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BERICHT/242: Mildes Urteil, aber die Gewissensfreiheit mißachtet (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 21 - I/2009
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Mildes Urteil, aber die Gewissensfreiheit missachtet
Bericht über den Prozess gegen den Totalverweigerer Silvio Walther

Von Detlev Beutner


Am 9. März 2009 fand am Amtsgericht Bensheim die Hauptverhandlung gegen den Totalen Kriegsdienstverweigerer Silvio Walther statt. Das Verfahren endete - zumindest vorläufig - mit einer so genannten "Verwarnung mit Strafvorbehalt" (§ 59 StGB), d.h., die Verurteilung zu einer Geldstrafe (in Höhe von 60 Tagessätzen à 15 Euro bleibt für eine Bewährungszeit von zwei Jahren vorbehalten - oder anders ausgedrückt: Silvio wurde nicht verurteilt, es wurde lediglich seine "Schuld" festgestellt (mit der benannten vorbehaltenen Strafe). Doch der Reihe nach:

Silvio war zum 01.04.2008 zu den Gebirgsfernmeldern in die General-Konrad-Kaserne in Bad Reichenhall einberufen worden. Nachdem er dort nicht erschienen war, wurde er schließlich eine gute Woche später von Feldjägern aufgegriffen und über Mainz schließlich nach Bad Reichenhall verbracht, wo die erste vorläufige Festnahme aufgrund seiner bisherigen Abwesenheit erfolgte. Dem schloss sich direkt ein erster Arrest von sieben Tagen Länge an. Es folgte das bekannte "Spiel", das die Bundeswehr im Umgang mit Totalen Kriegsdienstverweigerern geübt ist: Ende des Arrestes, Erteilung eines Befehls, Verweigerung des Befehls, erneute vorläufige Festnahme und Verhängung des nächsten Arrestes, diesmal in Höhe von 10 Tagen. Das wiederholte sich ein weiteres Mal mit einer Arrestlänge von nunmehr 14 Tagen.

Während dieses dritten Arrestes, in dem Silvio in die Nähe von Berchtesgaden verlegt wurde, kamen zwei Soldaten in seine Zelle und forderten Silvio auf mitzukommen mit den Worten "Wir gehen spielen!". Silvio sollte dann einen Parkplatz aufräumen, und als er sich weigerte, griff einer der Soldaten demonstrativ zu seinem Gewehr - "immerhin" ohne unmittelbar auf Silvio zu zielen - und betonte: "Befehl ist Befehl!". Unter diesem Eindruck räumte Silvio den Platz dann auf.

Nach dem Ende des dritten Arrestes erging wie gewohnt der nächste Befehl, und auf die Verweigerung desselben wurden nunmehr 21 Tage Arrest beantragt. Allerdings erfolgte keine vorläufige Festnahme, sondern - vermutlich aufgrund des anstehenden Gelöbnisses in der Kaserne und des entsprechenden Willens des Militärs, insoweit "Ruhe" zu haben - zunächst einmal ein "Dienstverbot".

Unter dem Eindruck der Erlebnisse in Berchtesgaden hatte Silvio zunächst nicht vor, wieder zur Bundeswehr, nachdem das Dienstverbot Mitte Juni aufgehoben worden war, zurückzukehren. Zugleich befürchtete er aber, dass die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl vorbereiten würde, so dass er sich schließlich Mitte Juli wieder stellte. Der zuvor beantragte Arrest war bereits genehmigt worden und wurde sogleich vollstreckt. Ein wegen seiner erneuten Abwesenheit beantragter 5. Arrest wurde dann vom zuständigen Truppendienstgericht nicht mehr genehmigt - und der laufende Arrest wurde nach sieben Tagen abgebrochen. Es erfolgte wiederum ein Dienstverbot und schließlich Ende Juli die Entlassung aus der Bundeswehr.

