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BERICHT/301: Für Freiheit und Frieden (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 38 - II. Quartal 2013
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Für Freiheit und Frieden

von Christof Müller-Wirth



Johann Georg August Wirth, Vorkämpfer für Freiheit und Demokratie, Mitinitiator und einer der Hauptredner des Hambacher Festes 1832, und Franz Ulpian Wirth, Friedensaktivist und Mitbegründer der Deutschen Friedensgesellschaft 1892


In Deutschland fand die Gründung der Deutschen Friedensgesellschaft als Sektion des Internationalen Friedensbüros in Genf im internationalen Vergleich verhältnismäßig spät, nämlich erst 1892 in Berlin statt. Bei den vorherrschenden "wilhelminischen" Verhältnissen ist dies nicht überraschend.

Zusammen mit Alfred H. Fried (Anm. d. Red: vgl. die Rezension der Biographie über Fried von in FP33, 30 ff.), dem späteren Friedensnobelpreisträger, war einer ihrer Begründer Franz Ulpian Wirth (1822-1897), ein Sohn des "Hambacher" Johann Georg August Wirth. Die Nachfrage nach dem Wirken von F.U. Wirth führte naheliegender Weise zu dem weiterführenden Interesse an der historischen Bedeutung des Vaters. Somit sind die nachfolgenden Ausführungen dem Leben beider Persönlichkeiten gewidmet, die für die Geschichte unseres Landes zu ihrer Zeit und darüber hinaus Bedeutung erlangt haben.

Johann Georg August Wirth wurde am 20. November 1798 in Hof an der Saale als drittes von fünf Kindern des dortigen Reichspoststallmeisters Johann Adam Gottlieb Wirth geboren. Als einziges der Geschwister überlebte er die Kindheitsjahre.

Er starb am 26. Juli 1848 als Abgeordneter der Paulskirche und ist in einem Ehrengrab auf dem Frankfurter Hauptfriedhof beerdigt. Die Stadt Frankfurt am Main wollte vor einigen Jahren dieses Ehrengrab ersatzlos beseitigen.

Wirth und seine Frau Regina geb. Werner hatten drei Kinder, die alle die Kindheit überlebt haben und z.T. bedeutende Biographien haben. Ein Kind war Franz Ulpian Wirth, der am 26. Juli 1826 in Bayreuth geboren wurde. Franz Ulpian Wirth war zusammen mit Bertha von Suttner und Alfred H. Fried in der Zeit von 1886 bis 1897 Aktivist und Mitbegründer der deutschen Friedensbewegung.

Er starb am 16. Mai 1897 in Frankfurt am Main und ist ebenfalls auf dem Frankfurter Hauptfriedhof beerdigt. Allerdings wurde sein Grab von Grabräubern geschändet und ist heute als solches nicht mehr zu erkennen.



Die Verbindung mit Karlsruhe

Der Anschaulichkeit halber und weil es wenig bekannt ist, will ich zunächst kurz der Frage nachgehen, was die beiden Personen mit Karlsruhe zu tun haben.

In den Biographien und Erwähnungen von J.G.A. Wirth kann man lesen, dass er nach vierJahren Haft und 10 Jahren Exil die beiden letzten Lebensjahre mit seiner Familie in Karlsruhe verbracht hat. Dies übernimmt ein Autor vom anderen, ohne zu erläutern, wie es dazu kam und wo die Familie dort gelebt hat und wovon. Mir war es bisher trotz einiger Bemühungen nicht möglich, Näheres in Erfahrung zu bringen. Auch sein Mandat in der Paulskirche hatte J.G.A. Wirth nicht etwa in Karlsruhe, sondern in einem entlegenen fränkischen Wahlkreis erhalten. Ein Einwohnerbuch erschien in Karlsruhe 1848/49 nicht, wohl wegen der revolutionären Zustände.

In seiner Heimatgemeinde Hof an der Saale wurde er als "gescheiterter Hambacher" und "Exilant" politisch abgelehnt. Dazu verurteilt musste er später in Hof zeitweise als Verbannter unter Hausarrest leben, da ihn keine der anderen angefragten Städte 1836 nach der Entlassung aus dem Gefängnis aufnehmen wollte.

Wirth und seine Familie übersiedelten etwa 1847 nach Karlsruhe, nachdem sie zuletzt unter ärmlichen Verhältnissen in der Schweiz nahe Kreuzlingen im Exil gelebt hatten. Dass Wirth Karlsruhe als Aufenthaltsort wählte, hing wohl mit dem immer noch als pressefreundlich geltenden Klima der badischen Residenz zusammen. Auch hatte er in dem Bankier, Verleger und zweimaligen Karlsruher Oberbürgermeister Klose einen Partner für sein letztes großes Geschichtswerk "Die Geschichte der deutschen Staaten" gefunden. (Diese ist übrigens, wie ich kürzlich feststellte, heute über das Internet als Reprint abrufbar: http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10047843_00007.html)

Auch war es zu einer Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller und Pfarrer Wilhelm Zimmermann aus [Schwäbisch] Hall (Anm. d. Red: seit 1802 von Württemberg besetzt; von 1802 bis 1934 ohne den zuvor seit dem 13. Jahrhundert bekundeten vorangestellten Namensbestandteil "Schwäbisch") gekommen, der durch sein bedeutendes Buch über den "Bauernkrieg" bekannt wurde und Abgeordneter in der Paulskirche war. Wirth und Zimmermann wirkten dort in der "linken" Fraktion "Donnersberg" zusammen.

Wirths Wirken in Karlsruhe wird auch von Viktor von Scheffel in dessen Memoiren erwähnt, in denen Scheffel schreibt, dass er von dem "Staatsrechtler" Wirth auf sein juristisches Examen Vorbereitet worden sei. Wirths Söhne nahmen mit Scheffel an gemeinsamen Faschingsfesten teil.

Aus dem Leben der Familie, insbesondere der Kinder, ist nachzutragen, dass sich dieses während der Gefängnisjahre von Wirth 1832 bis 1836 in Kaiserslautern im nahegelegenen Weißenburg im Elsass abgespielt hat. "Nach seiner Verhaftung 1832 hatte Wirth seiner Frau Regina dringend geraten, aus der Pfalz zu fliehen, da sie dort unter anderem durch den Verkauf von Wirths Schriften in das "Mainzer Schwarze Buch" der Metternich-Polizei geraten war.

Die erste Station auf der Flucht war der heute noch existierende Gasthof "Engel" (Ange) in Weißenburg, bekannt für die Bereitschaft zur Aufnahme damaliger politischer Flüchtlinge aus Deutschland. Bald danach und mit Unterstützung von Freunden fand die Familie Unterkunft in der dortigen Neuen Gasse 174, einem heute noch existierenden Haus.

Über das Leben der Familie in den Jahren 1833 bis 1837 geben 62 überlieferte Briefe von Wirth aus dem Gefängnis in Kaiserslautern Auskunft. Darin werden auch die Kinder angesprochen, darunter Franz Ulpian, so dass wir hier ein Zeugnis über dessen frühe Jugend haben. Alle drei Kinder wurden in Weißenburg in das damals berühmte Lycee aufgenommen und brachten bei strengem Unterrichtspensum alsbald sehr gute Zeugnisse nachhause.



