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BERICHT/271: Friedensaktivistin wegen Raketenzugblockade verurteilt (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 3 - August 2010
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

"Guten Tag, wir sind vom Mars!"
Husum: Friedensaktivistin wegen Raketenzugblockade verurteilt

Von der Initiative "militarismus-jetzt-stoppen"


Am Amtsgericht Husum wurde Anfang Juni erneut gegen die Antimilitaristin Hanna verhandelt, die mit einer Ankett-Aktion anlässlich eines Militärtransportes der Bundeswehr für die Nato-Response-Force ihren Protest verdeutlicht hatte. Die Weiterfahrt der Militärs verzögerte sich damals um mehrere Stunden. Ein erster Versuch, die Betroffene im Dezember 2009 wegen Nötigung und Störung öffentlicher Betriebe zu belangen, scheiterte spektakulär an Befangenheitsanträgen. Parallel zum zweiten Verhandlungsversuch machten außerdem lokale FriedensaktivistInnen den Protest und die Ablehnung gegen die Auslandseinsätze der deutschen Militärs auch in Husum mit einer zwölftägigen Dauer-Demo vor dem Kasernentor sichtbar. Im Juli nun verurteilte das Amtsgericht Husum Hanna Poddig zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15 Euro, wogegen sie aber Berufung einlegte.


Februar 2008: Die Husumer Militärs stehen kurz davor, erneut Teil der "Nato Response Force" zu sein. Was die meisten in der Armee wissen, aber selten reflektieren: Sie werden Teil einer weltweit einsetzbaren Angriffsarmee der Nato sein, zu deren Aufgaben u.a. "die Offenhaltung des Zuganges zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt" gehört. Innerhalb einer Woche sollen dann auch die Husumer Truppen bereit sein, für die politischen Interessen der Eliten im demokratischen Regime ihren Kopf hinzuhalten. Doch vorher geht es zum Nato-Manöver.


"Sperren Sie die Strecke!"

Es ist Sonntag früh, der 12. Februar 2008. Ein Zug, laut Polizeiakte beladen mit Raketen, verlässt das Depot in Ohrstedt. In der ersten Fassung des Polizeiberichtes der Nacht schreibt ein Bundespolizist, wie er mit dem Rangierleiter gesprochen habe, und dieser beschreibe, wie sie auf dem Weg vom Depot zur ca. drei Kilometer entfernten Weiche während der Fahrt einen Knall an den Gleisen vernahmen, Fackeln am Gleisbett überfuhren und Lichtsignale ignorierten, weil sie es für einen "Schabernack" hielten. Der ganz normale Wahnsinn, wenn die deutschen Militärs mit hochgefährlichem Zeug durch die Gegend tuckern? Viele Wehrpflichtige können ein Lied davon singen, unzählige Videos auf You-Tube zeigen die Unfallträchtigkeit der Bundeswehr.

Dann erreicht der Zug die Weiche zum Hauptgleis. Hier muss der Zug halten. Am Gleis, auf dem das Kriegsgerät transportiert wird, ist seit zehn Jahren nichts investiert worden. Beide Weichenteile müssen von Hand durch den Lokführer verschoben werden. Die Uhren in der nordfriesischen Provinz gehen anders. Der Lokführer springt vom Zug. Eine Stimme ertönt: "Halt! Sie können nicht weiterfahren. Da ist eine Person im Gleisbett angekettet. Dies ist eine Protestaktion gegen die Kriegsbeteiligungen der Bundeswehr. Bitte lassen Sie unverzüglich die Strecke sperren!"

Erst vier Stunden später ist es der Polizei gelungen, die Person zu entfernen. Die Feuerwehr zersägte auf Befehl der Polizei und nach Anraten der DB-Netz die Gleise. Doch nicht dies ist verboten, sondern der Protest gegen staatliche GewalttäterInnen in Uniform.


Bewaffnete Polizei im Gericht

Mittlerweile ist der 1. Dezember 2009, und Hanna Poddig, die sich damals an die Gleise gekettet hatte, steht wegen "Nötigung" und "Störung öffentlicher Betriebe" vor Gericht. Kein Wort mehr darüber, dass sie einen Militärtransport blockierte, um gegen die Kriegsbeteiligungen der Bundeswehr zu protestieren. Es zeigt sich hier, wie über das Strafrecht die Behandlung gesellschaftlicher Probleme entpolitisiert und individualisiert wird.

