-Krieg. Das Feld des gesamten übrigen Nahen- und Mittleren Ostens haben wir für die Kriegsmacher relativ frei gelassen, haben nicht aufgeklärt, warum der Krieg in Afghanistan, die einseitige Unterstützung für Israel, der Druck auf Iran falsch und unmoralisch sind. Wir haben nicht systematisch genug den "Krieg gegen den Terror" und die ganze imperialistische Politik kritisiert und unsere Bewegung dagegen aufgebaut. Es kann nicht erwartet werden, dass ein US-Präsident diese von mächtigen Interessen getriebenen Kriege stoppen wird, wenn es nicht einmal eine Basisbewegung dagegen gibt.

Auch in Europa kann man die Friedensbewegungen kritisieren: Die Einstellung, dass die einzige Pflicht der Europäer ist, ihre eigenen Truppen aus den Kriegsgebieten abzuziehen, während die Nutzung von europäischem Territorium für die US-Kriege und -Verbrechen fast stillschweigend geduldet wird, die Idee, die US-Friedensbewegung solle den Irak-Krieg stoppen, während die Europäer sich nur auf Afghanistan konzentrieren, führt zu einer Verblendung der Bevölkerungen auf beiden Seiten des Atlantiks. Es gilt jetzt, eine wirkliche internationale Friedensbewegung mit einer gemeinsamen Analyse, Strategie und Taktik aufzubauen, eine Bewegung die nicht überrascht ist, wenn die Kriegsschauplätze wechseln. Die neue Anti-Nato-Kampagne anlässlich des 60. Geburtstages dieses Kriegsbündnisses im kommenden April ist in dieser Hinsicht ein positiver Schritt.

An dem Morgen, als ich Obamas Rede in Chicago nach dem Wahlsieg in Berlin im Fernsehen erlebte, hatte ich viele Flashbacks. Ich erinnerte mich an 1960, kurz bevor Obama geboren wurde, als ich mit anderen SchülerInnen in Woolworths Lunch Counter in Denver ein "Sit-In" organisierte, um dabei mitzuhelfen, dass Schwarze im Süden bei Woolworths essen dürfen. Ich erinnerte mich an Martin Luther Kings große "I have a dream"-Rede 1963 in Washington. Damals war Obama etwa zwei Jahre alt, und Schwarze durften in der Hälfte der US-Bundestaaten nicht zur Wahlurne gehen. Präsident Lyndon B. Johnson hat dann 1964 die Bürgerrechtsgesetze durchgesetzt und eine Reihe von sozialen Programmen beim "Krieg gegen die Armut." Aber: Dieser letzte demokratische Präsidentschaftskandidat, der im Wahlkampf 1964 eine ähnlich breite Popularität wie nun Obama genoss, wollte auch einen weiteren Krieg führen in Vietnam, versprach "both guns and butter" ("sowohl Gewehre wie auch Butter"). Die enttäuschten Hoffnungen, als durch die Reformen weder Rassismus noch Armut überwunden wurden, führten schon 1965 zu den großen Krawallen im Ghetto von Watts in Los Angeles. In den nächsten Jahren wurden die Ausrufe immer lauter "Hey, hey LBJ, how many kids did you kill today?" ("Hey, hey, LBJ [Lyndon B. Johnson], wie viele Kinder hast du heute getötet?"). Die Proteste 1968 in Chicago beim nächsten Parteitag der Demokraten sind noch heute legendär.

In den 1960-er Jahren wuchs die Wut in den schwarzen Gemeinden so sehr, dass viele sich gegen Martin Luther King gewandt haben, der ja erst kurz vor seiner Ermordung 1968 den Vietnam-Krieg öffentlich kritisierte. Viele wurden Anhänger der militanten Black-Panther-Partei, der GI-Bewegung und von Malcolm X, der aus Protest gegen die US-Gesellschaft zum Islam konvertierte. Malcolm X sprach vom Konflikt in der Sklavenzeit zwischen dem "Feld-Nigger" ("field nigger") und dem "Haus-Nigger" ("house nigger"), der die Befehle der Plantagenherren an die restlichen Sklaven weitergab und dafür Privilege bekam. Diesen Vergleich hat al-Qaida neulich in einem Video gegen Obama benutzt, worin sie Malcolm X verherrlichte. Martin Luther King, Malcolm X und viele der Führer der Black-Panther-Partei sind umgebracht worden.