Johann Georg August Wirth

Nach dieser Rückblende wende ich mich nun dem persönlichen Werdegang von J.G.A. Wirth zu. Nach frühem Schulbesuch in verschiedenen Gymnasien - wie man sie damals nannte -, war er zuletzt auf dem Ägidiengymnasium in Nürnberg, dessen Direktor damals Georg Friedrich Wilhelm Hegel war. Wirth studierte in Erlangen, Halle und Breslau. In Halle promoviert wollte er sich in Breslau habilitieren. Als Arbeit hatte er einen eigenen Entwurf eines Strafgesetzbuches vorgelegt. Allerdings scheiterte das Verfahren, weil Wirth die geforderten Gebühren nicht aufbringen konnte.

Nach Abschluss seines Studiums trat Wirth seine erste Berufsposition in Schwarzenbach/Saale an. Hier hatte er erste Einblicke in das obrigkeitlich und unsozial organisierte bayerische Rechtswesen. Er heiratete dort die Schwester seines Chefs Regina Werner, die ihm lebenslänglich eine treue und mutige Partnerin wurde. Seine zweite Berufsposition fand er bei dem bekannten liberalen Bayreuther Rechtsanwalt Keim. 1826 wurde in Bayreuth sein zweiter Sohn, Franz Ulpian, geboren, auf den ich im zweiten Teil meiner Ausführungen eingehen werde. Diesem hatte (der Vater) Wirth bewusst den Zweitnamen Ulpian gegeben nach einem berühmten römischen Rechtsgelehrten. Im Vergleich mit dem Sohn, dessen schriftlich fixierte Äußerungen weit verstreut und kaum auffindbar sind, existiert über seinen Vater eine umfangreiche Literatur, sowohl über ihn wie solche von ihm selbst verfasste.

Deshalb konzentriere ich mich neben eingestreuten biographischen Bemerkungen auf die politisch-historischen Beiträge, die die deutsche Geschichte dem Hambacher Wirth verdankt. Da ist zunächst seine berühmte Vormärz-Zeitung, die Deutsche Tribüne zu nennen. Sie ist die bedeutendste der insgesamt acht Zeitungen, die Wirth herausgegeben oder an denen er mitgearbeitet hat. Trotz ihrer Kurzlebigkeit von knapp neun Monaten (Juli 1831 bis März 1832) ist die Deutsche Tribüne in die deutsche Pressegeschichte eingegangen."

In München von den Zensurbehörden verfolgt siedelte Wirth mit seiner Familie Ende 1831 auf Einladung von Jakob Siebenpfeiffer nach Homburg/Saar über, damals zur Rheinpfalz gehörig, wo noch das aus der napoleonischen Zeit stammende liberale Rechtssystem des "Code Napoleon" gültig war.

Am 29. Januar 1832 riefen Wirth, Siebenpfeiffer und andere in Zweibrücken zur Gründung des "Deutschen Vaterlandsvereins zur Unterstützung der freien Presse" auf, kurz Press- und Vaterlandsverein genannt. Das geschah auf einem der vielen populären Feste, mit denen man damals das Verbot öffentlicher politischer Versammlungen unterlief.

Der Press- und Vaterlandsverein wurde in der Folge zur ersten organisierten Vorkämpfer-Vereinigung für die Freiheit der Presse in Deutschland. Er hat eine eigene Geschichte, auf die ich hier nicht eingehen kann.

Noch heute wird jährlich im Wechsel zwischen Zweibrücken und Homburg mit einer Festveranstaltung dieses Festes gedacht.

Wenige Tage nach dem ersten Pressefest, nämlich am 3. Februar 1832 veröffentlicht Wirth in der Deutschen Tribüne, die den Untertitel "Zur Wiedergeburt des Vaterlandes" trägt, einen programmatischen Aufruf mit dem Titel "Deutschlands Pflichten". Darin heißt es unter anderem:

"Sollen die Völker endlich die Freiheit erlangen, soll der Verarmung und dem Elende Europas ein Ziel gesetzt werden, so muss Russland von Preußen und Oesterreich durch ein demokratisch organisiertes Polen getrennt ... eine europäische Staatengemeinschaft durch ein treues Bündnis des französischen, deutschen und polnischen Volkes vorbereitet werden" (auf dem Hambacher Fest waren viele Polen zugegen; auf dem Schloss wehte eine polnische Flagge).

Weiter heißt es: "Das Mittel zur Wiedervereinigung Deutschlands im Geiste ist aber einzig und allein die freie Presse." (Press- und Vaterlandsverein) Und: "Das deutsche Volk muss deshalb zur Versendung der Presse ... eine eigene Anstalt expressser Boten errichten." "Diejenigen Journale ... müssen deshalb in das Eigentum des Volkes übergehen und ihre Redaktoren absetzbare Diener des Volkes werden." Als Konsequenz: "Die Unternehmer der Deutschen Tribüne treten das Eigentum an der Zeitung dem ... Verein ab."

Schon in diesem Aufruf, der damals als Flugblatt in über 50.000 Exemplaren verbreitet wurde, formuliert Wirth das, was Krausnick in seinem Buch über Wirth "politische Erfindungen" nennt (unabhängige Versandwege, Wählbarkeit der Redakteure, Zeitungen im öffentlichen Eigentum etc.). (Michail Krausnick: Johann Georg August Wirth: Eine Biografie - Vorkämpfer für Einheit, Recht und Freiheit; Mannheim 2011)

In den neun Monaten, in denen die Deutsche Tribüne erschien, saß Wirth - von der Zensur verfolgt - mehrfach im Gefängnis. Am 8. März 1832 wurde die Zeitung vom Deutschen Bund verboten. Noch wenige Tage nach der erzwungenen endgültigen Einstellung schrieb der Redakteur Georg Fein am 18. März: "Und selbst gesetzt: die Deutsche Tribüne würde schon in den nächsten Tagen durch die rohe ungesetzliche Gewalt für immer unterdrückt, so hat sie in der kurzen Zeit ihres Wirkens das Ihrige geleistet, und kann beruhigt vom Schauplatz abtreten. Die Deutsche Tribüne hat die Ängstlichen ermuthigt, die Schwankenden gehalten, die Tragen aufgeregt ..."


Zwischen dem Verbot der Deutschen Tribüne und dem Hambacher Fest

In der kurzen Zeit zwischen dem Verbot der Deutschen Tribüne am 8. März, dem Hambacher Fest am 26. Mai und der Verhaftung Wirths am 18. Juni 1832 sind es weniger als drei Monate.

In dieser Zeit verfasst Wirth drei Schriften, von denen zumindest zwei noch heute zum historischen Grundbestand deutscher verfassungsgeschichtlicher wie verfassungsrechtlicher Literatur gehören. ("Die politische Reform Deutschlands. Noch ein dringendes Wort an die deutschen Volksfreunde", Straßburg, 1832, und "Aufruf an die Volksfreunde in Deutschland", Homburg, 21. April 1832).

Bei der dritten Schrift, die ich als Erste erwähnen möchte, handelt es sich um den "offiziellen" Bericht vom "Nationalfest der Deutschen zu Hambach". Dieser Bericht erschien bereits drei Wochen nach dem Fest und gilt mehrfach nachgedruckt bis heute als die so genannte offizielle Festbeschreibung. Redakteur, Mitverfasser und Herausgeber war J.G.A. Wirth. Der "geistige Kopf" dieses Festes saß zum Zeitpunkt des Erscheinens des Berichtes bereits im Gefängnis - verhaftet am 18. Juni 1832. In nur drei Wochen hatte er zuvor - zusammen mit anderen und von diesen damit betraut - diese Dokumentation verantwortlich erstellt. Sie ist von einzigartigem Charakter! Wo findet man in der Geschichte ein weiteres Beispiel dafür, dass die Beteiligten an einer Volksbewegung, obwohl ob des weiteren Weges wegen politisch zerstritten, einen Mitstreiter kurz nach dem Ereignis beauftragen, einen offiziellen Festbericht zu verfassen. Man denke nur an Solidarnosc oder an die Freiheitsbewegung der DDR-Bürger 1989. Keine dieser beiden Bewegungen hat eine solche authentische, für die geschichtliche Beurteilung wichtige Dokumentation hinterlassen.

