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BERICHT/264: Friedensfachleute in den Unterricht (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 25 - I/2010
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Friedensfachleute in den Unterricht
Zur Auseinandersetzung um die Zusammenarbeit von Schule und Bundeswehr am Beispiel Baden-Württemberg

Von Klaus Pfisterer


Nordrhein-Westfalen hat. sie seit Oktober 2008, das Saarland seit März 2009 (noch unter der CDU-Alleinregierung abgeschlossen) und nun hat sie seit dem 4. Dezember 2009 auch Baden-Württemberg: eine Kooperationsvereinbarung des Kultusministeriums mit den Jugendoffizieren der Bundeswehr.

Die Initiative zum Abschluss einer Kooperationsvereinbarung zwischen dem baden-württembergischen Kultusministerium und der Bundeswehr ging vom Bundesminister der Verteidigung Jung aus. Dieser schrieb am 16. Juni 2009 einen Brief an Ministerpräsident Oettinger, der ihn an Kultusminister Rau weiterleitete. (Alle drei CDU-Politiker sind mittlerweile nicht mehr in ihren Ämtern).

Die ersten drei Kooperationsvereinbarungen wurden von CDU-geführten Landesregierungen unterzeichnet. Inzwischen hat sich die SPD angeschlossen, denn als vorläufig letztes Bundesland hat Rheinland-Pfalz am 25. Februar 2010 eine solche Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Weitere Bundesländer sollen aber folgen.


Inhalt der Kooperationsvereinbarung

Am 4. Dezember 2009 haben der damalige baden-württembergische Kultusminister Helmut Rau und Generalmajor Gert Wessels, Befehlshaber im Wehrbereich IV, in Anwesenheit von Jugendoffizieren eine Kooperationsvereinbarung zwischen Kultusministerium und Bundeswehr unterzeichnet. Damit soll die Kooperation zwischen Schulen und Jugendoffizieren gekräftigt werden. Im Einzelnen wurden folgende Punkte vereinbart: (Der Text ist für alle Bundesländer identisch)

1. Die Jugendoffiziere bieten - wie bisher - ihre Besuche in Schulen an.

2. Neu an der Vereinbarung ist, dass die Jugendoffiziere in die Aus- und Fortbildung von ReferendarInnen und von Lehrkräften eingebunden werden.

3. Außerdem bietet die Bundeswehr LehrerInnen sowie VertreterInnen der Schulaufsicht ihrerseits Besuche in ihren Einrichtungen und Seminare zur Sicherheitspolitik an.

4. Die Veröffentlichung von Bildungsangeboten in den Medien des Kultusministeriums.

5. Regelmäßige Gespräche der Jugendoffizieren mit den VertreterInnen der Regierungspräsidien.

6. Jeweils zum Schuljahresende erfolgt ein schriftlicher Bericht der Jugendoffiziere an das Kultusministerium.

Festgehalten ist auch: "Jugendoffiziere werben nicht für Tätigkeiten innerhalb der Bundeswehr."

Mit der getroffenen Vereinbarung wird ein weiteres Kapitel in der Zusammenarbeit von Kultusministerium und Bundeswehr aufgeschlagen. Dabei gab es das alles schon einmal. Zur Erinnerung:

Am 19. November 1970 forderte der damalige Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) in einem Brief an die Ministerpräsidenten der Bundesländer: "Es muss beim jungen Menschen Verständnis geweckt werden für die Notwendigkeit einer ausreichenden Verteidigung als Voraussetzung jeder Entspannungspolitik stehen die Jugendoffiziere der Bundeswehr zur Verfügung, um den Auftrag der Bundeswehr und ihre Rolle im Rahmen der Sicherheitspolitik in den Schulen sachkundig darzustellen".

