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BERICHT/295: Militärintervention in Mali (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 1 - März/April 2013
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Militärintervention in Mali
Die offiziell proklamierten Interventionsziele werden nie erreicht

Von Andreas Zumach



Am 11. Januar dieses Jahres intervenierten französische Streitkräfte in Mali. Keine andere militärische Intervention seit Ende des globalen Ost-West-Konflikts vor über 20 Jahren stieß (und stößt weiterhin) auf so viel Unterstützung und so wenig Widerspruch und Zweifel wie dieser jüngste Krieg Frankreichs in seiner ehemaligen nordafrikanischen Kolonialregion. Der fast vollständige Konsens der Zustimmung zur "Operation Serval" gilt international für den UN-Sicherheitsrat und andere multilaterale Institutionen ebenso wie für die innenpolitische Debatte in Deutschland und die Bewertung dieser militärischen Intervention in den Medien. Bestätigt sehen sich die Befürworter der Intervention durch die schnellen militärischen Erfolge der französischen Streitkräfte: Innerhalb von drei Wochen befreiten sie alle nordmalischen Städte von den islamistischen Milizen, die diese Städte seit dem letzten Frühsommer kontrolliert hatten.

Doch der Kurzbesuch in Timbuktu, bei dem Präsident Francois Hollande Anfang Februar den schnellen "Sieg" der französischen Truppen feierte, erinnert sehr an den Auftritt, bei dem der ehemalige US-Präsident George Bush am 1. Mai 2003 auf dem Flugzeugträger "USS Abraham Lincoln" vorschnell den "Sieg" der USA im Irak verkündete.

Es bleiben - einmal völlig abgesehen von einer grundsätzlich pazifistisch motivierten Ablehnung des Einsatzes militärischer Mittel in Mali - weiterhin erhebliche Zweifel, dass diese Mittel geeignet sind, um die offiziell proklamierten Ziele der Intervention zu erreichen.

Befriedung geht mit Militär nicht

Laut den öffentlichen Erklärungen der Pariser Regierung lauten diese Ziele: "Terroristen und islamistische Rebellen bekämpfen, vertreiben und vernichten"; "Sezession verhindern und die territoriale Integrität des Landes wiederherstellen"; "Drogenschmuggel und Bandenkriminalität unterbinden".

Mit ähnlichen und teilweise noch weiterreichenden Zielsetzungen (Stabilisierung, Frieden, Wiederaufbau, Demokratie Rechtsstaat, Menschen- und Frauenrechte) wurden fast sämtliche Militärinterventionen und Kriege seit Ende des Ost-West-Konfliktes und insbesondere seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 Jahre begründet. Sei es in Tschetschenien, Afghanistan, Somalia, Irak oder anderswo.

Bei alle diesen Interventionen waren die Konfliktursachen und -bedingungen jeweils unterschiedlich. Doch eines haben all diese militärischen Interventionen gemeinsam: In keinem einzigen Fall wurden - trotz zum Teil schneller militärischer Erfolge - die offiziell proklamierten Ziele der Intervention dauerhaft erreicht. Und schon gar nicht gelang eine nachhaltige Befriedung der jeweiligen Konflikte durch Überwindung ihrer politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder anderweitigen Ursachen. Auch der von den USA seit nun schon fast 30 Jahren mit militärischen Mitteln geführte Krieg zur Bekämpfung des Drogenanbaus in Mittelamerika ist gescheitert. In einigen Fällen wirkten die militärischen Interventionen sogar kontraproduktiv und führten statt zur angestrebten Schwächung oder gar Vernichtung der jeweils bekämpften Gruppierungen zu ihrer Stärkung.

Angesichts dieser Erfahrungen steht zu erwarten, dass sich auch im aktuellen Fall Mali die Militärintervention als untaugliches Mittel zur Durchsetzung der proklamierten Ziele erweisen oder gar kontraproduktiv auswirken wird. Zumal, da wesentliche Ursachen für die innenpolitische Krise in Mali sowie entscheidende Faktoren für die Stärkung der jetzt bekämpften islamistischen Gruppierungen ausgeblendet bleiben: Mali war keineswegs der stabile demokratische Musterstaat, als der er in westlichen Medien häufig dargestellt wurde. Die Zentralregierung schürte durch jahrelange, systematische Benachteiligung des Nordens die Autonomie- bis Sezessionsbestrebungen der dortigen Tuareg.

Doch stark genug, um im April 2012 ihren eigenen Staat auszurufen, wurden die Tuareg-Befreiungsbewegung MNLA und die mit ihnen zunächst noch verbündeten islamistischen Gruppen erst dank der vielen Waffen aus dem libyschen Bürgerkrieg sowie mehrerer tausend aus Libyen geflohener Kämpfer, die zuvor Gaddafi unterstützt hatten. An der Kontrolle dieser Waffen zeigte die damals von Frankreich, Großbritannien und den USA geführte Kriegsallianz gegen Gaddafi nach dessen Sturz ebenso wenig Interesse wie an der Verhinderung von Racheakten gegen Sympathisanten des früheren Regimes. Bei den jetzt von Frankreich bekämpften radikalislamischen Gruppierungen, die der gemäßigten, sufistisch-islamischen Bevölkerung Maus die Scharia aufzwingen, handelt es sich um Wahhabiten. Finanziert werden sie - ähnlich wie einst die 9/11-Attentäter - vom Ölstaat Saudi-Arabien, dem wichtigsten Verbündeten des Westens im Nahen und Mittleren Osten.