Wirth lebte während seiner Arbeit unter konstanter Bedrohung, war zuvor mehrfach in Haft gewesen und musste mit erneuter Verhaftung rechnen, die dann am 18. Juni 1832 auch erfolgt ist.

Ohne technische Hilfsmittel, wie sie heute zur Verfügung stehen, sind die meisten der über 20 Reden und die Grußadressen dokumentiert. Es befinden sich darin die Texte berühmter Freiheitslieder ebenso wie Übersetzungen aus dem Französischen und dem Polnischen. Es spiegeln sich im Festbericht auch die politischen Kontroversen der Mitstreiter untereinander, etwa über die entscheidende Frage "Revolutionäres Vorgehen oder Reform" sowie Wirths kritische Haltung gegenüber dem herrschenden System in Frankreich.


"Die politische Reform Deutschlands - Noch ein dringendes Wort an die deutschen Volksfreunde"

Diese Schrift verfasst Wirth in der Untersuchungshaft in Zweibrücken. Sein elfjähriger Sohn Max schmuggelt das Manuskript unter dem Hemd aus dem Gefängnis.

Die politische Reform Deutschlands ist gewissermaßen die Essenz seiner Überzeugungen - ein radikaldemokratisches Brevier. Neben dem Aufruf an die Volksfreunde wird es ein Hauptanklagepunkt im Landauer Geschworenenprozess.

Es ist angebracht, an dieser Stelle auch den Visionär Wirth zu erwähnen. In Absatz V der erwähnten Schrift fordert er ein neues Strafrecht für Deutschland. Das ist umso überzeugender, als Wirth ja ein in Halle promovierter Jurist ist und einen eigenen Entwurf eines Strafrechtsgesetzbuches vorgelegt hat. Seine Forderung lautet: "Gänzliche Verwerfung des bisherigen Systems der Strafrechtsgesetzgebung und Umwandlung desselben in das Prinzip der Milde und Humanität zum Zwecke der Besserung; insbesondere Entfernung der barbarischen Grundsätze über Vergehen gegen die Hierarchie der Kirche und Staatsgewalt, sowie politische Übertretungen überhaupt."

Im politischen Diskurs sind viele dieser Gedanken in Deutschland erst wieder 100 Jahre später durch Gustav Radbruch in den 1920er Jahren und Gustav Heinemann nochmals 40 Jahre später geäußert worden und zum Durchbruch gekommen.



"Aufruf an die Volksfreunde"

Zu erwähnen bleibt die dritte der bedeutenden Schriften, am 21. April 1832 erschienen nach dem Verbot der Deutschen Tribüne und vor dem Hambacher Fest und ebenfalls Anklagepunkt im Assisenprozess 1833.

Dieser Aufruf an die Vollesfreunde in Deutschland ist nichts weniger als eine zutreffende Zustandbeschreibung und darauf aufbauend ein visionäres Zukunftskonzept. Wirth schreibt: "Man glaubte Wirklich, ein besserer Geist habe sich über das Volk ergossen; man hoffte, dass die öffentliche Meinung für Menschenrechte und Freiheit sich erklären, der Sache der Völker ihre Macht leihen und durch Beschützung der freien Presse zur Wiedergeburt Deutschlands und Polens den Grund legen werde. Allein man hatte abermals durch Phrasen sich täuschen lassen. (...) Europa Wird durch die Reform Deutschlands den Weltfrieden begründen."

Er war jedoch kein Illusionär. Er schrieb: "Möge man diese Aussicht in die Zukunft immerhin als eine Chimäre verspotten. Das große Werk wird doch vollbracht. Zwar nicht jetzt, aber später, wenn das Volk hinlänglich politisch gebildet ist. Mehrere Generationen können freilich vergehen, bis die Vernunft den Sieg erlangt, aber diese erlangt ihn dennoch ... Und eben darum ... muss man mit den Vorarbeiten beginnen."

Schließlich, und das ist der Höhepunkt seiner zukunftsweisenden Überlegungen, formuliert Wirth in diesem Aufruf in 21 Absätzen präzise seine Vorstellungen für eine Verfassung, wie sie öffentlich erst 15 Jahre später, nämlich 1847 in den bekannten Offenburger "Forderungen des Volkes", formuliert wurden. Auch hier war Wirth als politischer Denker seiner Zeit voraus.



Das Hambacher Fest am 27. Mai 1832

Das historische Ereignis, mit dem der Name und das Wirken von Wirth weithin verbunden wird, ist das Hambacher Fest.

Nicht immer war dieses Fest, das Theodor Heuss die erste demokratische Volksversammlung auf deutschem Boden genannt hat, im Bewusstsein der Deutschen so präsent gewesen, wie es dies heute teilweise ist.

Als ich mit meinem Bruder 1957 zum 125. Jahrestag des Festes in Hambach war, sprach dort auf der Schlossruine Carlo Schmid. Zu Beginn seiner Rede erwähnte er, dass er in Bonn zu vielen Bekannten und Politikern von seiner bevorstehenden Reise nach Hambach gesprochen habe. Keiner habe gewusst, um was es sich bei dem Stichwort Hambach handelt. Und - wie Carlo Schmid spitz bemerkte - es waren viele "gebildete" Leute darunter. (Anm. d. Red: Prof. Dr. Carlo Schmid war Mitglied des Parlamentarischen Rates gewesen, von 1949 bis 1972 SPD-Abgeordneter im Deutschen Bundestag und von 1947 bis 1970 Mitglied im SPD-Parteivorstand.)

Vorbereitung, Verlauf und Nachwirkung dieses Festes sind eine derart umfangreiche Geschichte, dass ich sie hier nicht ausbreiten kann. Deshalb gehe ich nur auf wenige, Wirth betreffende Details ein.

Die ersten Verabredungen zu diesem Fest gehen zurück auf die berühmte Festversammlung am 29. Januar 1832 in Zweibrücken, wo die Diskussion um die Gründung des Press- und Vaterlandsvereins geführt wurde.

Am 20. April 1832, das ist knapp vier Wochen nach dem Verbot der Deutschen Tribüne, laden dann vor allem Siebenpfeiffer und Wirth mit zahlreichen Neustädter Bürgern zu diesem "Maifest" am 27. Mai auf dem Hambacher Schloss ein. Der Titel Maifest war bewusst so gewählt, um jeglichen Hinweis auf einen politischen Charakter zu vermeiden.

Über dem Hambacher Schloss wehen drei Fahnen: die deutsche schwarz-rot-gold (nicht schwarz-rot-gelb; Anm. d. Red: Vgl. dazu Heribert Prantl: Schwarz-Rot-Melonengelb in "Süddeutsche Zeitung", 22.12.2012,
www.sueddeutsche.de/politik/schwarz-rot-melonengelb-unter-falscher-flagge-1.1557701-2 und
https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarz-Rot-Gold#Schwarz-Rot-Gold_oder_Schwarz-Rot-Gelb.3F), die französische und die polnische.