Auf der Grundlage des Brandt-Briefes erließ der damalige CDU-Kultusminister von Baden-Württemberg Wilhelm Hahn am 18. August 1971 die Anordnung "der Berücksichtigung der Landesverteidigung im Unterricht". Den Kerninhalt formulierte das Kultusministerium so: "... ist es wichtig, die Schüler über die Notwendigkeit einer ausreichenden Verteidigung zu informieren und die Aufgaben, die der Bundeswehr hierbei zukommen, sachlich und ohne Werbung aufzuzeigen. Die Aufgaben der Bundeswehr sind so verständlich zu machen, dass sie von den Schülern als notwendig anerkannt werden können."

Als die Friedensbewegung 1980/1981 erstarkte, sollten sich die Kultusminister der Bundesländer auf eine gemeinsame Empfehlung bei der Darstellung der Sicherheitspolitik im Unterricht einigen. Dies gelang bis zum März 1983 in mehreren Sitzungen nicht, und so gab es schließlich zwei Empfehlungen: Eine der SPD-regierten Bundesländer und eine der unionsgeführten. Die SPD zeigte sich im Gegensatz zur Union offener für die Diskussion von Kritik und Alternativen zur herrschenden Sicherheitspolitik.

Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um den so genannten Nachrüstungsbeschluss der Nato erließ der damalige baden-württembergische CDU-Kultusminister Mayer-Vorfelder am 22. Juli 1983 die Verwaltungsvorschrift "Friedenssicherung und Bundeswehr im Unterricht". In einem Zusatzerlass verbot er einzelnen Kriegsdienstverweigerern und VertreterInnen von KDV-Organisationen, im Unterricht als Fachleute aus der Praxis aufzutreten.

Dieser Zusatzerlass richtete sich vornehmlich gegen die DFG-VK, traf aber letztlich alle Friedensorganisationen, deren VertreterInnen in den Jahren bis 1983 zu mehreren hundert Veranstaltungen mit und ohne Jugendoffizier in die Schulen eingeladen wurden. Es kam während der gesamten Zeit zu keinerlei Beanstandungen seitens der verantwortlichen LehrerInnen oder der Schulleitungen. Stattdessen wurden häufig die Kompetenz und die Sachlichkeit der DFG-VK-Fachleute gelobt. Dies war Mayer-Vorfelder ein Dorn im Auge und musste also geändert werden. Von nun an hatten die Jugendoffiziere der Bundeswehr die Informations- und Meinungshoheit in den Schulen. Lediglich den kirchlichen KDV-Beauftragten war es nach einer kurzen Verbotsdauer wieder erlaubt, im Religionsunterricht über das Thema Kriegsdienstverweigerung zu informieren.

Die NachfolgerInnen von Mayer-Vorfelder änderten diese Praxis nicht. Die Verwaltungsvorschrift lief zwar 1993 aus, das Kriegsdienstverweigerer-Verbot bestand aber weiter, und zivile Friedensfachleute durften nicht in den Unterricht eingeladen werden. Erst nach jahrelangen Bemühungen gelang es, dieses "Unrecht" rückgängig zu machen. Der damalige GEW-Landesvorsitzende Rainer Dahlem vermittelte eine Lösung zwischen dem Kulturministerium und der DFG-VK. Seit dem 14. Dezember 2004 dürfen VertreterInnen von Friedensorganisationen wieder als Fachleute aus der Praxis in den Unterricht eingeladen werden.


Die Kooperationsvereinbarungen - Warum überhaupt und warum jetzt?

 • Die Kriegseinsätze der Bundeswehr sollen in ein positives Licht gerückt werden.
 • Für diese Kriegseinsätze müssen genügend junge Männer rekrutiert werden.
 • Die Zahl der durch die Jugendoffiziere erreichten Jugendlichen stagniert seit vielen Jahren zwischen 150.000 und 175.000.
 • Es können immer weniger Truppenbesuche für die SchülerInnen angeboten werden, da die Bundeswehr kleiner geworden ist,
   Standorte aufgegeben wurden und die verbliebenen Standorte durch die Auslandseinsätze keine Kapazitäten mehr haben.