Vor Verhandlungsbeginn "beamt" sich ein Fernsehteam vom Mars-TV genau vor den Tisch des Staatsanwaltes. "Guten Tag. Wir sind ein Fernsehteam vom Mars. Wir senden gerade live vom Planeten Erde!" Zum Staatsanwalt gewandt: "Können Sie uns sagen, warum da draußen haufenweise uniformierte GewalttäterInnen rumlaufen, die wie in Kunduz jede Menge Leute umlegen, während Sie hier versuchen, eine Person, die dagegen protestierte, zu bestrafen?" Eine Antwort blieb der Staatsanwalt leider schuldig.

Hannas Anwalt hatte dem Gericht angeboten, das Verfahren gegen eine Geldspende wegen geringer Schuld einzustellen, da seine Mandantin nicht vorbestraft sei, und außerdem das Ganze doch gar keine richtige Straftat sei, sondern eher eine demonstrative Aktion. Die Staatsanwaltschaft lehnte ab und sprach davon, die Protestaktion offenbare ein hohes Maß an krimineller Energie.

Doch auch nach Eröffnung der Verhandlung wird es nicht besser: Ein Protokollant sagt zur Angeklagten: "Im Fernsehen sehen Sie aber besser aus!" Doch statt sich zu positionieren, laviert Richter Veckenstedt um die Entscheidung des daraufhin gestellten Befangenheitsantrag und tauscht den Protokollanten einfach aus. Doch es wird noch "besser". Nach der Mittagspause sind mit Schusswaffen ausgerüstete Polizisten im Saal, weil Richter Veckenstedt sich durch Luftschlangen und Konfetti bedroht fühlt. Der Anwalt der Verteidigung weist auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hin und dass die Pistolen übertrieben seien. Richter Veckenstedt ist durch Konfetti jedoch so verunsichert, dass er diesen Antrag ablehnt. Daraufhin kündigt der Anwalt an, nicht weiter zu verhandeln, wenn die Knarren im Raum bleiben. "Sie können ja gehen!" Veckenstedt zeigt nun, dass es ihm völlig egal ist, ob die Betroffene angemessen verteidigt wird oder nicht. Der hierauf gestellte Befangenheitsantrag bringt den Prozess zum Platzen.

In einem Zivilverfahren versucht die DB Netz AG derweil, die Ankett-Aktivistin zu Schadensersatzzahlungen zu zwingen. Sie habe die Reparaturkosten am Gleis zu bezahlen, die durch die Räumung entstanden seien. Ungeachtet der Tatsache, dass die Polizei die Durchtrennung der Schiene auf Anregung der DB-Netz angeordnet und Feuerwehr und THW sie durchgeführt haben, und ungeachtet auch des die Aktion schützenden Versammlungsrechts folgt Richter Biermann am Landgericht in Flensburg im März 2010 der Argumentation der Bahn und verurteilt Hanna Poddig. Begleitet wurden auch diese Gerichtstermine von zahlreichen kreativen Aktionen - so feierte beispielsweise ein "Freundeskreis Bundeswehrbahn" die Verurteilung mit Sekt und lud PassantInnen ein, sich ebenfalls für das Militär und gegen Frieden zu positionieren. Gegen das Urteil wurden Rechtsmittel eingelegt, und so wird es vor dem Oberlandgericht in Schleswig zu einer weiteren Verhandlung kommen.


Militär wird Stadtgespräch in Husum

In der Strafsache sollte es Ende Mai 2010 weitergehen. Richter Veckenstedt hatte aufgerüstet. Es wurden insgesamt gleich drei Verhandlungstage anberaumt. Einlasskontrollen sollten das erneute Einschmuggeln "gefährlicher" Gegenstände wie Konfetti und Luftballons verhindern. Die so genannte Mobile Einsatzgruppe Justiz (MEG), Sondereinheiten von speziell geschulten Justizangestellten, wurde beordert, das Amtsgericht in Husum zu bewachen. Immer wieder ließ der Richter ihm unliebsames Publikum aus dem Saal werfen - dabei kam es sogar zu Verletzungen, die der Richter aber nur mit den Worten "Langweilen Sie mich nicht" kommentierte. Die fotografische Dokumentation der Gewalttaten der MEG wurde durch die eng mit den Justizangestellten kooperierende Polizei auch außerhalb des Gerichtsgebäudes unterbunden, Kameras wurden beschlagnahmt, und die Suche nach einer Speicherkarte endete sogar darin, dass sich zwei Personen komplett ausziehen mussten.