In seiner Rede, die später als die bedeutendste der über 20 Reden und Grußbotschaften bezeichnet wird, kommt Wirth ausführlich auf eines seiner Hauptthemen, nämlich die Einigung Europas zu sprechen: "Die Ursache der namenlosen Leiden der europäischen Völker liegt einzig und allein darin, ... dass die Herzöge und Kurfürsten den größten Teil von Deutschland an sich gerissen haben, und nicht nur ihre eigenen Länder nach orientalischen Formen beherrschen und deren Kräfte zur Unterdrückung der Freiheit und Volkshoheit der europäischen Nationen verwenden, sondern auch ihr Übergewicht über die kleineren Länder Deutschlands benützen ... um sie despotischer Gewalt dienstbar zu machen."

Er beendet seine Rede mit dem Ruf: "Hoch! Dreimal hoch leben die vereinigten Freistaaten Deutschlands! Hoch! Dreimal hoch das konföderierte republikanische Europa!"

Dies ist das erste Mal, dass vor einer internationalen Massenversammlung derart konkret eine europäische Zukunftsvision ausgedrückt wurde. Es sollte über 110 Jahre dauern, bis daran wieder angeknüpft wurde.

Es gibt allerdings in seiner Rede ein sehr kritisches Thema, das bereits auf dem Fest, aber auch später lebhaften Widerspruch hervorgerufen hat. Das ist seine Haltung gegenüber Frankreich, dessen Vertreter ja in Hambach zugegen waren. Zwar meint er mit seinen Ausführungen vor allem die reaktionäre Regierung Louis Philipps und seines Regimes, das nach 1830 an die Macht gekommen war. Seine Thesen lassen sich so zusammenfassen: Die Deutschen müssen sich bei der Lösung der deutschen Frage auf sich selbst verlassen. Die neue Regierung in Frankreich will nach der Juli-Revolution 1830 aus materiellen Interessen nur noch die Aufrechterhaltung des status quo in Europa, verweigert sich der deutschen Nationalbewegung bzw. unterstützt sie unter Umständen nur unter der Voraussetzung, dass das linke Rheinufer an Frankreich abgetreten wird. Deshalb ist - das offizielle - Frankreich derzeit kein Verbündeter der deutschen Nationalbewegung. Dieser Deutung des französischen Standpunkts wird bereits in Hambach wie auch später von französischen Patrioten lebhaft widersprochen.

Welche Folgen der Auftritt Wirths und seiner Vielen auch prominenten Mitstreiter wie z.B. Siebenpfeiffer und Pistor in Hambach hatte, darauf will ich jetzt kurz eingehen. Dabei komme ich insbesondere auf den Landauer Geschworenen-Prozess gegen "Wirth und Consorten" zu sprechen, ohne den das Hambacher Fest und seine historische Bedeutung nicht zu denken sind.


Der Assisen-Prozess in Landau vom 29. Juli bis 16 August 1833*

Wenige Wochen nach dem Hambacher Fest, kurz nach der Fertigstellung des zuvor erwähnten Festberichts "Das Nationalfest der Deutschem wird Wirth - wie er es geahnt hatte - am 17. Juni 1832 verhaftet. Eine Flucht, wie sie mehrere seiner Mitstreiter vorzogen, lehnte er ab. Auch einem späteren Befreiungsversuch, den seine Anhänger organisiert hatten, verweigert er sich. Er sieht sich im Recht und will wie schon zuvor für dieses Recht kämpfen. Bis zum Prozessbeginn 1835 muss er eine einjährige Untersuchungshaft in Zweibrücken erdulden. Dort schreibt er im Gefängnis die erwähnte, wichtige Schrift "Die politische Reform Deutschlands".

Der Prozess findet, weil die Behörden Unruhen befürchten, außerhalb des eigentlich zuständigen Gerichtsortes Zweibrücken in der Festungsstadt Landau in der Pfalz statt. Bis zu 3.000 Mann Militär sind dort zusammengezogen. Metternich übt von Wien aus größten Druck auf die bayerischen Behörden aus. (Anm. d. Red.: Die Pfalz war seit dem Wiener Kongress 1815 bayrisch.)

Mit Wirth und Siebenpfeiffer sind insgesamt sieben Angeklagte vor Gericht erschienen; sechs weitere Angeklagte, darunter Daniel Pistor, haben sich durch Flucht nach Frankreich und in die Schweiz dem Prozess entzogen. Das Gericht besteht aus sechs Richtern und 12 Geschworenen, wie dies das französisch-pfälzische Recht für besonders schwere Anklagen vorsieht. Der Schuldvorwurf lautet "Direkte Aufforderung zum Umsturz der bayerischen Staatsregierung".

In aller Eile wird im Gasthaus "Zum Schwanen" ein Gerichtssaal hergerichtet, der 800 Personen fassen kann. Wie sich bald herausstellen sollte, wird er die Bühne für ein dramatisches Geschehen. Interessant für die Nachwelt ist, dass zum ersten Mal ein Wortprotokoll eines gesamten Prozessverlaufs erstellt wird. Unter den drei Stenographen ist Franz Gabelsberger, nach dem die frühe Kurzschrift benannt ist. Die Behörden zensieren allerdings den 650 Seiten starken Prozessbericht noch heute gibt es keine vollständige, korrekte Transkription dieses Dokuments.

Es würde zu weit führen, den spannungsgeladenen Prozessverlauf darzulegen. Es gibt darüber verschiedene wissenschaftliche Darstellungen.

Wirth sprach mehrmals, insgesamt 8 Stunden. Obwohl er ein Manuskript gehabt habe, sei seine Rede frei gewesen, und der Vortrag habe darunter nicht gelitten. Sein elfjähriger Sohn Max saß hinter dem Vater: "von der rührenden Klage bis zum Donner des Schlachtrufs" habe sein Vater gesprochen.

Eine Verehrerin schickt ein Gedicht ins Gerichtsgefängnis:

Wie ein anderer Luther hast Du heut geredet
Zum deutschen Volle mit Kraft und heil'gem Mut
Ob auch von Außen noch so hart befehdet,
Verfichst Du kühn der Menschheit höchstes Gut;
Ob Tausende sich gegen dich verbündet,
Dein ist der Sieg, du edler Glaubensheld!
Was Du begeisternd heute uns verkündet:
Dringt unaufhaltsam in die ganze Welt.

Nach fast dreiwöchigem Prozessverlauf ist es am 16. August 1833 soweit. Der Gerichtspräsident ermahnt die 12 Geschworenen, die sich dann vier Stunden in ein schwer bewachtes Beratungszimmer zurückziehen.

Danach verkündet der Sprecher der Geschworenen mit der Hand auf dem Herz: "Auf meine Ehre und mein Gewissen, vor Gott und den Menschen, die Erklärung der Geschworenen sind folgende ..." und erklärt für jeden einzelnen Angeklagten: "Nein, derselbe ist nicht schuldig.". Dieser Freispruch ist eine Sensation, die sich in rasender Geschwindigkeit über die Pfalz und Deutschland verbreitet. Mit weißen Signalfahnen wird der Freispruch über die Pfälzer Berge verbreitet.

Der Journalist Günther Werner schreibt am 26. Juli 2008 unter der Überschrift "Vor 175 Jahren Weichen für den Rechtsstaat gestellte": "Für die bayerische Staatsregierung ist das Ergebnis des Assisenprozesses von Landau eine Blamage. Die Urteile sind ein Triumph für die Liberalen und ein Symbol der Unabhängigkeit des Gerichts. Demokratie ist ohne Meinungs- und Pressefreiheit nicht vertretbar. Ohne diesen Prozess wären die demokratischen Wurzeln des Hambacher Festes wohl im Keim erstickt."