Die Entwicklung der Zahlen aus dem Bericht der Jugendoffiziere von 2008: 1999 - 66.750, 2008 - 17.273 SchülerInnen bei der Truppe.

Daher drängen die Jugendoffiziere jetzt verstärkt in den Unterricht, um die jugendlichen zu erreichen. Sowohl Jungen als auch Mädchen, denn die Zahl von Soldatinnen steigt seit dem EuGH-Urteil von 2000 stetig an und soll auf 15.000 Plätze ausgebaut werden.


Aufgabe und Funktion der Jugendoffiziere

Seit 1958 arbeiten die Jugendoffiziere in vielfältiger Weise an und mit den Schulen. Mit Diskussionen/Vorträgen, Podiumsdiskussionen, Seminaren/Tagungen oder Projektwochen (mit dem Simulationsspiel "Politik & Internationale Sicherheit" (POL&IS) sowie Besuchen bei der Truppe erreichen sie jährlich zwischen 150.000 und 175.000 Jugendliche.

Im Jahr 2005 haben die Jugendoffiziere ihre Arbeit neu strukturiert. Es gibt seitdem 16 Bezirksjugendoffiziere, die als Mittelsmänner zu den Kultusministerien, Schulen und Bildungseinrichtungen fungieren. Ihnen stehen 94 hauptamtliche Jugendoffiziere zur Seite, die die Termine wahrnehmen. Die Aufgabe der Jugendoffiziere ist es, auf Einladung durch die Schulen den Auftrag der Bundeswehr sowie die Sicherheits- und Verteidigungspolitik Deutschlands zu erläutern.

Rund 300 nebenamtliche Jugendoffiziere und Jugendunteroffiziere organisieren Besuche bei der Truppe, bei denen sich jugendliche und Erwachsene ein Bild vom Alltag des Soldaten machen können sollen. Daneben gibt es die Wehrdienstberater, die ebenfalls auf Einladung durch die Schulen - vor allem in Berufs-, Haupt- und Realschulen, über die Berufsmöglichkeiten bei der Bundeswehr informieren.

Mit der Kooperationsvereinbarung war zu rechnen, denn in den Berichten der Jugendoffiziere ist in den letzten Jahren von einer verstärkten Zusammenarbeit in Baden-Württemberg die Rede. Im Bericht von 2008 wurde eine Kontaktausschusssitzung "Schule und Bundeswehr" erwähnt.

Zu den Aufgabengebieten der Jugendoffiziere gehören:

 • Es besteht eine enge Zusammenarbeit mit allen Landeschulbehörden.
 • Sie sind in die ReferendarInnenausbildung eingebunden. - Sie behandeln in den Abiturjahrgängen auch die
   sicherheitspolitischen Prüfungsthemen des Zentralabiturs der einzelnen Länder.
 • Sie bieten das Simulationspiel "Politik & Internationale Sicherheit" (POL&IS) an, das mit SchülerInnen und ihren LehrerInnen
   sowie StudentInnen und ReferendarInnen durchgeführt wird.
 • Die Weiterbildungsangebote können auf den Bildungsservern der Länder platziert werden.
 • Zusammenarbeit mit den Landeszentralen für politische Bildung (LpB) und der Arbeitsgemeinschaft Staat und Gesellschaft (asg).
 • An Universitäten, Fachhochschulen und Pädagogische Hochschulen sind sie bis in die Lehre eingebunden, Hauptzielgruppe
   sind die LehramtsstudentInnen.

Dabei beklagen die Jugendoffizieren über Jahre hinweg das mangelnde Interesse der jugendlichen am Thema Politik, speziell an der Sicherheitspolitik. Die jugendlichen akzeptieren mehrheitlich die Existenzberechtigung von Streitkräften, zeigen jedoch nur eine geringe Bereitschaft, Wehrdienst abzuleisten. Allgemein gilt: "Bundeswehr ja, aber ohne mich!"