Angeklagt waren nun die beiden als "Eigenmächtige Abwesenheit" (§ 15 Wehrstrafgesetz) benannten Zeiten, in denen Silvio der Bundeswehr ferngeblieben war. Die Frage, ob insbesondere der erste Zeitraum als "Fahnenflucht" (§ 16 WStG) zu werten sei, wurde nicht erörtert, ebenso waren die "Gehorsamsverweigerungen" (§ 20 WStG) innerhalb der Bundeswehr nicht zur Anklage gekommen. Die Anklage war vor dem Amtsgericht Bensheim (Landgerichtsbezirk Darmstadt) erhoben worden, da Silvio zum Zeitpunkt seiner Einberufung hier seinen Wohnsitz hatte.


"Weisungsgebundenheit" gegen "eigene Meinung"

Am 9. März fand sich Silvio also mit sieben ZuschauerInnen im Rücken und seinem Verteidiger Rechtsanwalt Ullrich Hahn in Bensheim wieder - ihm gegenüber Jugendrichter Brakonier - und der Vertreter der Staatsanwaltschaft; richtig gelesen: Richter und Staatsanwalt saßen - erhöht - nebeneinander. Ein sehr unangenehmer Anblick. Der Richter pflegte einen - der Sache nicht unbedingt angemessenen - sehr jovialen Stil, sich selbst dabei wohl lustiger findend, als der Rest im Raum: Silvio sei von "der Truppe, wie man das so schön kennt", ferngeblieben. Gelacht hat nur der Richter. Vielleicht war es aber auch nur schlichte Unbeholfenheit und eine gewisse Überforderung durch den Fall, der sich wohl so gar nicht in die berufliche Erlebniswelt des Jugendrichters einordnen wollte, wie dieser später auch noch einmal betonte (man habe es ja sonst mit ganz anderen Leuten zu tun).

Nach der Erörterung der Geschehnisse und der Einlassung Silvios, in der dieser auf die Verzahnung von Militär- und Zivildienst verwies, startete der Richter den Versuch, das Verfahren einstellen zu lassen. Hier signalisierte jedoch der Staatsanwalt gleich, dass er zwar "eine eigene Meinung zu dem Fall" habe, aber "weisungsgebunden" sei, und manchmal müsse er auch Sachen vertreten, die er selbst anders sähe - und sein Dezernent habe ihn klar angewiesen, einer Einstellung nicht zuzustimmen. Es mag unwahrscheinlich klingen, und in 18 Jahren TKDV-Prozesserfahrung schreibe ich das auch erst das zweite Mal über einen Anklagevertreter - aber der Mensch war relativ sympathisch! Selten hat ein Staatsanwalt in solcher Offenheit zur Schau getragen, wie sehr er seine eigenen Anträge und Erklärungen für inhaltlich falsch halte. In seinem Plädoyer erkannte der Staatsanwalt auch ohne jeden Zweifel Gewissensgründe bei Silvio an ("Die muss man nicht teilen, aber die haben Sie überzeugend dargelegt.") und forderte dann in Summe eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen.

Verteidiger Ullrich Hahn verwies zunächst darauf, dass seiner Meinung nach das Jugendstrafrecht nicht zur Anwendung kommen könne (Silvio war noch wenige Tage "Heranwachsender" während seiner ersten Abwesenheit), da es sich schon um eine ernste und erwachsene Überlegung handele, die Silvios "Taten" zugrunde liege; auch der Staatsanwalt hatte das zuvor schon so gesehen. Das, so Hahn, heiße aber nicht, dass es keine Möglichkeiten gäbe, sollte das Gericht nicht zu einem Freispruch kommen, hier dennoch mit "milden" Sanktionen zu reagieren, etwa einer "Verwarnung mit Strafvorbehalt". Er führte im Weiteren allerdings aus, dass ein Totaler Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen freigesprochen werden müsse und zitierte hierzu Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Reichweite der Gewissensfreiheit im Strafrecht (sog. "Gesundbeterfall") sowie weitere bekannte Juristen, die auch explizit die Straffreiheit für Totale Kriegsdienstverweigerer begründeten.