Es kündigt sich bereits an, dass dann, wenn die Hoffnungen, die Obamas Wahlsieg geweckt hat, zu sehr entäuscht werden, die Wut zum starken Thema der US-Politik wird. Einige der Veteranen der Kriege in Irak und in Afghanistan sind durch Obamas Politik schon vor der Wahl so entäuscht gewesen, dass sie dazu gerufen haben, für die Präsidentsschaftskandidaten der kleineren Parteien wie Cynthia McKinney, Ralph Nader oder Ron Paul zu stimmen. (Siehe www.youtube.com/watch?v=teUrxm W-pUjE)

Trotz vieler fragwürdiger Aussagen und Entscheidungen von Obama wäre es aber voreilig zu sagen, dass er nur ein "Haus-Sklave" ist. Obama hat die Wahl auf neue Weise mit Hilfe einer relativ unabhängigen Basisorganisation der Friedens- und sozialen Bewegungen gewonnen; es gibt Planungen, diese Basis als eine Ressource außerhalb der traditionellen Struktur der Demokratischen Partei weiter zu entwickeln und zu pflegen, damit der öffentliche Druck für "Change" nicht nachlässt. Zwar brauchen Präsidentschaftskandidaten in den USA das Geld und die Unterstützung einer der beiden großen Parteien, um überhaupt die teure Wahlkampagnen durchzuziehen. Nach der Wahl unterliegen sie jedoch - beispielsweise im Vergleich zu einer deutschen Bundeskanzlerin - relativ wenig einer Parteidisziplin.

Außerdem ist das US-Militär keine Parlamentsarmee, sie untersteht direkt dem Präsidenten als "Commander in Chief". Ein Präsidentschaftskandidat kann sich für Frieden aussprechen, aber später Krieg führen; George W. Bush hat z.B. während des Wahlkampfs 2000 immer wieder gesagt, dass sich in seiner Regierungszeit die USA nicht übermäßig in die Angelegenheiten anderer Nationen einmischen würden ("Ich denke nicht, dass unsere Truppen dafür eingesetzt werden sollen, was Nation-building genannt wird."). Ginge es nicht auch umgekehrt, dass ein Präsident im Amt das Versprechen, Kriege zu führen, nicht einhält? Die Macht dazu hätte er.

Wir geben Obama die beste Chance, sich doch als Friedenspräsident zu entwickeln, wenn wir jetzt schon so weit wie möglich - und zwar weltweit - den öffentlichen Druck erhöhen, die Kriegspolitik zu beenden. Wir dürfen nicht ruhen, sondern müssen stärker als die Rechten zu Wort kommen, weil diese sicherlich versuchen werden, so viel Druck wie nur möglich auf Obama auszuüben. Dabei sollten wir es vermeiden, schon jetzt zu viel Zynismus zu zeigen, wodurch wir uns eventuell gegenüber den Hoffenden schnell isolieren könnten. Wir müssen auf gerade diese Hoffnungen bauen, sie erweitern, und mindestens für einige Zeit "im guten Glauben" verlangen, dass sie erfüllt werden.


Elsa Rassbach ist DFG-VK-Mitglied und seit Jahrzehnten friedenspolitisch aktiv. Die Filmemacherin ist US-Amerikanerin und lebt seit 1996 in Berlin, nachdem sie bereits in den 1960-er Jahren dort studiert hatte. Ihr preisgekrönter historischer Spielfilm "The Killing Floor" (1984) über Arbeiterbewegung und Rassenkämpfe in den Schlachthöfen Chicagos wird im nächsten Jahr wieder veröffentlicht.


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 6 - Dezember 2008, S. 4-7
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2009