Wirth kommt trotz Freispruchs nicht frei. Wegen früherer Vergehen muss er zusätzlich zu dem einen Jahr Untersuchungshaft drei weitere Jahre im Gefängnis - in Kaiserslautern - verbringen, insgesamt also vier Jahre. Erst 1836 kommt er frei und wird aber zunächst zu Hausarrest in seiner Heimatstadt Hof verurteilt.

Der Text seiner in Landau gehaltenen Rede erscheint später an verschiedenen Orten inklusive den USA in sieben Ausgaben. Ihr Verkauf bringt der nun mittellosen Familie einige Erlöse, aber auch erneute polizeiliche Verfolgung, weshalb sie, wie dargelegt, ins nahe Weißenburg im Elsass übersiedelt.

In Wirklichkeit greift erstmals jene Unterstützung der Familienangehörigen, die Wirth selbst als eine von "Deutschlands Pflichten" angeregt und über den Press- und Vaterlandsverein institutionalisiert hat - eine Art Vorläufer gewerkschaftlicher Solidarität, von Streikkassen und Rechtsschutz.



Letzte Lebensjahre, Tod, Beerdigung

Wie ich eingangs ausführte, übersiedelte Wirth mit Familie 1847 nach Karlsruhe, ein Jahr nach der Generalamnestie 1846 für die verfolgten Hambacher.

In Karlsruhe erhielt er Anfang Juli 1848 die Nachricht seiner Wahl in die Paulskirche. Diese erfolgte allerdings nicht in Karlsruhe, sondern in dem kleinen fränkischen Fürstentum Reuß-Schleiz-Lobenstein.

Da er in seinem Geburtsort Hof - wie schon erwähnt - nicht aufgestellt worden war, hatte sich im nicht weit davon entfernten vogtländischen Hirschberg der liberale Lederfabrikant Philipp Knoch, ein Freund von Robert Blum, für Wirth eingesetzt. Das kam so: Eigentlich hatte Robert Blum in diesem Wahlkreis kandidiert. Da Blum jedoch bereits in Leipzig einen Wahlkreis für die Paulskirche gewonnen hatte, sagte er in Hirschberg ab. Es musste also eine Nachwahl stattfinden. Das Paulskirchenparlament war bereits am 18. Mai 1848 eröffnet worden. Die Nachwahl in Hirschberg fand am 17. Juni statt. Auf der erhaltenen Wahlliste sind die von Wahlmännern abgegebenen Stimmen verzeichnet. Danach erhielt Wirth 391 Stimmen vor seinem Freund August Thieme mit 388 Stimmen. Thieme rückte später nach Wirths Tod als sein Nachfolger in die Paulskirche ein.

Wirth konnte sein Mandat nur 6 Wochen wahrnehmen und verstarb bereits am 26. Juli als erster Abgeordneter des Parlaments.

Am 27. Juli verkündete der Präsident Heinrich von Gagern vor dem Parlament: "Ferner habe ich der Nationalversammlung den ersten Verlust zur Kenntnis zu bringen, der sie durch den Tod eines ihrer Mitglieder betroffen hat. Es ist gestern Dr. Johann Georg August Wirth aus Hof in Bayern, 49 Jahre alt ... hier in Frankfurt gestorben. Die Bedeutung dieses Mannes ist uns allen bekannt, und wir werden uns sämmtlich veranlasst finden, ihm die letzte Ehre zu erzeigen, indem wir uns seinem Leichenbegängnisse anschließen."

Es wurde der größte Trauerzug, den Frankfurt bis dahin erlebt hatte. Robert Blum hielt die Grabrede für seinen Freund.

Louise Zimmermann, die Frau des erwähnten Wilhelm Zimmermann, die in Frankfurt ein Tagebuch führte, schrieb u.a.: "Blum trat hervor. Seine Rednergabe, sein edler Sinn, sein freier richtiger Takt ließen ihn auch hier, wie immer, die rechten Worte finden." So sagte Robert Blum: "Wenn wir hier in tiefem und gerechtem Schmerze das Grab unseres Freundes, eines edlen, schwer gepeinigten Mannes umstehen, ... so sollen es doch Worte der Versöhnung sein, welche ich hier spreche, wenn auch die Rache bitter sich im Herzen regt, ..."

Moritz Hartmann, der jüdische böhmische Dichter schreibt für seinen Freund aus Hof: "Ein schöner Tod, den ihm ein Gott verlieh, auf seinem Grabe soll die Widmung steh'n: Er starb wie Moses auf dem Sinai, nachdem er Kanaan von fern geseh'n."

Wirth war mitten in der Arbeit an seinem letzten Werk "Die Geschichte der deutschen Staaten" gestorben, das jetzt mit dem 3. und 4. Band sein Kollege Wilhelm Zimmermann aus Schwäbisch Hall fortsetzte. Im Badischen Generallandesarchiv ist eine Polizeiakte erhalten, die verfügt, dass dieses Werk Wirths in allen Karlsruher Buchhandlungen zu beschlagnahmen sei - 1830, noch zwei Jahre nach seinem Tod!


Abschließende Bemerkungen zu Johann Georg August Wirth

Abschließend und bevor ich nun näher auf den Sohn von Wirth, Franz Ulpian, zu sprechen komme, versuche ich - unter Auslassung von Wirths Wirken in der Zeit nach seiner Haft ab 1836 bis zu seinem Tod 1848 - zu einer, wenn auch unvollständigen, persönlichen Einschätzung seiner Person zu kommen.

Festzustellen ist: Zeitgeschichte unterliegt kontroversen Beurteilungen. Das gilt für Ereignisse wie für Personen. Es gilt folglich auch für die Person und das Werk und Wirken von Johann Georg August Wirth. Die Biographen Elisabeth Hüls und Michail Krausnick kommen zu differenzierten Urteilen, denen ich mich anschließen möchte.

Elisabeth Hüls schreibt in ihrer abschließenden Zusammenfassung unter anderem: "Tatsächlich distanzierte sich Wirth von den radikalsten Verfechtern der neuen Staatsform ... gleichwohl war er als Republikaner für eine völlige Umgestaltung der bisherigen Staatsform. Auch wenn er Gewalt ausdrücklich ablehnte, kann Wirth deshalb als Revolutionär bezeichnet werden." (Anm. d. Red; Elisabeth Hüls: Johann Georg August Wirth (1798-1848). Ein politisches Leben im Vormärz. Düsseldorf 2004)

Ein Rezensent dieses Buches, Volker Ullrich von der "Zeit", überschrieb seinen Beitrag "Freiheitsfreund im Widerspruch" und kam zu dem Urteil, "dass der Hambacher Wirth zum demokratischen Vorbild leider nicht taugt". Diese Aussage leitete er aus der kritisch differenzierenden Darstellung einiger Schriften Wirths durch die Autorin Hüls ab.

Wirth selbst beschrieb den psychischen wie physischen Zusammenbruch, seine so genannte Hypochondrie, die er durch die Gefängnishaft und im Exil erlitten hat. Auch der Autor Krausnick kam darauf zu sprechen. In diesen Zuständen befasste er sich mit schon damals als unhaltbar erkannten philosophisch-historischen Theorien über das Weltgeschehen. Dabei kam er auch zu Formulierungen, die nationalistische und völkische Gedanken vorwegzunehmen scheinen. Solche haben allerdings das Bild des Hambacher Demokraten nicht verdunkeln können. Beweis dafür ist, dass er bei einer Nachwahl in das Paulskirchenparlament gewählt wurde. Publizistische Belege für seine fortbestehende republikanisch-demokratischen Auffassungen sind auch Wirths - von mir erwähnte - letzte Veröffentlichungen und die Ankündigung noch im Jahre 1847, die Deutsche Tribüne unter Mitwirkung des progressiven Philosophen Ludwig Feuerbach wieder erscheinen zu lassen.