Die jetzt getroffene Vereinbarung passt nahtlos in die "Rekrutierungsoffensive" der Bundeswehr. Damit verbunden kann eine schleichende Militarisierung des Bildungswesens konstatiert werden. Seit einigen Jahren hat die Bundeswehr ihre Öffentlichkeitsarbeit stark ausgeweitet. Sie ist auf zahlreichen Messen, einschließlich der Didacta, vertreten, kommt mit ihren Bundeswehr-Trucks in Schulen und wirbt bei den Arbeitsagenturen unter den Arbeitslosen um Nachwuchskräfte. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr wurden seit 1992 scheibchenweise ausgeweitet. Heute ist die Bundeswehr eine "Armee im Einsatz". Dafür werden Zeit- und Berufssoldaten benötigt. Die Zeiten einer Verteidigungsarmee sind vorbei.

LehrerInnen können immer noch selbst entscheiden, ob sie den Jugendoffizier in ihren Unterricht einladen. Schwieriger und sehr bedenklich wird es für Referendarinnen und Referendare, die während ihrer Ausbildungszeit von Jugendoffizieren "fortgebildet" werden sollen. Für sie können die Seminare zur Pflicht gemacht werden, wogegen sie sich schlecht zur Wehr setzen können, da sie in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Seminarleitung stehen.

Wie weit die Einflussnahme der Jugendoffiziere in Schulen bereits fortgeschritten ist, zeigt die Tatsache, dass die Jugendoffiziere in den Abiturjahrgängen auch die sicherheitspolitischen Prüfungsthemen des Zentralabiturs der einzelnen Bundesländer behandeln.

Die beiden Jugendoffiziere in Freiburg haben mit Schreiben vom 23. November 2009 an die Fachschaften Geschichte, Gemeinschaftskunde, Religion und Ethik der Gymnasien ihr lehrplanabgestimmtes Programm angeboten, u.a. eine intensive Abiturvorbereitung in Seminarform. Beide Jugendoffiziere empfehlen sich darüber hinaus mit ihrer Teilnahme am Auslandseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan, so dass sie aus "erster Hand" über friedenssichernde Maßnahmen und Konfliktbewältigung im Ausland berichten könnten - angesichts des verheerenden Bombenangriffs auf zwei Tank-Laster in Kundus am 4. September 2009 mit bis zu 142 Toten und dem bis dato widersprüchlichen Auftrag der Bundeswehr am Hindukusch ein zweifelhaftes Angebot.


Aktivitäten gegen die Kooperationsvereinbarung

Gleich nach dem Bekanntwerden der Kooperationsvereinbarung informierte der DFG-VK-Landesverband Baden-Württemberg alle Friedensorganisationen im Land und bat um Unterstützung.

Am 2. Februar 2010 wurde Kultusminister Helmut Rau von der DFG-VK in einem Schreiben, das von über 100 Personen, Organisationen, Parteien und Gewerkschaften unterstützt wurde, schriftlich aufgefordert, einerseits den Vertrag mit der Bundeswehr wieder zu kündigen, da die bisherige Regelung völlig ausreiche. Andererseits müsse diese Vereinbarung ein Gegengewicht in Gestalt einer entsprechenden Übereinkunft mit den Friedensorganisationen bekommen. Daher wurde gefordert, die Vertreter von Friedensorganisationen zu einem Gespräch ins Ministerium einzuladen und die Vorbereitungen für eine Kooperationsvereinbarung zu treffen.

Immerhin haben die SchülerInnen in der heutigen globalisierten Welt ein Anrecht auf umfassende und differenzierte Information, um sich selbst eine eigene Meinung bilden zu können. Auch den Eltern gegenüber hat das Land Baden-Württemberg eine hohe Verantwortung. Diese erwarten in den Bildungseinrichtungen des Landes Baden-Württemberg eine ausgewogene, differenzierte und fachlich fundierte Wissensvermittlung und keine einseitige Beeinflussung.