Die Zweifel an der Tauglichkeit der militärischen Intervention in Mali zur Erreichung der proklamierten Ziele bestehen grundsätzlich - unabhängig davon, ob die Intervention allein von Frankreich geführt wird oder von der EU, der Nato, der westafrikanischen Staatenallianz Ecowas oder einer Uno-Truppe. Doch die allein von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich begonnene "Intervention im klassischen neokolonialen Stil schmutziger Afrikakriege" (so der Afrikaexperte der taz, Dominic Johnson, am 14. Januar) ist das ungünstigste aller denkbaren Szenarien. Denn die Intervention durch die ehemalige Kolonialmacht Frankreich enthält das größte Rekrutierungspotenzial für die radikalislamischen und potenziell terrorbereiten Gruppierungen in ganz Nordwestafrika. Die Geiselnahme auf dem algerischen Ölfeld sowie die ersten Selbstmordattentate in malischen Städten Anfang Februar lassen auch für Mali und die Nachbarländer eine ähnliche Entwicklung befürchten wie im Irak in den Jahren nach Bushs Siegesrede vom 1. Mai 2003 oder wie in Afghanistan, nachdem die Taliban dort im Mai 2006 einen Strategiewechsel weg von der offenen Feldschlacht mit Nato-Streitkräften im Süden des Landes hin zu einer landesweiten "Kampagne Hinterhalt" mit Sprengstoffanschlägen und Selbstmordattentaten in ganz Afghanistan vollzogen.

Die Zweifel an der Tauglichkeit militärischer Instrumente zu Erreichung der von Paris offiziell proklamierten Ziele gelten auch unabhängig davon, ob Frankreich daneben oder gar hauptsächlich andere Interessen verfolgt. Dafür gibt es allerdings erhebliche Indizien. Frankreichs Energiebedarf wird zu 75 Prozent durch Atomstrom gedeckt. Die vom - weltgrößten - französischen Atomkonzern Areva ausgebeuteten Uranminen in Malis östlichem Nachbarland Niger in der Region Arlitt liefern bislang schon mehr als ein Drittel des Bedarfs der französischen Atomkraftwerke. Dieser Anteil soll nach Erschließung neuer Uranfelder in Niger in der Region Imouraren bis 2020 auf über 50 Prozent steigen. Areva erwarb die Erschließungsrechte nach einem erbitterten Konkurrenzkampf mit dem größten chinesischen Atomkonzern. Bislang investierte Areva bereits über 1,2 Milliarden Euro in die Erschließung der Uranfelder in Imouraren. Doch auch diese Felder werden in absehbarer Zeit ausgebeutet sein. Für die Zeit danach richtet sich Frankreichs Interesse auf bislang noch völlig unberührte Uranfelder im Nordwesten Malis.

Vorgeschobene Gründe?

Von mancher Seite wurde die völkerrechtliche Legitimation der französischen Intervention in Frage gestellt. Diese Frage ist keineswegs unwichtig. Aber sie scheint doch weniger relevant als etwa im Fall des Irak-Krieges von 2003, vor dem sich die USA und Großbritannien monatelang mit massiven Lügen erfolglos um eine Legitimierung durch den UN-Sicherheitsrat bemühten und den sie dann ohne Mandat des Rates und unter klarem Bruch der UN-Charta führten.

Der Fall Mali ist weniger eindeutig. Sicher ist nur, dass die Resolution 2085 des Sicherheitsrats vom Dezember 2012 - anders als von manchen Politikern und Sicherheitsexperten in Deutschland behauptet - keine völkerrechtliche Legitimierung für die Intervention Frankreichs bietet. Denn diese Resolution schuf ausdrücklich und ausschließlich ein Mandat für eine Truppe der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas.

Doch mit dem schriftlichen Nothilfeersuchen des malischen Präsidenten Dioncounda Traoré an die französische Regierung lag zumindest formal eine völkerrechtliche Legitimation für die französische Intervention vor. Allerdings wurde seit Beginn der Intervention am 10/11. Januar von einigen KennerInnen der Lage in Mali die Frage aufgeworfen wurde, ob das konkrete Bedrohungsszenario, mit dem das Nothilfeersuchen des malischen Präsidenten und die Nothilfegewährung durch die französische Regierung begründet wurden (nämlich ein Vormarsch islamistischer Milizen auf die Hauptstadt Bamako und die Eroberung dieser Stadt mit knapp zwei Millionen EinwohnerInnen zwecks Errichtung eines islamistischen Terrorstaates in ganz Mali) tatsächlich realistisch war. Hierzu schrieb die Publizistin Charlotte Wiedemann, eine der besten Mali-KennerInnen in Deutschland, in der taz vom 21. Januar 2013:

"Aber was ist in den entscheidenden Tagen vor Beginn der Intervention wirklich passiert? Zu Neujahr erklärt die malische Armee, sie sei bereit, gen Norden zu ziehen, und warte nur auf den Marschbefehl des Präsidenten. Interimspräsident Dioncounda Traoré antwortet wenige Tage später dunkel: Ein Militäreinsatz werde 'früher beginnen, als viele denken'. Am 7., 8. und 9. Januar wird täglich auf höchster Ebene zwischen Paris und Bamako telefoniert: Premierminister, Außenminister, beide Präsidenten im direkten Kontakt. Am Morgen des 10. Januar schickt der Malier sein Hilfegesuch, die ersten französischen Flugzeuge treffen am Nachmittag ein; Traorés Bittbrief zirkuliert noch bei der UN.

Dieser Ablauf könnte andeuten, dass die französische Intervention längst vorbereitet war, bevor islamistische Kämpfer in Richtung Süden vorstießen. Damit kein Missverständnis aufkommt: Diesen Vorstoß, die Einnahme des nun weltberühmten Städtchens Konna, hat es zweifelsfrei gegeben. Aber war er der Grund der Intervention oder lediglich ihr Anlass? Was in Konna geschah und warum sich die malische Armee so schnell von dort zurückzog, darüber kursieren widersprüchliche Darstellungen. Entscheidend für alles Weitere ist eine französische Behauptung, unhinterfragt von der Weltpresse übernommen: Die Islamisten wollten in die Hauptstadt Bamako und hätten von dort ganz Mali zu einem Terrorstaat gemacht.

Es muss erlaubt sein, an diese Behauptung den Maßstab der Logik anzulegen. Bamako ist eine Stadt von zwei Millionen Einwohnern, von jenem berüchtigten Konna 590 Kilometer entfernt. Die islamistischen Gruppen, von westlichen Geheimdiensten auf etwa 2.000 Kämpfer geschätzt, müssten mit dieser Mannstärke weiterhin Nordmali okkupiert halten, auf dem Weg nach Bamako noch einige Städte einnehmen, um es dann mit zwei Millionen Hauptstädtern aufzunehmen. Und wozu überhaupt? Es handelt sich hier, wohlgemerkt, nicht um klassische Rebellen, die sich selbst an die Staatsspitze setzen wollen. Sondern um Dschihadisten, die nur in einem asymmetrischen Krieg, mit der Wüste als Basis und Rückzugsraum, so heimtückisch potent sein können.

Es spricht deshalb viel für die Ansicht von Malis früherem Außenminister Soumeylou Boubèye Maiga: Die Islamisten wollten den Flugplatz im nahen Sevaré in ihre Gewalt bringen, um eine ausländische Intervention zu erschweren. Ist diese Differenzierung, zumal im Nachhinein, nicht völlig unerheblich? Nein. Denn die Behauptung, die Islamisten hätten den großen, den totalen Krieg um Mali gesucht, rechtfertigt nun den großen 'Gegenkrieg', weit über eine begrenzte Nothilfe hinaus. Und die Vorstellung, ganz Mali könne übermorgen schon Sahelistan sein, spiegelt Unkenntnis ebenso wie Herablassung. 'Rumpfgebilde' wird Mali in manchen Medien genannt, ein bloßes Territorium, kaum mehr Staat. Die Malier, die ihr Land mit verzweifeltem Nationalbewusstsein und solidarischer Leidensbereitschaft durch dieses Krisenjahr manövriert haben, werden von ihren Rettern jetzt schon entmündigt.

Apropos: Hatte der malische Interimspräsident für seinen Hilferuf womöglich auch Motive, die mit den Islamisten nichts tun haben? Seine Spindoktoren erzählten französischen Journalisten, das Militär habe einen neuen Putsch vorgehabt, hätte den Präsidenten gar verhaften wollen in der Nacht vom 9. auf den 10. Januar. Le Monde fand das (in seiner Ausgabe vom 15. Januar) überzeugend: 'Die malische Regierung wurde durch das militärische Engagement Frankreichs vor den Putschisten gerettet.'

Tatsache ist: In den Tagen vor Interventionsbeginn hatten Demonstranten verlangt, endlich die schon mehrfach verschobenen Concertations nationales einzuberufen - einen Nationalen Rat, der Beschlüssen zum Militäreinsatz und zu den künftigen Wahlen eine breitere demokratische Legitimation geben sollte, über Malis abgewirtschaftete politische Klasse hinaus."


Andreas Zumach ist DFG-VK-Mitglied und Korrespondent der taz bei den Vereinten Nationen in Genf Die lesenswerte Analyse von Charlotte Wiedermann mit dem Titel "Die Krise in Mali. Demokratie für wen? Krieg gegen wen?" ist auf der Internet-Homepage der der Heinrich-Böll-Stiftung zu finden unter:
www.boell.de/weltweit/afrika/afrika-studie-krise-in-mali-wiedemann-16291.html

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Quelle:
ZivilCourage Nr. 1 - März/April 2013, S. 12-13
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2013