Der Zeitgenosse kann bei Robert Blum, bei Heinrich von Gagern oder bei Heinrich von Treitschke nachschlagen, der von Hambacher Philistern sprach. In neuerer Zeit gibt es Urteile des Historikers Dieter Langewiesche oder erst kürzlich eine fulminante, würdigende Rede des kritischen Journalisten Heribert Prantl. Es bleibt dem engagierten Zeitgenossen überlassen, zu welchem Urteil er selbst kommt.

Ergänzen will ich meinen Bericht mit einer kurzen Erwähnung dessen, wie in unserer Zeit des Wirkens von Wirth gedacht wird. Dabei kann es nur um einen Ausschnitt gehen. In einem besonderen Aufsatz habe ich die Gedenkaktivitäten der letzten 50 Jahre eigens geschildert.

Das Ehrengrab auf dem Frankfurter Hauptfriedhof, das die Stadt vor einigen Jahren einebnen wollte und das die Familie im letzten Moment retten konnte, habe ich schon erwähnt.

In Hof/Saale, Wirths Geburtsstadt, wurde 1998 ein besonderes Denkmal errichtet, geschaffen von dem Bildhauer Andreas Theurer. Es ist eine begehbare Bodenplastik, die eine aufgeschlagene Zeitungsseite mit dem Titel "Deutsche Tribüne" darstellt.

Eine Zeitung, eine Bühne
eine Erhebung von unten.
Sie gleicht einem Flugblatt
einer schwebenden Kraft,
einer Fahne ohne Farben
schwarz auf weiß
für die Kraft des Wortes
für den freien Gedanken.
(Andreas Theurer, 1998)

Das Denkmal wurde 2012 an einen anderen Platz verlegt - vor die neue dortige Freiheitshalle. Heribert Prantl von der "Süddeutschen Zeitung" hielt bei dieser "Zweiteinweihung" am 25. November 2012 eine eindrucksvolle Rede.

Seit 2009 wird in Kulmbach, Franken, jährlich ein nach Wirth benannter Journalistenpreis verliehen.

Es kann festgehalten werden, dass der Verlauf der Erinnerung an Wirth so wechselvoll ist wie sein Leben.


Franz Ulpian Wirth - Friedensaktivist und Mitbegründer der Deutschen Friedensgesellschaft 1892

Beim Tod seines Vaters, des Hambachers Johann Georg August Wirth, war sein Sohn Franz Ulpian, der spätere Aktivist der Friedensbewegung, 22 Jahre alt. Durch die vielen zuvor geschilderten, politisch bedingten Wohnungswechsel der Familie hatte Franz Ulpian eine wechselvolle Jugend. Letztlich besuchte er in Konstanz die Schule. Im nahen Thurgau hatte die Familie im Schweizer Exil ein Unterkommen gefunden. Sein Schulweg betrug je eine dreiviertel Stunde. Zuvor, morgens um 6 Uhr, gab es eine Flötenstunde.

Von der wieder aufgenommenen schriftstellerischen wie journalistischen Tätigkeit des Vaters konnte sich die Familie nur unter ärmlichen Umständen ernähren und war auf die diskrete Hilfe von Freunden angewiesen. Die letzten beiden Lebensjahre verbrachte die Familie 1847/48 in Karlsruhe, worüber ich eingangs berichtet habe.

Wie Franz Ulpian und sein älterer Bruder Max anschließend ihr nunmehr aufgenommenes Studium finanzierten, darüber gibt es fast nahezu keine Information. Belegt ist das Studium in den Belegbüchern der Universität Heidelberg und des Polytechnikums in München und Hannover. Dort verdiente sich Franz Ulpian seinen Unterhalt als Stenograph. Über diese Nebentätigkeit kam er ca. 1848 an das Telegrafenamt in Frankfurt.

In Frankfurt, wo er sein weiteres Leben verbringen sollte, engagierte er sich als Techniker zusammen mit seinem Bruder Max auf dem Gebiet des Imports und des Patents amerikanischer Landwirtschaftsmaschinen. Ebenfalls zusammen mit seinem Bruder Max, der später als Mitbegründer der "Frankfurter Zeitung" (die heutige FAZ) bekannt wurde, gründete er das national-ökonomisch-technische Wochenblatt "Der Arbeitgeber", das er 1879 in die Zeitschrift "Der Patentanwalt" umwandelte. Sein Patentanwalts-Unternehmen wurde ein wirtschaftlicher Erfolg, so dass Wirth, der in vielen einschlägigen Gremien des Patentschutzes präsent war, schließlich der erste Patentanwalt in Deutschland genannt wurde. Dieses Büro existierte unter dem Namen Wirth bis vor etwa 30 Jahren.

Sein eigenes Patentanwalt-Unternehmen (Wirth & Co) gelangte unter seiner zielbewussten Energie zu hoher geschäftlicher Blüte. Das ermöglichte es ihm später, etwa 1892, sich aus dem Beruf zurückzuziehen und sich ganz der Friedensbewegung zu widmen. Wie es Leopold Sonnenmann, der Gründer der "Frankfurter Zeitung" und Vorsitzender des Frankfurter "Demokratischen Vereins" bei Wirths Tod formulierte: "Für die Friedensbewegung hat Wirth in dem letzten Jahrzehnt seines Lebens (etwa von 1886 bis 1897) seine Zeit und Kraft mit wahrem Feuereifer eingesetzt."

Vom demokratischen Geist seines Vaters beseelt, gehörte Franz Ulpian Wirth als Mitglied der "Demokratischen Volkspartei" DVP von 1886 bis 1892 der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung an. Möglicherweise hat er über diesen Impuls die "Friedensarbeit" zu seiner persönlichen Priorität gemacht.

1886 hatte Wirth die erste und längere Zeit einzige Vereinigung der Friedensbewegung auf deutschem Boden gegründet. An diese Frankfurter Vereinigung, deren Vorsitzender Wirth war, lehnten sich allmählich 40 Ortsgruppen, insbesondere in Süddeutschland an, wobei alle Fäden bei ihm zusammenliefen.

Seine Aktivitäten reichten allerdings weit darüber hinaus, wie er denn auf sämtlichen Friedenskongressen seiner Zeit für Deutschland als einer der Vizepräsidenten fungierte.

Bei den damaligen Friedensaktivitäten muss man in Betracht ziehen, wie selbst in dem als liberal geltenden Frankfurt staatlicherseits darauf reagiert wurde. Die Art und Weise, wie die behördliche Überwachung auf die Gründung des Frankfurter Vereins im Jahre 1896 reagierte, wirft ein krasses Licht auf die Beschränkungen, denen pazifistische Tätigkeit unterworfen war. Obwohl die Organisation es gewissenhaft vermied, sich in die Tagespolitik einzumischen, wurde sie von der Regierung viele Jahre hindurch wie ein politischer Verein behandelt. Die Versammlungen wie auch neu eintretende Mitglieder mussten polizeilich angemeldet werden. Das schränkte natürlich die Bereitschaft zum Beitritt ein. Ganz im Gegensatz dazu vollzog sich das Vereinsleben in Frankreich und England in gänzlich freier Atmosphäre.