Ganz so weit wollte der Richter nach einer viertelstündigen Unterbrechung dann doch nicht gehen. Er sähe zwar, dass es einige Juristen gebe, die diese Auffassung teilten - "nur meine gesamte Kollegenschaft, die ist nicht Ihrer Meinung, und gegen die stelle ich mich auch nicht!". Das war sicherlich ehrlich, aber nicht gerade juristisch fundiert. So blieb es tatsächlich bei einer Verwarnung mit Strafvorbehalt. Ob das Urteil rechtskräftig wird, hängt nun davon ab, ob die Staatsanwaltschaft in Darmstadt Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen wird. Weitere Informationen zu dem Verfahren sind im Internet zu finden: http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/468082;
www.morgenweb.de/region/bensheim_zwingenberg/20090311_srv0000003920147.html


Detlev Beutner hat selber den Kriegsdienst total verweigert und ist seit vielen Jahren in Sachen TKDV aktiv.


8.2 Totalverweigerung

Nachdem mir längere Zeit keine Fälle von "Totalverweigerung", das heißt der Ablehnung von Wehr- und Ersatzdienst bekannt geworden waren, erreichten mich 2007 und 2008 fünf Eingaben dazu. Aus rechtsstaatlichen Erwägungen kann ich "Totalverweigerungen" nicht unterstützen. Nach Artikel 12 a Grundgesetz (GG) besteht für alle jungen Männer die allgemeine Wehrpflicht, dass heißt, sie können vom vollendeten 18. Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden. Eine Ausnahme davon bildet Artikel 4 Absatz 3 GG, der festlegt, dass niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden darf. Die Inanspruchnahme dieses Grundrechts setzt allerdings eine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer und die Ableistung von Zivildienst voraus. Einen anderen Weg als die Ableistung des Wehr- oder Zivildienstes sehen die einschlägigen Gesetze nicht vor. Kommt der zum Wehrdienst Einberufene seinen soldatischen Pflichten nicht nach, muss er sowohl mit disziplinarrechtlichen als auch mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen.

Nach ständiger Rechtsprechung ist es zulässig, einen so genannten "Totalverweigerer" mehrmals mit Arrest zu belegen. Eine vorzeitige Entlassung eines "Totalverweigerers" kommt nach einem im Frühjahr 2008 in Kraft getretenen Erlass (PSZ I 7 - Az 24-16-02 vom 21. April 2008) des Bundesministeriums der Verteidigung regelmäßig erst dann in Betracht, wenn die disziplinaren Möglichkeiten und sonstigen Führungsmittel ausgeschöpft sind, insbesondere das Truppendienstgericht der weiteren Verhängung von Disziplinararrest nicht zustimmt oder der zuständige Disziplinarvorgesetzte nach der Vollstreckung von mindestens zwei Disziplinararresten von je 21 Tagen zu der sicheren Überzeugung kommt, dass nach dem bisherigen Verhalten des Soldaten und nach seinem Persönlichkeitsbild eine Änderung seiner ablehnenden Haltung seiner Dienstpflicht gegenüber nicht zu erwarten ist.

Auch wenn ich einräumen muss, dass bei einem jungen Menschen, der nach seiner festen Überzeugung handelt, der Arrest seine erzieherische Wirkung verfehlen kann, kann die Anwendung des Disziplinarrechts doch nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Ob der neue Erlass zu einer angemessenen Anwendung des Disziplinarrechts im Umgang mit Totalverweigerern führt, bleibt abzuwarten und wird im Rahmen der Erfahrungen mit der Umsetzung des Erlasses zu prüfen sein.

In den an mich herangetragenen Fällen zeigten sich wiederholt Unsicherheiten der Vorgesetzten vor Ort im Umgang mit den "Totalverweigerern". Ich habe daher angeregt, diese Verfahren grundsätzlich durch das Bundesministerium der Verteidigung begleiten zu lassen. Der Rechtsberater des Führungsstabs des Heeres hat entsprechende Hinweise in einem Infobrief an die Angehörigen der Rechtspflege im Heer herausgegeben. Ich gehe davon aus, dass dies zur Verbesserung der Rechtssicherheit beiträgt.

Aus dem Jahresbericht für das Jahr 2008 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages vom 26. März 2009


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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 21, I/2009, S. 32 - 33
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
Pazifismus, Friedenspädagogik und Völkerverständigung PAX AN
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2009