Die GEW Baden-Württemberg befürchtet in einem Schreiben ihrer Landesvorsitzenden Doro Moritz an Kultusminister Rau vom 21. Januar 2010, "dass bei geringer Nachfrage der Schulen nach Jugendoffizieren Druck auf die Schulen aufgebaut werden könnte. ... Bisher war es eindeutig so, dass Jugendoffiziere nur auf Einladung der Schule in der Unterricht bzw. in andere schulische Zusammenhänge einbezogen wurden. ­... Darüber hinausgehende Regelungen der Bundeswehr bzw. des Kultusministeriums lehnen wir entschieden ab und erwarten, dass sich aus der Kooperationsvereinbarung keine Änderungen gegenüber der derzeitigen Sachlage ergeben. ... In einer solch existenziellen Frage wie der nach Krieg und Frieden sollen die Schülerinnen und Schüler nicht nur Diskussionen mit Jugendoffizieren, sondern auch mit Fachleuten der Friedensorganisationen führen können."

Am 23. Januar 2010 kam es zu einer ersten Demonstration in Freiburg, an der sich über 1.000 meist Jugendliche beteiligten.

Das Kultusministerium in Baden-Württemberg warvon den vielfältigen Aktivitäten im Lande völlig überrascht, wie ein Vertreter bei einem Treffen beim Landesschülerbeirat am 25. Februar 2010 berichtete. Offensichtlich war man im Ministerium davon ausgegangen, dass die Kooperationsvereinbarung lautlos akzeptiert werden würde.


Was soll/kann Schule leisten?

Die Friedensthematik spielt heute in der Schule eine untergeordnete Rolle. Zwar gibt es an zahlreichen Schulen Streitschlichterprogramme, deren Grundlagen aus der Friedensbewegung kommen, aber Antikriegsaktionen seitens der SchülerInnen sowie der LehrerInnen sind rar gesät. Die heutige Jugend wächst mit der Bundeswehr im Kriegseinsatz auf. Für sie ist dies Normalität, weil sie es nicht anders kennt. Auch viele junge LehrerInnen stehen aus denselben Gründen der Bundeswehr nicht ablehnend gegenüber. Die Berichterstattung in der Presse zeigt ein meist unkritisches Bild von den Kriegseinsätzen der Bundeswehr im Ausland.

In den Schulen muss über die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik informiert und diskutiert werden. Seit Beginn der Auslandseinsätze der Bundeswehr spricht sich eine stabile Mehrheit der Bevölkerung gegen diese Art der Friedenssicherung und Konfliktbewältigung aus. Diese Stimmen müssen im Unterricht berücksichtigt werden. Wenn es in Paragraph 1 Abs. 3 des Schulgesetzes heißt, die Schule habe "das verfassungsmäßige Recht der Eltern, die Erziehung und Bildung ihrer Kinder mitzubestimmen, zu achten und die Verantwortung der übrigen Träger der Erziehung und Bildung zu berücksichtigen", so ist mit "übrige Träger der Erziehung und Bildung" nicht und schon gar nicht ausschließlich die Bundeswehr gemeint. Gerade in sicherheitspolitischen Fragen verläuft die politische Meinungs- und Willensbildung kontrovers.

LehrerInnen steht es frei, einen Jugendoffizier oder eine VertreterIn der Friedensbewegung in ihren Unterricht einladen. Es gehört zum Kern des Bildungsauftrags des Landes Baden-Württemberg, dass die SchülerInnen in einer solch existenziellen Frage wie der nach Krieg und Frieden nicht nur die Anschauung derer kennenlernen, die in Uniform vor ihren stehen. Die Friedensbewegung hat eine andere Auffassung von Friedenssicherung und Konfliktbewältigung. Sie hat Konzepte zur gewaltlosen Konfliktbearbeitung und -lösung erarbeitet, die von einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung geteilt werden. Beide Seiten sollten im Unterricht zu Wort kommen.