Ludwig Quidde, der spätere Friedensnobelpreisträger, schreibt 1924 im "Jenaer Volksblatt" zum Thema "Demokraten und Pazifisten": "Die Friedensbewegung in Deutschland war in den Jahrzehnten vor dem Kriege durchaus von der bürgerlichen Demokratie getragen. Die gewaltige Mehrheit der Mitglieder der Deutschen Friedensgesellschaft gehörte den Freisinnigen Parteien oder in Süddeutschland der ausgesprochen demokratischen und pazifistischen Deutschen Volkspartei an [so auch Wirth]. Die Sozialdemokraten hielten sich fern, da der Sozialismus der Friede sei und den schwächlichen bürgerlichen Pazifismus nicht brauche; Angehörige der Zentrumspartei oder der anderen rechts vom Freisinn stehenden bürgerlichen Parteien waren nur ganz vereinzelt in der Bewegung zu finden." (zitiert nach Friedrich- Karl Scheer: Die Deutsche Friedensgesellschaft (1892-1933); 2., korrigierte Auflage, Frankfurt/Main 1983, S. 115).

Es ist zu vermuten, dass F.U. Wirth durch sein außergewöhnliches Ansehen in der Öffentlichkeit und in Erinnerung an die Schikanen, denen sein Vater in seiner Zeit ausgesetzt war, ermutigt mit Unbefangenheit und mit Energie zu Werke ging, um solchen Schikanen zu trotzen.

Auf seiner jährlichen Vortragstournee agierte er - anfänglich in Deutschland ganz isoliert - bis zwei Monate vor seinem Tod für die humane Sache und gründete noch auf der letzten Rundreise, die ihn auch als Mitglied der internationalen Friedenskommission nach Bern rief, sechs DFG-Gruppen. Mehr als die Hälfte aller DFG-Gruppen wurzelten zu dieser Zeit in seiner Initiative und das waren ca. 40. Am 9. Mai 1897 fand in Berlin der 3. deutsche Delegiertentag statt, wo Wirth mehrere Gruppen vertreten sollte. Auch war ihm eine leitende Rolle für den ersten internationalen Friedenskongress in Deutschland im September 1897 zugedacht.

Wie eine einzelne Person zu dieser Zeit ohne die heute bekannten Kommunikationsmittel ein solches landesweites Aktionsprogramm bewältigen konnten, ist kaum zu erklären.

Wirth, der hart geschulte Mann des praktischen Lebens, schwebte dabei nicht etwa in idealistischen Phantasien. Vielmehr bewegten sich seine diesbezüglichen Gedanken auf völlig realpolitischem Boden. Beweis dafür ist das "Selbstreferat", das er am 26. November 1894 in der Sektion Volkswirtschaft des Frankfurter Freien Deutsehen Hochstifts als Vortrag gehalten hat mit dem Titel "Die soziale Bedeutung der internationalen Friedensbestrebungen". (siehe: Berichte des Freien Deutschen Hochstiftes, Neue Folge, N.F. Band 11; 1895, S. 185-188)

Angesichts der wenigen authentischen Aussagen von Wirth referiere ich auszugsweise aus diesem Text. In einer realistischen Darstellung sieht er wirtschaftliche Stagnation, "Beeinträchtigung des Nationalwohlstands" und "Unterbindung der Produktion" als Hauptschäden des Krieges, für deren Beseitigung er namentlich eine Erziehungsreform bei Klein und Groß mit starkem Akzent auf Friedenskultur statt Kriegsrüstung und Kriegsruhm verlangt. Notwendig dafür seien auch Maßnahmen zur Revision des Völkerrechts und ständige Schiedsgerichte, die von den Friedenskongressen zu verabschieden seien.

Nach dem Gesagten empfiehlt sich ein kurzer Rückblick auf die geschichtliche Entwicklung der deutschen Friedensbewegung. Erstaunlicherweise tagte schon 1830 in der Frankfurter Paulskirche ein "Internationaler Friedenskongress", an dem allerdings nur 40 deutsche Pazifisten teilnahmen. Franz Ulpian Wirth war zu dieser Zeit ein 26jähriger Student. Es sollte über 30 Jahre dauern, bis wieder regelmäßige internationale Friedenskongresse veranstaltet wurden. Zunächst entwickelte sich die Friedensbewegung in England. Es überrascht daher nicht, dass auch der 1886 von Wirth in Frankfurt gegründete erste deutsche Friedensverein auf die Initiative des Engländers Hodgon Pratt zurückgeht. 1886, vier Jahre vor dem Erscheinen des berühmten Buches von Bertha von Suttner "Die Waffen nieder!". Der Frankfurter Verein wurde nach seiner Gründung ein vorläufiges Zentrum des deutschen Pazifismus.

Erst sechs Jahre später, nämlich 1892 ruft der Pforzheimer Industrielle Adolf Richter zusammen mit Wirth und Frau Leske-Fischer zur Gründung einer deutschen Friedensorganisation auf, die dann im selben Jahr von Alfred H. Fried, dem späteren Friedensnobelpreisträger, gegründet wurde und in Berlin ansässig war. (Alfred Hermann Fried 1864-1921).

Trotz seiner 66 Jahre stürzte sich Wirth dann selbst in die Propagandatätigkeit und gründete in den Jahren 1892 bis 1897 nicht weniger als 53 Ortsgruppen der Deutschen Friedensgesellschaft. Andere "Ortsgruppen wurden auf seine Veranlassung ins Leben gerufen, so diejenige in München, wie aus einem Brief an Ludwig Quidde vom 16. Oktober 1895 hervorgeht.

Der Tätigkeit von Franz Wirth ist es zu verdanken, dass im Mai 1894 in Deutschland 12 DFG-Gruppen, 1895 bereits 26 und 1896 schon 45 und bei seinem Tod 1897 55 Gruppen bestanden. Die Erfolge seiner Agitation verdankte er vor allem auch dem hohen Ansehen seiner herausragenden Persönlichkeit.

"Der alte Wirth mit seinem silberweißen Bart und Kopfhaar gehörte zu den bekanntesten und volkstümlichsten Erscheinungen der Stadt Frankfurt", schrieb nach seinem Tod die Frankfurter Zeitung.

Noch vor der Gründung der Frankfurter DFG-Gruppe trat Wirth bei der Errichtung des "Internationalen Friedensbüros" mit Sitz im schweizerischen Bern als deutscher Vertreter in dessen Rat ein. Zusammen mit seinem Schweizer Freund Ernst Ducommun redigierte er von 1893 bis 1895 die "Monatliche Friedenskorrespondenz", die von der DFG in Berlin herausgegeben wurde. Über zwei Reichstagsabgeordnete regte er die Mitwirkung der Baronin von Suttner an der Friedensgesellschaft an. So lud er sie zu einem Vortrag in Frankfurt am 24. August 1894 ein, der in der Frankfurter Zeitung abgedruckt wurde. Auch brachte er - nach dem Bekanntwerden des Nobel'schen Testaments - Bertha von Suttner wiederholt für den Friedensnobelpreis in Vorschlag, den diese dann 1905 auch erhielt.

Im Gegensatz zur großen Aktivität von Wirth und der Frankfurter DFG-Gruppe verhielt sich die Berliner Zentrale mehr oder weniger passiv. Dies führte dazu, dass Wirth wegen der fortdauernden Untätigkeit der Zentrale 1895 aus dem DFG-Vorstand austrat und auch die Redaktion der "Monatlichen Friedenskorrespondenz" niederlegte.