Doch auch der Widerstand schläft nicht: Zum ersten Mal seit langem wurden in Husum die Militärs direkt mit Protest aus der Bevölkerung konfrontiert. Vom 24. Mai bis zum 4. Juni protestierten FriedensaktivistInnen vor der Fliegerhorstkaserne in Husum mit einer Dauer-Demo gegen die als "Auslandseinsätze" bezeichneten Kriege der deutschen Militärs. "Selbst in einer Militärstadt wie Husum sinkt die Zustimmung zu den Kriegen mit der Bundeswehr in aller Welt", sagte Jan Hansen, ein Aktivist aus Husum. Gerade dadurch, dass viele Menschen Angehörige bei den Militärs hätten, bekämen viele Menschen durch Erzählungen mit, dass es unmöglich sei, so wie die Bundeswehr es zurzeit versucht, mit Waffengewalt Frieden zu schaffen. "Dadurch begreifen viele Menschen, dass an einer zivilen Sicherheitspolitik, die auch versucht, alle Regionen der Welt gleichberechtigt am Wohlstand zu beteiligen, kein Weg vorbei geht." Zwölf Tage lang zelteten AktivistInnen vor dem Haupttor der Fliegerhorstkaserne. Die aufgestellten Banner, die Kreidesprüche auf der Einfahrt und Fahnen prägten die Ansicht der Kaserne in ungewöhnlicher Weise. Das Camp wurde innerhalb weniger Tage zum Stadtgespräch in der nordfriesischen Kleinstadt und erfuhr erfreulich viel solidarische Unterstützung.

Ein weiteres Protest-Happening fand am 29. Mai in Husum statt. Mit einer Fahrradtour fuhren AktivistInnen die Militärstandorte der Stadt an, um vor Ort die Teilnehmenden über die internationalen Machenschaften der Militärs hinter dem Zaun zu informieren.


Die Prozesse gehen weiter

"Keine Chance", sagte die Angeklagte bereits im Vorfeld. "Die Justiz im demokratischen Regime ist unter anderem dazu da, den Staat und seine bezahlten uniformierten GewalttäterInnen vor Kritik zu schützen." Die Annahme bestätigte sich: Richter Veckenstedt zeigte keinerlei Interesse, der Argumentation der Verteidigung zu folgen, ließ sämtliche politischen Anträge einfach über sich ergehen und lehnte beispielsweise die Vorladung von (Ex-)Bundespräsident Horst Köhler ab, der als Zeuge hätte bestätigen können, dass es sich bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr um Wirtschaftskriege handelt.

Nach drei Verhandlungstagen folgte Veckenstedt mit seiner Entscheidung der hohen Forderung der Staatsanwaltschaft und verurteilte die Angeklagte zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen. Auch gegen dieses Urteil legte die Betroffene Rechtsmittel ein, weshalb es zu weiteren Verhandlungen kommen wird. Außerdem verfolgt die Husumer Justiz noch drei weitere Personen mit Verfahren wegen angeblicher Beihilfe. Die Betroffenen haben Strafbefehle erhalten und dagegen Einspruch eingelegt, sodass die Hauptverhandlungen bevorstehen.

"Wir werden auch diese Anlässe wieder für offensive Öffentlichkeitsarbeit zur Abschaffung der Bundeswehr und anderer Herrschaftsstrukturen nutzen!", kündigt Jan Hansen von der Initiative "militarismus-jetzt stoppen" an.


Mehr Infos zur Bundeswehr und Aktivitäten in Husum sind im Internet zu finden:
www. militarismus-jetzt-stoppen.de.vu

Zur Deckung der Anwalts- und Gerichtskosten sind Spenden erwünscht:
Spendenkonto: Inhaber: H. Thoroe, Kontonummer 111026274, BLZ 21750000,
Verwendungszweck: Gleisblockade Ohrstedt


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 3 - August 2010, S. 12-13
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
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Erscheinungsweise: zweimonatlich
Jahres-Abonnement: 14,00 Euro einschließlich Porto


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2010