Die GEW, aber auch die anderen Gewerkschaften haben viele Entwicklungen in der Friedensbewegung "verschlafen". Die Kriegseinsätze der Bundeswehr wurden nur sehr zurückhaltend diskutiert - eine klare Ablehnung war nicht zu vernehmen. In den gewerkschaftlichen Fortbildungen blieb die Friedensthematik außen vor, da andere Probleme in den Vordergrund drängten. Hier könnten die Friedensorganisationen Fortbildungen zu bestimmten Themen anbieten.


Eigene Kooperationsvereinbarung mit Friedensgruppen

Mit der Forderung nach einer eigenen Kooperationsvereinbarung mit den Friedensorganisationen setzte in der Friedensbewegung eine Diskussion über den Sinn einer solchen Vereinbarung ein. Viele MitunterzeichnerInnen des Briefes an das Kultusministerium sehen damit einen Ansatzpunkt, das Thema in den Schulen stärker zu verankern und für einen ausgewogenen Unterricht zu sorgen. Gegenstimmen mahnen, dass mit einer eigenen Kooperationsvereinbarung der Status der Jugendoffiziere in den Schulen manifestiert würde. Einfacher ist es sicher "Bundeswehr raus aus den Schulen" zu fordern. Aber was dann? Ist es für die SchülerInnen nicht interessanter und informativer, beide Seiten zu hören? Dafür benötigt man sicher keine Kooperationsvereinbarung.

Das Kultusministerium beabsichtigt derzeit nicht, mit nichtstaatlichen Friedensorganisationen eine Kooperationsvereinbarung abzuschließen. Dies geht aus dem Antwortschreiben des Kultusministeriums vom 10. Februar 2010 hervor. Daher lautet die dringlichste Forderung auch: Kündigung der Kooperationsvereinbarung mit der Bundeswehr.

Das Thema "Krieg und Frieden" wird in den nächsten Jahren weiter auf der Tagesordnung stehen, da die Bundeswehr in weitere Kriegseinsätze verwickelt werden könnte. Darüber muss in der Gesellschaft und in der Schule diskutiert werden. Was den Schulen fehlt, ist eine Friedensbildung.

Ansätze dazu gibt es in der Friedenspädagogik. Sie müssen wieder bekannt gemacht und vermittelt werden. Dazu können und müssen die Friedensorganisationen einen Beitrag leisten. Denn wer sollte das sonst leisten können?


Was wir in und für die Schulen leisten können

Wir sprechen uns für eine Friedensbildung an den Schulen aus, die nicht nur den Jugendoffizieren der Bundeswehr überlassen bleibt. Friedensorganisationen und andere Gruppen sollten ebenfalls in den Unterricht eingeladen werden. Allerdings sind uns vielfach die Hände gebunden, nicht nur in finanzieller Hinsicht sondern auch in organisatorischer Hinsicht.

Wir haben nicht die finanziellen Voraussetzungen, um mit aufwändigen Unterrichtsmaterialien in den Schulen aufzutreten. Wir müssen die Erstellung unserer Materialien selbst finanzieren und haben dafür keine Steuergelder zur Verfügung. Wir haben keine staatliche finanzielle Unterstützung, sondern finanzieren unsere Arbeit aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Wir haben keine Hauptamtlichen, die nur für Schulbesuche zur Verfügung stehen, die - wie die Jugendoffiziere - aus Steuergeldern finanziert werden.

Somit besteht eine riesige Ungleichheit, was die Voraussetzungen für eine sachliche Information der Schülerinnen und Schüler betrifft.