Schon vorher war versucht worden, den Sitz des Vorstandes der DFG von Berlin nach Frankfurt zu verlegen. Dagegen wehrten sich Franz Ulpian Wirth und andere, wie er in einem Brief vom 6. Januar 1894 nach Berlin schrieb; darin heißt es unter anderem: "Bekanntlich hat die vorige Jahresversammlung beschlossen, sich vorläufig nicht als Vorort zu konstruieren. Unser Verein war bereits eine Art Vorort für den Süden und wollte die Verbindung und Erfolge, welche er errungen, nicht gefährden ..." Und weiter: "Geld können wir keines abgeben, weil wir selbst nicht genug haben und deshalb in der Stadt Gaben sammeln mussten, abgesehen von den Beiträgen, welche mich die Sache kostet. Ich habe mich derselben ganz gewidmet und treibe nichts anderes mehr; auch den Schreiber und Stenograph habe ich auf meine Kosten übernommen. Im vorigen Jahr habe ich allein 250 M Porto ausgegeben. ­... Es wäre [für den Berliner Vorstand] vorteilhafter, jetzt 100.- M für die Friedenspropaganda auszugeben statt später Tausende für Militär und Kriege - ... Hochachtungsvoll Franz Wirth".

An dieser Stelle zitiere ich nochmals einige Auszüge aus einem Originalbeitrag von Wirth. Es handelt sich um eine Erwiderung von Wirth auf eine Kritik eines Achilles Bauer, veröffentlicht in der Zeitschrift "Die Waffen nieder", Jahrgang 1897, und zeigt den streitbaren Verfechter der Friedensideen: "Herr Bauer hält sie [die Friedensbewegung] für gefährlich, auch deshalb, weil sie sich nicht auf die Religion stützt, die er selbst, ... verspottet: Wenn der allmächtige Gott den Krieg nicht wollte, so könnte er ihn ja beseitigen! ... Die nackte Not meint er, welche millionenfach gegen das Leben kämpft, wird von den Friedensleuten nicht beachtet: während doch gerade die wirtschaftliche Seite der Friedensbewegung eine der am meisten berücksichtigste ist. Wer weist denn immer wieder auf die Milliarden hin, welche durch die jetzige unvernünftige Friedens-Rüstung verloren gehen? Wer hat zuerst darauf hingewiesen, dass es in der Schweiz, in Belgien und anderen Ländern ohne große Heere, die wenigsten Armen gibt?"



F.U. Wirths privates Leben

Hier ist abschließend Gelegenheit, einige Bemerkungen zu Wirths privatem Leben einzubringen. Sie entstammen einer handschriftlichen Niederschrift seiner Tochter Sophie, die diese kurz vor ihrem Tod 1945 verfasst hat. Sie schreibt u.a.: "Ein bewegtes Wanderleben bestimmte seine Jugend durch den vielfachen Wohnsitzwechsel und die politische Gefangennahme des Großvaters von 1832-1836. Die Familie hatte es schwer sich durchzukämpfen mit 3 kleinen Kindern. Freunde aus der Pfalz halfen aus der Not. Großmutter Regine war eine tapfere Frau. ... Die Vorliebe für den Bodensee behielt er bis ins späte Alter, besonders den gut zugefrorenen. Von dort ließ er sich telegraphieren, wenn das Eis fest war, um sich dann dem Schlittschuhsport zu ergeben. ­... In München machte er als Ingenieur sein Abschlussexamen, von dem er an seine Mutter berichtet, dass der Direktor ihn beglückwünscht habe als besten und primus und dass er zu großen Hoffnungen für die Zukunft berechtigte. ... Durch den Import und das Interesse an landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten aus Amerika entwickelte sich die Patentverwertung. Später wurde das Hauptgewicht auf die Patentpraxis gelegt. Die ersten Strick- und Nähmaschinen wurden patentiert. Jede von uns Töchtern bekam eine solche, die noch lange auf dem Dachboden stand. ... Wandern und Sport waren des Vaters Lebenselixier. ... mit Ende fünfzig bestieg er den Mont Blanc, von wo er auf einer Postkarte lakonisch schrieb Dr. Petersen appetitlos (in 4800m Höhe). Nach seinem 70. Geburtstag stieg er mit uns 2 jüngsten Töchtern zu Fuß von Garmisch aus auf die Zugspitze wo 1896 nur eine kleine Schutzhütte mit Fremdenbuch vorhanden war ... die letzten 4 Stunden des Abstiegs in dickem Schnee ... insgesamt 5 Tage unterwegs! ... Die letzten 10 Jahre seines Lebens waren ganz ausgefüllt mit der Arbeit für die Friedensbewegung, der er seine ganze Kraft und Zeit widmete. Der Vater starb am 15. Mai 1897."

Die Tochter Sophie, die wir als Kinder noch bewusst erlebt haben, war übrigens Zeichenlehrerin. Von ihr stammt das heute noch bekannteste und vielfach reproduzierte Kohlezeichnungsporträt ihres Großvaters Johann Georg August Wirth.

Da kein Familienarchiv existiert und Briefe weit verstreut sind, ist die Niederschrift der Tochter Sophie (verstorben 1946) eines der wenigen persönlichen Dokumente zur Biographie von F.U. Wirth.



"Warum ich mich engagiere"

Ganz zum Schluss sage ich noch ein Wort dazu, warum ich heute hier bin.

Ich bin hier, weil ich mich denjenigen verbunden fühle, die entsetzt sind, dass 67 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wieder Krieg von Deutschland ausgeht. Der Krieg wird als unterstützter Exportschlager in alle Welt gebracht - vorwiegend in Krisengebiete und abhängige Drittländer. Er wird aber nicht nur exportiert. Er ist auch in unserem Land stationiert und zwar in Büchel, einem kleinen Ort in der Eifel. Dort lagern die amerikanischen Atombomben und werden trotz völkerrechtlicher Zusagen nicht abgezogen. Deutsche warten sie und üben für ihren Einsatz. Jetzt sollen sie sogar mit Milliardenaufwand modernisiert werden.

Unser Verteidigungsminister scheut vor semantischer Sprachmanipulation nicht zurück und nennt die Bundeswehr mit orwellschem Paradox einen Teil der Friedensbewegung!

Hier im Karlsruher Bonhoeffer-Haus dagegen schließe ich mit einem Zitat von Dietrich Bonhoeffer aus dem Jahr 1934:

"Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der behaupteten Sicherheit. Denn der Friede muss gewagt werden. Sollte Gott nicht gemeint haben, wir wollten wohl von Frieden reden, aber so wörtlich sei das nicht umzusetzen? Sollte Gott nicht doch gesagt haben, wir sollten wohl für den Frieden arbeiten, aber zur Sicherung sollten wir doch Tanks und Giftgase bereitstellen? Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit."


Dr. Christof Müller-Wirth, Jahrgang 1930, ist Verleger und Journalist, DFG-VK- und SPD-Mitglied und lebt in Karlsruhe. Diesen Vortrag über seine beiden Vorfahren Johann Georg August Wirth (1798-1848) und Franz Ulpian Wirth (1826-1897) hat er bei einer gemeinsamen Veranstaltung der DFG-VK, des Friedensbündnisses Karlsruhe, des Versöhnungsbundes und der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden, am 21. März 2013 im Bonhoeffer-Haus in Karlsruhe gehalten. Als Sonderveröffentlichung des Forum Pazifismus ist der mit Fotos und Graphiken illustrierte Vortrag online als PDF-Dokument abrufbar unter:
www.forum-pazifismus.de/download/FP38-mueller-wirth.pdf


* Anm. d. Red.: "Assisen" ist der französische (Rechts-)Begriff für Geschworenengerichte.

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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit
Nr. 38 - II. Quartal 2013, S. 20 - 29
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig, DFG-VK
(Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen) mit
der Bertha-von-Suttner-Stiftung der DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV)
und Werkstatt für Pazifismus, Friedenspädagogik und Völkerverständigung PAX AN
Redaktion: Am Angelweiher 6, 77974 Meißenheim
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2013