Trotz der bescheidenen Möglichkeiten sollte offensiv auf die Schulen zugegangen und Angebote für die Gestaltung einzelner Unterrichtsstunden unterbreitet werden. Fachleute aus den Friedensorganisationen sollten für einen solchen Auftritt im Unterricht geschult werden. Es gibt bereits zahlreiche informative und gut gestaltete Flyer, die sofort im Unterricht verwendet werden können. Weitere Materialien könnten erstellt werden. Ein Reader mit verschiedenen Materialien könnten den Schulen zum Kauf angeboten werden.


Ausblick

Durch unsere Initiative sind im Land zahlreiche Aktivitäten entstanden. Die Bildungspolitik wird eines der zentralen Wahlkampfthemen zur Landtagswahl am 27. März 2011 sein. Übrigens wird am gleichen Tag auch in Rheinland-Pfalz gewählt. Da bietet sich seitens der Friedensbewegung eine Kampagne an, die auf die Kündigung der Kooperationsvereinbarung zielt.

Auch in anderen Bundesländern regt sich Widerstand gegen die bereits abgeschlossenen Kooperationsvereinbarungen.

Dabei sollen im Saarland die Bündnisgrünen in der Jamaika-Landesregierung angesprochen werden, um darauf hinzuwirken, dass die Kooperationsvereinbarung wieder gekündigt wird.

In Nordrhein-Westfalen ist am 9. Mai 2010 Landtagswahl, nach der es möglicherweise eine neue Landesregierung gibt. Es liegt auf der Hand, dass die Kooperationsvereinbarung zum Thema im Wahlkampf werden muss. Eine mögliche neue Regierung unter Beteiligung der Bündnisgrünen könnte die Kooperationsvereinbarung dann wieder kippen.

In Rheinland-Pfalz gibt es ebenfalls erste Initiativen, die sich gegen die Kooperationsvereinbarung wenden.

Als Bündnispartner sollten nicht nur die "üblichen Verdächtigen" gewonnen werden, sondern vor allem die Landesschülervertretungen und die Landeselternbeiräte angesprochen werden. CDU, SPD und FDP sitzen gemeinsam im Boot der Bundeswehr. Bleibt von den Parteien nicht mehr viel übrig. Bündnis 90/Die Grünen könnten sich der Friedensbewegung wieder ein wenig nähern, wenn sie über ihre Regierungsbeteiligung auf Landesebene zur Kündigung der Kooperationsvereinbarung beitragen. Einzig die Linke spricht sich klar und deutlich gegen Kooperationsvereinbarungen mit der Bundeswehr aus.

Ziel sollte sein, ein bunt gefächertes, tragfähiges Bündnis aus allen gesellschaftlichen Bereichen zu bilden, das hörbar wahrgenommen wird und sich gegen die Einmischung des Verteidigungsministeriums in die Bildungspolitik zur Wehr setzt.

Wenn das Kultusministerium in Baden-Württemberg in seinem Antwortbrief an die DFG-VK schreibt, dass sich durch die Kooperationsvereinbarung nichts ändere - wörtlich: "Sie schafft keine Verbindlichkeiten, die über Formen der bislang bereits praktizierten Kooperation hinausgehen" dann muss die Frage lauten: Warum bedarf es dann überhaupt dieser Kooperationsvereinbarung? Dann kann man sie auch sofort wieder kündigen!

Ob die neue Kultusministerin in Baden-Württemberg, die zuvor parteilose, seit Mitte März der CDU angehörende Marion Schick, dies tun wird, scheint mehr als fraglich. Aus ihrem Lebenslauf geht hervor, dass sie von 1983 bis 1987 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität der Bundeswehr am Lehrstuhl für Berufspädagogik in München war.


Klaus Pfisterer ist einer der Sprecher des
DFG-VK-Landesverbands Baden-Württemberg


*


Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 25, I/2010, S. 7 - 11
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
Pazifismus, Friedenspädagogik und Völkerverständigung PAX AN
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juni 2010